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Erklärung gegen D. Walther in Rostock.

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Prof. D. Walther hat in seiner Schrift Das Erbe der Refor= mation" Heft 2 S. 23-27 einen Absatz meiner Abhandlung „Die Heilsgewißheit des evangelischen Christen“, Z. f. Th. u. K. 1903 in gröblich entstellender Weise besprochen. Ich verfolge in jener Abhandlung von Anfang bis zu Ende den ausgesprochenen Zweck zu zeigen, daß die Heilsgewißheit im Sinne Luthers als die persönliche Gewißheit einen gnädigen und verzeihenden Gott zu haben auch für den modernen Menschen das religiöse Problem ist, und daß Luthers spezifische Lösung desselben, die Begründung jener Gewißheit auf die objektive Gnadenverheißung Gottes in Christus die einzig befriedigende ist. Unter dieser Voraussetzung lediglich habe ich es als eine zu eng gewordene Schablone bezeichnet, wenn für Luther die Heilsgewißheit erstmalig so zu stande kommt, daß der unter dem Druck der Macht und Schuld der Sünde Verzweifelnde den Trost der Vergebung erfaßt und ihren Frieden erfährt. Als andere Formen ihrer Verwirklichung führe ich S. 418/419 zwei typische Fälle an. Der erste ist, daß der Mensch durch konkrete Lebenserfahrung des Elends inne wird, ohne Gott sein zu müssen in dieser Welt, und nun zur Gewißheit einen gnädigen Gott zu haben gelangt, indem Gottes Liebe ihm als das in dieser besondren Not Wirksame aufgeht; wobei ich hinzufüge: ohne Frage wird sich mit dem Druck dieser Situationen der Hilfsbedürftigkeit auch das Gefühl der durch die Sünde herbeigeführten Unwürdigkeit schärfend verbinden und die Zuversicht zu Gottes Huld darum auch die Gewißheit der Vergebung einschließen". Der zweite Fall ist der der Jugend, die keine Sorgen hat und für die das intensive Gefühl der Erlösungsbedürftigkeit nicht naturgemäß ist, besonders wenn sie nicht unter dem Druck des Gesezes, sondern in der Atmosphäre des Geistes Christi aufgewachsen ist. Für sie ist die erste Form, in der sie die Heilsgewißheit erlebt, die freudige Hingabe an das christliche Ideal als ein köstliches; in diese ist eben die persönliche Gewißheit der Huld Gottes eingeschlossen. S. 421 hebe ich

noch ausdrücklich hervor, wie all' das nichts daran ändert, daß der Grund der Heilsgewißheit die freie Gnadenverheißung Gottes in Christus ist.

Was hat nun D. Walther hieraus gemacht? Für den Saß, daß Gottes Liebe der Seele als das in der besondren Not Wirksame aufgeht, findet er zwei mögliche Deutungen. Entweder könne er sagen, daß der Mensch Gott als Urheber dieser Not erkenne. Aber wie solle er dies Tun Gottes als Liebe deuten? Das könne er erst, nach dem er durch das Leid zum Schuldbewußtsein gebracht sei und dann Vergebung erlangt habe. Oder er könne sagen, der Mensch erfahre Gottes Hilfe in seiner Not und führe diese Hilfe auf Gottes Liebe zurück. Aber eine so vermittelte Heilsgewißheit sei Einbildung, wie denn Luther von solchen rede, denen Gott heimlich feind sei, mit denen er aber handle als seien sie seine lieben Kinder. In Bezug auf die Jugend gibt er ungefähr zu, daß solch' ideales Streben der normale Weg sei um weiter zu kommen, nämlich zur Sündenerkenntnis, und um so durch den Engpaß der Gewissensschrecken erst zur Heilsgewißheit zu gelangen. Wenn ich aber meine, daß in jene Hingabe die persönliche Gewißheit der Huld Gottes schon eingeschlossen sei, so komme das leider vor; da bilde der Mensch sich ein, Gott sei ihm deshalb hold, weil er dem Ideale nachstrebe; solche auf der Selbstgerechtigkeit ruhende Heilsgewißheit sei dann die unheilvollste Selbsttäuschung.

Was ich an Walthers Verfahren, um von Einzelheiten abzusehen, unerhört finde, ist dies, daß er von den 85 Seiten meines Aufsages eine einzige herausgreift und diese, um den weiteren und näheren Zusammenhang unbekümmert nach seinem Belieben interpretiert, um sie dann zu nichte zu urteilen. Hätte er nur irgendwie beachtet, was ich immer wieder betone, daß nur die objektive Gnadenverheißung Gottes in Christus der Grund der Heilsgewißheit ist, so hätte er sicher nicht auf den Gedanken kommen können, daß ich entweder die äußere Not als solche oder die Errettung aus dieser als ihren Grund ansehe, sondern hätte daran denken müssen, daß im Licht der Liebe Gottes in Christus der innere Segen der Not verständlich wird. Vor allem aber hätte er sich nicht der empörenden Verleumdung schuldig machen können, daß ich eine Heilsgewißheit der Jugend behaupte, die auf Selbstgerechtigkeit beruhe. Ich sage, bei Beachtung meines Grundgedankens hätte er das nicht können, auch wenn meine Entgegensetzung von Druck des Geseyes und freudigem Streben nach dem Ideal als einem köstlichen ihm unverständlich blieb und auch wenn er imstande war, es zu verwechseln, daß die Gewißheit der Huld Gottes, wie ich sage, in jenem Streben

eingeschlossen, und, wie er mir nachsagt, durch das Bewußtsein um dieses begründet ist.

Aber ich habe noch eine schlimmere Erfahrung mit D. Walther gemacht. Um das Meine dazu zu tun, daß die Verbitterung der unvermeidlichen theologischen Polemik durch die öffentliche Abwehr solchen Verfahrens vermieden werde, habe ich mich brieflich an D. Walther gewandt mit der Darlegung des Tatbestands und der Anfrage, ob er nicht selbst die erforderliche Berichtigung geben wolle. Er erklärte, auf meinen Hauptvorwurf, die Ignorierung meiner These von der Begründung der Heilsgewißheit auf die objektive Gnadenverheißung, erst antworten zu können, nachdem ich ihm eine authentische Erläuterung des Absages S. 418/19 gegeben, und schlug schließlich vor, daß er zwei meiner Säße, deren Uebergehen ich ihm vorgeworfen, die aber von etwas anderm handeln, abdrucken und den Lesern das Urteil anheimgeben solle, ob und inwieweit dadurch seine Darstellung berührt werde. Der Brief, in welchem ich diesen Vorschlag als ungenügend zurückwies und die gewünschte Erläuterung gab, verzögerte sich infolge von Unwohlsein und anderem um einige Wochen. Daher verzichtete ich jezt auf eine Berichtigung durch Walther und bemerkte, daß ich sie gelegentlich selbst vornehmen wolle und hoffe durch seine nunmehrige Antwort auf meine Hauptbeschwerde in den Stand gesezt zu werden, dies ohne Schärfe zu tun. Walther antwortete mir, daß er mein Schweigen als Zustimmung deutend (!) seinen Vorschlag im Theol. Literaturblatt schon ausgeführt habe, räumte ein, in der Deutung von S. 418/419 nicht ganz (sic!) meine Meinung getroffen zu haben“, lehnte aber ein Eingehen auf meinen Brief als nuglos ab und gab die versprochene Antwort auf die Hauptbeschwerde nicht. Auf meine nochmalige Bitte, mir eine „Berichtigung ohne Schärfe durch eine briefliche Erklärung über den Punkt der objektiven Begründung der Heilsgewißheit zu geben, erfolgte die runde Weigerung: denn wir verstehen nicht dasselbe unter den unvermeidlichen Begriffen".

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Das Urteil über D. Walthers Verfahren kann ich getrost den Lesern überlassen. Für mich aber scheidet D. Walther einstweilen aus der Zahl der Gegner aus, denen gegenüber ich mich zur Beachtung und Auseinandersetzung verpflichtet fühle, weil ich in allen Differenzen und auch Mißverständnissen überzeugt sein darf, daß es ihnen um die Wahrheit zu tun ist.

J. Gottschick.

Christentum und Kampf ums Dasein.

Von

Lic. Emil Fuchs,

Repetent an der Universität Gießen.

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1. Kann „kämpfen“ christlich sein?

Obige Frage ist der Christenheit zu einer ernsten Gewissenssache gemacht worden durch mancherlei Ereignisse der letzten Jahre, wie die Greuel in Armenien und der Boerenkrieg, vor allem aber durch Naumanns Stellungnahme zu diesen Ereignissen und seine unumwundene Erklärung, daß er nichts leisten könne in der Politik, daß man überhaupt nichts leisten könne in ihr, wenn man nur nach den Prinzipien und Antrieben der Ethik des Christentums handle. (Man vergl. Asia 114. 119. D. u. K. 34)1). Nun kämpfen wir selbst in Südwestafrika solch einen Kampf. Dürfen wir das als Christen? Dürfen wir ruhig zuschauen, wenn unser Volk es tut? Müssen wir nicht abwehren?

Naumann geht von dem Gedanken aus, daß die christliche Ethik jeden Kampf ausschließt. Aber ohne Kämpfen, manchmal mitleidloses Kämpfen, ist nichts Großes durchzusetzen. Also müssen wir weiter fämpfen, aus Pflichtgefühl sogar. Wir müssen also neben der christlichen Ethik eine Weltethik haben, mit der wir die großen Ziele dieses Lebens und dieser Welt erstreben.

1) Jch citiere im folgenden D. u. K. mit Seitenzahl = Demokratie und Kaisertum. Br. mit Seitenzahl: Briefe über Religion, nach der Sonderausgabe.

Zeitschrift für Theologie und Kirche. 14. Jahrg., 6. Heft.

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Man wird nicht verkennen können, daß diese Stellungnahme Naumanns ein Stück aus der ganzen Empörung unserer Zeit gegen die Demutsethik ist, jener Empörung, die in Nietzsche ihren energischsten Ausdruck gefunden hat. Aber noch aus einem andern Grunde darf man sich nicht verführen lassen, die Sache leicht zu nehmen: Ein Pfarrer von christlichem Idealismus, christlicher Barmherzigkeit getrieben, legt sein Pfarramt nieder, wird Politiker, um besser helfen zu können und muß dann erklären, mit diesem einen Prinzip, das bisher mein Leben beherrscht hat, komme ich nicht aus, kann ich gerade das nicht ereichen, was ich ihm zu lieb erreichen möchte.

Nun kann eine nichtreligiöse Ethik das vielleicht ertragen. Aber eine Ethik, die auf Gottesglauben ruht, kann es nicht. Wenn es ein Gebiet im Leben gibt, wo wir sagen müssen, hier ist mit der christlichen Ethik nichts auszurichten, nicht das Böse zu überwinden, dann beherrscht unser Gott dieses Gebiet nicht. Die Voraussetzung jeder christlicher Lebensführung aber ist, daß Gott die Welt geschaffen hat mit dem Zweck uns darin zu einer bestimmten ethischen Gestaltung zu erziehen. Stimmt diese Voraussetzung nicht mehr, dann haben wir diesen Gott nicht mehr.

Dabei ist Naumanns Stellungnahme gar nicht auf ein Gebiet zu beschränken. Mit Recht hat Veit sofort darauf hingewiesen (Christl. Welt. 1901 Nr. 38), daß Kämpfe auch im Geschäftsleben geführt werden müssen und ein Geschäftsmann dieselben Gründe zur Emanzipation von der christlichen Ethik hat wie ein Staatsmann.

Naumann hat auch daraufhin in den Briefen über Religion diese Konsequenz gezogen:

„Das was ich als Politiker über die Stellung der Politik zum Evangelium ausgeführt habe und Ihrer Frage entsprechend ausführen mußte, ist gleichzeitig meine Antwort auf viele ähnliche Fragen. Der Jurist muß ähnlich zum Recht stehen, der Kaufmann ähnlich zum Geschäft. Und wer von allen denen, die heute erwerben, ist nicht irgendwie Kaufmann“ (Br. 50 vergl. auch 37)?

Sie haben alle neben dem Christentum noch andere ethische

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