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fahrung waren die Quellen, aus denen er seinen Vortrag und Umgang belebte; nichts Wissenswürdiges war ihm gleichgültig; keine Kabale, keine Sekte, kein Vorteil, kein Namensehrgeiz hatte je für ihn den mindesten Reiz gegen die Erweiterung und Aufhellung der Wahrheit. Er munterte auf und zwang angenehm zum Selbstdenken; Despotismus war seinem Gemüt fremd. Dieser Mann, den ich mit größester Dankbarkeit und Hochachtung nenne, ist Immanuel Kant; sein Bild steht angenehm vor mir."

Als akademischer Lehrer ist Kant also durchaus kein trockener, weltfremder Stubengelehrter gewesen, sondern eher ein Lebenskünstler mit weltoffenem Sinn. Dem entspricht auch das, was wir über seine äußere Lebensgestaltung erfahren. Freilich war seine ökonomische Lage lange eine sehr bescheidene. Während seiner fünfzehnjährigen „Magister“-, das heißt Privatdozentenzeit (1755-1771) hatte er von seiten der Universität keine feste Besoldung. Im Jahre 1765 erhielt er auf seine Bewerbung die Stelle eines Unterbibliothekars an der Kgl. Schloßbibliothek, die ihm aber nur 62 Taler jährlich einbrachte. Immerhin war der Ertrag seiner Vorlesungen und gelegentlicher „, Privatissima“ (Privatstunden), die er jungen Adeligen oder Offizieren (in Mathematik) erteilte, so hoch, daß er ihm ein bescheidenes Auskommen ermöglichte. Aber dieser Ertrag war doch ein schwankender, und so mag es auch Zeiten des Mangels gegeben haben. Einmal soll er sogar genötigt gewesen sein, einen

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die Naturlehre die erklärenden Theorien der Naturtatsachen entwickelt. Menschen- und Völkergeschichte bedeuten also soviel wie heute Anthropologie und Ethnologie. Das Historische in unserem Sinne lag Kant, wie seiner Zeit, fern.

Teil seiner Bücherei zu verkaufen. Ebenso berichtet sein Biograph Jachmann: „In seinen Magisterjahren ist sein einziger Rock schon so abgetragen gewesen, daß einige wohlhabende Freunde... es für nötig geachtet haben, ihm auf eine sehr diskrete Art Geld zu einer neuen Kleidung anzutragen. Kant freute sich aber noch im Alter, daß er Stärke genug gehabt habe, dieses Anerbieten auszuschlagen und das Anstößige einer schlechten, aber doch reinen Kleidung der drückenden Last der Schuld und Abhängigkeit vorzuziehen. Er hielt sich deshalb auch für ganz vorzüglich glücklich, daß er nie in seinem Leben irgendeinem Menschen einen Heller schuldig gewesen ist. Mit ruhigem und freudigem Herzen konnte ich immer Herein! rufen, wenn jemand an meine Tür klopfte, pflegte der vortreffliche Mann oft zu erzählen, denn ich war gewiß, daß kein Gläubiger draußen stand." Aber es ist doch wohl seine wirtschaftliche Lage gewesen, die ihn nötigte, recht viele Vorlesungen zu halten. Er hat in der Regel sechzehn Stunden wöchentlich, also fast drei täglich, gelegentlich noch mehr, gelesen. In einem Brief aus dem Jahre 1759 schreibt er: „Ich fise täglich vor dem Amboß meines Lehrpultes und führe den schweren Hammer sich selbst ähnlicher Vorlesungen in einerlei Takte fort. Bisweilen reizt mich irgendwo eine Neigung edlerer Art, mich über diese enge Sphäre etwas auszudehnen, allein der Mangel, mit ungestümer Stimme sogleich gegenwärtig mich anzufallen und immer wahrhaftig in seinen Drohungen, treibt mich ohne Verzug zur schweren Arbeit zurück. — Gleichwohl ... befriedige ich mich endlich mit dem Beifall, womit man mich begünstigt, und mit den Vorteilen, die ich daraus ziehe, und träume mein Leben durch.“

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Angesichts seiner, mindestens gelegentlich, recht knappen

Einkünfte ist es um so mehr ein Beweis seines ökonomischen Talents, daß er seiner Lebensführung einen gewissen weltförmigen Zuschnitt geben konnte. Er speiste damals im Gasthaus an offener Tafel, teils um der Geselligkeit willen, teils um seine Menschenkenntnis zu erweitern. Nach Beendigung feiner Nachmittagsvorlesungen ging er gern in ein Kaffeehaus, trank eine Tasse Tee, unterhielt sich über Tagesereignisse, oder spielte eine Partie Billard. Die Abende brachte er ebenfalls nicht selten im Gasthaus oder in Privatgesellschaften zu. In den vornehmsten und reichsten Familien der Stadt war er als geistreicher Unterhalter sehr geschäßt. Auch spielte er meisterlich L'hombre, worin er eine treffliche Übung des Verstandes wie der Selbstbeherrschung sah. Das Theater soll er ebenfalls gern besucht haben.

Da er so in der „besten“ Gesellschaft verkehrte, hielt er auch auf eine gewisse Eleganz in seiner Kleidung. Dabei liebte er es, mit gebildeten Männern der verschiedensten Berufe in Beziehung zu stehen.

Der philosophisch bedeutendste unter seinen Königsberger Bekannten war Johann Georg Hamann (1730-1788), nach bewegtem Leben Packhofverwalter in Königsberg, stark zur Mystik neigend und darum mit den Grundanschauungen Kants nicht einverstanden. Nicht minder bekannt ist der geistreiche Schriftsteller Theodor Gottlieb von Hippel (1741 bis 1796), zuleßt Geheimer Kriegsgerichtsrat, der Verfasser des Romans „Lebensläufe nach aufsteigender Linie“. Besonders nahe stand ihm der Oberförster Wobser, den er während der Ferien in seinem eine Meile von Königsberg gelegenen

Forsthaus Moditten oft auf Tage besuchte. Regen Verkehr hatte er mit dem in Königsberg ansässigen englischen Kaufmann Green und dessen Geschäftsteilhaber Motherby. Zu seinem näheren Bekanntenkreise gehörten noch andere Kaufleute und Offiziere. Auch von Damen hielt sich Kant, wenngleich er Junggeselle geblieben ist, nicht fern. Noch einzelne Briefe von ihm und an ihn geben von dem galanten, wißigen Ton dieses Verkehrs Kunde. Daß Kant „kinderlieb“ war, besonders in seinem Alter, sei nur nebenbei bemerkt.

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Man hat sich eifrig bemüht, die innere Entwicklung von Kants philosophischem Denken festzustellen und sie in bestimmte Perioden einzuteilen. Indessen wenn zunächst auch der Einfluß der rationalistischen Philosophie eines Leibniz und Wolff überwog, so ist Kant sicher schon als Student mit den empiristischen Gegnern jenes Rationalismus bekannt geworden. Schwerlich aber wird sich genau feststellen laffen, in welche Zeit gerade der Einfluß des geistvollsten Vertreters dieser Richtung Humes (1711-1776) fällt, von dem Kant einmal äußert, daß er ihn aus dem „dogmatischen Schlummer" geweckt habe. In seinen vorkritischen Schriften zeigt sich nicht eine plösliche Wendung; nur eine allmähliche Befreiung von der dogmatisch-rationalistischen Philosophie, und eine stärkere Zuwendung zum Empirismus ist zu bemerken. Aber noch tiefer als erkenntnistheoretische Fragen bewegten ihn ethisch-religiöse, und für die Stellungnahme zu diesen war der Einfluß Rousseaus von größter Bedeutung. Daß nicht im Wissen, sondern im Wollen und Handeln der eigentliche Wert des Menschen liege: diese Überzeugung war Kant in altertümlich-theologischer Form schon im pietistischen Messer, Kant

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Jugendunterricht eingeprägt worden; sie trat ihm in dem modernen Menschen Rousseau ebenfalls aufs eindrucksvollste entgegen. Ein wirklich unverkennbarer Einschnitt in Kants philosophische Denkweise ist lediglich durch den Übergang von der „vorkritischen“ zur „kritischen“ Periode gegeben, den wir wohl in das Jahr 1769 legen dürfen.

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Da Kant seine gewaltige geschichtliche Wirkung durch seine kritische Philosophie" geübt, so werden wir die Darstellung seiner Lebens- und Weltanschauung lediglich auf diese gründen. Die wichtigsten seiner „vorkritischen“ Schriften sollen darum nur hier in diesem Überblick über seinen Lebens. gang kurz erwähnt werden.

1755 erschien die „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels", in der er als Vorläufer des französischen Astronomen Laplace die Hypothese einer rein mecha. nischen Entstehung des Weltsystems entwickelte. Diese Hypothese ist aber für ihn nicht Selbstzweck, vielmehr will er daran den allgemeinen philosophischen Grundgedanken veranschaulichen, daß mechanistische und teleologische Betrachtung vereinbar seien; daß also die Welterklärung nach bloßen Bewegungsgesehen sich einfügen lasse in eine auf das Ganze gerichtete Zweckbetrachtung, die in der strengen Geseßmäßigkeit einen Hinweis auf das zweckvolle Walten eines göttlichen Willens erblicke.

In enger Beziehung damit steht die Schrift aus dem Jahre 1763: „Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes." Dieser Beweisgrund soll darin bestehen, daß nur unter Voraus. sehung der Existenz der Gottheit die Welt möglich erscheine.

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