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Entwicklung gelangend, die persönliche, individuelle Fortdauer ermöglichen würde". G. A. Spiess, Physiologie des Nervensystems, vom ärztlichen Standpunkte dargestellt, Braunschweig 1844; über die Bedeutung der Naturwissenschaften für unsere Zeit, und: über das körperliche Bedingtsein der Seelenthätigkeiten, zwei Festreden, Frankf. a. M. 1854. In Ein Atom verlegt die Gesammtheit der psychischen Functionen des Individuums O. Flügel, der Materialismus vom Standpunkt der atomistisch-mechanischen Naturforschung beleuchtet, Leipzig 1865. Flügel lässt es unentschieden, ob die Seele als ausgedehnt oder als „einfach" (punktuell) zu denken sei, weil kein Theil der Psychologie von der Annahme der Unräumlichkeit der Seele abhänge (was freilich von Herbart's Psychologie keineswegs gilt). Gegen den Materialismus hat in jüngster Zeit Ferd. Westhoff geschrieben, Stoff, Kraft und Gedanke, Münster 1865; besonders gegen ihn richtet sich A. Mayer, zur Seelenfrage, Mainz 1865 (der den Materialismus mit einem gewissen Kantisch-Schopenhauerischen Apriorismus verbindet). Insbesondere gegen Mayer's Doctrin kämpft H. H. Studt, die materialistische Erkenntnisslehre, Altona 1869. Haffner, der Materialismus, Mainz 1865. L. Flentje, das Leben und die todte Natur, Cassel 1866. Julius Frauenstädt, der Materialismus und die antimaterialistischen Bestrebungen der Gegenwart, in: Unsere Zeit, N. F., 3. Jahrg., 1. Hälfte, Leipz. 1867, S. 253-278; Rosenkranz, der deutsche Materialismus und die Theologie, in: Zeitschr. für histor. Theologie, Bd. VII, Heft 3, 1864. Neue Versuche der Systembildung, die ein Verständniss des natürlichen und geistigen Lebens auf Grund der Ergebnisse der exacten Naturforschung zu gewinnen suchen, sind: Christian Wiener, die Grundzüge der Weltordnung (Atomenlehre und Lehre von der geistigen Welt), Leipzig und Heidelberg 1863, 2. Aufl. 1869, und C. Radenhausen, Isis, der Mensch und die Welt, Hamburg 1863, 2. Aufl. 1870. Durch gleichmässige Vertrautheit mit der Philosophie und mit der positiven Naturforschung ausgezeichnet ist F. Alb. Lange's geistvolle Schrift: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, Iserlohn 1866. Vgl. ferner H. A. Rinne, Mater. und ethisches Bedürfniss, Braunschweig 1868. Die Unsterblichkeitsfrage und die neueste deutsche Philosophie: 1. die Gegner, 2. die Vorkämpfer der Unsterblichkeit, in: Unsere Zeit, IV, 12 und 15, Leipz. 1868. M. E. A. Naumann, die Naturwiss. und der Mater., Bonn 1868. C. Scheidemacher, d. Nachteule des Materialism etc., Cöln 1868. G. H. G. Jahr, die Natur, der Menschengeist und sein Gottesbegriff, Leipzig 1870. Ludwig Weis, Anti-Materialismus. I, Berlin 1871.

In jüngster Zeit hat sich dem mit der Frage nach dem Verhältniss von Kraft und Stoff eng verknüpften, aber der positiven Naturforschung näher liegenden Problem der Entstehung der Arten seit Darwin's on the origin of species (s. u. S. 364) vorzugsweise das naturphilosophische Interesse zugewandt.

Auf dieser Doctrin ruht insbesondere Ernst Häckel's umfassendes Werk: generelle Morphologie der Organismen, allg. Grundzüge der organ. Formenwiss., mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformirte Descendenztheorie, 1. Band: allg. Anatomie der Organismen, 2. Band: allg. Entwicklungsgesch. der Organismen, Berlin 1866; vgl. E. Häckel, natürl. Schöpfungsgeschichte, Berlin 1868, 2. Aufl. 1870; Jäger, die Darwin'sche Theorie und ihre Stellung zu Moral und Religion, Stuttgart 1869; W. Braubach, Religion, Moral und Philos. der Darwin'schen Artlehre, Neuwied 1869.

Mit neuen Versuchen sind unter Andern hervorgetreten:

Friedrich Rohmer (1814-1856), Kritik des Gottesbegriffs in den gegenwärtigen Weltansichten, Nördlingen 1856 (anonym herausgegeben); Gott und seine Schöpfung, ebd. 1857, der natürliche Weg des Menschen zu Gott, ebd. 1858, Wissensch. u. Leben, I., d. Wissensch. v. Gott, ebd. 1871. Anton Rée, Wanderungen auf dem Gebiete der Ethik, Hamburg 1857. F. X. Schmid, Entwurf / eines Systems der Philos. auf pneumatol. Grundlage, Wien 1863-65. Heinrich Böhmer, die Sinneswahrnehmungen, Erlangen 1864 ff. V. A. v. Stägemann, die Theorie des Bewusstseins im Wesen, Berlin 1864. J. H. v. Kirchmann, die Philosophie des Wissens, Berlin 1864, über die Unsterblichkeit, Berlin 1865, Aesthetik auf realistischer Grundlage, Berlin 1868. In der von ihm hrsg. ,,philos. Bibl.", Berlin 1868 ff., hat K. auch seinen Standpunkt systematisch und kritisch entwickelt. Theilweise gegen v. Kirchmann's Basirung der Ethik auf Autorität ist gerichtet F. W. Struhnneck, Herrschaft und Priesterthum, Berlin 1871. Eugen Dühring, natürliche Dialectik, Berlin 1865; der Werth des Lebens, Breslau 1865; kritische Ueberweg, Grundriss III. 3. Aufl.

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Grundlegung der Volkswirthschaftslehre, Berlin 1866; krit. Gesch. der Nat.-Oec. u. des Soc., Berlin 1871. Carl Lemcke, populäre Aesthetik, Leipzig 1865, 3. Aufl. ebd. 1870. J. Hoppe, die gesammte Logik, I., Paderborn 1868 (1867). Die kleine Logik, Paderborn 1869. A. Bastian, der Mensch in der Geschichte, Berlin 1860. Beiträge zur vergleichenden Psychologie, Berlin 1868. W. Oehlmann, die Erkenntnisslehre als Naturwissenschaft, Cöthen 1868. A. v. Oettingen, die Moralstatistik und die christl. Sittenlehre, Versuch einer Socialethik auf empirischer Grundlage, I., Erlangen 1868 ff. Karl Rob, Eduard von Hartmann (geb. 1842), Philosophie des Unbewussten, Berlin 1869, 2. Auflage 1870, 3. beträchtlich vermehrte Auflage 1871 f. (vgl. dazu mehrere Abhandlungen Hartmann's in Bergmann's Zeitschrift). Ueber die dialektische Methode (s. o. S. 263) Schellings posit. Philos. als Einheit von Hegel u. Schopenh., Berlin 1869. Aphorismen über das Drama, Berlin 1870*). A. Horwicz, Grundlinien eines Systems

*) Hartmann's Philosophie ist ein Monismus des unbewussten Geistes mit den Attributen Wille und Vorstellung (Idee). (Das Gefühl erklärt er aus Willensaffectionen in Verbindung mit bewussten und unbewussten Vorstellungen.) Er behauptet, dass Hegel's logische Idee ebensowenig ohne Willen zur Realität gelangen könne, als es Schopenhauer's blindem vernunftlosem Willen möglich sei, sich zu urbildlichen Ideen zu determiniren, und verlangt deshalb, beide als coordinirte gleichberechtigte Principien zu fassen, die (nach Vorgang Schelling's in seinem letzten System) als Functionen eines und desselben functionirenden Wesens zu denken seien. Der Wille setzt das,,Dass" (die reale Existenz), die Idee das,,Was" (die ideale Essenz) der Welt und der Dinge. Das ,,Dass" der Welt ist alogisch wie der Wille, das Was der Welt logisch wie die Idee. Es stellt sich heraus, dass die alogische Existenz der Welt zugleich antilogisch ist, weil aus der Natur des Willens (die wir durch Induction aus der Erfahrung erkennen) das nothwendige Ueberwiegen des Schmerzes folgt. Deshalb wäre das Nichtsein der Welt ihrem Sein vorzuziehen (Pessimismus), obwohl die seiende Welt die beste aller möglichen Welten ist (Optimismus), was namentlich aus ihrer von unbewusster Vorsehung geleiteten, möglichst zweckmässigen Entwicklung erhellt. (So ist z. B. nur durch den Kunstgriff, dass der Kindheit und Jugend Alles wegen seiner Neuheit interessant ist, das Leben auszuhalten; partielle Unterbrechung des individuellen Bewusstseins im Schlaf und des historischen Bewusstseins der Menschheit durch Tod und Geburt bewahrt die Natur vor Erschlaffung.) Das Ziel der Entwicklung ist die (nicht, wie bei Schopenhauer, individuell, sondern nur universell mögliche) Zurückwendung des Wollens in's Nichtwollen; das Mittel dazu ist grösstmögliche Steigerung des Bewusstseins, weil nur in diesem die Vorstellung sich in der zu einer Opposition erforderlichen Emancipation vom Willen befindet. Der Entstehung und Steigerung des Bewusstseins dient die kosmische, tellurische, vitale, (biologische) und menschheitliche Entwicklung. Die Hypothese des Unbewussten sucht Hartmann als fruchtbar zu erweisen zur Aufhellung und Lösung der mannigfachsten Probleme auf physiologischem, zoopsychologischem, anthropopsychologischem, ästhetischem und mystischreligiösem Gebiete. (Sie erklärt ihm z. B. die Möglichkeit der Liebe: die lockende Ahnung der All-Einheit wird zur Sehnsucht nach Vereinigung; die Liebe ist der in die Täuschung des Bewusstseins hineinblitzende Silberblick der ewigen Wahrheit des all-einigen Wesens) Von Hegel unterscheidet sich Hartmann ausser dem oben Angeführten hauptsächlich dadurch, dass er die Idee nicht als etwas aus discursiv abstracten Begriffen Concrescirtes, sondern als ein unmittelbar und intuitiv Concretes mit logischem Gestaltungsgesetz ansieht, dass er die dialektische Methode bekämpft, und dafür nach inductiver Methode von einer möglichst breiten empirischen Basis hauptsächlich naturwissenschaftlichen und psychologischen Materials allmählich aufsteigt. Von Schopenhauer unterscheidet er sich ferner durch die Verwerfung der exclusiven Subjectivität von Raum, Zeit und Kategorien (sammt deren Consequenzen), durch die Annahme eines atomistischen Dynamismus zur Erklärung der Materie, und durch die Behauptung, dass dasjenige, was uns als Gehirn erscheint, nicht zureichende Ursache des Intellects überhaupt, sondern nur Bedingung der Form des Bewusstseins sei. - Diese Doctrin hält also, wenn uns dieser Ausdruck erlaubt ist, die Welt gleichsam für das Product einer edlen Mutter, der Idee, und eines schlimmen Vaters, des Willens, der (wie vielleicht ein Gnostiker dichten möchte) von dem Liebreiz der Idee bestrickt,

der Aesthetik, Leipzig 1869. C. Hebler, philos. Aufsätze, Leipzig 1869 (Copernicus und die moderne Weltanschauung; Utilitarianismus; Feindesliebe und Plat. Rep.; Lessingiana; Kantiana; Jeanne d'Arc bei Shakespeare, Voltaire und Schiller). C. S. Barach, die Wiss. als Freiheitsthat, Wien 1869. Wilh. Kaulich, über die Möglichkeit, das Ziel und die Grenzen des Wissens, in den Abh. der k. böhm. Gesellsch. der Wiss. VI, 1, Prag 1868, separat in neuer Aufl., Graz 1870. Handbuch der Logik, Prag 1869; Handbuch der Psychologie, Graz 1870. Alfred Friedmann, des Einzelnen Recht und Pflicht, ein philos. Versuch auf naturalistischer Grundlage, Heidelberg 1870. J. Bergmann, Grundlinien einer Theorie des Bewusstseins, Berlin 1870.

§ 29. Ausserhalb Deutschlands sind seit dem Anfange dieses Jahrhunderts philosophische Systeme von gleich hoher Bedeutung und gleich mächtigem Einfluss, wie im 17. und 18. Jahrhundert, nicht entstanden; doch ward die philosophische Tradition gewahrt und theilweise auch die Forschung weiter geführt. In England und Nordamerika blieb das philosophische Interesse vorwiegend empirisch-psychologischen, methodologischen, moralischen und politischen Untersuchungen zugewandt. In Frankreich trat dem Sensualismus und Materialismus theils die eklektisch-spiritualistische Schule entgegen, die von Royer-Collard im Anschluss an Reid begründet, von Cousin durch Mitaufnahme einzelner deutschen Philosopheme weiter ausgebildet wurde und die Tradition des Cartesianismus wieder aufnahm, theils eine theosophische Richtung; in neuester Zeit gewann der Hegelianismus einzelne Anhänger; einen jedes Hinausgehen über das exact Erforschbare principiell ablehnenden, jedoch zumeist mit dem Materialismus befreundeten „Positivismus“ hat Comte begründet. In den von der katholischen Kirche geleiteten

satyrhaft in sinnlicher Lust sich ihr naht; sie vermag sich nicht vor seiner Umarmung zu bewahren und gebiert das Kind, das nicht sein sollte, die Welt; aber sie ertheilt mit mütterlicher Fürsorge dem unglücklichen Wesen alle die edlen Gaben, mit denen sie es sein Loos zu erleichtern vermag, und kann sie es ihm nicht ersparen, durch den harten Kampf der Entwicklung hier durchzugehen, so ist doch eine Erlösung ihm vorbehalten in der Aufhebung des Willens, in der Schmerzund Lustlosigkeit des Nirwana. Auf die kritische Frage, die auf Grund von Hartmann's eigenen Voraussetzungen gestellt werden mag, warum denn diese Erlösung nur eine negative sei, da sie doch wohl auch eine Rückkehr der Idee in sich, eine Befreiung von dem Andern ihrer selbst (ein Beisichsein der Idee im Geist, der Hegel'schen Trichotomie gemäss) sein und eine intellectuelle, begierdenfreie Seligkeit gewähren könnte, antwortet Hartmann: die ewige Selbstbespiegelung der Idee würde eher verzweiflungsvoll langweilen, als beseligen, wenn der Wille noch betheiligt ist; soll aber der Wille ganz aufgehoben sein, so ist sie interesselos. Aber es lässt sich gegen die obersten Voraussetzungen selbst die Frage richten: wie vermag eine ,,logische Idee" zu existiren als Prius sei es auch nur als zeitloses Prius des Geistes und ein,,Wille" als Prius der weltlichen Dinge, die wir allein als Träger desselben kennen? Sind nicht Abstractionen des Subjects hypostasirt worden? (Ueber Hartmann's Philosophie handeln K. Frh. du Pret, das neueste philos. Syst. in d. Zeitschr.: Im neuen Reich, 1871, No. 38; M. Schneidewin, üb. d. neue Philos. des Unbewussten" I., Gymn. - Pr., Hameln 1871; G. C. Stiebeling, Naturwissensch. geg. Philos. Eine Widerlegung d. Hartmannsch. Lehre v. Unbewussten in d. Leiblichk., nebst e. kurz. Beleucht. d. Darwinschen Ansichten üb. d. Instinct, New-York 1871.

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Lehranstalten Frankreichs, Spaniens und Italiens herrscht ein modificirter Scholasticismus, insbesondere der Thomismus vor. In Belgien, Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen, Russland, Polen und Ungarn haben die verschiedenen Richtungen der deutschen Philosophie nacheinander einen nicht unbeträchtlichen Einfluss gewonnen. In Italien, wo neben dem von der Kirche begünstigten Thomismus besonders die Lehren des Antonio Rosmini und des Vincenzo Gioberti manche Anhänger zählen, findet in jüngster Zeit auch der Hegelianismus eifrige Vertreter.

Im vierten Bande der History of the philosophy of mind von Robert Blakey, London 1848, findet sich eine ausführliche Uebersicht über die von 1800 bis gegen 1848 erschienenen philosophischen Werke in Grossbrittannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien und Holland, Spanien, Ungarn, Polen, Schweden, Dänemark, Russland und in den nordamerikanischen Freistaaten. Vgl. J. D. Morell, an hist. and critical view of speculative philosophy of Europe in the nineteenth contury, London 1846, 2. ed. ebd. 1847; Lectures on the philosophical tendencies of the age, 1848. Ueber neuere psychologische Arbeiten in verschiedenen Ländern handelt Beneke in seiner Schrift: „die neue Psychologie", Berlin 1845, S. 272–350. Artikel über die gegenwärtige Philosophie ausserhalb Deutschland's enthalten die philosophischen Zeitschriften: „Zeitschr. f. Philos.", hrsg. von Fichte, Ulrici und Wirth, und der Gedanke", hrsg. von Michelet, wie auch die „philos. Monatshefte“ und (in Bezug auf den Herbartianismus) die „Zeitschr. für exacte Philosophie“.

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Ueber die französische Philosophie im 19. Jahrh. handeln: Ph. Damiron, Paris 1828. H. Taine, Paris 1857, 2. éd. 1860, 3. éd. 1867. F. Ravaisson, Paris 1868 (vgl. darüber Etienne Vacherot, la situation ph. en France, in: Revue des deux mondes, Bd. 65, 1868, S. 950-977). P. Janet, le spiritualisme français au XIX. siècle, in: Revue des deux mondes, Bd. 65, 1868, S. 353-385.

Ueber die neuere Philosophie in Gross-Britannien handeln: Dav. Masson, rec. British philosophy, London 1865, 2. ed. 1867. W. Whewell, Lectures on the hist. of moral ph. in England, new ed., London 1868. J. M.' Cosh, present state of moral ph. in England, London 1868 (speciell über Hamilton und Mill). Thomas Collyns Simon, über den gegenw. Zustand der metaphys. Forschung in Britannien, in der Zeitschr. f. Philos., Bd. 53, Halle 1868, S. 248--272. Zur Kenntniss des gegenwärt. Zust. der Philos. in Amerika liefert die Zeitschrift: „the Journal of speculative Philosophy", St. Louis 1867 ff., werth volle Beiträge.

Ueber die Philosophie des Rechts in Belgien handelt Warnkönig in der Zeitschr. f. Philos. Bd. XXX., Halle 1857. Ueber die Philos. in den Niederlanden handelt T. Roorda, ebd. Bd. X, Tübingen 1843.

Ueber die neuern Philos. in Italien handeln: Marc Debrit, hist. des doctr. philos. dans l'Italie contemp., Paris 1859. Auguste Conti, la philos. it. cont. (ital. Florenz 1864, als Anhang zu Conti's Vorles. über die Gesch. der Philos., franz. von Ern. Naville), Paris 1865. Theod. Sträter, Briefe über die it. Philos., in der Zeitschr. „der Ged.", 1864 u. 65. Raphaël Mariano, la ph. contemp. en Italie, Paris 1867. Franz Bonatelli, die Philos. in Italien seit 1815, in der Zeitschr. f. Philos. Bd. 54, 1869, S. 134-158. Louis Ferri, ess. sur l'hist. de la philos. en Italie au XIX. siècle, Paris 1869.

Die französische Philosophie in den ersten Jahrzehnten des gegenwärtigen Jahrhunderts wird von Damiron auf drei Hauptrichtungen zurückgeführt: die sensualistische, die theologische und die eklektisch - spiritualistische. Die sensualistische Schule, aus dem achtzehnten Jahrhundert in das neunzehnte hinüberragend, ward in den ersten Jahrzehnten des gegenwärtigen Jahrhunderts mehr und mehr durch die beiden andern Schulen verdrängt, doch erhob sich dann auch wieder gegen diese letzteren eine Reaction, die zum Theil, z. B. in Renan und Taine, auch in Charles Dollfus, dem Verfasser der Lettres philosophiques, Paris 1851, 3. éd. 1869, mit Hegel's religions- und geschichtsphilosophischem Grundgedanken sich berührt, zum Theil (und schon früher) sich naturalistisch gestaltete. Ueber

diesen Entwicklungsgang berichtet Cousin's Schüler Paul Janet folgendermaassen: *)

Die französische Philosophie stand zu der Zeit, als die Revolution zu Ende ging und das neunzehnte Jahrhundert begann, ganz und gar unter dem Einfluss der Condillac'schen Richtung. Die Metaphysik war nichts anderes, als Zergliederung der Sinnesempfindungen. Da diese letzteren unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden konnten, nämlich theils in Beziehung zu den Sinnesorganen, theils in Beziehung zum Geist, so theilte sich die Condillac'sche Schule in zwei Zweige, einen physiologischen und einen ideologischen: Cabanis ist der Hauptvertreter der ersten, Destutt de Tracy der der zweiten Fraction.

Cabanis (1757-1808) ist der erste französische Schriftsteller, der philosophisch und methodisch über die Beziehungen zwischen dem Physischen und Psychischen gehandelt hat und zwar in dem Werke:,,Les Rapports du physique et du moral" (erschienen in den beiden ersten Bänden der Mémoires de la cinquième classe de l'Institut, welche Classe die Lehre von den Vorstellungen zu bearbeiten hatte, auch separat veröffentlicht im Jahre 1812). Dieses Werk besteht aus zwölf Abschnitten, welche der Reihe nach handeln von dem physiologischen Ursprung der Sinnesempfindungen, von dem Einfluss des Lebensalters, des Geschlechts, des Temperaments, der Krankheiten, der Lebensordnung, des Climas, des Instincts, des Mitgefühls, des Schlafes, von dem Einfluss des Psychischen auf das Physische, von den erworbenen Temperamenten. Es ist eine sehr reiche Fundgrube interessanter Thatsachen. Aber der Geist des Werkes ist ein durchaus materialistischer. Das Psychische ist nichts anderes, als das Physische unter gewissen besonderen Gesichtspunkten. Die Seele ist nicht eine Substanz, sondern eine Fähigkeit. Der Gedanke ist eine Ausscheidung des Gehirns. Später, in seiner an Fauriel gerichteten Lettre sur les causes premières (Paris 1824) hat Cabanis seine Ansichten wesentlich umgebildet. Er gab jetzt eine mit Verstand und Willen begabte Ursache der Welt zu, und gelangte zu einem gewissen stoischen Pantheismus.

Destutt de Tracy (1754-1836) bildete die Lehre Condillac's dadurch um, dass er versuchte die Vorstellung des Seins von Dingen ausser uns zu erklären, welche die blosse Sinnesempfindung nicht geben könne. Nach ihm lehrt uns nur die freiwillige Bewegung die Existenz von äusseren Objecten. Das Band zwischen dem Ich und Nichtich ist einerseits die gewollte und empfundene Handlung, andererseits der Widerstand. Es geht nicht an, dass die nämliche empfindende Kraft wolle und doch auch sich selbst Widerstand leiste. Eine Materie, die nicht widerstände, würde nicht erkannt werden können. Ein Wesen, das keine Bewegungen machte, oder das zwar Bewegungen machte, aber ohne dieselben zu empfinden, würde nichts anderes, als sich selbst erkennen. Tracy zieht hieraus die Consequenz, dass ein schlechthin immaterielles Wesen nur sich selbst erkennen würde. Die Werke Tracy's sind: 1) Eléments d'idéologie (2 vol. in 8o, Paris 1804), 2) Commentaire sur l'Esprit des lois (Paris 1819).

Reaction gegen die sensualistische Schule. Diese Reaction ist eine zweifache. Sie wurde geübt theils von der theologischen, theils von der psychologischen**) Schule.

In der theologischen Schule sind drei Namen die hervorragendsten: De Bonald. Der Abt von Lamennais. Joseph de Maistre.

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De Bonald (1754-1840) ist das Haupt der Schule, welche die traditionalistische genannt wird. Ihr Hauptdogma ist die göttliche Erschaffung der Sprache. Die Offenbarung ist das Princip aller Erkenntniss. Es giebt keine angeborenen Vorstellungen. Die gesammte Philosophie Bonald's wird durch eine trinitarische Formel beherrscht: Ursache, Mittel, Wirkung. In der Kosmologie wird Gott als die Ursache bestimmt, die Bewegung als das Mittel, der Körper als die Wirkung. In der Staatslehre gestalten sich diese drei Termini als Regierung, Beamte, Untergebene. In der Familie: Vater, Mutter, Kind. Bonald wandte diese Formeln auf die Theologie an und schloss auf die Nothwendigkeit eines

*) Die der zweiten Aufl. dieses Grdr. beigefügte, von Herrn Prof. Janet, Mitglied der Akademie zu Paris, mit dankenswerther Bereitwilligkeit ausgearbeitete Skizze folgt hier in deutscher Uebersetzung.

**) Diesen Namen gebe ich dieser Schule, die im Verlauf der Zeit verschieden bezeichnet worden ist (als eklektische, als spiritualistische Schule). Der Name, den ich vorschlage, scheint mir der zutreffendste zu sein.

Janet.

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