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gungsgründe, zur Seite gehen, bedarf keiner weitläufigen Ausführung. Doch ist es nicht überflüssig und nicht unwesentlich, auf die Gefahr hinzuweisen, die so naheliegt: der Christus consolator wird oft verzeichnet und Jesus zum Tröster im gewöhnlichen landläufigen Sinne des Worts in und gegenüber den Nebeln und Leiden in der Welt gemacht. Die Richtigstellung dieser Auffassung und die richtige Verwertung der Trostgedanken aber gewinnt man unschwer, wenn man den Zentralgedanken des Reiches Gottes zum beherrschenden Gesichtspunkt nimmt, und zwar in der ganzen Fülle seiner Beziehungen. Nach zwei Seiten hin überbietet dieses höchste Quietiv das gewöhnliche Niveau der Trostgedanken, worauf die Menschen Anspruch zu machen pflegen. Einerseits hat es Jesus nicht nötig, viele Worte des Zuspruchs und Trostgründe gegenüber den gegebenen Uebeln und Schmerzen des Daseins einschließlich des Todesloses aufzuwenden, aus dem einfachen Grunde, weil er über die Tatensprache verfügte und mit der siegreichen Hilfe auf den Plan trat. Es ist uns hiemit ein Wink gegeben, wiefern wir in den vielberufenen und verrufenen Versuchen der Gebets- und Krankenheilungen unserer Zeit nur eine Karikatur von ursprünglich berechtigten, d. h. in dem vollen Evangelium vom Reiche Gottes begründeten Gedanken und Postulaten (vgl. Matth. 4 12 ff.) zu sehen haben. Man darf auch, ohne der Gefahr der Schwärmerei sich auszusehen, gerade im Gegensatz gegen die oft so weichlichen, dem Gedanken des ewigen Lebens im Sinne Jesu so ganz und gar nicht nach Inhalt und Umfang gerecht werdenden Stimmen des Trostes an den Gräbern" der Christen eine wichtige Erinnerung, die Lhotky in seinem Buche „Leben und Wahrheit“ (2. Aufl. S. 133 ff.) gibt, nicht von der Hand weisen, wenn er u. a. sagt: „Unter uns gibts Millionen, die dem Tode ungemessenes Recht zusprechen, sogar eine gewisse Verehrung zollen. Ja das Schmerzlichste ist eigentlich, daß sogar das ganze Tun Jesu Christi, den man als Auferstandenen, also doch Besieger unseres Erbfeindes, des Todes preist, in dem Denken vieler Menschen darin aufgeht, in das einmal unvermeidliche Todesschicksal eine freundliche Hoffnung eingewoben zu haben oder eine Möglichkeit ruhig zu sterben geschaffen

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zu haben, wenn auch in sehr beschränktem Umfange. Die Sache Jesu Christi eine Sterbegelegenheit! O du schwarze Nacht der Finsternis!... Jesus ist das Leben und hat mit dem Tode schlechthin keine Gemeinschaft" 2c.

Behält man die ganze Fülle des Begriffs des Reiches Gottes oder er Gottesherrschaft im Auge, so wird auch nach einer a nderen Seite hin verständlich, wie sehr die Trostgedanken Jesu die gewöhnlichen Bedürfnisse überragen: sie nehmen überwiegend eine andere Frontstellung ein, als diejenige gegenüber den Uebeln des Daseins und richten sich in erster Linie gegen die Not der Sünde und der Schuld, von der der Mensch durch die Vergebung und die Kindesstellung zu Gott befreit wird der ganze Mensch ist auf eine neue Stufe des Lebens versezt ebendarum auch gegen

die Last der gesetzlichen Frömmigkeit (Matth. 11 Schluß) und gegen den Sorgengeist, der dem Kinde Gottes nicht mehr ansteht, ja recht verstanden zur Naturunmöglichkeit wird (Matth. 6 25 ff.: in der Frage: Seid ihr denn nicht vielmehr denn sie? sind als Subjekt nicht die Menschen schlechthin, sondern die Kinder des himmlischen Vaters zu verstehen). Ebendarum richtet sich der Trost und Zuspruch Jesu besonders häufig auf den Druck der Verfolgungsleiden, die um seinet- und um des Reiches Gottes willen seine Jünger treffen.

Es ergibt sich auch hieraus, wie im Gute des Reiches Gottes die Quietive ihre Einheit finden. Hievon gilt buchstäblich das Liederwort: „Erlang ich dies Eine, das alles ersetzt, so werd ich mit einem in allem ergött". Und ebenso ergibt sich, daß im Mittelpunkt des Trostes er selber steht, Matth. 11 28.

3. Im Anschlusse an das Gesagte bekommt darum die Frage ebensowohl ein besonderes Interesse, als eine gewisse Schwierigkeit: wie steht es mit der Persönlichkeit Jesu des Predigers selbst? Wiefern kann von deren Vorbildlichkeit für uns noch ge= sprochen werden, da er doch, was das Verhältnis seiner Persönlichkeit zu seiner Verkündigung betrifft, eine wesentliche Ausnahmsstellung einnimmt? Wenn auch von vorneherein in bezug auf dieses Verhältnis die eine Seite des Problems ausgeschaltet wer den muß, die man kurz die dogmatische nennen kann, näm

lich die Frage, in wiefern Jesus in den Inhalt des Evangeliums hineingehört, die Frage, die Paulus präzis so beantwortet (2 Kor 45):,,Nicht uns selbst verkündigen wir, sondern Christus Jesus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen"

so bleibt selbstverständlich davon unberührt die Tatsache, daß ein solidarischer Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit des Predigers und seiner Verkündigung besteht, für den das Vorbild Jesu wie kein anderes maßgebend ist. Und was in dieser Beziehung schon das Gewissen sagt, das erhebt das Wort Jesu zu voller Klarheit und Bestimmtheit: wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" Joh 20 21). Damit ist eine doppelte Voraussetzung für die richtige Ausübung des Dienstes am Evangelium festgelegt. Einmal: Seine Sache ist unsere Sache, sodann: sie muß unsere persönliche Angelegenheit sein. In dem Maße, als wir uns mit unserer Predigt identifizieren wollen und fönnen, kommen wir dem Vorbilde Jesu nach. Damit ist sicherlich nicht zu viel verlangt. Es seht nur ein Zwiefaches voraus, was die conditio sine qua non der lebendigen Predigt überhaupt ist: feste Ueberzeugung und innere Beteiligung, jenes zufolge des Grundsatzes der Wahrhaftigkeit; wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben“, dieses nach dem psychologischen Gesetz des inneren Interesses: „wir können es ja nicht unterlassen, davon zu reden, was wir gesehen und gehört haben“ oder, wie Paulus es noch stärker formuliert: „ich kann nicht anders, wehe mir, wenn ich es unterließe" (1 Kor 916). Diese Solidarität zwischen Person und Rede folgt aus der Natur der Sache. Es gibt wohl eine theologia irregenitorum, aber keine Verfündigung des Reiches Gottes seitens derer, die nicht darin sind. Das Objektive" fann man etwa darbieten ohne innere Beteiligung, z. B. die rationalen Motive oder auch das religiöse System einschließlich des eschatologischen Hintergrunds, die fides quae“, oder endlich die Historie, auch die biblische: aber das, was im Reich Gottes der Mittel- und Herzpunkt ist, die persönlichen Beziehungen und Kräfte, kann niemand weitergeben, als wer darin steht und davon bewegt wird (Röm 12). Diese Solidarität zwischen Predigt und Prediger begründet recht verstanden einen ge

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wissen character indelebilis im evangelischen Sinne des Wortes, dem gegenüber der katholische Begriff sich nur wie ein materialistisches Mißverständnis darstellt. Daran ändert auch nichts die für jeden ehrlichen Zeugen der Wahrheit schmerzliche Tatsache -die den großen Abstand zwischen dem Urbild und den Abbildern, zwischen dem Meister und den Jüngern immer neu zum Bewußtsein bringt - daß wir die Wahrheit des Evangeliums mit unserer Person nicht decken können, sondern uns umgekehrt unter ihr Gericht selber stellen müssen. „Wer dann das Leben des Lebendigen als eine Kraftwirkung im eigenen sittlichen Ringen erfahren hat und die Gabe hat, Selbstempfundenes einfach natürlich wiederzugeben, kann in prophetischer Rede anderer Gewissen aufrütteln und ein wirklicher Zeuge Christi werden". (S. Keller in „Auf dein Wort“ 1903, S. 280.)

II.

Wenn im vorstehenden stets die Voraussetzung stillschweigend festgehalten worden ist, daß unsere Predigttätigkeit die im wesentlichen homogene Fortsetzung von derjenigen Jesu selbst sein soll und kann, so bedarf nicht etwa diese Voraussetzung einer Begründung, wohl aber unsere herkömmliche Predigtweise einer sorgfältigen Prüfung und Revision ihres Betriebs: Wie stellt sie sich an dem Maßstab des Urbilds und Vorbilds gemessen dar? Sie soll Evangeliumsverkündigung sein und kann es auch sein. Sie soll es sein, denn die Predigt („praedicare“) ist ihrem Begriff nach Verkündigung von etwas neuem — und das Reich Gottes ist gegenüber dem gegebenen Natur- und Kulturzustand, auch der christlichen Atmosphäre und Sitte, in jedem Geschlechte etwas neues, ein Neuland Gottes und sie fann es sein. Denn der Rückgang zu und das Schöpfen aus der ursprünglichen Quelle ist zu jeder Zeit offen. Das Quellwasser läßt sich fassen. So gewiß es in den modernen Großstädten mit ihren Hunderttausenden möglich gemacht ist, so frisches und reines Wasser zu trinken, als wäre es aus dem Borne im Walde geschöpft, so gewiß ist uns „Spätgeborenen“ — ein relativer Begriff! — nicht zugemutet, nachdem die Quelle des Evangeliums sich zum Strome Zeitschrift für Theologie und Kirche. 14. Jahrg., 1. Heft.

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erbreitert hat, der die christliche Welt bewässert, mit fadem, abgestandenen Flußwasser unsern Durst zu stillen. Da nun aber andererseits nicht geleugnet werden kann, daß der Abstand der landläufigen Predigtweise von der Jesu ein ganz bedeutender ist, so drängt sich die Frage auf: Muß das so sein? oder genauer: wiefern ist diese Entfernung einerseits einfach geschichtlich bedingt, begreiflich und als irrelevant unbedenklich hinzunehmen? wiefern. ist sie andererseits verhängnisvoll und als Entartung zu verurteilen? Daß dieser Unterschied gemacht werden muß, ergibt sich ja für den, der die Dinge geschichtlich zu betrachten versteht, von selbst. Der Zweck dieser Untersuchung schließt nun von selbst das Eingehen auf die kirchengeschichtliche und liturgische Entwicklung des Predigtgottesdienstes" bis auf die Gegenwart und sodann auf die methodologische und technisch e Frage, wie weit die homiletische Kunst als Hilfsmittel für die Predigt des Evangeliums dienlich und notwendig sei, aus. In jener Beziehung genügt die Erinnerung daran, daß die Reformation die Predigt des göttlichen Worts so sehr in den Mittelpunkt des kirchlichen Lebens gestellt und so sehr als erstes und höchstes Gnadenmittel gewertet hat, daß „Predigt und Gotteswort" (vgl. den Katechismus Luthers) fast zu Wechselbegriffen, zu Synonymen geworden sind. Dies wäre nicht geschehen und dieses testamentarische Vermächtnis an die evangelische Kirche wäre von dieser Seite nicht ergangen, wenn nicht der Gesichtspunkt der beherrschende gewesen wäre, daß die Predigt das eigentliche Gefäß des Evangeliums, d. h. der Heilsverkündigung, sein müsse und könne. Wenn wir dieses Testament hochhalten, so ergibt sich für unsere Predigtweise der einfache Kanon: eine Predigt ist soviel wert, gerade soviel (nicht mehr und nicht weniger), als sie Gehalt an (wirklichem, echtem) Evangelium besiht. Und daraus ergibt sich weiter, daß innerhalb der evangelischen Kirche, wie auch die äußeren Formen der Predigtweise sich gegenüber ihrer anfänglichen Gestalt gewandelt haben mögen, die Kontinuität unserer Verkündigung mit dem ursprünglichen Evangelium prinzipiell gewahrt ist. - Was sodann die andere Frage, die nach dem Wert und Einflusse der Homiletik

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