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barischer Völker, die die bestehenden Staaten über den Haufen warfen und im weiteren Verlauf die bisherige Kultur mit ihrem eigenen Wesen verschmolzen, so etwa wie die jungen Germanen der Völkerwanderung mit ihrem Erbe umgegangen sind.

Die große Kunst der alten Babylonier ist die Astronomie gewesen; sie besaßen darin ein Wissen, das schwerlich von irgend einem Volk des Altertums oder des Mittelalters erreicht wurde, und zwar scheinen schon die sumerischen Urbewohner den Grund dieses Wissens geschaffen zu haben. In einem sehr alten Buch (,,Beobachtungen des Bel", um 2000) ist niedergelegt, was diese „Weisen des Morgenlandes" im Lauf langer Jahrhunderte von dem durchsichtigen Himmel des Orients abgelesen haben. Zunächst (schon im 4. Jahrtausend) diente die Himmelsbeobachtung praktischen Zwecken und insbesondere astrologischen Interessen, und die ältesten vorhandenen Tafeln sind von Hofastrologen beschrieben, die die regelmäßige Aufgabe hatten, dem König für seine Staats- und Privataktionen den Spruch der Sterne zu vermitteln. Es darf nicht verschwiegen werden, daß diese Halbwissenschaft der Astrologie, an die sich die vielverzweigte Kunst des Wahrsagens und der Zeichendeutung hieng, einen unverhältnismäßig großen Teil der babylonischen Gelehrsamkeit in Anspruch nahm. Aber doch führte die Astrologie allmählich zu der strengen und reinen Wissenschaft der Astronomie, deren ausgebildetes System wir gegenwärtig bis etwa zum Jahr 700 vor Chr. hinauf verfolgen können. Frühe schon haben die Babylonier die Sterne zu Sternbildern gruppiert, der Himmelskreis wurde in 360 Grade geteilt, der Tierkreis und dessen Zwölfteilung reicht in seiner Entstehung wahrscheinlich über 3000 v. Chr. zurück, bildliche Darstellungen sämtlicher zwölf Tierkreisbilder finden sich schon im 12. Jahrh. v. Chr., die sieben Planeten werden aufgeführt und die Existenz einer Anzahl von Planeten- und Mondstationen ist schon in sehr alter Zeit behauptet. Besonders genau wurden die Bewegung des Mondes und der Sonne und die Finsternisse studiert; die alten Babylonier beobachteten die Perioden, nach denen die Finsternisse, die scheinbare Stellung der Planeten und die Erscheinungen im Mondlauf regelmäßig wiederkehren, sie notierten

die Kometen und Meteore, fannten die größte und die kleinste Geschwindigkeit der Sonne und des Monds, das genaue Verhältnis zwischen Mondlauf und Sonnenjahr, die Länge der verschiedenen Arten der Mondmonate; sie fixierten das Sonnenjahr auf 365 Tage und erfanden mehrerlei Schaltmethoden, um den Kalender in Ordnung zu bringen. Das Jahr wurde in zwölf Monate, der Tag in zwölf Doppelstunden, diese wieder in sechzig Teile geteilt und aus der Länge des Sonnenschattens wurde das Fortschreiten der Tageszeit und Jahreszeit kunstvoll berechnet. Dieses astrologisch-astronomische Wissen wurde an verschiedenen Astronomenschulen gelehrt, allmählich zu einer festen Terminologie ausgebildet und in ein blendend schönes System gebracht.

Wir haben es hier mit einer ganz wundersamen Kraft und Klarheit des antiken Denkens zu tun. Und vielleicht ruhte diese umfassende Himmelsbeobachtung auf einer tieferen geistigen Idee. Wenn wir den Ausführungen Wincklers folgen dürfen, so hatten die alten Babylonier eine ausgebildete Weltanschauung und diese Weltanschauung war eine religiös astronomische. Darnach äußerte sich in der Gesetzmäßigkeit der Gestirne der Wille der Gottheit, ja die göttliche Offenbarung bestand in der siderischen Ordnung. Wer in die Gesetze der Sterne eindrang, der drang in die Tiefen der Gottheit ein, und wer diese am vollkommensten kennen lernen wollte, der mußte an den Punkt zurückgehen, wo die siderische Ordnung ein für allemal festgesetzt worden war. Was im Lauf der Jahrhunderte neu sich herausstellte, war nicht eine neue Offenbarung, sondern nur ein neues Eindringen in die von Anfang an begründete Ordnung. Und weil nun weiter der Lauf der Gestirne das Leben der Welt und der Menschen bestimmte, so mußte der Glaube an die Vorherbestimmung entstehen, wonach alles von Anfang an, von der Grundlegung der Welt an, vorausbestimmt war, so sicher und gewiß wie der Gang der Gestirne selbst. Wir wissen aus der Kindheitsgeschichte Jesu, wie jene babylonischen Sternseher aus den Vorgängen am Himmel auf bedeutsame Vorgänge in der menschlichen Geschichte schlossen. Ja, man nahm an, daß die Geschichte der Erde und des Menschen nur ein Abbild der am Himmel sich abspielenden Dinge

war; dieselben Einteilungsgesetze und Verhältnisbestimmungen, die in der siderischen Region galten, fand man auch in der unteren Welt, im großen und im kleinen: die Weltperioden des Weltlaufs z. B. entsprechen den großen Schritten im Gang der Gestirne (Idee der verschiedenen Zeitalter); die Metalle haben die Farben der Planeten und stehen mit ihnen in einer geheimnisvollen Verbindung; das Verhältnis von Silber und Gold ist gleich dem Verhältnis zwischen Mondumlauf und Sonnenumlauf; die Maße und Gewichte haben ihren letzten Grund in astronomischen Erkenntnissen und das zu bewunderungswürdiger Einheit geschlossene System der Zeit- und Raummessung ist von der scheinbaren Bewegung der Sonne abgeleitet; der Mensch selbst ist nach demselben Einteilungsgesetz gegliedert, das im ganzen Weltbau herrscht, und die von seinem Körper genommenen Maßeinheiten. (Finger, Fuß, Elle) werden zu den großen Maßen des Weltalls in Beziehung gesetzt. Gewiß ist, daß die Babylonier einen merkwürdigen Sinn für die Harmonie des Weltganzen hatten und daß sie die äußeren Verhältnisse des Lebens und des Menschen nach den gleichen einfach großen Gesetzen zu ordnen suchten. Dieser Sinn war wohl das besondere Geschenk, das jenem ältesten Kulturvolk von dem Herrn der Weltgeschichte gegeben war.

Es ist im Vorhergehenden schon gesagt, daß die Messung der Zeit und des Raums auf der Astronomie ruhte. Außerdem stand die Mathematik und in mancher Hinsicht auch die Religion im Zusammenhang mit jener Mutterwissenschaft. Die Mathematik ist in Babylonien sehr alt, sie war von Haus aus ganz eine Dienerin der Himmelsberechnung und baute sich auf den Boden der göttlichen Gestirnordnung; so war auch die Zahl etwas Heiliges, weil sie im Gesetzbuch der Sternenwelt gegeben war. Die Menge der mathematischen Werke, die in den Bibliotheken sich ansammelten, beweist, mit welchem Eifer diese Wissenschaft in den Priestersschulen betrieben wurde und zu welcher Blüte sie sich in Babylonien entfaltete. Es finden sich Verzeichnisse von Quadrat und Kubikzahlen, Multiplikationstafeln nach Art unserer Logarithmentafeln, auch die Zahl für das Verhältnis der Peripherie zum Kreisdurchmesser () ist auf etwas mehr als 3 be

rechnet. Die Babylonier hatten zwei Zahlensysteme, das Dezimalsystem und das eigentlich wissenschaftliche Seragesimal- oder Duodezimalsystem mit den Grundzahlen 60 und 12, die aus der Beobachtung astronomischer Größenverhältnisse genommen wurden. Auch die Religion endlich geht auf manchen Linien gemeinsam mit der Astronomie. Die Hauptgottheiten sind die Sterngötter, mit dem Sonnengott, dem Mondgott und dem Gott der Frühlingssonne an der Spize; die Tempeltürme sind siebenstufig ge= mäß den sieben Planeten; die Mythen sind teilweise siderischen Ursprungs; die Vorstellung, daß alles in den Gestirnen vorausbestimmt sei, hat ihre religiösen Konsequenzen und die Vorstellung, daß das Jrdische ein Abbild des Himmlischen sei, ebenfalls: der Wille Gottes geschieht auf Erden wie im Himmel, der König ist der Stellvertreter der Gottheit, der Tempel entspricht dem Himmelshaus. Wenn endlich Marduk in Babylon, Jahwe in Israel wie der Apis in Aegypten in Stiergestalt verehrt wurden, so drängt sich die Vermutung auf, ob diese gleichmäßige Erscheinung nicht igendwie mit dem Vorrücken der Frühlingstag- und Nachtgleiche in das Zeichen des Stiers (vom Jahr 3000 ab), also mit einem neuen großen Schritt im Gang der Gestirnwelt und damit des ganzen Kosmos zusammenzubringen ist.

Es ist nicht von ungefähr, daß das alte babylonische Kulturvolk, das in der Astronomie vorne dran steht, auch ein auffallend entwickeltes Rechtswesen geschaffen hat; denn wie die Astronomie sich mit der Ordnung des Himmels bes schäftigt, so das Recht mit der Ordnung der Erde. Durch den vor zwei Jahren in Susa gefundenen Denkstein Hammurabis ist der babylonische Rechtsstaat vor unserem Auge wieder erstanden. Der König Hammurabi, von dem das denkwürdige Gesetz ausgegeben wurde, regierte um 2250 v. Chr.; er war der Begründer der Macht Babylons und der Einiger des babylonischen Reiches, der die Einheit seines Volkes durch das gemeinsame Gesetz befestigen wollte, sicherlich ein Mann, den die Geschichte den großen Namen des Altertums zuzuzählen hat. Die von ihm stammende Schöpfung ist nun das älteste Gesez, das wir kennen, hervorragend dadurch, daß es die einzelsten Verhältnisse des Volkslebens

mit bindender Gewalt umspannt. Es hat seine Geltung behauptet, so lange der babylonischassyrische Staat überhaupt bestand, und wir dürfen gewiß annehmen, daß sein Einfluß über Babylonien hinaus in die übrige vorderasiatische Kulturwelt hineinreichte. Seinem Inhalt nach ist es ein fast rein bürgerlicher Koder; denn außer wenigen Sähen ist das Gebiet des Kultus und des Glaubens nicht berührt, und der Gesetzgeber ist der König, der allerdings das ganze Gesetz als ein Geschenk der hohen Gottheit betrachtet wissen möchte. Der Geist des königlichen Gesetzgebers ist der des Staatssozialismus auf absolutistischer Grundlage; der mächtige Herrscher bestimmt, daß sein Wille in allem geschehe, aber er erklärt, wie ein Vater für seine Untertanen sein zu wollen und mit dem Gesetz insbesondere den Schwachen einen Schutz zu verleihen. Die Form der klar geprägten Bestimmungen ist die des typischen Falles; die Geseze erstrecken sich auf die mannigfaltigen Gebiete des privaten und des öffentlichen Lebens. Sie wollen nicht bloß ein festes Staatswesen schaffen, sie sehen vielmehr die Kulturbedingungen dazu voraus, so daß wir auch hiedurch auf einen weit vor 2250 liegenden Anfang der babylonischen Kultur zurückgeführt werden. Manche rohen Ueberreste und grausame Strafen beweisen freilich, daß der König Hammurabi die Kultur zum teil im Kampf mit der Barbarei erst durchsehen mußte. Im übrigen bekommen wir den Eindruck lebendiger Arbeit auf allen Gebieten; Handwerk, Architektur und Schiffsbau, Landwirtschaft und Waldkultur werden gehegt und gefördert, Kanalisation und Bewässerung, ohne die in Babylonien keine Kultur gedeihen konnte, stehen in besonderem Schuh: wer einen Dammriß fahrlässig verschuldet, hat das verdorbene Getreide zu ersetzen und für den angerichteten Flurschaden zu haften. Eingehend und human sind die Bestim= mungen über Kapital und Zins und über Schuldzahlung, wie 3. B. verfügt wird, daß der Schuldner in einem Jahr der Mißernte auf Aufschub seiner Zahlung Anspruch habe. In sozialer Hinsicht gliedert sich das Volk nach diesem Rechtsbuch in Sklaven, Freigelassene, Freie und fürstliche Lehensmänner; der Hof und der Tempel haben namhafte Vergünstigungen; der Kaufmann steht allem nach im Dienst des Tempels und der Priesterschaft. Die

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