Page images
PDF
EPUB

Die älteren Gottesbeweise unterwirft Kant einer scharfen Kritik; überhaupt wird die Metaphysik mit einem „finsteren Ozean ohne Ufer und Leuchttürme" verglichen. Bemerkenswert ist auch der Schlußsaß: „Es ist durchaus nötig, daß man fich vom Dasein Gottes überzeuge; es ist aber nicht ebenso nötig, daß man es demonstriere." Diese Schrift scheint zum erstenmal Kants Namen in der deutschen Gelehrtenwelt bekanntgemacht zu haben. Im katholischen Wien freilich wurde fie auf die Liste der verbotenen Bücher geseßt.

[ocr errors]

Anfang 1764 erschien eine Schrift, von der ein Rezensent meinte, sie gehöre nicht bloß in die Studierzimmer der Gelehrten, sondern auch auf die Toilettentische der Damen. Wirklich erlebte sie verhältnismäßig rasch zwei weitere Auflagen. Ihr Titel ist: „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen." Sie ist mit Geist, Laune, Heiterkeit und praktischer Menschenkenntnis geschrieben, dazu allgemeinverständlich und in gefälligster Form.

Abermals das Problem der Metaphysik wird berührt in der in demselben Jahr erschienenen „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsäße der natürlichen Theologie und Moral." Es wird darin ein wesenhafter Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie aufgewiesen. · Die Gegenstände der Mathematik sind unwirklich, sie sind unsere eigenen Erzeugnisse, und daß wir die mathematischen Säße streng als gültig beweisen können, beruht darauf, daß in diesen Gegenständen nichts anderes enthalten ist, als wir selbst durch Definitionen in sie hineingelegt haben. In der Philosophie, insbesondere in der Metaphysik, will man dagegen die Wirklichkeit ergründen. Das Denken schafft hier nicht seine

Objekte, sondern findet sie, wenn auch unklar, vor und ist bei seinen genaueren Bestimmungen an die Kenntnis des Ge gebenen gebunden, die durch bloßes Denken nie erseßt werden kann. Darum darf auch die Philosophie nicht die Methode der Mathematik nachahmen; sie darf nicht mit Begriffsbestimmungen beginnen und daraus Folgerungen logisch ableiten.

Der tiefe Unterschied von Mathematik und Philosophie zeigt sich auch in dem verschiedenen Erfolg des Erkenntnisstrebens. „Die philosophischen Erkenntnisse haben mehrenteils das Schicksal der Meinungen und sind wie die Meteore, deren Glanz nichts für die Dauer verspricht. Sie verschwinden, aber die Mathematik bleibt. Die Metaphysik ist ohne Zweifel die schwerste unter allen menschlichen Einsichten; allein es ist noch niemals eine geschrieben worden.“

Besonders scharf wendet sich Kant gegen die bisherige Metaphysik in der Schrift „Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik" 1766. Der Geisterseher ist Swedenborg, dessen umfangreiche Werke und wundersamen Prophezeiungen damals großes Aufsehen erregten. Kant ergeht sich in geistreichem Spott über „die wilden Hirngespinste des ärgsten Schwärmers unter allen“. Er bekennt, daß er „das Schicksal habe, in die Metaphysik verliebt zu sein", er sucht aber zu zeigen, daß alle Spekulationen, die sich in die Gegenstände des religiösen Glaubens vertiefen, erfolglos und gefährlich seien. So könne die Kenntnis der andern Welt... allhier nur erlangt werden, indem man etwas von demjenigen Verstande einbüße, welchen man für die gegen. wärtige nötig habe". Den Boden der Erfahrung und des

gemeinen Verstandes hätten wir als den uns angewiesenen Plas zu betrachten, über den wir uns nicht ungestraft hinauswagen dürften. Schon kündet sich hier ein neuer Begriff von Metaphysik an: sie soll nicht mehr bestimmt sein, positive Lehren über das Übersinnliche zu entwickeln, sondern die Grenzen der menschlichen Vernunfterkenntnis zu bestimmen. ---

3. Zeit der Professur und der kritischen
Philosophie

Im Winter 1769/70 boten sich endlich dem nunmehr sechsundvierzigjährigen Privatdozenten Kant Aussichten, zu einer ordentlichen Professur zu gelangen. Zweimal bereits hatte er sich vergeblich um eine solche in Königsberg beworben. Eine Professur für Dichtkunst, die man ihm dort 1764 angeboten, hatte er abgelehnt. Mit dieser Profefsur war die Verpflichtung verbunden, bei allen akademischen Feiern lateinische oder deutsche Festgedichte zu verfertigen, ferner alle akademischen Gelegenheitsgedichte zu zensieren. Dazu fühlte aber Kant keinen Beruf in sich. Nunmehr im Herbst 1769 gelangte an ihn ein Ruf, an die markgräflich-ansbachische Universität Erlangen als Professor der Philosophie zu gehen. Die Bedingungen waren für die damalige Zeit glänjend. Kant war darum zunächst nicht abgeneigt, der Berufung Folge zu leisten. Indessen eröffnete man ihm nunmehr Aussichten auf ein Königsberger Ordinariat, dessen Erledigung bevorstand. Er lehnte deshalb schließlich ab, indem er hinwies auf die „Anhänglichkeit an seine Vaterstadt“, „einen ziemlich ausgebreiteten Kreis von Bekannten und Freunden“, seine

„schwächliche Leibesbeschaffenheit“; und er betonte, daß er seine körperliche und seelische Ruhe nur da zu finden hoffe, wo er sie „obzwar in beschwerlichen Umständen bis daher jederzeit gefunden“; sein „Gemüt sei zu Veränderungen unentschlossen, die anderen nur gering schienen“.

Auch einem Ruf nach Jena, der im Januar 1770 an ihn erging, folgte er nicht. Dagegen wurde ihm Ende März 1770 die ordentliche Professur der Logik und Metaphysik in Königsberg durch Kgl. Kabinettsordre Friedrichs des Großen übertragen „wegen desselben Uns . . . angerühmten Fleißes und Geschicklichkeit auch besonders in den Philosophischen Wissenschaften erlangten gründlichen Erudition..." in der Vorausseßung, daß „Uns und Unserem Königlichen Hause derselbe treu, hold und gewärtig seyn und die studierende Jugend publice und privatim docendo et disputando ohnermüdet unterrichten, und davon tüchtige und geschickte Subjecta zu machen sich bemühen, wie nicht weniger derselben mit gutem Exempel vorausgehen werde."

Kant trat das neue Amt am 21. August 1770 formell an, indem er nach der damaligen Vorschrift eine neue lateinische Abhandlung im großen Hörsaal der Universität verteidigte. Sie trug den Titel Dissertatio de mundi: sensibilis atque intelligibilis forma et prin-. cipiis (über Form und Prinzipien der Sinnes- und der Verstandeswelt) und ist Friedrich dem Großen gewidmet. Bei der Disputation hatte Kant als Respondenten (der die Einwände der Opponenten zu widerlegen hatte) seinen Schüler, den Studenten der Medizin und Philosophie, Markus Herz, bestellt, zum Verdruß mancher orthodoxer Kollegen, von denen

einer seine Befriedigung darüber äußerte, daß „der Jude | wenigstens an dem Professorenschmaus keinen Teil nehmen = könne“.

Die „Dissertation" kann als erste Schrift der „kritischen“ Periode in Kants Philosophieren bezeichnet werden. Die neue Lehre von Raum und Zeit, die Kant auch in die Kritik der reinen Vernunft aufgenommen hat und die wir später kennenlernen werden, ist hier bereits dargestellt. Freilich wird die "Verstandeswelt" (die Kant von der den Sinnen sich dar= stellenden raum-zeitlichen Welt unterscheidet als die „wahre“ Welt von ihrer „Erscheinung“) hier noch als theoretisch erkennbar angesehen, eine Ansicht, die Kant in der weiteren Entwicklung seines kritischen Denkens aufgegeben hat.

Nach der Übernahme der ordentlichen Professur, die ihn tros des bescheidenen Gehalts von 236 Talern 76 Groschen der finanziellen Sorgen enthob, konnte Kant die Zahl seiner · Vorlesungen etwas einschränken und seiner Gedankenarbeit sich ungestörter hingeben. Gleichwohl hat er im Durchschnitt noch immer etwa vierzehn Stunden wöchentlich gelesen, und = zwar hauptsächlich (sommers wie winters) in den Morgenstunden von sieben bis neun.

Seine schriftstellerische Tätigkeit, die bis dahin so rege gewesen war, stockte seit dem Erscheinen der Dissertation 1770 bis zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft 1781 fast völlig ein Zeichen, wie lange und schwer noch Kant zu ringen hatte, bis er die Neugestaltung der Philosophie_im kritischen Geiste in ihren Grundzügen vollendete.

Nur ein paar kurze Gelegenheitsauffäße veröffentlichte er in diesem Zeitraum. Zwei davon in den „Königsberger Ge

« PreviousContinue »