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anschauung. Damit nämlich, daß sie nachgewiesen hat, daß wir auf theoretisch-wissenschaftlichem Wege zu einer Erkenntnis von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit nicht gelangen können, find für Kant die Fragen danach nicht etwa erledigt, geschweige denn, daß er sich bei dem negativen Ergebnis beruhigt hätte. Er schließt vielmehr daraus: wo nicht bewiesen werden kann, kann auch nicht widerlegt werden. Können jene Probleme rein theoretisch nicht gelöst werden, so sind wir berechtigt, zu ihnen die Stellung zu nehmen, zu der unser sittliches Bewußtsein uns führt. Wo das „Wissen“ nicht hinreicht, da darf der „Glaube" noch sich hinwagen, wenn er auf unser sittliches Bewußtsein sich stüßt und nichts bejaht, was der wissenschaft lichen Erkenntnis widerstreitet. Der „Glaube“ im Sinne Kants ist ein Fürwahrhalten, das für das Subjekt überzeugend, aber auf theoretischem Wege objektiv nicht ausreichend begründbar ist. Es ist ein „praktischer“ Glaube, sofern er sich auf die prak tische Seite unseres Wesens, nämlich auf eine Stellungnahme des Willens, stüßt, der aus sittlichem Bedürfnis heraus da entscheidet, wo wir als rein erkennende Menschen zu keiner Entscheidung zu gelangen vermögen. Wenn manche Vertreter der dogmatischen Metaphysik meinten, den religiösen Glauben wissenschaftlich widerlegen zu können, so lag dem derselbe Irr tum über die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit zugrunde wie den angeblichen Gottesbeweisen. Nur dadurch, daß solches Scheinwissen sei es verneinender, sei es bejahender Art kritisch überwunden wird, ist das Recht und die Bedeutung des vernünftigen Glaubens darzutun. „Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Plaß zu bekommen" (r. V. 26).

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Angesichts dieser ausdrücklichen Erklärung Kants an so edeutsamer Stelle (in der „Vorrede zur zweiten Auflage“) ätte sich die Verdächtigung nie hervorwagen sollen, daß es ich bei der Bejahung des „Glaubens“ nur um ein nachträgiches schwächliches Zugeständnis Kants an den Volksglauben andle. Ein anderes Mißverständnis dieses hochbedeutamen Sahes von Kant weist Reininger (a. a. D. S. 259) mit Recht zurück, wenn er betont: Nur Unverstand oder Bösvilligkeit kann diese Worte so deuten, als wenn er damit einer Einschränkung der freien Wissenschaft zugunsten des dogmaischen Kirchenglaubens das Wort habe reden wollen. Unter Dem,Wissen' verstand er ja... den Dogmatismus der Meta›hysik, welche durch Jahrhunderte ... dem Dogmenglauben zedient hatte." Seine Persönlichkeit wie der ganze Aufbau eines Systems bürgen dafür, daß der moralische wie der religiöse Glaube das eigentlich Feststehende war: der moralische Glaube im Sinne der Überzeugung von der Geltung und Verpflichtungskraft des Sittengesehes, und der religiöse Glaube als Überzeugung von der Existenz einer Gottheit, welche die Erreichbarkeit dessen verbürgt, was das Sittengeseh zu verwirklichen gebietet: des höchsten Gutes.

Die Grenze unserer theoretischen Erkenntnis bedeutet nicht die Grenze unserer Glaubensgewißheit. Wo die theoretische Vernunft mit einem bloßen Fragezeichen endet, indem sie Bejahung und Verneinung für gleich möglich erklärt, da darf die praktische Vernunft aus sittlicher Überzeugung heraus ihr „Ja“ aussprechen. Darin besteht der „Primat der praktischen Vernunft" (pr. V. 144 ff.).

Der Sinn von Kants praktischem Glauben ist auch damit

nicht zutreffend wiedergegeben, daß man darin eine „Fiktion“ also eine bewußt falsche Annahme sieht1. Danach soll e mir zum Beispiel erlaubt sein, die Welt so zu betrachten „als ob“ sie von Gott geschaffen sei und regiert werde, de diese Betrachtungsweise der Moralität förderlich sei, aber id soll mir dabei doch bewußt sein, daß diese Betrachtungsweis falsch sei.

Wir wollen hier nicht untersuchen, ob eine solche bewuß falsche Annahme den Menschen in seinem Handeln irgendwi moralisch günstig beeinflussen könne — wir bezweifeln dies — es kommt uns nur darauf an, den Sinn von Kants Glaubensbegriff richtig zu deuten. Gewiß verwendet auch er vielfach den Ausdruck „als ob“ in Beziehung auf den Inhalt des Glaubens. Aber in seinem Munde bedeutet der Ausdruck: wi müssen die Welt ansehen, als ob sie von Gott geschaffen sei, etwa dieses: wir können die Existenz Gottes und sein Ver hältnis zur Welt zwar nicht theoretisch erkennen, wenn wir es aber in der genannten Weise betrachten, so kommen wir dem wirklichen Sachverhalt so nahe, als uns Menschen eben möglich ist. In dem „als ob" bekundet sich also nicht etwa ein Be wußtsein der Falschheit einer Annahme, sondern nur das einer theoretisch unzulänglichen Formulierung einer Überzeugung von deren Wahrheit Kant fest überzeugt ist.

Vaihinger glaubt besonders aus den Aufzeichnungen Kants in den lehten Lebensjahren eine Reihe zur Begründung

1 So Hans Vaihinger in seinem Werke „Die Philosophie des Als-Ob“, zuerst 1911 erschienen (vgl. S. 647 f. 731 f.). Einë Kritik Vaihingers bietet K. Scholz, Die Religionsphilosophie Rants 1922.

einer Auffassung verwenden zu können, daß Kant in Gott ticht ein wirkliches Wesen erblicke, das unabhängig von uns ristiere, sondern lediglich eine Idee in uns. Aber die dahin autenden Säße wollen immer nur ausdrücken, daß für unsere ein theoretische, also streng wissenschaftliche Erkenntnis hier ine unüberschreitbare Grenze besteht, daß sie nur die Gottesdee als eine notwendige Schöpfung unserer Vernunft, aber richt die Existenz Gottes dartun kann.

Indes wenn die Wissenschaft mit Gott als einem bloßen Gedankending auskommen kann: vermag das auch der lebendige Mensch? Kant sieht eben im Menschen nicht bloß den Wissenchaftler, nicht bloß den theoretisch Erkennenden. Das ist freilich n jenen Altersaufzeichnungen nicht immer besonders einJeschärft. Man bedenke, daß Kant diese ja zunächst nur für ich niederschrieb, daß er nicht mehr dazu gekommen ist, sie Druckreif zu gestalten. Sicher wäre dann manche Einschränkung jinzugekommen, die Kant in seinem Konzept als selbstverständich wegließ. Auch spricht manches dafür, daß er damals infolge Altersschwäche nicht mehr imstande war, die verschiedenen, in seinem System zur höheren Einheit gebrachten Gedankenreihen gleichzeitig zu überschauen. So klingt manches viel einseitiger, als es nach dem Geist des Systems klingen dürfte.

Daß aber Kant noch im höchsten Alter eine so grundlegende Überzeugung geändert, daß er seinen Glauben an die wirkliche Existenz eines persönlichen Gottes aufgegeben haben sollte, erscheint doch, psychologisch betrachtet, geradezu undenkbar. Wir können deshalb Adickes beistimmen, wenn er auf Grund eingehender Prüfung aller von Vaihinger aus dem Opus postumum beigebrachten Stellen, dessen Kant

deutung ablehnt. „Immer", so betont Adickes mit Recht, ,,war Kant ein entschiedener Theist (im Sinne der Kritik der reinen Vernunft 494 ff.). Und dieser Mann sollte nun als sechsundsiebzigjähriger Greis seinen Glauben, an dem er sein ganzes Leben lang festgehalten hatte, der in seinen Kindheitseindrücken verankert, mit den Erinnerungen an seine frommen Eltern eng verbunden war, auf einmal aufgegeben haben und plöglich mit einer Fiktionstheorie hervorgetreten sein, von deren allmählichem Werden all die vielen Bogen des Opus postumum absolut nichts zu melden wiffen?! Das ist ein Ge danke, der für jeden, der in die tiefen inneren Zusammenhänge zwischen der Einzelpersönlichkeit und der geseßmäßig aus ihr hervorgehenden Weltanschauung eingedrungen ist, eine Unmöglichkeit darstellt“ (a. a. D. S. 831).

7. Realistische und idealistische Kantdeutung

Die Umdeutung von Kants „Glaubens“säßen in Fiktionen steht aber im engsten Zusammenhang mit jener idealistischen Deutung von Kants ganzer Erkenntnistheorie, die in den Ausdrücken „Ding an sich“ (oder „Noumenon“, „intelligibler Gegenstand") lediglich „Ideen“ erblickt, denen nichts real Existierendes entspricht, während die realistische Deutung das letztere behauptet. Aber die Äußerungen Kants, welche die idealistische Auffassung nahelegen, sind eben aus seinem allgemeinen Bestreben zu verstehen, die Grenzen der theore tischen Erkenntnis genau abzustecken. Für sie bezeichnen also alle diese Begriffe keine wirklichen" Gegenstände, aber eben doch nur im Sinne der Erfahrungswirklichkeit (denn innerhalb

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