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der Ethikotheologie verheißt (vgl. den Anhang zur „Kritik der Urteilskraft")? Spricht er doch sogar selbst die stille Hoffnung aus, es vielleicht dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen. reinen Vernunftsvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen) bringen und alles aus einem Prinzip ableiten zu können; welches das unvermeidliche Bedürfnis der menschlichen Vernunft ist, die nur in einer vollständig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit findet“ (Kr. der pr. Vernunft ed. Kehrbach S. 110). Aber im voraus läßt sich aus Kants ganzer Arbeit entnehmen, daß diese Spekulation nicht, wie Hegel meinte, eine rein logische Entwicklung der Weltidee sein kann, sondern ein von Wertungen getragenes Weltverständnis, daß sie, mit einem Wort, eine Spekulation des Glaubens sein muß. Versuche einer solchen sind in keiner Weise zu verbieten, wenn sie sich nur klare Rechenschaft geben über die Provenienz der Positionen, von denen sie ausgehen, und sich kritisch ihrer Grenzen bewußt bleiben. Beides aber lehrt uns fein anderer so wie Kant.

3. Eine nicht geringe Zahl von Punkten hat sich uns ergeben, in denen die Theologie über Kant hinausstrebt und in denen in der Tat eine Modifikation der Kantschen Philosophie notwendig erscheint. Und doch! gerade das, was wir zuletzt besprochen, hat uns daran erinnert, wie häufig Kant selbst mit dem Reichtum seiner Gedanken, der zu groß war, um überall zur völligen Zusammenstimmung gebracht werden zu können, uns gewisse Andeutungen gibt, in welcher Richtung wir über ihn selbst hinauszugehen haben. - und in einem noch umfassenderen Sinn können wir sagen: bei aller Freiheit Kant gegenüber halten wir uns doch stets auf seinem Boden. Hätte er, in der Weise des Aristoteles, ein System der GottWelt-Philosophie entworfen, so müßten auch bei ihm den Lehren, in quibus magister tenetur, diejenigen gegenübergestellt werden, in quibus magister non tenetur. Aber Kant hat die Philosophie ausgestaltet zur kritischen Untersuchung der wesentlichen Geistesbetätigungen des Menschen, d. h. zur methodischen Arbeit. Kant wollte nicht eine Philosophie, sondern er wollte philosophieren

lehren. Darum kommt es auch weniger darauf an, daß wir einzelne Resultate seiner Philosophie annehmen und in der Theologie verwerten, als darauf, daß wir uns auf den Boden seiner Arbeitsmethode stellen. In dieser Beziehung vor allem sind wir Kantianer und dürfen sagen, daß er der magister der neueren Theologie ist, und daß ein tenere magistrum möglich ist, auch wenn man von seinen Resultaten abweicht.

Wenn aber die Philosophie in diesem Sinn verstanden wird, so ist auch klar, daß die Theologie in allewege der Philosophie bedarf. Es ist ein törichter Gedanke, wenn man meint, dieses Band könne zerschnitten werden. Es war z. B. auch ein recht borniertes Verständnis der Ritschlschen Theologie, wenn einige diese Wirkung von ihr erhofften oder fürchteten. Die systematische Theologie muß doch immer wieder Fühlung suchen mit der Gedankenwelt unserer Zeit, wie sie in der Philosophie sich wiederspiegelt. Ja mehr als das! Sie muß selbst immer wieder hinein in die philosophische Arbeit; denn ein wissenschaftliches Verständnis des christlichen Glaubens, seiner Gründe und seines Inhalts, ist nur zu gewinnen im Zusammenhang mit der methodischen Erforschung unseres Geisteslebens und seiner wesentlichen Funktionen. Eine solche Philosophie aber hat nicht διο Mrt jener φιλοσοφία καὶ κενὴ ἀπάτη, sie ihren Glauben Sem christlichen entgegenseßt, sondern sie ist eine Helferin zur klaren Erkenntnis von Art und Inhalt unseres Glaubens, eines jener Mittel, das der Christ gebrauchen darf und soll nach dem Grund[αβ: πάντα ὑμῶν.

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Die lebendige Persönlichkeit Gottes, seine Immanenz und Transzendenz als religiöses Erlebnis.

Von

Th. Steinmann,

Dozent am theol. Seminar in Gnadenfeld.

Zu den fundamentalen Vorstellungen des christlichen Glaubens gehört die Idee von Gott als lebendiger Persönlichkeit; daran kann kein Zweifel sein. Wo im Interesse der Frömmigkeit vor der modernen Wissenschaft, der profanen oder der theologischen, als vor einer glaubenzerstörenden Macht gewarnt wird, faßt sich darum auch alles Bedenken gern in den Vorwurf zusammen, diese moderne Wissenschaft raube uns den lebendigen persönlichen Gott. Entweder dränge sie ihn ganz und gar aus der Welt und unserer Erfahrung heraus; nirgends sei er mehr in seinem lebendigen persönlichen Walten gegenwärtig, und es bleibe höchstens die ganz abgeblaßte Idee einer vollständig transzendenten Wesenheit bestehen. Oder es werde die göttliche Macht so vollständig in diese Welt hineingenommen, daß sie sich mit dem wirksamen Weltganzen identifiziere; auch so aber gehe die eigenwirksame lebendige Gottpersönlichkeit verloren, der ja doch ein freies Walten in der Welt und eine die Welt transzendierende selbständige Existenz wesentlich sei. Also entweder neben der entgotteten Welt die Idee einer nur transzendenten verborgenen Macht, oder eine bis zur völligen Immanenz der Gottheit durchgottete Welt; auf keinen Fall aber eine lebendige Gottpersönlichkeit, die in ihrem innersten Bestand der Welt transzendent doch zugleich in ihr lebendig wirke und walte.

Zeitschrift für Theologie und Kirche. 14. Jahrg., 5. Heft.

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Wir halten diesen Vorwurf nicht für berechtigt. Die Ueberzeugung von Gott als einer lebendigen, in der Welt waltenden und zugleich ihren Bestand transzendierenden Persönlichkeit scheint uns durch keinerlei wissenschaftliche Aneignung der Erfahrung in Frage gestellt 1). Es kommt nur darauf an, daß man all diese eng zusammengehörigen religiösen Vorstellungen: Gottes Persönlichkeit, die Lebendigkeit seines persönlichen Waltens, seine Transzendenz und seine Immanenz richtig erfaßt. Und richtig", das soll hier nicht heißen „philosophisch richtig“ d. h. so, wie es sich von den Voraussetzungen der wissenschaftlichen Forschung aus etwa nahe legen könnte. Vielmehr meinen. wir damit theologisch richtig" d. h., wie es der religiösen Erfahrung entspricht. Das eben erscheint uns, abgesehen von mancherlei erkenntnistheoretischer Verwirrung, als die lezte Ursache der apologetischen Not, die an diesem Punkte vielfach herrscht, der Beklemmungen, die man den Resultaten der Wissenschaft gegenüber empfindet, und der verzweifelten Fechterkunststückchen, mit denen man sich zu helfen sucht: man geht von falschen dogmatischen Voraussetzungen aus. Aber auch die Glaubenslehre fordert in ihrem eigenen Interesse immer erneute Bemühungen um eine zutreffende Erfassung dieser religiösen Vorstellungen. Je gewisser es ist, daß es sich hier um zentrale Ideen der christlichen Ueberzeugung handelt, um so dringender ist diese theologische Pflicht ihrer immer klareren Erfassung. Man müßte denn annehmen, daß wir in diesem Punkte schon fertig sind und der dogmatischen Weiterarbeit nicht bedürfen. Unsere Meinung ist das nicht. Vielmehr will es uns so scheinen, als sei hier für die Dogmatik noch mancherlei zu tun. Schon die apologetische Misere, die wir soeben erwähnten, ist uns dafür Beweis genug. Die folgenden Darlegungen wollen darum versuchen, zur klareren Herausstellung jener Ideen einen Beitrag zu liefern.

1) Vgl. 12. Jahrgang dieser Zeitschrift S. 429 f.: „Das Bewußtsein der vollen Wirklichkeit Gottes". Daß keinerlei wissenschaftliche Aneignung der Erfahrung dem Gottesglauben etwas anzuhaben vermag, ist dort allerdings nicht direkt ausgeführt. Es bedürfte das ohne Zweifel weiter ausholender erkenntnistheoretischer Erwägungen. Dort seßten wir uns nur mit bestimmten Resultaten der naturwissenschaftlichen Erkenntnis auseinander.

I.

Daß Gott Persönlichkeit ist, kann in zweifacher Weise verstanden werden und wird auch tatsächlich je nach der Reife der religiösen Erkenntnis bald in diesem, bald in jenem Sinne verstanden. Oder es gehen wohl auch beide Persönlichkeitsvorstellungen durcheinander. So finden wir es vielfach im Zusammenhange der christlichen Ueberzeugung von Gott. Dabei fehlt dann leicht ein deutliches Gefühl für den prinzipiellen Unterschied der einzelnen Bestandteile der religiösen Gesamtvorstellung, und dann zugleich auch die unmittelbare Betonung desjenigen, was an der christlichen Idee der Persönlichkeit Gottes wesentlich und be= deutsam ist, im Unterschied von anderen, zugleich anders gearteten und unwesentlichen Elementen. Darin aber kommt eine gewisse Unsicherheit des christlichen Bewußtseins zum Ausdruck, sofern hier ganz gleichmäßig gewertet wird, was tatsächlich nicht nur irgendwie von einander verschieden ist, sondern ganz direkt verschiedenen Stufen des religiösen Glaubens angehört.

Der unseres Erachtens bedeutsame Unterschied, welcher hier mehr beachtet werden sollte, als es geschieht, ist derjenige zwischen einer geistigen und einer psychischen Persönlichkeits-Idee Gottes resp. einer geistigen und einer mythologisierenden Auffassung Gottes als Persönlichkeit. In doppelter Hinsicht also handelt es sich hier um einen tiefgreifenden Unterschied: einmal hinsichtlich des Inhaltes der Gottesvorstellung, sodann was die innere Art des geistigen Verhaltens betrifft, das diese Vorstellung trägt. Der inhaltlichen Differenz der Vorstellungen gaben wir soeben Ausdruck durch die Begriffe „psychische“ und „geistige" Persönlichkeit; das verschieden geartete religiöse Verhalten suchten wir gegen einander abzugrenzen durch die Bezeichnungen mythologisierend" und „geistig". Wir könnten letteren Unterschied auch kennzeichnen, indem wir mythologische Vorstellung“ und „Ueberzeugung" einander gegenüber stellten. Beide Differenzen, jene inhaltliche und diese methodische, gilt es nun in ausführlicherer Darlegung zu entwickeln.

Zunächst also: was meinen wir mit psychischer Persönlichkeitsidee und deren Anwendung auf Gott?

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