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§. 12. Die französische Philosophie im achtzehnten Jahrhundert ist vorwiegend Opposition gegen die geltenden Dogmen und bestehenden Zustände in Kirche und Staat und Begründung einer neuen theoretischen und praktischen Weltansicht auf naturalistische Principien. Nachdem diese Richtung hauptsächlich durch den Skepticismus des Bayle angebahnt worden war, fand Voltaire, der in dem Positiven seiner Weltanschauung wesentlich auf Newton's Naturlehre und Locke's Erkenntnisslehre fusst, besonders mit seiner Polemik gegen den herrschenden kirchlichen Glauben Eingang bei den Gebildeten seiner Nation und grossentheils auch ausserhalb Frankreichs. Schon vor ihm hat Maupertuis die Newton'sche Kosmologie gegen die Cartesianische siegreich vertreten, Montesquieu aber für die Ideen des Liberalismus die Ueberzeugung der Gebildeten gewonnen. Rousseau, der gegenüber einer entarteten Cultur auf die Natur zurückwies, predigte unter Abweisung des Positiven, historisch Gegebenen eine auf die Ideen: Gott, Tugend und Unsterblichkeit begründete Naturreligion, forderte eine naturgemässe Erziehung und eine demokratische Staatsform, welche die natürliche Freiheit eines Jeden nur insoweit einschränke, als derselbe vertragsmässig diese Einschränkung ohne Preisgebung der unveräusserlichen Menschenrechte zugestehen könne. Um die Aesthetik hat Batteux, der in der Nachahmung der schönen Natur das Wesen der Kunst fand, sich verdient gemacht. Den Sensualismus hat im Anschluss an Locke, aber über diesen hinausgehend, Condillac ausgebildet, der alle psychischen Functionen als umgebildete Sinneswahrnehmung auffasst und demgemäss auch die innere Wahrnehmung aus der äussern oder sinnlichen Wahrnehmung entspringen lässt. Auf das Princip des eigenen Interesses hat mittelst des Satzes, dass dieses nur in Uebereinstimmung mit dem Gemeinwohl seine ungetrübte und volle Befriedigung zu finden vermöge, Helvetius die Moral zu gründen versucht. Diderot, der im Verein mit d'Alembert die Herausgabe der das Ganze der Wissenschaften umfassenden Encyclopädie besorgte, ging allmählich vom Deismus zum Pantheismus fort. Durch die Annahme einer natürlichen Gradation der Wesen, eines stufenweisen Fortgangs der Naturgebilde bis zum Menschen hinauf, ist Robinet ein Vorläufer Schellings geworden. Unbeschadet des Glaubens an Gott und Unsterblichkeit setzt Bonnet die Seele zu den materiellen Bedingungen ihres Daseins in die engste Beziehung. Den reinen Materialismus hat der Arzt Lamettrie hauptsächlich als psychologische Doctrin, der Baron von Holbach aber in dem Système de la nature als eine allumfassende, der Theologie entgegengesetzte Weltansicht dargestellt.

Ueber die Philosophie der Franzosen im achtzehnten Jahrhundert ist das Hauptwerk: Ph. Damiron, Mémoires pour servir à l'histoire de la philosophie au XVIIIe siècle, tom. I-II, Paris 1858, tome III. avec une introduction de M. C. Gourand, Paris 1864. Vgl. Lerminier, de l'influence de la philos. du XVIIIe siècle sur la législation et la sociabilité du XIXe, Par. 1833; Lanfrey, l'église et les philosophes au XVIIIe siècle, 2. éd. Par. 1857; ferner die betreffenden Abschnitte in den umfassenderen Werken über die Geschichte der Philosophie und in historischen und litteraturhistorischen Schriften, insbesondere bei Nisard, hist. de la litt, fr., Par. 1848-49, Ch. Bartholmèss, hist. philos. de l'acad. de Prusse depuis Leibn., Paris 1850-51, und hist. crit. des doctrines religieuses de la philosophie moderne, Strassb. 1855, A. Sayous, le dix-huitième siècle à l'étranger, hist. de la littérature française dans les divers pays de l'Europe depuis la mort de Louis XIV. jusqu'à la révolution française, 2 tomes, Paris 1861, A. Frank, la philos. mystique en France au XVIIIe siècle, Paris 1868, ferner in Schlosser's Geschichte des 18. Jahrhunderts, im II. Theil (der auf die franz. Litt. geht) von Herm. Hettner's Litteraturgesch. des 18. Jahrhunderts, und bei F. Albert Lange, Geschichte des Materialismus, Iserlohn 1866. Voltaire's Werke sind bereits 1768 zu Genf, dann zu Kehl und Basel 1773, zu Kehl 1785-89 (nebst einer Biographie Voltaire's von Condorcet), zu Paris 1829-34 u. ö. erschienen. Ueber V. handeln ausser Condorcet (dessen Lebensbeschreibung auch separat Par. 1820 erschienen ist) E. Bersot, la philosophie de Voltaire, Paris 1848. L. J. Bungener, Voltaire et son temps, 2 Bde., Paris 1851. J. B. Meyer, Voltaire und Rousseau, Berlin 1856. J. Janin, le roi Voltaire, 3. éd. Paris 1861. A. Pierson, Voltaire et ses maitres, épisode de l'hist. des humanités en France, Paris 1866. Emil du Bois - Reymond, Voltaire in seiner Beziehung zur Naturwissenschaft, Festrede zur Gedächtnissfeier Friedrich's II., Berlin 1868. G. Reuschle, Parallelen aus dem 18. und 19. Jahrh. (Kant und Voltaire, Lessing und D. F. Strauss), in der deutschen Vierteljahrsschrift, 1868. D. F. Strauss, Voltaire, sechs Vortr., Lpz. 1870. Ueber Montesquieu handelt Bersot, Par. 1852, ferner E. Buss, Montesquieu u. Cartesius, in den philos. Monatsheften IV, 1869, S. 1-38. Rousseau's Hauptschriften sind: Discours sur les sciences et les arts (veranlasst durch die 1749 von der Akademie zu Dijon gestellte Preisfrage: si le rétablissement des sciences et des arts a contribué à épurer les moeurs). Discours sur l'origine et les fondemens de l'inégalité parmi les hommes, 1753 u. ö. Du contrat social ou principes du droit politique, Amst. 1762. Emile, ou sur l'éducation, 1762. Die Oeuvres sind Par. 1764 u. ö. erschienen, insbesondere auch, herausg. von Musset - Pathay, Par. 1818-20 in 22 Bänden, hrsg. von A. de Latour, Paris 1868; früher Unedirtes hat Streckeisen-Moulton, Par. 1861 u. 65 veröffentlicht; Biographien zur Ergänzung der coquetirenden Confessions haben Musset - Pathay, Paris 1821, Morin, Par. 1851, E. Guion, R. et le 18. siècle, Strassb. 1860, F. Brockerhoff, R., s. Leben u. s. Werke, Leipz. 1863–68 geliefert. Vgl. Rousseau'sche Studien, von Emil Feuerlein, in der Zeitschr.: der Gedanke, 1861 ff. A. de Lamartine, Rousseau, son faux contrât social et le vrai contrât social, Poissy 1866. K. Schneider, R. u. Pestalozzi, der Idealismus auf deutschem u. französ. Boden, 2 Vorträge, Bromberg 1866. Alb. Christensen, Studien über J. J. R, Pr., Flensburg 1869. Ferd. Werry, J. J. R., s. Einfi. auf die höh, Sch. Deutschlands, Realsch.-Pr., Mülh. a. d. Ruhr 1869. Theod. Vogt, R.'s Leben, aus den Sitzungsber. der kais. Akad., Wien 1870. L. Moreau, J. J. R. et le siècle philosophique, Paris 1870. Ueber Condillae handeln u. A.: F. Réthoré, C. ou l'empirisme et le rationalisme, Paris 1864. Ed. Johnson, bei seiner Uebersetzuug der Abh. über die Empfindungen, in der v. Kirchmann'schen,,Bibl.", Berlin 1870. Ueber Bonnet handelt Albert Lemoine, Charles B., de Genève, philosophe et naturaliste, Paris 1850. Diderot's philos. Werke sind in 6 Bänden, Amst. 1772, die sämmtlichen Werke besonders Par. 1798 (durch Naigeon) und Par. 1821 erschienen, wozu die Correspondance philos. et critique de Grimm et Diderot, Par. 1829, und die untenerwähnten Mémoires Ergänzungen liefern. Das umfassendste und eingehendste Werk über Diderot ist: Rosenkranz, Diderot's Leben und Werke, Leipz. 1866. Vgl. auch den Artikel von Rosenkranz über Diderot's Dialog: Rameau's Neffe, in der Zeitschrift: der Gedanke, Bd. V, 1864, S. 1-25. Ueber Robinet handelt (ausser Damiron a. a. O.) Rosenkranz in der Zeitschr. der Gedanke, Bd. I, 1861, S. 126 ff. Holbach soll anonym ausser dem Système de la nature eine Reihe von Schriften verfasst haben, die sich gegen supranaturalistische Doctrinen richten, insbesondere Lettres à Eugénie ou préservatif contre les préjuges 1768, Examen critique sur la vie et les ouvrages de St. Paul, 1770, Le bon sens ou idées naturelles opposées aux idées surnaturelles, 1772, La

politique naturelle ou discours sur les vrais principes du gouvernement, 1773, Système social, 1773, Elements de la morale universelle, 1776, L'éthocratie ou le gouvernement fondé sur la morale universelle, 1776. Einige öfters Holbach zugeschriebene, direct gegen die christliche Theologie gerichtete Schriften haben andere Verfasser, wie Damilaville und Naigeon.

Unter den französischen Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts, welche philosophische Probleme berühren, haben die meisten weit mehr um die allgemeine Bildung und um die Umgestaltung der kirchlichen, politischen und socialen Verhältnisse, als um die Philosophie als Wissenschaft sich Verdienste erworben. Eine eingehendere Darstellung des Kampfes gegen den Despotismus in Staat und Kirche gehört mehr in die politische Geschichte und Geschichte der Litteratur und Cultur, als in die Geschichte der Philosophie. Besonders die Ausbildung des Sensualismus und des Materialismus hat philosophisches Interesse.

Nachdem Fontenelle (1657-1757) in seinen 1686 erschienenen Entretiens sur la pluralité des mondes die astronomische Doctrin des Copernicus und des Cartesius popularisirt hatte, ward für die Newton'sche Lehre das Gleiche besonders durch Voltaire (21. Nov. 1694 bis 30. Mai 1778) geleistet, der vielleicht zumeist durch die moderne Astronomie und überhaupt durch die mathematische Erkenntniss des Naturmechanismus zur Ueberzeugung von der Unhaltbarkeit der kirchlichen Dogmatik geführt wurde und sich deren Sturz zur Lebensaufgabe setzte. Die streng wissenschaftliche Widerlegung der Cartesianischen und Begründung. der Newton'schen Doctrin hat in Frankreich vor Allen Pierre Moreau de Maupertuis (1698-1759, seit 1746 Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften) geleistet, der 1732 der Pariser Akademie seine Denkschriften: Sur les lois de l'attraction und Discours sur la figure des astres einreichte und bei der zum Behuf der Lösung der Streitfrage über die Figur der Erde 1736 unternommenen Gradmessung die Expedition nach Lappland leitete, wobei ihm namentlich Clairaut zur Seite stand; später hat Maupertuis einen Essai de philosophie morale, 1749, und ein Système de la nature, 1751, Essai de cosmologie, Dresden 1752, verfasst. Die Beziehungen der astronomischen Theorie aber zu der gesammten Weltanschauung hat vornehmlich Voltaire den Gebildeten zum Bewusstsein zu bringen gesucht. In den Jahren 1726-29 hielt sich Voltaire in London auf (wo er seinen Namen Arouet in Voltaire, ein Anagramm von Arouet 1. j., d. h. Arouet le jeune, umänderte). Die mathematische Physik und Astronomie erfreute sich damals des lebendigen Interesses der Gebildeten. In einem 1728 geschriebenen Briefe sagt Voltaire: Wenn ein Franzose in London ankommt, so findet er einen sehr grossen Unterschied, in der Philosophie sowohl, als in den meisten andern Dingen. In Paris verliess er die Welt ganz voll von Materie; hier findet er völlig leere Räume. In Paris sieht man das Universum mit lauter ätherischen Wirbeln besetzt, während hier in demselben Raum die unsichtbaren Kräfte der Gravitation ihr Spiel treiben. In Paris malt man uns die Erde länglich wie ein Ei, und in London ist sie abgeplattet wie eine Melone. In Paris macht der Druck des Mondes die Ebbe und Fluth; in England gravitirt vielmehr das Meer gegen den Mond, so dass, wenn die Pariser von dem Monde eben Hochwasser verlangen, die Herren in London zu derselben Zeit Ebbe haben wollen." Die Lettres sur les Anglais, 1728 verfasst, wurden zuerst in London veröffentlicht; in Frankreich erschienen dieselben 1734. Im Jahr 1738 veröffentlichte Voltaire zu Amsterdam die Elements de la philosophie de Newton, mis à la portée de tout le monde, die in Frankreich erst 1741 erschienen, weil anfangs der Cartesianisch gesinnte Censor d'Aguesseau der, wie er meinte, unpatriotischen und unvernünftigen Schrift die Druckerlaubniss versagte; daran schloss sich die

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Schrift: la métaphysique de Newton ou parallèle des sentiments de Newton et de Leibnitz, Amst. 1740. Aber nicht bloss die Naturlehre, sondern auch die politischen Einrichtungen der Engländer zogen Voltaire an; schon vorher kirchlichem und bürgerlichem Despotismus feind, bildete er besonders durch den Aufenthalt in England seine politischen Anschauungen bestimmter aus. Er sagt: la liberté consiste à ne dépendre que des lois. Gleichheit ist nicht schlechthin, sondern nur als Gleichheit vor dem Gesetz möglich. In die Geschichtsschreibung hat Voltaire die durchgängige Mitberücksichtigung der Sitten und Bildung der Völker eingeführt. In der Erkenntnisslehre, Psychologie, Ethik und Theologie schloss sich Voltaire zumeist an Locke an, dessen Lehre von der Seele sich zu der des Descartes und des Malebranche verhalte wie die Geschichte zum Roman. Voltaire nennt Locke einen bescheidenen Mann, von mässigem aber solidem Besitz; er sagt (in der 1767 geschriebenen Abhandlung: Le philosophe ignorant): „après tant de courses malheureuses, fatigué, harassé, honteux d'avoir cherché tant de vérités et trouvé tant de chimères, je suis revenu à Locke comme l'enfant prodigue qui retourne chez son père, je me suis rejeté entre les bras d'un homme modeste qui ne feint jamais de savoir ce qu'il ne sait pas, qui, à la vérité, ne possède pas des richesses immenses, mais dont les fonds sont bien assurés et qui jouit du bien le plus solide sans aucune ostentation". Voltaire betont stärker, als Locke, die Möglichkeit der Annahme, dass die Materie denken könne. Er kann sich nicht überzeugen, dass eine unräumliche Substanz wie ein kleiner Gott inmitten des Gehirns wohne, und ist geneigt, die substantielle Seele für eine „abstraction réalisée" zu halten, gleich der antiken Göttin Memoria oder gleich einer etwaigen Personification der blutbildenden Kraft. Alle unsere Vorstellungen stammen aus den Sinnen. Voltaire sagt (Lettre XIII. sur les Anglais): Personne ne me fera jamais croire que je pense toujours, et je ne suis pas plus disposé que Locke à imaginer que, quelques semaines après ma conception, j'étais une âme fort savante, sachant alors mille choses que j'ai oubliées en naissant et ayant fort inutilement possédé dans l'utérus des connaissances qui m'ont échappé dès que j'ai pu en avoir besoin et que je n'ai jamais bien pu reprendre depuis". Doch erkennt Voltaire an, dass gewisse Ideen, insbesondere die moralischen, obschon sie nicht angeboren sind, mit Nothwendigkeit aus der menschlichen Natur herfliessen und nicht bloss conventionelle Geltung haben. Das Dasein Gottes hält Voltaire mit Locke für beweisbar (durch das kosmologische und besonders durch das teleologische Argument); zugleich aber findet er in dem Glauben an einen belohnenden und rächenden Gott eine nothwendige Stütze der moralischen Ordnung; er sagt in diesem Sinne: „si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer, mais toute la nature nous crie qu'il existe". Die Leibnitzische Lehre, dass die bestehende Welt die beste unter allen möglichen Welten sei, persiflirt Voltaire in der (zuerst 1757 erschienenen) Schrift: Candide ou sur l'Optimisme, obschon er früher selbst der optimistischen Ansicht sich zugewandt hatte; er hält das Problem, wie das Uebel in der Welt mit Gottes Güte, Weisheit und Macht zu vereinigen sei, für unlösbar, hofft auf den Fortschritt zum Besseren, und fordert, dass wir vielmehr im Handeln, als in undurchführbarer Speculation unsere Befriedigung suchen ; er will im Collisionsfalle lieber Gottes Macht, als Gottes Güte beschränkt denken. Voltaire hat in seiner früheren Zeit die Willensfreiheit im Sinne des Indeterminismus behauptet, später jedoch die Gründe für den Determinismus als unabweisbar anerkannt.

Charles de Sécondat, baron de la Brède et de Montesquieu, geb. 18. Jan. 1689 zu Brède, gest. 20. Febr. 1755 zu Paris, hat bereits in den Lettres persanes, Paris 1721, den Absolutismus in Staat und Kirche bekämpft, dann in den Con

sidérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence, Paris 1734, gezeigt, dass nicht sowohl der Zufall einzelner Siege oder Niederlagen, als vielmehr die Macht der Gesinnung, die Liebe zur Freiheit, zur Arbeit und zum Vaterland das Geschick der Staaten und Völker bedinge, endlich in seinem Hauptwerke, dem Esprit des lois, Genf 1748 u. ö., die Grundlagen, Bedingungen und Bürgschaften der politischen Freiheit untersucht. In der ersten Schrift, vor seinem Aufenthalt in England (1728-29), erscheint ihm die Staatsform der Schweiz und der Niederlande, in den späteren Schriften aber, besonders im Esprit des lois, die englische Verfassung als die vorzüglichste unter den bestehenden. Montesquieu hat in dem Esprit des lois aus der concreten Form des englischen Staates den abstracten Schematismus der constitutionellen Monarchie entnommen und sich dadurch um die Theorie und Praxis des modernen Staates einerseits ein grosses und unbestreitbares Verdienst erworben, andererseits aber auch, obschon er principiell die Verschiedenheit der Verfassungen nach der Verschiedenheit des Geistes der Nationen fordert (,,le gouvernement le plus conforme à la nature est celui dont la disposition particulière se rapporte mieux à la disposition du peuple pour lequel il est établi"), doch thatsächlich dazu Anlass gegeben, Einrichtungen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen zweckmässig sind (wie die völlige Trennung der gesetzgebenden, vollziehenden und richterlichen Gewalt, die Sonderung der aristokratischen und demokratischen Elemente in ein Ober- und Unterhaus, die sich gegenseitig durch ihr Veto binden sollen, freilich auch leicht lähmen können) als allgemeingültige Normen eines geordneten und freien Staatslebens anzusehen und auf Verhältnisse zu übertragen, unter welchen sie nur zu unheilbaren Conflicten, zu unheilvoller Verwechslung juridischer Fictionen mit Thatsachen, zur Stockung der Gesetzgebung, zur Lockerung der Rechtssicherheit und zur Gefährdung der Existenz des Staates selbst zu führen vermochten.

Den Ursprung der Kunst sucht Jean Baptiste Dubos (geb. 1670 zu Beauvais, gest. zu Paris 1742) in seinen Reflexions critiques sur la poésie, la peinture et la musique, Par. 1719 u. ö., in dem Bedürfniss einer solchen Anregung der Affecte, welche von den Inconvenienzen, die sich im wirklichen Leben daran knüpfen, getrennt sei. L'art ne pourrait-il pas trouver le moyen de séparer les mauvaises suites de la plupart des passions d'avec ce qu'elles ont d'agréable? la poésie et la peinture en sont venues à bout." Dass die Aufgabe der Kunst in einer Erhebung über die gemeine Wirklichkeit durch Nachahmung der schönen Natur liege, lehrt Charles Batteux (1713-1780; les beaux arts réduits à un même principe, Par. 1746), ohne jedoch den Begriff des Schönen genügend zu bestimmen.

Jean Jaques Rousseau (geb. zu Genf 1712, gest. 1778 zu Ermenonville) sucht den Uebeln einer entarteten Cultur, die er tief empfindet, aber nicht durch positiven Fortschritt zu überwinden weiss, durch Rückgang auf einen erträumten Naturzustand zu entgehen. Für geschichtliche Entwicklung hat unter den Koryphäen der Aufklärung im achtzehnten Jahrhundert Rousseau am wenigsten Verständniss. Rousseau's politisches Ideal ist die Freiheit und Gleichheit der reinen Demokratie. Der Vernunftglaube an Gott, Tugend und Unsterblichkeit ist ihm um so mehr Gemüthsbedürfniss, je weniger die sittlichen Ideen seinen Willen beherrschen; er bezeugt diesen Glauben am eifrigsten nach dem ersten Hervortreten des Materialismus und Pantheismus Diderot's und anderer Encyclopädisten, wogegen Holbach's atheistisches Natursystem erst nach Rousseau's Schriften und im Gegensatz zu denselben erschienen ist. Rousseau war eine eitle und calumniatorische Natur; er hat seine moralische Misère rhetorisch herauszuputzen und die Personen, welche das Unglück hatten, mit ihm in nähere Berührung zu kommen,

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