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renden Exponenten unserer Predigtwirksamkeit werden nur dadurch von innen heraus überwunden, daß wir von seinem Sinn und Geist durchdrungen und gesättigt werden. Dies gilt besonders nach drei Nichtungen:

Wir brauchen 1) mehr Wirklichkeit (indem wir uns subjektiv wie objektiv mehr auf den Boden der Erfahrung stellen).

2) Mehr Natürlichkeit (nicht nur im Gegensaß zur Steifheit und Gezwungenheit, sondern auch zur Geseßlichkeit und Gewaltsamkeit, bez. Mache). 3) Mehr Persönlichkeit (sowohl im Sein als im Reden).

Moderne Theologie 1).

Von

Pastor K. W. Feyerabend

zu Dubena in Deutsch-Rußland.

Seit einiger Zeit schwirrt die Bezeichnung moderne Theologie durch alle Tageszeitungen, ein Pendant auf religiösem und kirchlichem Gebiet signalisierend zu Erscheinungen auf allen möglichen anderen Gebieten, ein Pendant zu Anschauungen, Bestrebungen, Richtungen, die, wie heterogen sonst, in dem einen sich bereit

1) Den Gegenstand der vorliegenden Abhandlung habe ich bereits im Herbst 1902 den versammelten Predigern des Kurländischen Konsistorialbezirks vorgetragen, mit der Absicht und dem Zwecke, den Amtsbrüdern die Beweggründe und die Ziele in den Bestrebungen der neuesten Entwicklungsphase der evangelischen Theologie vorzuführen, zur Prüfung und zur ernsten Erwägung anzuregen. Der Versuch mißlang vollständig. Die Mehrheit sah darin nur ein Attentat auf ihre Glaubensstellung, das mit Protest zurückzuweisen sei. Da= durch wurde eine sachlich ganz unberechtigte Sensation erregt, die namentlich dort, wo man sich auf Berichte zweiter und dritter Hand angewiesen sah, völlig ungeheuerliche Gerüchte über das Geschehene zur Folge hatte. Es liegt ebenso im Interesse der Sache wie meiner und schließlich aller, daß authentisch festgestellt wird, was damals verlautbart worden ist. Leider war der Vortrag, da nicht vorhergesehen werden konnte, daß er eine solche Wichtigkeit zu erlangen imstande wäre, nicht für die Veröffentlichung berechnet, und er entzieht sich ihr aus mehrfachen Gründen. Aber der vorliegende Aufsag bietet in anderer Umrahmung und sonstiger formeller Umgestaltung das Sachliche in jenem Vortrage im ganzen unverkürzt und unverändert. Der Verfasser.

Nachschrift der Redaktion: Der folgende Aufsaß, der in der baltischen Monatsschrift bereits gedruckt war, hat infolge Verbots der Zensur dort nicht veröffentlicht werden können.

Zeitschrift für Theologie und Kirche. 14. Jahrg., 2. Heft.

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willig zusammenfinden, daß sie vor allem „modern" sein wollen. Die Bezeichnung hat sich in allen Symptomen schnell zu der unheimlichen Macht eines Schlagworts ausgewachsen, die Paroxysmen entgegengesetter Art erzeugt, die einen schwärmen macht in Entzücken, die andern erregt zu zornigem Widerspruch. Der Höhepunkt der Leidenschaftlichkeit wird natürlich wie billig auf dem Gebiete religiöser Fragen erklommen werden, wenn sich erst die Meinungsverschiedenheit darüber, ob die Forderung eines modernen Christentums und einer modernen Theologie berechtigt" sei oder nicht, schärfer zuspißt und für weitere Kreise von Bedeutung wird. Leider pflegen Klarheit der Einsicht und Umsichtigkeit der Erwägung im umgekehrten Verhältnis zu dem aufgewandten Eifer der Kampffertigkeit zu stehen. Man erhigt sich für das Moderne und erbost sich dagegen, ohne recht zu wissen, was es im tiefsten Grunde um das Moderne sei. Bleiben wir auf unserem Gebiete, so hieße es vor allem einmal der Frage auf den Grund sehen: was ist moderne Theologie? Da sind nun manche mit der Antwort schnell bei der Hand. Moderne Theologie das bedeutet ihnen die Theologie nach der neuesten TagesUnd da Moden bekanntlich sehr schnell wechseln, so ist dieser Auffassung vom Modernen der ephemere Charakter der mo dern genannten Theologie zweifellos. Freilich wenn man sich an die Etymologie und den ursprünglichen Sprachgebrauch des Wortes modern halten will, so hätte ja die angeführte Meinung nicht so Unrecht. Allein wenn man nicht an der Oberfläche der Erscheinung kleben bleiben und sich mit einer Karikatur begnügen will, wird es doch gelten etwas weiter auszuholen und mehr in den Kern der Sache einzudringen. Ist es wirklich möglich und tunlich das überall aufflackernde Streben nach dem, was wenig schön und ausreichend modern genannt wird, kurzerhand als eine Modetorheit, wie ja deren unsere Zeit tatsächlich viele zeigt, nur so abzuschütteln? Dazu ist es doch zu umfassend, zu tiefgehend und tritt mit zu bedeutenden Leistungen auf den Plan. Was ein ganzes Zeitalter derartig bewegt, alles Hergebrachte umpflügt und selbst die Widerstrebenden in seinen Bann zieht, indem es sie zur Auseinandersetzung mit sich zwingt, das kann nicht etwas zufällig

Auftauchendes und flüchtig wieder Verschwindendes sein. Seine Wurzel muß tief reichen und mit dem Lebensgrunde selbst irgendwie in Zusammenhang stehen. Das bewährt sich auch an der neuen Theologie. A. Ritschl hat sie ja nicht erst aufgebracht. War denn die sg. negativ-kritische, oder die spekulative Theologie nicht in ihrer Art modern? Und Schleiermacher, der Vater aller seitherigen Theologie? Und die Aufklärungstheologen? Luther war in vielen Stücken ein mittelalterlich denkender und empfin dender Mensch. Aber in seinen eigentümlichsten und bleibendsten Konzeptionen pulsiert das Herz einer neuen Zeit. Ja noch weiter dürfen wir zurückschauen. Selbst ein Mann wie der Kirchenvater Augustin hat Töne gefunden, die der Tiefe des Geistes entstammen, wie er in dem Menschen der Gegenwart webt. Von da aber sehen wir uns alsbald noch weiter zurückgeführt auf Paulus, den großen Missionar der Heidenwelt, und stehen dabei schon in den Anfängen des Christentums. Wie verhält es sich mit dieser größten Erscheinung der Menschheitsgeschichte? Gehört sie nicht am Ende selbst auf die Seite des Modernen? Darüber kann gar kein Zweifel sein, wenn wir das Moderne nunmehr als den Gegensatz zur Antike verstehen lernen. Das Christentum selbst ist die Grundlage, oder besser ausgedrückt: die Wurzel des Modernen. Aus ihm stammt als frischer Trieb alles Lebensvolle bis herab auf die Theologie, die im Augenblicke modern genannt wird, im Grunde aber nicht isoliert für sich dasteht, sondern nur das zur Zeit jüngste Glied in einem organisch erwachsenen Gebilde darstellt, worin die Wurzel ihre Lebenskraft am energischsten zum Ausdruck bringt. Das sind freilich Behaup tungen, denen es zunächst an mehr oder weniger erregtem Widerspruch nicht fehlen wird. Der Beweis kann erst am Schluß als beigebracht erachtet werden. Mögen es also bis dahin nur Thesen. sein, die wir aufstellen. Soviel werden doch auch die Gegner nicht in Abrede stellen, daß das Christentum im Innersten einen Gegensatz zur Antike bildet, wenn es auch nach seiner Urgestalt feineswegs unvermittelt und unvorbereitet in die Welt getreten ist, noch auch ganz unverflochten mit charakteristischen Elementen der Antike geblieben ist.

Fragen wir nun: worin besteht der Gegensah des Christentums und der Antike?

Er betrifft das Lezte und Höchste, was es für das denkende Bewußtsein gibt: Natur und Geist, Naturdasein und persönliches Leben, worin der persönliche Geist sich über die Natur erhebt und ihrer mächtig fühlt. Der antiken Welt fließt beides ganz und gar durcheinander, in welchem Maße, das können wir uns am kürzesten und einfachsten durch Auffrischung einer Schulerinnerung deutlich veranschaulichen. Wir brauchen nur an Ovids Metamorphosen zu denken und es steht uns vor Augen, wie einerseits Wasser und Fels, Baum und Tier uns aus persönlichen Zügen anblicken, und andererseits ursprünglich persönliches Leben fortwährend in bloßes Naturdasein übergeht. Es wogt förmlich durcheinander ohne bestimmte, feste Grenze. Dementsprechend gestaltet sich auch die Anschauung von der Gottheit. Die Natur ist nicht nur der Gottheit lebendiges Kleid", sondern geradezu der eigentliche Urgrund, woraus erst das persönlich geistige Wesen der Gottheit erwächst, soweit davon überhaupt die Rede ist; denn bei der herrschenden Grundanschauung kann es nicht befremden, daß eine schillernde Unbestimmtheit unüberwindbar bleibt. Die Gottheiten lassen sich von ihrem Element nicht loslösen, und der antike Mensch hat auch gar kein ernstliches Bedürfnis dafür. Selbst in der geläuterten Gottesidee, die die Philosophie erarbeitet hat, bleibt bei aller Sublimierung durch den Prozeß des reinen Denkens gewissermaßen ein unentfernbarer Bodensaz, ein Naturrest, eine Art von Erdenschwere trotz aller Erhabenheit über die Welt bis zur Gleichgültigkeit gegen sie.

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Welchen Wandel hat nun hierin das Christentum geschaffen? Zunächst sei negativ festgestellt, daß der Wandel nicht etwa bewirkt ist durch eine Art von philosophischer Kritik an der früher herrschenden Welt- und Gottesanschauung. Nicht aus verstandesmäßiger Reflexion ist der Umschwung hervorgegangen. Seine Quelle ist vielmehr das, was man subjektiv angesehen religiöses Bewußtsein, objektiv genommen Offenbarung nennen muß. Auf dem Zusammenschluß beider ruht das religiöse Erlebnis, das in der Geschichte der Menschheit zu einem neuen Ausgangspunkte

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