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ihm das Geheimnis der Gotteswege werden. Denn der Kreuzestod des Gottessohnes ist entweder ein Aergernis, an dem alle Religion scheitern muß, oder er muß ein Mysterium sein, in dem der Mittelpunkt der Religion liegt. Das Neue Testament redet in tausend Bildern und Lehrformen von diesem Tode. Der Kreuzestod Jesu ist der Sieg über die Macht der Finsternis und über ihre furchtbarste Waffe. Er ist der Sieg des Guten über alle Macht des Bösen, über allen Widerstand der Welt. Er ist der Sieg des Lebens über den Tod. Er ist das Eingehen Jesu in die ganze Tiefe der Unseligkeit, welche die menschliche Sünde über die Menschen gebracht hat, und wandelt diese Unseligkeit um und macht aus der Strafe des zürnenden Richters, aus dem Fluche des Gesetzes die höchste Offenbarung der Liebe, das freiwillige, stellvertretende Leiden in Gehorsam und Glauben. Das Blut Christi ist das Bundesblut, durch das Gott mit seiner Gemeine sich zusammenschließt zu dem neuen Bunde der Kindschaft und Sündenvergebung. Das Blut Christi ist der Preis dieser Sündenvergebung, das Pfand der Vaterliebe Gottes. Es ist das Lösegeld, das Gott selbst gezahlt hat, um seine Menschheit aus den Sklavenbanden der Sündenwelt sich zum Eigentum zu gewinnen. Das Kreuz ist die Aufhebung des Gesezesfluchs, der auf der Menschheit liegt, wo sie ihrem Gott als einem zürnenden Richter gegenübersteht. Es ist die Neberwindung des Weltfürsten und seiner Mächte. Es ist auch die Entbindung Jesu selbst aus den Schranken der geschichtlichen Endlichkeit, seine Verklärung, und so die Bedingung seines himmlischen Wirkens durch seinen Geist.

In diesen und anderen Bildern und Gedankenformen hat der Glaube der Gemeine dieses Geheimnis auszudrücken versucht. Aber sie meinte damit nicht Dogmen zu formulieren, an die der Glaube gebunden wäre. Sie alle haben ihren religiösen Wert nur darin, daß sie anschaulich machen möchten, wie Jesu Leben, vor allem sein. Mittelpunkt, der Kreuzestod im Dienste des Guten, nicht bloß ein heiliges Vorbild für uns sein kann, sondern die Leistung, durch die wir unsere Christenseligkeit haben. Das, wodurch in uns selber der Widerspruch gegen Gott und die unselige Knechtsfurcht

vor ihm überwunden werden von der Allmacht der Gottesliebe, die hier offenbar wird und unsere Herzen gewinnt und uns los macht von den Banden der Welt. Das, wodurch der Fluch, der auf der Menschheit der Sünde und des Gesetzes liegt, der Tod und das Gericht, die ihr gebühren, aufgehoben und in Gnade, Segen und ewiges Leben gewandelt werden für die, welche diesem Leben glaubend angehören. Das ist das „Evangelium", das mit tausend Zungen, in tausend Gestalten in der Gemeine laut wird, und doch das eine einfache Bekenntnis bleibt, das stehen bleiben muß, ob auch Himmel und Erde und alles zusammenfalle“.

Wie sich dieses Evangelium in Formeln und Begriffe faffen läßt, das hat mit dem christlichen Glauben und der christlichen Predigt an sich nichts zu tun. Es bleibt der theologischen Arbeit überlassen. Ob sie von dem Siege über die Mächte des Bösen ausgeht oder von dem Rechtsanspruche Gottes an die Menschen, oder von seiner richterlichen Gerechtigkeit, die den Anspruch auf Strafe nicht fallen lassen darf, ob sie an die Offenbarung der Liebesmacht Gottes in dieses Menschen Werk denkt, durch welche die Uebermacht der Liebe über ihren Gegensah, des Lebens über den Tod, des Guten über die Welt sich uns fund tut, es sind alles Versuche, allerdings von sehr verschiedenem Werte, unter denen eine gesunde Theologie das auszuscheiden suchen wird, was von falsch-rechtlichen Gesichtspunkten oder von mythologischen Gedanken des Altertums darin ist. Die Gemeine aber hat von dieser Arbeit weder eine Erhöhung ihrer Glaubensgewißheit zu hoffen, noch braucht sie zu fürchten, daß ihrem Glauben dadurch ein Schaden geschehe.

Nachwort. In dem Nachlaß meines einstigen Lehrers und späteren Kollegen und Freundes Hermann Schulz fand sich der vorstehende Aufsag druckfertig vor. Aus welcher Zeit er stammt, ist nicht angegeben. Vermutlich etwa aus dem Jahr 1898. Denn die Arbeit scheint Bezug zu nehmen auf die in den Jahren vorher geführte Kontroverse über die Begründung unseres Glaubens. Es entsprach der still sinnenden Art des Heimgegangenen, daß er den Auffah nicht sogleich veröffentlichte, sondern weiterer Bearbeitung unterzog, deren Spuren das Manuskript aufweist. 'Arodavòv štɩ λaλel.

Max Reisch l e.

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Jesus als Prediger 1).

Von

J. Herzog,

Pfarrer in Gerlingen.

Der Gesichtspunkt, unter dem dieses Thema hier allein zur Besprechung kommt, ist nicht der geschichtliche, genauer der der neutestamentlichen Theologie, sondern der prinzipielle und praktische, der in der Frage gipfelt: Was können und sollen wir für unsere Predigt und ihre Gestaltung unmittelbar von Jesus lernen? Schon mit dieser Fragestellung ist eine doppelte Voraussetzung gemacht, an deren Berechtigung heutzutage kaum mehr jemand zweifelt, ein ma l die, daß Jesus als voller und ganzer Mensch auch auf die Regeln und Geseze sich angewiesen sah, nach welchen ein Mensch mit der Kraft seines Geistes durch das Werkzeug des Wortes auf den andern einwirkt, sei's durch das Zeugnis, sei's durch den Beweis, sei's durch die Behauptung, sei's durch die Mahnung. Aber es will schon in dieser Beziehung von vornherein beachtet sein, daß er nach zwei Richtungen eine Ausnahmestellung einnimmt, welche seine Vorbildlichkeit zu modifizieren, bezw. einzuschränken geeignet ist. War doch schon einerseits die Persönlich

1) Dieser Auffag wurde als Vortrag für die zweite Konferenz schwäbischer Geistlicher in Schw. Hall (7.–9. Sept. 1903) ausgearbeitet und am 8. September gehalten. Im folgenden ist er nur leise umgearbeitet, teils gekürzt, teils erweitert. Dem Vortrage lagen die Leitfäße zugrunde, die am Schlusse angefügt sind.

keit des Predigers anders als die unsrige! Er lebte, was er lehrte, er hatte nicht nur die Wahrheit, sondern er war die Wahrheit: „Das Wort (Gottes) ward Fleisch". Darum bildet die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit ein Imponderabile von der allergrößten Bedeutung. Wie seine Worte Taten waren, so waren seine Werke, sein ganzes Tun und Wesen und Wandeln ein stilles Wort.

Und damit hängt andererseits ein nicht nur formaler, sondern auch ein den Inhalt der Verkündigung betreffender Unterschied zwischen der Predigt Jesu und der unsrigen zusammen. Er selber, seine Persönlichkeit, gehörte, so tatsächlich wie ausgesprochenermaßen, in seine Verkündigung, in das Evangelium hinein. Wiefern nun in dieser doppelten Beziehung das Predigervorbild Jesus eine eigentümliche Umrahmung und insoweit Einschränkung bekommt, wird im folgenden ersichtlich werden.

Aber ist die andere Voraussetzung, auf welche die Fragestellung unseres Themas gebaut ist, ganz in Richtigkeit? Soll Jesus dem Prediger von heute ein Vorbild sein, so muß doch die Situation, darin er und darin wir stehen, und die ja Aufgabe, Zweck und Ziel der Predigt wesentlich bestimmt, sich einigermaßen entsprechen. Auf den ersten Anblick scheint im Gegenteil der Unterschied ein fundamentaler zu sein. Jesus hat mit der Botschaft vom Reiche Gottes etwas durchaus Neues gebracht und wir dagegen leben in einer christlichen Welt, die diese originalen Gedanken längst im Laufe der Zeiten in sich aufgenommen und sich assimiliert hat! Ja, so scheint es. Eine genauere, durch die Oberfläche der Dinge hindurchdringende Betrachtung und Beobachtung des Lebens belehrt uns eines anderen und führt uns die Tatsache zu Gemüte, daß wir gerade in unseren volkskirchlichen Zuständen mit dem Angebot des Evangeliums unseren Hörern gegenüber in ganz ähnlicher Lage und vor ganz ähnlichen Aufgaben stehen, wie einst Jesus mit seiner Verkündigung im Religionswesen seiner Zeit und seines Volks. Was die Hauptsache, die Predigt vom Reiche Gottes betrifft, so bedeutet dies immer und überall etwas spezifisch Neues und Ueber

ragendes gegenüber dem gegebenen Menschenleben und Weltwesen, auch dem von christlichen Gedanken gesättigten und von christlicher Erziehung gehobenen Milieu. Hilty macht einmal darauf aufmerksam („Briefe“ S. 100), daß das Evangelium das Ziel, eine neue Atmosphäre in der Welt

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im großen

zu

schaffen, nach nahezu zwei Jahrtausenden noch nicht erreicht habe: „die Atmosphäre, in der die meisten Christen leben, ist die materialistische geblieben"!

Ist dem so, so wird sich die Frage um so näher legen, ob sich nicht aus der — anscheinend uns so bekannten und vertrauten

Predigtweise Jesu Winke und Richtlinien entnehmen lassen, die uns in Stand sehen, nicht bloß „textgemäß", sondern dem Sinn und Geiste des Meisters gemäß des Predigtamts zu walten, unsere Verkündigung in die größtmögliche Aehnlichkeit und Uebereinstimmung mit der Jesu zu bringen.

Es ist vielleicht nicht schwer, zunächst einmal allgemein und formal zu bestimmen, was uns als Ziel vorschweben muß, um der Vorbildlichkeit der Predigt Jesu gerecht zu werden, aber nicht so einfach ist die Entdeckung und vollends die Aneignung und Verwertung der geheimnisvollen Kraft seiner Verkündigung. Jenes Ziel wird am fürzesten durch den Eindruck bezeichnet, den seine Hörer von seiner Predigtweise gewannen. „Das Volk entsetzte sich" (Mt. 7 28), denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat (Weizsäcker), und nicht wie ihre Schriftgelehrten". Diese Vollmacht (govia) war offenbar eine doppelte: sie war göttliche Bevollmächtigung; was er gab, war authentisch, aus erster Hand, aus der göttlichen Urquelle geschöpft im Unterschied von der abgestandenen und aufgewärmten Seelenspeise, welche die zünftigen Schriftgelehrten zu bieten vermochten. Sie war aber eben darum auch Macht und Gewalt über die Gemüter, die sie zum Gehorsam der Wahrheit verpflichtete. Es ist klar, daß diese doppelte Authentie, nicht mehr und nicht weniger, auch uns not tut und im Grunde die einzige legitime Beglaubigung unserer Predigt ist. In dem Maße, als wir sie besitzen, sind wir Prediger von Gottes Gnaden.

Unsere Aufgabe ist nun, dem Geheimnisse dieser Vollmacht

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