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haßt. Und Jesus spricht: kommt zu mir, werdet die Meinen. Gott will euch sein, was er mir ist. Er spricht es zu Zöllnern und Sündern. Er ladet sie ein: trotz eurer Sünden dürft ihr wie ich mitarbeiten an dem Werke Gottes, dürft mitsitzen an seinem Tische“. Wer sich im Glauben denen zugesellt, die sich von ihm einladen lassen und mitschaffen wollen an seinem Lebenswerk, der weiß, daß er wirklich mit Gott vereint ist trotz seiner Sünde, daß er in das Leben eingegangen ist, daß ihm seine Sünden vergeben sind, solange er selbst den Geist der Liebe für sein Leben anerkennt, also Genosse im Reiche Gottes bleibt. Und wenn Not und Tod die Seele bedrängen und ängstigen, als wären sie Boten des zürnenden Gottes, der uns richten will, dann tritt uns der Mann der Schmerzen entgegen. Jesus hat die ganze Schmerzenstiefe der sündigen Erde, hat auch den Tod des Kreuzes für sich und die Seinen umgewandelt zu Offenbarungen eines geheimnisvollen Liebesrates Gottes. Er hat Fluch und Gericht aus dem Leben der Seinen weggenommen. Er hat die Macht der Gnade Gottes erwiesen, die größer ist als die Sünde und die Feindschaft der Welt. Wer in Christus lebt im Glauben, wer in die in Jesus sich ihm erschließende Gemeinschaft der Liebe auf Erden eingefügt ist, dem sind die Sünden des alten Menschen vergeben; denn der alte Mensch ist ins Gericht hingegeben. Der darf freudig beten: „vergib uns unsere Schuld!". Und Tod und Not sind ihm aus Gerichten Gottes zu Gaben seiner Vaterweisheit geworden. Nur der geschichtliche Jesus, in dem Gott uns troh unserer Sünde einladet, mitzuarbeiten an seinem Werke, nur der Gefreuzigte, der den Tod überwunden hat, gibt uns wirklich eine Gewißheit der Vergebung unserer Sünde, die nicht auf den Sand unserer eigenen Gedanken gebaut ist.

19. Eine Ueberzeugung von der Ewigkeit unseres Lebens, von seiner Erhabenheit über die Vergänglichkeit des Sinnlichen, hat sich auch ohne Jesus in vielen Völkern und in der Seele vieler Denker gebildet. Und so wenig sie sich aus Erwägungen der Wissenschaft unwiderleglich begründen läßt, so entschieden spricht doch in der Seele der Edleren für sie die Erfahrung von dem über alle Maßstäbe der Sinnenwelt hinausgehenden und

auf Ewiges und Unsichtbares angelegten Leben in uns. Und die Herrschaft des Geistes über die Welt, seine Fähigkeit, die in ihm liegenden Maßstäbe des Guten und Rechten troh aller Widersprüche der Erfahrung zur Geltung zu bringen, haben die Weisen aller Völker in mannigfaltigsten Formen bekannt und gepriesen. Der Sieg des Guten über die Welt ist der alte Traum der Besten unter den Menschen.

Und doch, wenn wir uns denkend in das rasilose Spiel der Elemente versehen, aus dem das Geheimnis des Lebens immer neu geboren wird, wenn wir verstehen, wie alles Lebendige nur im Vergehen oder besser im Eingehen in neue Formen fortlebt, wo bleibt die wirkliche persönliche Gewißheit unserer Unvergänglichfeit? Wie rasch wird aus der Gewißheit Wahrscheinlichkeit, aus der Wahrscheinlichkeit Möglichkeit, aus der Möglichkeit Ungewißheit? Wer möchte auf solchen Grund das bauen, was seinem Leben Ziel und Richtung, Kraft und Freudigkeit geben soll? Und wenn wir in die Geschichte der einzelnen wie der Völker hineinschauen, woher soll uns die Gewißheit kommen, daß das Gute, zu dem unser Gewissen uns verpflichtet, wirklich stärker ist als die Welt, daß es die Macht hat, diese Welt zu beherrschen. In dem einzelnen unterliegt es doch so oft und so erschreckend den Bedingungen, die der Persönlichkeit von der Welt gestellt werden, in Lockung und Drohung. Und in der menschlichen Geschichte scheint es der rohen Gewalt, der sündigen List, den blinden Mächten des Zufalls immer aufs neue zu erliegen. Woher soll uns die unentbehrliche Freudigkeit in der Lebensarbeit und im Lebenskampfe kommen, die doch nur aus der Gewißheit entspringen kann, daß das Gute wirklich die Macht über die Welt, daß die Welt Gottes Welt" ist?

Nur der geschichtliche Jesus gibt den Seinen im Glauben diese Gewißheit. Gott stellt ihn mitten in die von der Welt und ihrem Tode beherrschte Menschheit der Adamskinder. In ihm gewinnt das Gute, der Wille Gottes, persönlich Gestalt und wird wirksam. Gott stellt ihn hinein in den Kampf gegen alles, was stark und furchtbar in dieser Welt ist. Er läßt ihn alles erfahren, was das göttliche Leben in der Seele überwinden

Zeitschrift für Theologie und Kirche. 14. Jahrg., 1. Heft.

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und sie unter die Macht der Welt beugen kann. Er läßt ihn des Todes furchtbarste Bitterfeit kosten, bettet ihn ins Verbrechergrab der Gekreuzigten. Und er bleibt in allem der Sieger, als seine Feinde über ihn zu triumphieren meinen. Er lebt, als er stirbt. Er wirkt, als er leidet. Versuchung und Todesgrauen werden ihm zu Mitteln seiner Herrschaft und Herrlichkeit. Und er ruft seinen Brüdern zu: „kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid". Wer sich von dieser Persönlichkeit im Glauben überwinden läßt, der hat damit die Gewißheit, daß er nicht der vergänglichen Welt, sondern der Ewigkeit angehört, daß der gute Gotteswille, dem er sich zu eigen gegeben hat, die Macht über die Welt ist, daß auch er in der Macht dieses guten Willens sich als ein Herr und König der Welt fühlen und Tod und Not, Freude und Lockung beherrschen darf in der Gemeinschaft dieses Menschensohnes. Nur der geschichtliche Jesus gibt die Glaubensgewißheit, die der religiösen Seligkeit des Christen zu Grunde liegt.

20. Was ist uns Jesus? Was er und er allein uns bringt, haben wir gesehen: wahre Buße, selige Gewißheit der Vergebung der Sünden, weltüberwindende Gewißheit von dem ewigen Leben in uns und von der Macht des Guten über die Wirklichkeit. Und damit wissen wir auch, was es ist, wodurch diese Persönlichkeit für uns religiös bedeutsam ist. Es kann nichts anderes sein, als eben das, worin Jesus sich als geschichtliche Persönlichkeit von einem bloßen Ideale oder von einer bloßen Lehre unterscheidet.

In einem geschichtlichen Menschen erschließt und offenbart Gott sich uns wahrhaft und vollkommen. Er verwirklicht Gottes ewigen Liebeswillen an der Menschheit der Sünder und tritt zu jedem von uns, um auch ihn zu einem seligen Gotteskinde und zum Reichsgenossen der Ewigkeit zu machen. Jesus ist Gottes persönliche Offenbarung nicht bloß einmal in der Geschichte gewesen, sondern er ist es auch für jede Seele aufs neue. er ist zugleich eine wahre geschichtliche Persönlichkeit, die sich selbst unverkennbar und unvergänglich in die Menschheit eingeprägt hat. Das ist das Geheimnis der Jesusgestalt, die den Mittelpunkt des Christenglaubens ausmacht. „Gottes Offen

Und

barung und ein wahrer Mensch." Die alte Kirche hat das verstehen wollen in der Lehre von den zwei Naturen Christi. Und die Theologie hat es immer aufs neue besser und vollständiger auszudrücken versucht. Aber was sie bekennen will und woran dem Glauben gelegen ist, das ist im Grunde doch nicht die dogmatische Theorie, sondern diese eine einfache Glaubensüberzeugung. Die gleiche einheitliche Gestalt, die uns wirkend entgegentritt, ist für den Glauben, je nachdem er sie anschaut, zugleich eine wahre geschichtliche menschliche Persönlichkeit, und die Offenbarung des Einen Gottes selbst für uns, der uns in ihr seinen wahren Willen richtend und beseligend aufschließt, und der in ihr mit uns verbunden sein will trot unserer Sünde. Mensch und Gott, Idee und Realität, Geschichtlichwerden des ewigen Gottesgedankens mit der Menschheit, das bleibt die entscheidende Glaubensbedeutung der Christologie.

Darin ist alles enthalten, was in den theologischen Lehren über Jesus und sein Werk wirklich Bedeutung für den Glauben hat, also alles, was zum Evangelium gehört und der Gemeine gepredigt werden kann und soll.

21. Jesus ist eine geschichtliche Persönlichkeit in der Menschheit, der auch wir angehören, in welcher wir des Einen wahren Gottes Selbstoffenbarung im Glauben erfassen. Wer das glaubt, für den kann diese menschliche Persönlichkeit nicht mehr ein zufälliges Ergebnis der Zeit und Geschichte sein. Er kann sie nur so verstehen, daß sie ihrem wahren Inhalte nach ewig in Gott lebt und in Gottes Gedanken als das Ziel der Menschheit der geschichtlichen Menschheit vorangeht und sie bedingt. Geschichtlich ist Jesus der zweite Adam, die Erscheinung und Verwirklichung dessen, wohin die Geschichte der natürlichen Menschheit führt. Aber in Gott muß er als der erste, der himmlische, Mensch gedacht werden, der in Gottes geistiger Welt seiner Erscheinung und Verwirklichung auf Erden harrte. Ob man sich das theologisch in der Weise des antiken Realismus als ein reales geistiges Eristieren vorstellt, oder in moderner Art als das ewige Sein der Idee in Gott, die in der Zeit verwirklicht werden soll, das ist eine Frage der Wissenschaft. Für Glau

ben und Predigt hat sie keine Bedeutung.

22. Und diese geschichtliche Persönlichkeit kann nicht aus weltlichen Bedingungen, nicht als Ergebnis der weltlich ge= richteten sündigen Menschheit verstanden werden, sondern nur aus dem Offenbarungswillen des Gottes, der sich von Ewigkeit dieses Gefäß seiner Offenbarung ersehen hat und es sich durch die geheimnisvolle Wundermacht seines schaffenden Geistes bereitet. Ein Geheimnis und ein Wunder muß diese Persönlichkeit dem Glauben sein, nicht erklärbar aus den der Erfahrung verständlichen natürlichen Bedingungen des Werdens eines Sohnes der Menschheit oder aus den Verhältnissen der Geschichte, in denen sie entstand. Ob er auch ein „Davidssohn", ein Kind Israels, nach dem Fleische, d. h. nach seinen sinnlichnatürlichen Daseinsbedingungen ist, er ist ein „Gottessohn", ein Gottes wunder, nach dem Geheimnis seines in wendigen Lebens. Ob man das in der Weise der altchristlichen Volksfrömmigkeit anschaulich als ein eigentliches Naturwunder vorstellt, bei dem die natürlichen Bedingungen des menschlichen Werdens überhaupt aufgehört haben oder doch nur teilweise übrig geblieben sind, oder als ein geistiges Wunder, in dem Gottes Schöpfermacht durch die natürlichen Faktoren hindurch und in ihnen etwas hervorgerufen hat, was für sie selbst als einzelne unmöglich gewesen wäre, das ist eine Frage der Theologie, an der weder der Glaube noch die Predigt wirkliches Interesse hat.

Jesus, als der Anfänger der neuen Menschheit, als der, dessen Gestalt uns richtet und uns mit Gott verbindet, muß in vollfommener Gemeinschaft der Liebe mit Gott und in völliger Einheit mit dem Gotteswillen in der Menschheit gedacht werden. Aber an sich folgt aus diesem Glauben nicht, daß er auch Gaben und Kräfte für alle besonderen Aufgaben des menschlichen Geistes gehabt haben müßte neben den Gaben des Propheten, oder daß er auf den Gebieten. der angewendeten Ethik auch für die Bedürfnisse und Anschauungen späterer Zeiten und Völker mustergültig zu denken sei. Er würde dadurch aufhören, ein in der Geschichte verständlicher und mit individueller Persönlichkeit ausgestatteter Mensch zu sein. — Nur

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