Page images
PDF
EPUB

liegt nicht in der Ueberzeugung (auf welcher unter anderm jede sittliche Rechtfertigung des Krieges allein beruhen kann), dass ein Mittel, an welches sinnliche und sittliche Uebel unvermeidlich sich knüpfen, dennoch aus sittlichen Gründen gewollt werden müsse, wenn der allein durch eben dieses Mittel erreichbare Zweck durch die in ihm liegenden sinnlichen und sittlichen Güter jene Uebel aufwiegt und überwiegt, sondern nur in der Einseitigkeit der Abschätzung, die, durch den Einen Zweck bestimmt, alles Uebrige bloss in seiner Beziehung zu diesem würdigt. Diese Einseitigkeit ist das relativ nothwendige entgegengesetzte Extrem zu derjenigen, die von Vertretern des kirchlichen Princips geübt wurde, der Würdigung aller menschlichen Verhältnisse ausschliesslich aus dem Gesichtspunkte der Beziehung zu der mit der absoluten Wahrheit identificirten kirchlichen Lehre und zu der mit dem Reiche Gottes gleichgesetzten kirchlichen Gemeinschaft. Macchiavell befeindet die Kirche als das Hinderniss der Einheit und Freiheit seines Vaterlandes; er zieht der christlichen Religion, die den Blick von den politischen Interessen ablenke und zur Passivität verleite, die altrömische vor, welche die Mannhaftigkeit und politische Activität begünstige. Macchiavell's Weise, jedesmal gegen den einen Zweck, den er verfolgt, alles Uebrige hintanzusetzen, hat seinen verschiedenen Schriften einen verschiedenen Charakter aufgeprägt; von den beiden Seiten seines politischen Ideals, nämlich der bürgerlichen Freiheit und der Unabhängigkeit, Grösse und Macht des Staates, wird in den Discorsi sopra la prima decade di Tito Livio jene, in der Schrift „il Principe" aber diese hervorgehoben, und zwar so, dass im „Principe" die republikanische Freiheit der absoluten Fürstenmacht mindestens zeitweilig geopfert wird. Doch mildert Macchiavell die Discrepanz durch die Unterscheidung verdorbener Zustände, welche despotischer Heilmittel bedürfen, und echten Gemeinsinnes, der die Freiheit bedinge. Wer mit Grausen M.'s Buch vom Fürsten liest, darf nicht vergessen, dass M. vorher lange Jahre hindurch sein heissgeliebtes Vaterland unter den Söldnerschaaren aller Nationen bluten sah und vergeblich in einem besondern Buch die Einführung von Milizheeren aus Landeskindern empfahl" (Karl Knies, das moderne Kriegswesen, ein Vortrag, Berlin 1867, S. 19).

"

Plato's Idealstaat frei nachbildend, hat Thomas Morus, geb. zu London 1480, enthauptet 1535, in seiner Schrift: de optimo reip. statu deque nova insula Utopia (Lovan. 1516, dann sehr oft lat. und in engl. Uebersetzung gedruckt, > deutsch von Oettinger, Leipzig 1846) philosophische Gedanken über Entstehung und Aufgabe des Staates in phantastischer Form geäussert. Er fordert u. A. Gleichheit des Besitzes und religiöse Toleranz.

Die philosophische Rechts- und Staatslehre ist zu jener Zeit bei Katholiken und Protestanten im Wesentlichen die aristotelische, bei jenen durch die Scholastik und das kanonische Recht, bei diesen besonders durch biblische Sätze modificirt. Luther hat nur das Criminalrecht im Auge, indem er sagt (in einem Schreiben an den Herzog Johann von Sachsen): „Wenn alle Welt rechte Christen wären, so wäre kein Fürst, König, Herr, Schwerdt, noch Recht nöthig oder nütze. Denn wozu sollte es dienen? Der Gerechte thut von sich selbst alles und mehr, denn alle Rechte fordern. Aber die Ungerechten thun nichts recht, darum bedürfen sie des Rechts, das sie lehre, zwinge und dränge, wohl zu thun." Die Grundzüge des jus naturale finden Melanchthon (im zweiten Buch seiner Schrift: philosophiae moralis libri duo, 1538), Joh. Oldendorp (ɛioaywyn, sive elementaris introductio juris naturalis, gentium et civilis, Colon. Agr. 1539), Nic. Hemming (de lege naturae methodus apodictica 1562 u. ö.), Benedict Winkler (principiorum juris libri quinque, Lips. 1615) u. A. im Decalog, Hemming insbeUeberweg, Grundriss III. 3. Aufl.

3

sondere in der zweiten Gesetzestafel, wogegen die erste ethischer Art sei und die vita spiritualis betreffe. (Oldendorp's, Hemming's und Winkler's naturrechtliche Schriften sind im Auszuge wiederabgedr. in v. Kaltenborn's oben citirtem Werke.) Wie in der Ethik, so betonen auch in der Rechts- und Staatslehre Protestanten die göttliche Ordnung, Katholiken und zumeist Jesuiten (wie Ferd. Vasquez, Lud. Molina, Mariana, Bellarmin, auch Suarez u. A.) den Mitantheil menschlicher Freiheit. Der Staat ist (gleich wie die Sprache) nach scholastisch-jesuitischer Doctrin von menschlichem Ursprung. Luther nennt die Obrigkeit ein Zeichen der göttlichen Gnade, denn ohne Regiment würden die Völker mit Morden und Würgen sich unter einander selbst hinwegrichten. Die Obrigkeit kann in ihrem Amt und weltlichen Regiment ohne Sünde nicht sein, aber Luther billigt weder Selbsthülfe der Verletzten, noch kennt er constitutionelle Garantien, sondern will, dass man Gott für die Obrigkeit bitte. Die altprotestantische Doctrin begünstigt einen (durch das Bewusstsein der Verantwortlichkeit gegen Gott zu Gerechtigkeit und Milde geneigten) politischen Absolutismus, ist aber der socialen und religiösen Freiheit des Individuums förderlich.

Das Verdienst, den verschiedenen Confessionen im Staate die Gleichberechtigung vindicirt und Naturrecht und Politik auf die Völkerkunde und Geschichtsbetrachtung gegründet zu haben, hat vor Allen Jean Bodin (geb. zu Angers 1530, gest. 1596 oder 1597) sich erworben durch seine (zuerst Paris 1577 erschienenen) six livres de la république (vom Verfasser lateinisch bearbeitet 1584), wie auch durch seine Schrift: juris universi distributio, und durch das (erst in neuester Zeit vollständig veröffentlichte) Colloquium heptaplomeres de abditis rerum sublimium arcanis, ein unparteiisch gehaltenes Gespräch über die verschiedenen Religionen und Confessionen, welches durch die Anerkennung relativer Wahrheit in einer jeden derselben die Forderung der Toleranz begründet. Bodins Moral ruht auf deistischem Grunde.

Albericus Gentilis (geb. 1551 in der Mark Ancona, gest. als Professor zu Oxford 1611) ist besonders durch seine Schriften: de legationibus libri tres, Lond. 1585 u. ö., de jure belli libri tres, Lugd. Bat. 1588 u. ö., de justitia bellica 1590, worin er aus der Natur, insbesondere der menschlichen, das Recht ableitet, mit Morus und Bodinus für Toleranz eintritt und u. a. auch Freiheit des Verkehrs zur See fordert, ein Vorläufer des Hugo Grotius geworden.

Hugo Grotius (Huig de Groot, geb. zu Delft 1583, gest. 1645 zu Rostock) hat sich theils durch die Schrift: Mare liberum seu de jure, quod Batavis competit ad Indica commercia, Lugd. Bat. 1609, worin er, um den Niederländern die Freiheit des Handels nach Ostindien zu vindiciren, die Grundzüge des Seerechts philosophisch entwickelt, theils durch sein rechtswissenschaftliches Hauptwerk: de jure belli et pacis, Paris 1625, 1632 u. ö., ein bleibendes Verdienst um das Naturrecht erworben und das internationale oder Völkerrecht wissenschaftlich begründet. Wie bei dem Rechte der Personen, so unterscheidet Grotius auch bei dem der Völker oder dem internationalen Rechte das jus naturale und das jus voluntarium (oder civile); das letztere beruht auf positiven Bestimmungen, das erstere aber fliesst mit Nothwendigkeit aus der menschlichen Natur. Unter dem jus divinum versteht Grotius die Vorschriften im alten und neuen Testament; er unterscheidet davon das Naturrecht als ein jus humanum. Der Mensch ist mit Vernunft und Sprache begabt, daher zum Leben in der Gemeinschaft bestimmt; was zum Bestehen der Gemeinschaft erforderlich ist, ist natürliches Recht (und auch was die Annehmlichkeit des socialen Lebens fördert, gehört als jus naturale laxius zum Naturrecht im weiteren Sinne); aus diesem Geselligkeitsprincip ergiebt sich die vernunftgemässe Entscheidung, mit deren Resultat das Herkommen bei gesitteten

Völkern zusammen zu treffen pflegt, welches in diesem Sinne ein empirisches Kriterium des natürlichen Rechtes ist. Die Staatsgemeinschaft beruht auf freier Einwilligung der Betheiligten, also auf Vertrag. Das Strafrecht steht dem Staate nur in soweit zu, als das Princip der custodia societatis es fordert, also nicht als Vergeltung (quia peccatum est), sondern nur zur Verhütung der GesetzesUebertretungen durch Abschreckung und Besserung (ne peccetur). Grotius fordert Toleranz gegen alle positiven Religionen, Intoleranz aber gegen die Leugner der auch von dem blossen Deismus anerkannten Sätze von Gott und Unsterblichkeit. Doch vertheidigt er in seiner (1619 erschienenen) Schrift de veritate religionis christianae auch die den Confessionen gemeinsamen christlichen Dogmen.

Zweiter Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.

Die neuere Philosophie oder die Zeit des ausgebildeten Gegensatzes zwischen Empirismus, Dogmatismus und Skepticismus.

§ 6. Den zweiten Abschnitt der Philosophie der Neuzeit charakterisirt der ausgebildete Gegensatz zwischen Empirismus. und Dogmatismus, neben welchen Richtungen auch der Skepticismus zu selbständigerer Entwicklung, als in der Uebergangsperiode, gelangt. Der Empirismus ist die Einschränkung der Methode der philosophischen Forschung auf Erfahrung und Combination von Erfahrungsthatsachen und des Bereichs der philosophischen Erkenntniss auf die durch diese Methode erkennbaren Objecte, ohne die philosophischen Specialdoctrinen auf eine philosophische Erkenntniss des absoluten Princips zu basiren. Der Dogmatismus ist diejenige philosophische Richtung, welche durch das Denken den gesammten Kreis der Erfahrung und der Analoga der Erfahrung überschreiten und zur Erkenntniss des absoluten Princips gelangen zu können glaubt, und auf die Erkenntniss des Absoluten alle andere philosophische Erkenntniss gründet. Der Skepticismus ist der principielle Zweifel an jeder Gewissheit, mindestens an der Gültigkeit aller den Erfahrungskreis überschreitenden Sätze (ohne, dass von ihm, wie es durch den Kantischen ,,Kriticismus" geschieht, vermittelst einer Kritik der menschlichen Erkenntnisskraft ein unserer Vernunfterkenntniss unzugängliches Gebiet methodisch abgegrenzt

wird).

Ueber die Philosophie dieses Zeitabschnittes vgl. ausser den betreffenden Abschnitten der oben (S. 1-2) angeführten umfassenderen Geschichtswerke, wie auch der Gesch. des 18. Jahrhunderts von Schlosser und anderen historischen Schriften, insbesondere noch Ludw. Feuerbach, Gesch. der neueren Philosophie von Baco bis Spinoza, Ansbach 1833, 2. Aufl. Leipzig 1844, nebst dessen Specialschriften über Leibniz und Bayle; Damiron, Essai sur l'hist. de la philos. au XVIIme siècle, Par.

1846; au XVIII me siècle, Par. 1858-64; G N. Roggero, storia della filosofia da Cartesio a Kant, Torino 1868 (67).

Die vorstehenden Begriffsbestimmungen sind die Kantischen. Die Charakteristik, welche Kant von den seiner eigenen Philosophie zunächst vorangegangenen philosophischen Richtungen gegeben hat, erweist sich auch dann noch als historisch zutreffend, wenn der philosophische Standpunkt Kant's nur als relativ (den nächst vorangegangenen Richtungen gegenüber) berechtigt und nicht als die absolute philosophische Wahrheit und als der absolute Maassstab der Würdigung philosophischer Richtungen gilt. Kant's Kriticismus schränkt nicht die Erkenntniss mittel der Philosophie auf Empirie, aber ihre Erkenntniss objecte auf den Erfahrungskreis ein.

Allerdings verfährt auch der Empirismus „dogmatisch" in dem allgemeineren Sinne, dass er auf der Zuversicht beruht, die Objecte seien unserer Erkenntniss nicht schlechthin unzugänglich, sie seien vielmehr eben in soweit erkennbar, als die Erfahrung (nebst den Analogien der Erfahrung) reiche. Aber darum fällt doch nicht der Empirismus unter den Begriff des Dogmatismus in dem oben näher bezeichneten Sinne, den mit diesem Worte zu verknüpfen seit Kant üblich ist. Ebensowenig trifft gegen die obige Bezeichnung der Einwurf zu, der Begriff des Empirismus sei zu enge, weil er nur auf die Richtung passe, welche von Baco bis auf Locke herrsche; denn auch der Condillac'sche Sensualismus und der Holbach'sche Materialismus schränken die philosophische Erkenntniss nach Form und Inhalt auf Empirisches ein. „Realismus“ und „Idealismus“ aber sind Bezeichnungen, die zur Bezeichnung der Unterschiede in dieser Periode sich nicht in irgend einem klar und scharf bestimmbaren Sinne verwenden lassen (wesshalb auch v. Kirchmann, ph. Bibl., Bd. 32, S. VI mit Recht sagt, dass die Principien des Descartes und Baco nicht in dem Gegensatze von Idealismus und Realismus stehen").

"

Der empiristischen Richtung gehören an: Baco und Hobbes und mehrere ihrer Zeitgenossen, Locke und die an ihn mehr oder weniger, sei es zustimmend oder auch polemisch, anknüpfenden englischen und schottischen Philosophen, der französische Sensualismus und Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts und zum Theil auch die deutsche Aufklärung. Die Koryphäen der dogmatistischen Richtung sind: Cartesius, Spinoza und Leibniz. Der Skepticismus erreicht seinen Höhepunkt in Hume. (Dass auch Spinoza der dogmatistischen Richtung zugerechnet werden müsse, nimmt mit Recht Kant an, indem er in einer Note zu seiner Abhandlung: Was heisst sich im Denken orientiren?" bemerkt, Spinoza sei in Ansehung der Erkenntniss übersinnlicher Gegenstände so dogmatistisch, dass er sogar mit dem Mathematiker in der Strenge der Beweisführung wetteifere.) Vgl. unten § 14.

"

Da die Philosophen der verschiedenen Richtungen einen wechselseitigen wesentlichen Einfluss auf einander geübt haben, so kann nicht wohl eine jede der Hauptrichtungen in ununterbrochener Folge vollständig für sich dargestellt werden, sondern die chronologische Ordnung ist, sofern sie dem genetischen Verhältniss entspricht, die angemessenere.

§ 7. Durch Abstreifung des theosophischen Charakters, den die Naturphilosophie in der Uebergangsperiode an sich trug, durch Einschränkung ihrer Methode auf Erfahrung und Induction und durch die Erhebung der Grundzüge dieser Methode zum philosophischen, von der Gebundenheit an irgend einen einzelnen naturwissen

schaftlichen Forschungskreis befreiten Bewusstsein ist Baco von Verulam (1561-1626) der Begründer zwar nicht der empirischmethodischen Naturforschung, wohl aber - der empiristischen Entwickelungsreihe der neueren Philosophie geworden. Baco's höchstes Ziel ist die Erweiterung der Macht des Menschen vermittelst des Wissens. Wie die Buchdruckerkunst, das Pulver und der Compass das Culturleben umgestaltet haben und den Vorzug der Neuzeit vor jedem früheren Zeitalter begründen, so soll durch immer neue und fruchtreiche Erfindungen die betretene Bahn mit Bewusstsein weiter verfolgt, was diesem Ziele dient, gefördert, was von ihm ablenkt, gemieden werden. Religionsstreitigkeiten schaden. Die Religion soll unangetastet gelassen, aber nicht (nach der Weise der Scholastiker) mit der Wissenschaft vermengt werden; die Einmischung der Wissenschaft in die Religion führt zum Unglauben, die Einmischung der Religion in die Wissenschaft zur Phantasterei. Vom Aberglauben und von Vorurtheilen jeder Art muss der Geist befreit sein, um als reiner Spiegel die Dinge so, wie sie sind, aufzufassen. Mit der Erfahrung muss die Erkenntniss anheben, von Beobachtungen und Experimenten ausgehen, dann stufenweise mittelst der Induction erst zu Sätzen von geringerer, dann zu Sätzen von höherer Allgemeinheit methodisch fortgehen, um endlich von diesen aus zu dem Einzelnen wiederherabzusteigen und zu Erfindungen zu gelangen, welche die Macht des Menschen über die Natur erhöhen. In der Bezeichnung wesentlicher Ziele und Mittel der Neuzeit, in der kräftigen (obschon einseitigen) Hervorhebung des Werthes echter, selbsterrungener Naturerkenntniss, in der Beseitigung des scholastischen Ausgehens von vermeintlich unmittelbar in der Vernunft liegenden Begriffen und Sätzen und der darauf basirten, empirielosen Streitwissenschaft, und in der Bezeichnung der Grundzüge der Methode empirisch basirter inductiver Forschung liegt Baco's historische Bedeutung; die nähere Ausführung der methodischen Grundsätze hat neben einzelnem Bedeutendem vieles Verfehlte, und die von Baco unternommenen Versuche, durch eigene Naturforschung die von ihm auf ihren allgemeinsten philosophischen Ausdruck gebrachte Methode zur praktischen Anwendung zu bringen, sind grösstentheils sehr unvollkommen und halten nicht den Vergleich mit den Leistungen älterer und gleichzeitiger Naturforscher aus. An Baco hat sich die Einseitigkeit der Hochschätzung der materiellen Culturmittel, die blosse Unterwerfung unter traditionelle, ihm selbst äusserlich bleibende Dogmen und das ehrgeizige, um den Werth der Mittel wenig bekümmerte Streben nach Macht durch Mangel an sittlicher Kraft und Würde gerächt. Im Anschluss an

« PreviousContinue »