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dere von den gebildeten Priesterschaften der alten Kulturvölker, also in erster Linie von der Babyloniens, vertreten und von ihnen aus sozusagen als ein Element der wissenschaftlichen Bildung überall hin verbreitet worden sei. Ein an den Tag getretenes Beispiel hiefür sei die monotheistische Reform des Pharao Chuenaten um 1400, die uns belehren könne, wie die monotheistische Idee im Geheimen immer bestanden habe und an gewissen Punkten in die Oeffentlichkeit gerückt wurde. Von der babylonischen Priesterschaft aus sei die monotheistische Idee auch in den Anschauungskreis der Israeliten eingegangen; dort aber - und das sei das Auszeichnende an Israel sei diese Idee nicht Geheimbesih der Priester bezw. der Gebildeten geblieben, sondern das Fundament des Volksbewußtseins geworden. Der Kern dieser religionsgeschichtlichen Theorie liegt in der Ansicht, daß die religiöse Entwicklung Israels aus den von Babylonien her gegebenen Kräften erklärbar sei. Und dies hängt mit der allgemeinen Annahme zusammen, daß der materielle und geistige Besitz des Volkes Israel sich rein aus der Kraft der alten babylonischen Kultur herausgebildet habe. Es ist dies eine Art deistischer Weltanschauung; wie man in der älteren Theologie von einer Uroffenbarung sprach, die am Anfang alles Geschehens gegeben war und von der aus sich alles einzelne im Lauf der Menschheitsgeschichte entwickelte, so wäre hier an den Anfang des Geschehens eine Urkraft gesezt, die Urkraft der babylonischen bezw. vorderasiatischen Kultur, aus der sich alles weitere, das Leben der kleinen einzelnen Völker, in materieller und geistiger, kultureller, sittlicher und religiöser Hinsicht entfaltet hätte. Bei diesem Entfaltungsprozeß hätten dann insbesondere die sittlichen und religiösen Anschauungen das Massive, Polytheistische und Naturhafte abgestreift und sich immer mehr gereinigt bis zu der Höhe der Entwicklung, wie sie in Israel sichtbar wird. Bei dieser Theorie muß naturgemäß die Bedeutung jener Urkraft möglichst stark unterstrichen, die Originalität und Sonderart der später entstandenen Völker, wie besonders Israels, möglichst beschränkt werden, damit nichts über den Rahmen jener von Anfang gegebenen Urpotenz hinausrage.

Diese religionsgeschichtliche Theorie von der Verbreitung des Monotheismus als einer babylonischen Spekulation und von der allmählichen Entwicklung der israelitischen Religion aus der babylonischen Kultur heraus hat indes wenig Wahrscheinliches und Befriedigendes an sich. Denn einmal hat der Glaube an den Einen Gott Jahwe in Israel nicht als eine spekulative Idee priesterlicher Kreise begonnen, sondern als eine durchaus praktische Angelegenheit des religiösen Gemüts, wobei Jahwe zunächst nicht zur Welt, sondern zu Israel in Beziehung gesetzt war. Die eigentliche monotheistische Theorie, das Bewußtsein von der Weltbedeutung des früheren Volksgottes Jahwe, und damit die dogmatische Beweisführung und Polemik sind in Israel soviel wir sehen erst mit Deuterojesaia recht lebendig geworden. Sodann aber ist es unmöglich, die Religion Israels bloß als eine Fortentwicklung der babylonischen Urform zu verstehen. Gerade die genauere Kenntnis der babylonischen Kultur und Religion, die wir durch die Ausgrabungen erhielten, hat die totale Verschiedenheit der israelitischen und der babylonischen Religion klar gestellt. Wenn auch einzelne Aehnlichkeiten in Form und Inhalt da sind, der Geist beider Religionen ist ein grundfählich anderer und bewegt sich gerade in entgegengesezter Richtung, der eine in der Richtung des Vergänglichen, der andere in der Richtung des Ewigen. Erinnern wir uns noch einmal, mit welcher Ueberlegenheit der israelitische Glaube die babylonischen Urgeschichten aus dem Dunkel in seine reine Atmosphäre zwang, oder vergleichen wir die Bußpsalmen der Babylonier, das literarische Kleinod ihrer Religion, und die Bußpsalmen der Hebräer, so erkennen wir diese grundsätzliche Verschiedenheit. Und was wir in Babylonien an echter Frömmigkeit finden, sind Ausnahmen, vereinzelte Höhepunkte, Lichtblicke einzelner erleuchteter Geister, die ihr Geheimwissen für sich behielten, in eigenem Interesse oder weil die Masse unreif dafür war. Daneben breiten sich in der babylonischen Religion die blinde Vielgötterei und der Bilderdienst, die Zauberei und der unsittliche Naturdienst ungehemmt und als die wesentlichen Stücke des eigentlichen offiziellen Kultus aus. In Israel dagegen sehen wir fast von Anfang an, d. h.

von Mose bezw. Abraham an, den wirksamen Kampf zwischen den Vertretern der höheren Welt und den Vertretern des Diesseits, zwischen den Predigern der kultlosen Sittlichkeit und der opferverlangenden Priesterschaft, zwischen den Propheten und den Politikern, und diese Vertreter Gottes ziehen sich mit ihrem Glauben und Wissen nicht in die Mysterienwelt zurück, sondern sie predigen es laut auf der Gasse; sie unterliegen zwar bei Lebzeiten, aber es gelingt ihnen doch, daß das Volk im Lauf der Jahrhunderte an den Einen Gott als an den Schöpfer und Regenten der Welt glaubt, daß es seine sittlichen Geseze für selbstverständlich hält, und daß die Predigt mehr gilt als der Kultus, die Synagoge mehr als der Tempel. Und zwar haben die Vertreter der Religion und der Sittlichkeit in Israel diesen ihren Kampf zum Teil gerade im Gegensatz zu den religiösen Uebungen und Anschauungen der benachbarten babylonischen Großmacht geführt und haben ihrem Volk an diesem Gegensatz die eigene Wahrheit klar zu machen gesucht. Außerdem ist es vor allem eine Erscheinung gleich beim Eintritt der israelitischen Religion in die Welt, die diese Religion als etwas Einzigartiges aus den Religionen heraushebt, das ist die Erkenntnis von dem geschichtlichen Wesen des Jahwegottes, dessen größte Taten in der Führung seines Volkes, in dessen äußerer und innerer Organisation geschehen. Damit ist dieser Gott Israels von vornherein über die Götter der Natur hinaufgestellt und die israelitische Weltanschauung weit mehr mit geschichtlichem und sittlichem Gehalt gefüllt als die ba= bylonische, deren Kern die äußere siderische Ordnung und deren Konsequenz die Verehrung des Naturhaften gewesen ist. Und wie die Religion Israels von Haus aus den geschichtlichen Zug an sich hat, so erkennen wir in ihr auch im ganzen weiteren Verlauf das Hinstreben auf ein bestimmtes Ziel, das planmäßige Bauwerk, bei dem jede aktive Gestalt ihren bestimmten Platz hat, bei dem insbesondere jeder der prophetischen Geister zusammenwirkend seinen unentbehrlichen charakteristischen Beitrag gibt. So können wir schließlich von einem geschichtlichen Ergebnis der israelitischen Religion sprechen, sofern sie in das Christentum hinübergeführt hat, während die babylonische Religion in den Zustand

der Wüste verfiel.

Das Verständnis für den geistigen Gehalt dieser von Anfang bis zum Schluß zweckerfüllten Religion führt notwendig dazu, in ihr ein Werk Gottes zu erblicken, in viel tieferem Sinn als es von anderen Religionen gilt. Wir können es in der religiösen Geschichte Israels mit Händen greifen, wie der lebendige Gott dieses Volk vom ersten Beginn an nach den Tiefen seines Geistes für seinen gewissen Plan erzogen hat. Wir finden wohl die Spuren dieser göttlichen Erziehung auch außerhalb Israels bei anderen Völkern. Die religiösen und sittlichen Höhepunkte in dem Gang der anderen großen Völker sind auch aus Gottes unmittelbarer Kraft, so die Reform des Chuenaten in Aegypten, der die Verehrung des Einen Gottes durchzusetzen strebte und die Tempel der anderen Götter in Schutt legte, das Motto des Zaratustra in der altpersischen Religion: Arbeit des sittlichen Menschen für den Sieg des Lichtgottes, die schwungvolle Anbetung in manchen Götterhymnen der alten Babylonier und die Anfänge des Schuldbewußtseins in ihren Bußspalmen. Aber diese Erscheinungen haben den Charakter des Ausnahmsweisen an sich und stellen sich nicht in die große Linie eines geschichtlichen Plans, wie wir ihn bei Israel erkennen, sie vermögen daher auch nicht, der Religion, zu der sie gehören, in ihrer Gesamtheit den Offenbarungswert zu verleihen. In der Lebensgeschichte Israels dagegen sehen wir das einheitliche Werk Gottes: göttlich ist der köstliche Inhalt, der von Anfang an in das Gefäß Israels gefaßt war, wobei die Unscheinbarkeit des Gefäßes das Wunderhafte des Inhalts vollends erweist; gottgewirkt ist die fortlaufende Reihe religiöser Heroen, die den geistigen heiligen Gott in ihrer persönlichen Erfahrung erlebten und dieses Erlebnis zum Gemeinbesitz zu machen suchten.

Durch diese Männer ist Israel nach Gottes Ratschluß zum Volk der Religion geworden; wirklich wertvoll an Israel ist nur seine Religion und verglichen mit den übrigen Religionen als Gesamterscheinungen ist die israelitische in ihrer Gesamtheit Offenbarungsreligion. Durch eine fortdauernde, im Kampf mit dem gemeinen Menschengeist sich durchsetzende Erziehung hat Gott

dieses Werk in Israel vollbracht; diese Erziehung Gottes ist nicht in eine Urkraft oder eine Uroffenbarung beschlossen, wir denken uns Gott nicht als einen sterbenden Vater, der bei seinem Hingang den unmündigen Kindern seine Erziehungsgrundsäße hinterläßt, sondern als einen lebendigen Vater, der die Erziehung seiner Söhne beständig besorgt. Die Erziehung Gottes ist auch nicht mit dem identisch, was im Alten Testament steht; wir dürfen im Gegenteil gerade dem jüngstgeführten Streit um die babylonischen Funde dankbar sein, wenn er das Verständnis dafür verbreitert hat, daß im Buch der israelitischen Religion allerlei Menschliches und Mangelhaftes sich findet, mancher Ausspruch des jüdischen Rassengeistes, manche kindliche Gottesdarstellung, manche Verirrung ins Kleinliche und Aeußerliche, Erscheinungen, die den alten Inspirationsglauben in die Schranken seiner Berechtigung zurückweisen möchten. Israel hat späterhin seinen besonderen Beruf selber erkannt und hat sich deswegen den Erstgeborenen Gottes genannt, und obwohl auch außerhalb Israels echte Religion lebte, ist dieser Anspruch doch richtig und ist Israel doch das Volk der Religion gewesen, wie auch außerhalb Griechenlands echte Kunst war und wir doch die Griechen das Volk der Kunst nennen dürfen. Es scheint, daß die antiken Völker die Bausteine zum Fundament des geistigen Baus der Menschheit zusammentragen mußten, wobei jedes Volk seine besondere Aufgabe hatte, und es scheint, daß sie noch mehr als die Völker von heute auf diese Aufgabe beschränkt waren, um Großes in ihr zu leisten: wie die Griechen die klassische Kunst herbeibrachten, die Römer das Rechts- und Staatswesen, die Babylonier den Sinn für die gesetzmäßige Bewegung der irdischen und der himmlischen Welt, so die Israeliten die Religion. Was also Babylonien der Welt geleistet hat, das ist eben nicht die Religion, sondern das Verständnis für die zahlenmäßige Ordnung des Weltbildes; was Israel der Welt geleistet hat, liegt nicht im Gebiet der Kultur, sondern der Religion. Und wir erfahren durch einen Vergleich zwischen Babylonien und Israel, daß ein Völkchen kulturell von dem größeren Nachbarn abhängen mag und doch hinsichtlich der Religion und Sittlichkeit einen durchaus eigenen und weit bedeutenderen Weg geführt werden kann.

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