Page images
PDF
EPUB

ist die spezifisch abendländische Christologie, nur wieder innerlich und geistig gefaßt, wie es bei Paulus der Fall ist, dessen Gedanken durch Augustins Vermittlung den Ausgangspunkt der abendländischen Lehre bilden.

So weit ich weiß, sind diese von mir in der Dogmatik vorgetragenen Gedanken nicht beachtet worden. Ich habe daher für richtig gehalten, auch an diesem Ort darauf zu verweisen und sie nochmals nachdrücklich zu betonen.

193

Was wir von den babylonischen Ausgrabungen lernen.

Von

lic. theol. P. Volz, Stadtpfarrer.

Die Babylonologie hat eine mächtige Flut erlebt und ist nun im Begriff sich wieder zu beruhigen. Es war, wie wenn die Unzahl der ausgegrabenen Funde, das Kolossale der babylonischen Denkmäler, die Riesenhaftigkeit der Ruinenhügel das maßvolle Denken der Forscher verwirrt hätten, wie wenn der babylonischassyrische Geist selbst, der Geist der Quantität, des Massenhaften, sich wieder erhoben hätte, um alles, auch den Sinn für die inneren Werte und für die unsichtbaren Größen zu verschlingen. Die Erreger der Flut sind vor allem Winckler und Delitzsch gewesen; daß sie eine Flut erregen konnten, beweist für ihre wissenschaftliche Bedeutung. Die beiden haben indes in ganz verschiedener Weise getrieben und übertrieben. Winckler hat uns das Auge geöffnet für die große Kulturmacht Babyloniens und für die kulturellpolitische Verschlungenheit des winzigen Israels mit der damaligen Weltbeherrscherin; er hat darin übertrieben, daß er neben dem babylonischen Ungeheuer nirgends mehr selbständiges Leben sehen wollte und insbesondere die religiösen Bewegungen in Israel mit dem reinmenschlichen, ja mit dem politischen Maße gemessen hat. Delitzsch hat die weite Welt auf die Abhängigkeit biblischer Stoffe von Babylonien aufmerksam gemacht und hat es laut ausgesprochen, daß in der Bibel rein menschliche Bestandteile liegen; er hat darin übertrieben, daß er

Zeitschrift für Theologie und Kirche. 14. Jahrg., Heft. 3.

14

den Geist des Alten Testaments für babylonisch erklärte.

Soviel nun auch von den Uebertreibungen gestrichen werden. muß, es bleibt noch genug übrig, was wir von den babylonischen Ausgrabungen zu lernen haben. Nicht bloß der Alttestamentler, der Religionsgeschichtler und der Freund der Bibel, sondern ebenso der Erforscher der Kultur, der Geschichte und des Rechts, ja der heutige Mensch überhaupt hat die babylonischen Funde mit Freude begrüßt und mit Eifer betrachtet. Das Folgende versucht die Hauptsachen davon, ohne Anspruch auf Selbständigkeit, zusammenzustellen.

Die Ausgrabungen sind ein Kind der neueren Zeit, denn sie sehen die heutigen weltumspannenden Verkehrsmittel und das Interesse für die Geschichte fremder Völker voraus; sie sehen außerdem voraus, daß die Staaten Europas den ewigen Krieg unter sich begruben und sich der großen Kulturaufgabe zuwandten, auch in den andern Erdteilen die europäische Fahne aufzustecken. Die babylonischen Ausgrabungen, begründet durch das wissenschaftliche Interesse zweier in Mesopotamien stationierten Ge= sandten, beginnen mit den Anfängen des 19. Jahrhunderts, und die ersten Nationen, die sich an der Grabarbeit beteiligten, waren die Engländer und die Franzosen. Die Hauptfunde sind im Lauf der Zeit folgende gewesen: um 1850 fiel es den Engländern zu, die große Stadt Ninive aus den Trümmerhügeln gegenüber von Mosul (Kujundschik) hervorzuholen; eine herrliche Sammlung von dort füllt einen ganzen Flügel und viele Wände im britischen Museum; dabei wurde die Bibliothek des kunst- und literaturliebenden Assyrerkönigs Assurbanipal (Sardanapal) entdeckt, unter anderem die keilinschriftlichen Berichte der Schöpfung und der Sintflut, die dieser Bibliothek einverleibt waren. Die Franzosen sodann haben von dem südbabylonischen Hügel Tello köstliche Kunstdenkmäler des 3. Jahrtausends und aus dem persischen Susa überraschende babylonische Funde, vor allem in jüngster Zeit den Koder Hammurabi in den Louvre geführt. Dann sind auch die Amerikaner auf den Plan getreten, die Universität von Pennsylvanien hat mit amerikanisch reichen Mitteln bei der uralten Stadt Nippur eine mächtige Tempelanlage und eine reiche

Tempelliteratur zu Tag gefördert. Ganz spät, nachdem die Teilung fast geschehen, kam auch der Deutsche; zu dem großen Kulturaufschwung, der dem Krieg von 1870 folgte, gehörte die Gründung einer deutschen Orientgesellschaft, die hauptsächlich auf dem Stadtgebiet der Stadt Babel selbst arbeitet und für die Delitzsch mit seinen Vorträgen werben wollte. Im Berliner Museum befindet sich außerdem der größte Teil des wichtigen Fundes von dem ägyptischen Tel el Amarna (1888), Bestandteile eines pharaonischen Archivs, das einige zwischen zwei Pharaonen und zwei babylonischen Monarchen (um 1400) gewechselte Schreiben und eine Menge Briefe von assyrischen, mesopotamischen, cyprischen Königen und von phönizischen und kanaanäischen Vasallenfürsten an den Pharao enthält; merkwürdigerweise ist dieser Briefverkehr mit dem Pharao so gut wie ganz in babylonischer Sprache geführt.

Was ist nun alles im einzelnen aus den babylonischen Gräbern ans Licht gekommen? Verschüttete Städte und Gebäude, Tempel, Paläste und Befestigungswerke, Statuen und obeliskartige Siegessäulen, wunderbare Reliefs meist in Alabaster, Basalt, Ton oder glasiertem Ziegel an den Innenoder Außenwänden der Gebäude und an den Obelisken; allerlei archäologisches Material und vor allem eine Unmenge von Tontafeln, -Prismen und -Cylindern. Die Wände und Fußböden der Gebäude, die Statuen, Säulen und Felsblöcke, das Meer der Ziegelsteine sind mit Inschriften bedeckt. Sie übermitteln uns geschichtliche Berichte und chronologische Listen, astronomische Beobachtungen, Kalender und astrologisches Geheimwissen, gelehrte Abhandlungen und Wörterbücher, mythologische oder religiöse Erzählungen und Lieder, Geseze und politische Akten, öffentliche und private Verträge; auch private Briefe haben wir, die in ein Ziegelsteinkouvert mit dem Namen des Absenders und des Adressaten gesteckt sind. Die Zeichen der Keilschrift sind mit einem feinen Instrument wie Keile in den Ton, Alabaster, Felsstein hineingeschnitten, breit anfangend, spit auslaufend, senkrecht oder wagrecht oder schräg geführt, so, daß durch die Kombination derselben die verschiedenen Wörter oder Laute entstehen. Die erste Kunde von diesen merkwürdigen Zeichen kam schon im 16.

Jahrhundert nach Europa; ihre Entzifferung ist aber erst im Jahr 1802 durch den Göttinger Gymnasiallehrer Grotefend in den Grundzügen geleistet worden. Was die Sammlungen an feilinschriftlichem Material bergen, ist bei weitem noch nicht alles entziffert, vielmehr erfordert die Entzifferung des bis jetzt vorhandenen eine treue philologische Arbeit von vielen Jahrzehnten, das alles ungerechnet, was fast täglich neu zum Vorschein kommt.

Wir suchen nun aus dem keilinschriftlichen Besitz I. die Kultur Babyloniens für sich, II. ihre Bedeutung für die Weltkultur, III. ihre Bedeutung für Israel kennen zu lernen. Dabei verhehlen wir uns nicht, daß der Ausdruck Babylonien" kein scharf umgrenzter ist; in der Hauptsache meinen wir damit den durch die Sumerier (vor 3000) und den durch die Hammurabiperiode (um 2250) geschaffenen Kulturbestand.

I. Die babylonische Kultur.

In weiter grauer Ferne, weit hinter dem griechischen und römischen Altertum steigt jezt vor uns das Altertum der babylonischen Kultur auf, deren Anfänge sich zunächst bis über das Jahr 3000 v. Chr. verfolgen lassen. Und zwar erhebt sich da die Kultur eines Staates, nicht etwa das primitive Leben eines Naturvolkes, eine Kultur von einer Höhe, die zu ihrer vorausgehenden Entwicklung selbst wieder einen längeren Zeitraum voraussetzt und die später in manchen Punkten, ähnlich wie in Aegypten, überhaupt nicht mehr erreicht worden ist. Diese Kultur ist älter als der babylonischsemitische Geist, sie stammt von dem sogen. sumerischen Volk, von dem in der Folgezeit noch die Sprache im Kult und in der Wissenschaft, wie die lateinische im Mittelalter, fortbestand. Wenn so am Anfang der uns bekannten Geschichte gleich ein imponierender geistiger Körper steht, so ist das ein neuer Beweis dafür, daß die Entwicklung der Menschheit nicht in ruhiger allmählicher Aufwärtsbewegung sich vollzieht, sondern mit Höhen und Niederungen, oder wie es ausgedrückt wurde, daß es eine Bewegung von Wellenberg zu Wellenberg ist. Was die hochragenden alten Kulturen umstürzte und neue Gebilde an ihre Stelle rückte, waren vielfach die siegreichen Vorstöße junger bar

« PreviousContinue »