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HUMBOLDT die Sache der Geistesfreiheit vertritt und die schädlichen Wirkungen jeder Art des Despotismus auf Wissenschaft und Kunst enthüllt. Um nur eins anzuführen, so spricht er sich frei und mit gewichtigen Gründen gegen jede Art der Zensur aus. „Alle Inquisition ist dem Reiche der Wissenschaften schädlich; sie macht die Luft erstickend und benimmt den Atem. Ein Buch, das erst

der

durch zehn Zensuren gelangen muß, ehe es das Licht Welt sieht, ist kein Buch mehr, sondern ein Machwerk der heiligen Inquisition. Sehr oft ein verstümmelter, ein mit Ruten gegeißelter, im Munde geknebelter Unglücklicher immer aber ein Sklave." 1)

Mit SCHILLER, LESSING und PESTALOZZI begegnet sich HERDER in der Erkenntnis, wie wesentlich und wichtig Charakterbildung und Erziehung der Bürger für das politische Leben ist. Er rühmt es als einen Vorzug der alten Staaten, daß sie auf Charakterbildung ihrer Bürger gegründet seien, im Gegensatz zu den modernen Staaten.,,Neuere Reiche sind auf Geld oder mechanische Staatskünste, jene waren auf die ganze Denkart der Nation von Kindheit aufgebaut." 2)

Wenn der Verfasser der Briefe zur Beförderung der Humanität ein neues Stichwort des politischen Lebens, Humanitätsduselei, das in unserer Zeit im Schwange ist, noch vernommen hätte, so würde er vielleicht noch lauter und eindringlicher seine Stimme erhoben haben, um den Menschen zu sich selbst, d. h. zur Menschlichkeit zurückzuführen. Überblicken wir die Gesamtheit seiner Welt- und Lebensanschauung, so erscheinen auch die Mängel seiner Denkungsart in einem milden und verklärten Licht. Wir haben es als einen Grundfehler seiner Philosophie bezeichnet, daß er das Sittliche dem Natürlichen unterordnet. Aber gerade hier offenbart sich eine gesunde Tendenz, in der er sich mit PUFENDORF und den übrigen Lehrern des Naturrechts findet; die Natur wird angerufen, um die Theologie vom Staat und von der Moral fernzuhalten. Was allen seinen Ausführungen Seele und Kraft verleiht, und worin man in Wahrheit ein charakteristisches Merkmal geistiger Größe zu allen Zeiten erkennen kann, ist sein Glaube und sein Vertrauen auf die Vernunft der Menschheit. Wie LESSING sprach: „Sie wird kommen,

1) A. a. O. XIV, 272-273.

2) A. a. O. VI, 114–115.

sie wird gewiß kommen die Zeit der Vollendung" 1), so bekennt sich auch HERDER zu diesem Glauben. „Es ist keine Schwärmerei, zu hoffen, daß, wo irgend Menschen wohnen, einst auch vernünftige, billige und glückliche Menschen wohnen werden: glücklich, nicht durch ihre eigne, sondern durch die gemeinschaftliche Vernunft ihres ganzen Brudergeschlechts." 2)

1) § 85 der Erziehung des Menschengeschlechts.

2) Herders Werke VI, 331.

VI.

J. G. Fichte.

FICHTE war der Ansicht, daß das Bewußtsein des Menschen nie über sich selbst hinausgehe, sonden daß es sich selbst anschaue und also die Erkenntnis nur ein besonderer Akt des Selbstbewußtseins sei; von vornherein mußte er demnach ein Gegner des positiven Rechts sein. In einer Revolutionsstimmung gegen das geschriebene Recht betonte er, daß das Selbstbewußtsein von sich aus bestimmen müsse, was Recht sei. Solange das Selbstbewußtsein den Zusammenhang mit der sittlichen Vernunft nicht aufgibt, hat die Tendenz, die in diesen Worten liegt, einen guten Sinn. Was geschichtliche Anerkennung als Recht gefunden hat und also positives Recht geworden ist, wird nach dem Ideal des Vernunftrechts weitergebildet, durch die Ethik, nicht, wie FICHTE meint, durch das Individuum. Diesen Sinn hätten die ungeschriebenen Gesetze bei den Sophisten, aber nicht bei SOPHOKLES und AESCHYLUS bekommen können. Bei KANT hatte die Idee des Rechts diesen klassischen Sinn des noch zu schreibenden Rechts. Daß sie bei FICHTE die Wendung zum Individualismus bekommt, hängt aufs innerste mit seiner Philosophie und den Schwächen ihrer Grundlagen zusammen. Wir dürfen nach dem systematischen Interesse, das wir verfolgen, nicht ruhig an diesen Mängeln vorübergehen. Eine gerechte Würdigung des Adels der Gesinnung, der Tiefe der Einsichten in soziale und politische Fragen, des kühnen Feuereifers und der flammenden Begeisterung für Recht und Freiheit darf uns nicht unempfindlich dagegen machen, daß es bei ihm gerade für Recht und Politik das Individuum ist, dem das Schicksal über diese weltbewegenden Fragen in die Hand gegeben ist. Doch hiervon später.

FICHTES Interessen bewegten sich von Jugend auf in der Ethik, in der Religion und im Recht. Das intellektuelle Element

in ihm ward zurückgedrängt hinter rein praktischen Tendenzen. Er wollte nicht nur denken, sondern auch handeln und durch sein Handeln die Welt bewegen, wie er einst an seine Braut geschrieben hat. Ihn drängte stets in geringerem Maße die Frage nach dem Geltungswert der Erkenntnis als vielmehr, wie die Erkenntnis auf die Erziehung der Menschen angewandt werden könne. Alle Erkenntnisse seines Verstandes, alle Untersuchungen, die er unternommen hat, haben ihren Ursprung in der Liebe zur Menschheit. Ganz besonders in seinen politischen Schriften lebt und webt eine Begeisterung, wie sie nur die tiefinnerste Anteilnahme zu wecken vermag. Wie kaum auf einen andern, hat z. B. die Französische Revolution auf FICHTE gewirkt. Es ist beachtenswert, daß er in seinem Glauben an die Rechtmäßigkeit der Revolution nicht irre wurde, auch als er schlimme Nachrichten aus Frankreich zu hören bekam. Die Revolution als Frucht der Denkfreiheit ist für ihn unbedingt rechtmäßig. In zwei sehr lesenswerten Schriften hat er der Welt seine Ansichten über die Revolution dargelegt. 1) Beide Schriften sind mit dem feurigen Enthusiasmus und dem sittlichen Pathos des Revolutionärs geschrieben.

Im Mittelpunkte der FICHTE schen Schriften steht der Gedanke der Volkssouveränität, dessen Prophet FICHTE wird. Dieser Gedanke, der das Grundferment des modernen Staatslebens ist, besagt, daß die Gesellschaft, daß das Volk die Quelle aller Staatsgewalt sein muß. In der Renaissance wurde dieser Gedanke geboren; das Naturrecht, das die natürliche Gleichheit der Menschen auf sein Programm geschrieben hatte, hat sich um die Verbreitung und Rechtfertigung dieses Gedankens, der als Grundgedanke des modernen Rechtsstaates Geltung hat, das höchste Verdienst erworben. Die Menschenrechte der Französischen Revolution stellen eine Formulierung des Gedankens der Souveränität des Volkes dar, und ihre beiden glänzendsten Früchte, das allgemeine Stimmrecht und die allgemeine Bildungspflicht, sind die Grundprobleme, die den Staat heute noch in Spannung halten, die in unserer Zeit noch den

1) Es sind dies: „Die Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas, die sie bisher unterdrückten. Eine Rede,,Heliopolis, im letzten Jahre der alten Finsternis" (1793) und der „Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution" (1793.) Werke ed. J. H. FICHTE III.

Mittel- und Kernpunkt der sozialen Frage bilden. Aus der Revolution heraus haben sich die politischen wie die ökonomischen Probleme des heutigen Staatslebens entwickelt. Mit den bewegenden Ideen der Revolution war FICHTE intim vertraut. Die Übereinstimmung zwischen den sozialen Ideen, die er in seiner Rechtslehre entwickelt, mit denen, wie sie z. B. von ROBESPIERRE vertreten worden sind, ist überraschend. Die Menschenrechte kehren bei ihm in der Form der Urrechte und der unveräußerlichen Rechte wieder.

Der Mensch kann niemals und unter keinen Umständen Eigentum werden, weil er sein eigenes Eigentum bleiben muß. Dieses Recht der Freiheit eines jeden Einzelnen ist ein unveräußerliches Recht, das dem Menschen von keinem Fürsten beschnitten werden darf. Es ist ein Grundrecht und Urrecht der menschlichen Natur und schließt in sich die absolute Freiheit. Aller Sinn des menschlichen Lebens, des Lebens einziger Zweck liegt in der Vertiefung der Kultur und daher in dem Streben nach Wahrheit. Dieses erhabene Ziel kann nur erreicht werden, wenn dem Menschen das Recht zusteht, die Ergebnisse seines Forschens mitzuteilen und andere anzuregen, so daß ein Wechselverkehr unter den Menschen entsteht. Es tut nichts zur Sache, daß eine Meinung falsch sein kann, auch der Irrtum kann und soll zur Erforschung der Wahrheit mithelfen. Die Fürsten, die die Wahrheit nur unter der Bedingung zulassen, daß kein Irrtum damit vermischt sei, wenden sich damit gegen die Wahrheit selbst. Denn sie verlangen Unmögliches. Es ist ferner kein stichhaltiger Einwand, wenn man sagt, die Denkfreiheit werde im Interesse der Glückseligkeit eines Volkes beschränkt. Der Staat hat nicht Glückseligkeit zu seinen Absichten, sondern er soll die Gerechtigkeit zu verwirklichen streben, und diese verlangt für jeden Bürger das Recht der Denkfreiheit. Der Fürst als primus inter pares soll sich nur um das Recht kümmern. ,,Nein, Fürst, du bist nicht unser Gott. Von ihm erwarten wir Glückseligkeit, von dir Beschützung unserer Rechte. Gütig sollst du nicht gegen uns sein, du sollst gerecht sein!") Der letzte Satz ist von prinzipieller Bedeutung für die Aufgaben, die der Staat gegen seine Untertanen hat; der Bürger darf nicht auf des

1) A. a. O., Schluß der Vorrede.

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