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er schreibt der Materie Anziehungskraft zu als diejenige bewegende Kraft, wodurch eine Materie die Ursache der Annäherung anderer zu ihr sein kann, und Zurückstossungskraft als diejenige Kraft, wodurch eine Materie Ursache sein kann andere von sich zu entfernen, und bestimmt die Kraft, durch welche die Materie den Raum erfülle, näher als die der Zurückstossung: die Materie erfüllt ihre Räume durch repulsive Kräfte aller ihrer Theile, d. i. durch eine ihr eigene Ausdehnungskraft, die einen bestimmten Grad hat, über den kleinere oder grössere in's Unendliche können gedacht werden. Die Elasticität als Expansivkraft ist hiernach aller Materie ursprünglich eigen. Die Materie ist in's Unendliche theilbar und zwar in Theile, deren jeder wiederum Materie ist; dies folgt aus der unendlichen Theilbarkeit des Raumes und der repulsiven Kraft jedes Theils der Materie. Die Repulsivkraft nimmt ab im umgekehrten Verhältniss der Würfel, die Attractionskraft dagegen im umgekehrten Verhältniss der Quadrate der Entfernungen. In der Mechanik definirt Kant die Materie als das Bewegliche, sofern es, als ein solches, bewegende Kraft hat, und leitet daraus insbesondere die mechanischen Grundgesetze ab: bei allen Veränderungen der körperlichen Natur bleibt die Quantität der Materie im Ganzen dieselbe, unvermehrt und unvermindert; alle Veränderung der Materie hat eine äussere Ursache (Gesetz der Beharrung in Ruhe und Bewegung oder der Trägheit); in aller Mittheilung der Bewegung sind Wirkung und Gegenwirkung einander jederzeit gleich. In der Phänomenologie definirt Kant die Materie als das Bewegliche, sofern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann, und leitet die Lehrsätze ab, die geradlinige Bewegung einer Materie in Ansehung eines empirischen Raumes sei, zum Unterschied von der entgegengesetzten Bewegung des Raumes, ein bloss mögliches Prädicat (ohne alle Relation auf eine Materie ausser ihr aber, also als absolute Bewegung gedacht, etwas Unmögliches), die Kreisbewegung einer Materie sei, zum Unterschied von der entgegengesetzten Bewegung des Raumes, ein wirkliches Prädicat derselben (die anscheinende entgegengesetzte Bewegung eines relativen Raumes aber ein blosser Schein), in jeder Bewegung eines Körpers, wodurch er in Ansehung eines andern bewegend sei, sei eine entgegengesetzte gleiche Bewegung des letzteren nothwendig; das erste dieser phänomenologischen Gesetze bestimme die Modalität der Bewegung in Ansehung der Phoronomie, das zweite bestimme dieselbe in Ansehung der Dynamik, das dritte in Ansehung der Mechanik.

Den Uebergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zu der Physik bildet die (der „Metaphysik der Sitten", welche die Rechtsund Tugendlehre in sich begreift, coordinirte),, Metaphysik der Natur", die von den bewegenden Kräften der Materie handelt und von Kant in ein „Elementarsystem" und „, Weltsystem" eingetheilt wird. Das Manuscript ist unvollendet geblieben. (Einige Bruchstücke werden vielleicht bald durch Reicke edirt werden.)

§ 17. Wie Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft von dem Gegensatz ausgeht, den er zwischen der empirischen Erkenntniss und der Erkenntniss a priori findet, so bildet das Fundament seiner Kritik der praktischen Vernunft der analoge Gegensatz zwischen dem sinnlichen Trieb und dem Vernunftgesetz. Alle Zwecke, auf welche unser Begehren sich richten kann, gelten Kant als empirische und demgemäss als sinnliche und egoistische Bestimmungsgründe des Willens, die auf das Princip der eigenen Glückseligkeit

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sich zurückführen lassen; dieses Princip aber sei dem der Sittlichkeit nach dem unmittelbaren Zeugniss unseres sittlichen Bewusstseins gerade entgegengesetzt. Als Bestimmungsgrund des sittlichen Willens behält Kant nach Ausscheidung aller materiellen Bestimmungsgründe nur die Form der möglichen Allgemeinheit des den Willen bestimmenden Gesetzes übrig. Das Princip der Sittlichkeit liegt ihm in der Forderung: „Handle so, dass die Maxime deines Willens zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne". Dieses „Grundgesetz der praktischen Vernunft" trägt die Form eines Gebotes, weil der Mensch nicht ein reines Vernunftwesen, sondern zugleich auch ein sinnliches Wesen ist und die Sinnlichkeit stets der Vernunft widerstrebt; es ist aber nicht ein bedingtes Gebot, wie die Maximen der Klugheit, die nur hypothetisch, nämlich unter der Voraussetzung, dass gewisse Zwecke erreicht werden sollen, gelten, sondern ein unbedingtes und zwar das einzige unbedingte Gebot, der kategorische Imperativ. Das Bewusstsein dieses Grundgesetzes ist ein Factum der Vernunft, aber kein empirisches, es ist das einzige Factum der reinen Vernunft, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend ankündigt. Dieses Gebot fliesst aus der Autonomie des Willens, alle materialen, auf Eudämonismus beruhenden Principien aber aus der Heteronomie der Willkür. Aeussere Gesetzmässigkeit ist Legalität, Rechthandeln um des sittlichen Gesetzes willen aber Moralität. An die sittliche Selbstbestimmung knüpft sich unsere sittliche Würde. Der Mensch als Vernunftwesen oder Ding an sich giebt sich selbst als einem Sinnenwesen oder einer Erscheinung das Gesetz. Hierin liegt, lehrt Kant (indem er den theoretischen Unterschied von Ding an sich und Erscheinung praktisch als Werthunterschied auffasst) der Ursprung der Pflicht. Auf das moralische Bewusstsein gründen sich drei moralisch nothwendige Ueberzeugungen, welche Kant „Postulate der reinen praktischen Vernunft" nennt, nämlich die Ueberzeugung von der sittlichen Freiheit, indem nach dem Satze: du kannst, denn du sollst, die Bestimmbarkeit unserer selbst als eines Sinneswesens durch uns selbst als ein Vernunftwesen angenommen werden müsse, von der Unsterblichkeit, da unser Wille dem Sittengesetz sich nur in's Unendliche annähern, könne, und von dem Dasein Gottes als des Herrschers im Reiche der Vernunft und Natur, der zwischen sittlicher Würdigkeit und Glückseligkeit die vom moralischen Bewusstsein geforderte Harmonie herstelle.

Der Grundgedanke von Kant's philosophischer Religionslehre, den er in der Schrift: „die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft" entwickelt, liegt in der Reduction der

Religion auf das moralische Bewusstsein. Gunstbuhlerei bei Gott durch statutarische Religionshandlungen, die von den sittlichen Geboten verschieden sind, ist Afterdienst: die wahrhaft religiöse Gesinnung ist in der Erkenntniss aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote beschlossen. Kant reducirt die kirchlichen Dogmen durch allegorisirende Umdeutung auf Lehrsätze der philosophischen Moral.

Ausser der zum vorigen Paragraphen angeführten Litteratur und den Stellen bei F. H. Jacobi, Schleiermacher, Schelling, Hegel, Herbart, Beneke, Schopenhauer u. A., worin Kant's ethische Lehren geprüft werden, ferner Wegscheider's Vergleichung Stoischer und Kantischer Ethik, Hamburg 1797, Garve's Darstellung und Kritik der Kantischen Sittenlehre in der einleitenden Abb. zu seiner Uebersetzung der Arist. Ethik, Breslau 1798, S. 183-394 etc. gehören hierher folgende Schriften. Ueber Kant's Erziehungslehre handelt: Strümpell, die Päd. der Ph. Kant, Fichte, Herbart, Braunschweig 1843, Arthur Richter, Kant's Ansichten über Erziehung, G.-Pr., Halberstadt 1865; C. Wassmannsdorf, der Philosoph Kant über Leibesübungen, in: Kloss, N. Jahrb. f. d. Turnkunst, 1864, X, 4 über Kant's Lehre vom radicalen Bösen L. Paul, Halle 1865; über Kant's Lehre vom Sohne Gottes als vorgestelltem Menschheitsideal Paul in: Jahrb. f. deutsche Theol. Bd. XI, 186, S. 624639; über Kant's Lehre vom idealen Christus handelt Paul, Kiel 1869; vgl. Car. Kalich, Cantii, Schellingii, Fichtii de filio divino sententiam expos. nec non dijudicavit, Lips. 1870; über Kant's Religionsphilosophie überhaupt handelt Ch. A. Thilo in: Zeitschr. f. exacte Philos. Bd. V, Leipz. 1865, S. 276-312; 353-397, vgl. Kirchmann's Erl. zu s. Ausg. der Relig. i. der Gr. d. bl. Vern.; über seine Lehre vom Guten und Bösen A. Mastier, quid de recti pravique discrimine senserit K., thesis Parisiensis 1862; über seinen Pflichtbegriff Alex. vou Oettingen, Festrede, Dorpat 1864, über s. Lehre vom Gewissen J. Quaatz (de conscientiae apud K. notione, Halis 1867) und Joh. Liess, Progr., Züllichau 1870, über s. Ansicht von der Freiheit des menschl. Willens Otto Kohl, Inaug-Diss., Leipzig 1868, auch Wilh. Bolin, (akad. afh.) Helsingfors 1868. Ueber das Verhältniss der Kantischen Ethik zur Aristotelischen vgl. ausser einzelnen der Grdr. I, § 50 (4. Aufl. S. 184) citirten Abhandlungen von Brückner u. A. insbesondere auch Trendelenburg, der Widerstreit zwischen Kant und Arist. in der Ethik, im 3. Bde. der hist. Beitr. zur Philos., Berl. 1867, S. 171 -214.

Kant hat seinem Hauptwerk über die praktische Philosophie nicht den Titel gegeben: Kritik der reinen praktischen Vernunft, sondern: Kritik der praktischen Vernunft, weil es sich um eine Kritik des ganzen praktischen Vermögens in der Absicht handle, den Nachweis zu führen, dass es reine praktische Vernunft gebe; gebe es solche, so bedürfe dieselbe nicht gleich der reinen speculativen Vernunft einer Kritik, die einer Ueberschreitung ihrer Grenzen entgegentrete, denn sie beweise ihre und ihrer Begriffe Realität durch die That (Krit. der prakt. Vern., Vorrede).

Die Grundbegriffe der Kritik der praktischen Vernunft hat Kant am ausführlichsten in der (dem Hauptwerk vorausgeschickten) „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" erörtert.

Kant definirt Maxime als das subjective Princip des Wollens; das objective Princip dagegen, das in der Vernunft selbst begründet ist, nennt er das praktische Gesetz; er fasst beides zusammen unter dem Begriff des praktischen Grundsatzes, d. h. eines Satzes, der eine allgemeine Bestimmung des Willens enthält, die mehrere praktische Regeln unter sich hat (Grundl. z. M. d. S., 1. Abschnitt, Note; Kr. d. pr. Vern. § 1). Er argumentirt: alle praktischen Principien, die ein Object (Materie) des Begehrungsvermögens als Bestimmungsgrund des Willens voraussetzen, sind insgesammt empirisch und können keine praktischen Gesetze abgeben (Kr. d. pr. Vern. § 2). Alle materialen praktischen Principien sind als solche insgesammt von einer und derselben Art und gehören unter das

allgemeine Princip der Selbstliebe oder eigenen Glückseligkeit; unter der Glückseligkeit versteht Kant „das Bewusstsein eines vernünftigen Wesens von der Annehmlichkeit des Lebens, die ununterbrochen sein ganzes Dasein begleitet“; das Princip, diese sich zum höchsten Bestimmungsgrunde der Willkür zu machen, ist ihm das Princip der Selbstliebe (ebend. § 3). Da nun Kant allem Empirischen die Nothwendigkeit abspricht, welche zur Gesetzmässigkeit erforderlich ist, alle Materie des Begehrens aber, d. h. jeder Gegenstand des Willens als Bestimmungsgrund desselben einen empirischen Charakter trägt, so folgt, dass, wenn ein vernünftiges Wesen sich seine Maximen als praktische allgemeine Gesetze denken soll, es sich dieselben nur als solche Principien denken kann, die nicht der Materie, sondern nur der Form nach, wodurch sie sich zur allgemeinen Gesetzgebung schicken, den Bestimmungsgrund des Willens enthalten (ebend. § 4). Der Wille, der durch die blosse gesetzgebende Form bestimmt wird, ist unabhängig von dem Naturgesetz der sinnlichen Erscheinungen, also frei (ebend. § 5), wie auch umgekehrt ein freier Wille nur durch die blosse Form oder die Tauglichkeit einer Maxime zum allgemeinen Gesetz bestimmt werden kann (ebend. § 6). Nun sind wir uns bewusst, dass unser Wille einem Gesetze unterliegt, welches schlechthin gilt; derselbe muss also durch die blosse Form bestimmbar, folglich frei sein. Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und giebt dem Menschen ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen (ebend. § 7). Dieses Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft oder den kategorischen Imperativ bringt Kant in der Grundlegung zur Metaph. der Sitten auf eine dreifache Formel: 1. Handle nach solchen Maximen, von denen du wollen kannst, dass sie zu allgemeinen Gesetzen dienen sollen, oder: so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte; 2. Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden Andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchst; 3. Handle nach der Idee des Willens eines jeden vernünftigen Wesens als allgemein gesetzgebenden Willens; in der Kritik der praktischen Vernunft beschränkt er sich auf die eine Formel (§ 7): Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. Wenn die Maxime, unter die eine Handlung fallen würde, zum allgemeinen Gesetze erhoben, sich durch einen innern Widerspruch schlechthin aufheben würde, so ist die Unterlassung jener Handlung eine „vollkommene Pflicht"; wenn wir wenigstens nicht wollen können, dass sie allgemeines Gesetz sei, weil dann der Vortheil, den wir dadurch für uns erzielen wollten, in Nachtheil umschlagen würde, so ist die Unterlassung eine unvollkommene Pflicht". Die Selbstbestimmung nach dem kategorischen Imperativ nennt Kant Autonomie des Willens"; alle Begründung des praktischen Gesetzes aber auf irgend welche „Materie des Wollens", d. h. auf irgend welche zu erstrebende Zwecke, insbesondere auf den Zweck der (eigenen oder auch allgemeinen) Glückseligkeit gilt ihm als „,Heteronomie der Willkür“*).

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*) Es ist leicht ersichtlich, dass Kant bei dieser Bekämpfung des Eudämonismus" den Begriff desselben erst durch Beschränkung auf die Befriedigung sinnlicher und egoistischer Absichten in's Niedrige herabzieht und ihn dann durch Messung an dem reineren moralischen Bewusstsein ungenügend und verwerflich findet. Wenn bereits feststeht, was das Pflichtmässige ist, so soll dasselbe aus eben den Gründen vollbracht werden, aus welchen es dieses ist, und nicht aus irgendwelchen „eudämonistischen" Nebenzwecken; dieser wahre Satz ist sehr wohl von dem falschen zu unterscheiden, dass das Pflichtmässige selbst nicht auf Zwecken beruhe; nur jene Nebenzwecke begründen wirkliche Heteronomie Kant hat sich um die Reinigung und Schärfung des unmittelbaren moralischen Bewusst,

Der kategorische Imperativ dient Kant in der Kritik der praktischen Vernunft als Princip der Deduction des Vermögens der Freiheit, indem er in dem moralischen Gesetz ein Gesetz der Causalität durch Freiheit und demgemäss der Mög

seins und insbesondere um die Hebung des Strebens nach sittlicher Selbständigkeit ein sehr wesentliches Verdienst erworben; aber er irrt, indem er die Stufe der ersten Befreiung von Nebenzwecken durch Achtung vor dem Gesetz mit dem Wesen der Sittlichkeit gleichsetzt. Er ist mit seiner Erhebung der Achtung vor dem Rechte der Menschen als einer unbedingten Pflicht über,,das süsse Gefühl des Wohlthuns", mit seiner Abweisung gesetzloser Willkür im guten Recht gegenüber einer Deutung des Begriffs des eigenen Wohls und des Gemeinwohls, die dem sinnlichen Behagen, der einseitig gedeuteten öffentlichen Wohlfahrt, der Aufrechterhaltung äusserer Ruhe und Ordnung gerade die edelsten und höchsten Interessen des freien Geistes zum Opfer bringen zu dürfen vermeinte; aber seine Polemik trifft nicht die wahrhafte, tiefere Fassung des Eudämonismus, wie namentlich Aristoteles dieselbe begründet hat, der die wesentliche Beziehung der Lust auf die Thätigkeit anerkennt und auf die Stufenordnung der Functionen die Ethik basirt; insbesondere übersieht Kant in seiner Polemik, dass auch aus dem eudämonistischen Princip für das Zusammenleben der Menschen die Nothwendigkeit allgemeiner Gesetze und ihrer Heilighaltung folgt. Der Mittelbegriff, durch den Kant die Herabsetzung auch der edelsten geistigen Zwecke zu Objecten der egoistischen Begierde und demgemäss ihren Ausschluss aus dem Moralprincip begründet, ist der ihres empirischen Charakters; als empirische Zwecke sollen sie der Nothwendigkeit entbehren, der Welt der sinnlichen Erscheinungen, der blossen Natur und nicht der Freiheit angehören, von dem Princip der eigenen sinnlichen Glückseligkeit allein abhängen; alles Edlere und Höhere soll jenseits des empirisch Gegebenen liegen. In der That aber fällt in die (äussere und innere) Erfahrung das Edle ebensowohl, wie das Unedle, Liebe ebensowohl, wie Selbstsucht; der Gegensatz des Werthes ist specifisch verschieden von dem Gegensatz zwischen dem Erfahrbaren und Unerfahrbaren. Kant's Negation des Ursprungs des moralischen Gesetzes aus den realen Zwecken entspricht auf's Genaueste seiner Negation des Ursprungs der Apodikticität aus den empirischen Erkenntnissen, die sich in der Kritik der reinen Vernunft an seine Umdeutung des Begriffs der Erkenntniss a priori knüpft. Es fliesst daraus ein zweifacher Nachtheil: 1. das Höhere tritt hiernach gegen das Niedere in einen schroffen, vermittlungslosen Gegensatz, und der Gedanke der Stufenordnung wird beseitigt; 2. das Höhere wird exclusiv formalistisch gefasst, nicht aus der dem Inhalt selbst innewohnenden Ordnung verstanden, sondern als eine auf unbegreifliche Weise von dem Ich zeitlos erzeugte und in den an sich formlosen Stoff hineingetragene Form gedacht; es wird von Kant in der Sittenlehre die Werthordnung der Zwecke mit der logischen Form möglicher Allgemeinheit verwechselt und nur durch die Rücksicht auf die Vernunftwesen als Selbstzwecke nebenbei eine wirkliche moralische Norm gewonnen; die sittliche Aufgabe der Individualisirung des Handelns aber wird verkannt und der leeren Form möglicher Allgemeinheit zum Opfer gebracht. Kant hat die Form logischer Abstraction, welche die Möglichkeit der juridischen und militärischen Ordnung bedingt, fälschlich für eine ursprüngliche Form der Moralität angesehen. Es ist wahr, dass kein einzelner einfacher Zweck, für sich allein betrachtet, etwas Moralisches noch auch Unmoralisches ist, dass die Moralität nicht ein sporadisches Wohlthun, sondern die pflichtmässige Treue gegen ein sittliches Gesetz erheischt und auf der Conformität des Willens mit einem in der Anerkennung einer allgemeingültigen Ordnung begründeten Urtheil über den Willen beruht, ebenso, wie es wahr ist, dass keine einzelne einfache Erfahrung, für sich allein betrachtet, Apodikticität involvirt, sondern alle Apodikticität auf der Einordnung in einen durch Principien bedingten Zusammenhang der Erkenntniss beruht. Aber es ist nicht wahr, dass die Ordnung im Erkennen und Handeln zu einer an sich ordnungslosen Materie" durch die Vernunft des Subjectes allein hinzugethan werden müsste; sie beruht auf der Aufnahme der objectiv vorhandenen Ordnung in unser Erkennen und Handeln. Die logischen Normen fliessen her aus der Beziehung unseres Wahrnehmens und Denkens auf die räumlich-zeitliche und causale Ordnung der natürlichen und geistigen Erkenntnissobjecte, und die moralischen Normen aus der Beziehung unseres Wollens und Handelns auf

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