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Gottfried Herder.1)

„Humanität ist der Zweck der Menschennatur, und Gott hat unserem Geschlecht mit diesem Zweck sein eigenes Schicksal in die Hände gegeben."2) Mit diesen Worten hat HERDER sich als Gesinnungsgenossen KANTS, als Schüler ROUSSEAUS bekundet und zugleich hat er in aller Kürze das Programm seiner Lebensarbeit ausgesprochen. In der Tat enthält jener Satz die höchste Einsicht, mit der uns das klassische Zeitalter unserer Dichter und Philosophen beschenkt hat. Der Mensch darf seine Bestimmung nicht außerhalb der Menschhe it suchen. Die immer reinere und größere Entfaltung des Begriffes der Menschheit ist Ziel und Zweck der ganzen Kultur. Es gibt kein Wort, welches geeigneter wäre, das höchste und beste, was wir kennen, zu bezeichnen, als der Begriff der Humanität.

HERDER umfaßt auch unter dem Namen der Humanität alles, was er an Wertvollem und Gutem in der Welt kennt. Humanität bedeutet die Bildung des Menschen zur Vernunft und Freiheit, zu feineren Sinnen und Trieben, zur zartesten und stärksten Gesundheit, zur Erfüllung und Beherrschung der Erde.3) Der Begriff der Humanität schließt den Gedanken der friedlichen Vereinigung der Menschheit, der Teilnehmung und Mitempfindung aller Menschen untereinander, und selbst die Religion ist nur die höchste Humanität des Menschen. Auf das stärkste betont er die Einheit des Menschengeschlechtes und weist den Begriff der Rasse ab, weil diese Benennung auf eine Verschiedenheit der Abstammung hinweist. 4)

1) Vgl. R. HAум, G. Herder nach seinem Leben und seinen Werken. 2 Bde. Berlin 1885; ferner die Festrede von VIKTOR EHRENBERG, Herders Bedeutung für die Rechtswissenschaft.

2) JOH. GOTTFR. VON HERDERS Sämtliche Werke zur Philosophie und Geschichte. 6. Teil. (ed. JOH. MÜLLER. Gotha 1827), S. 278.

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Die Gattung des Menschengeschlechtes ist nur ein und dieselbe auf der ganzen Erde. 1) Er versenkte sich in die Literaturen der Völker, und überall fand er nur Menschliches, nur solches darin, was die Menschen mit einander verband. Diese kosmopolitischen Interessen, welche ihn in den Stimmen der Völker den Geist der Poesie aller Nationen und Zeiten sammeln hießen, erstickten nicht sein Interesse an der deutschen Muttersprache, deren Blüte er vielmehr aufs gewaltigste und kräftigste gefördert hat; dieser kosmopolitische Sinn, weit entfernt, seine Vaterlandsliebe zu schwächen, war eigentlich die Wurzel aller Bestrebungen seines Geistes, die darauf hinzielten, eine geistige und sittliche Einheit Deutschlands zu ermöglichen. Denn sagen Sie, was hindert uns Deutsche, uns allesamt als Mitarbeiter an einem Bau der Humanität anzuerkennen, zu ehren und einander zu helfen? Haben wir nicht alle eine Sprache? Ein gemeinschaftliches Interesse? Eine Vernunft? Ein und dasselbe menschliche Herz ?" 2) Mögen auch seine Vorschläge unbestimmt und zaghaft erscheinen, wenn er z. B. den Deutschen einen Altar der Biedertreue wünscht, an dem sie sich vereinigen könnten, der aber nur im Geist und in den Schriften existieren sollte 3), so verdient doch die Treue der Gesinnung anerkennende Bewunderung.

HERDER als ein Verkünder der Humanität ist als solcher ein Lehrer des Menschengeschlechtes für alle Zeit. Dieser Ruhmestitel wird dadurch nicht beeinträchtigt, daß seinem Begriffe der Humanität noch mancherlei Schlacken und Mängel anhaften. Schon der fragliche physische Untergrund einer einheitlichen Abstammung darf nicht den ausschlaggebenden Gesichtspunkt in der Entfaltung der Humanität bilden. Die Einheit des Menschengeschlechtes ist weniger eine physische Tatsache als vielmehr eine moralische Aufgabe. Überhaupt hat HERDER das Verhältnis zwischen Natur und Sittlichkeit nicht deutlich genug erkannt und das moralische Wesen des Menschen seinem physischen allzusehr genähert. Es ist vollberechtigt, wenn er immer auf den Zusammenhang des physischen Menschen mit der Natur hinweist. 4) Aber es ist nicht berechtigt,

1) A. a. O. V, 61.

2) A. a. O. XIII, 29.

3) A. a. O. XIII, 31.

4) Vgl. z. B. das 7. Buch der Ideen zur Geschichte der Menschheit. A. a. O. V, 59.

wenn er die Sittlichkeit und den moralischen Charakter des Menschen zu einem Produkt eben dieser physischen Natur macht und von Naturgesetzen der Geschichte und des sittlichen Geschehens spricht. Eben an diesem Punkte hat ihn KANT in den berühmten Rezensionen seiner Ideen zurechtgewiesen. 1) Mit dieser Korrektur hängt die andere zusammen, welche sich auf den Begriff der Glückseligkeit bezieht. HERDER wollte die Glückseligkeit des einzelnen zum Sinn der Kultur machen. Die Antwort, die ihm KANT hierauf erteilt, ist recht drastisch. 2) Es hängt aber diese Differenz der großen Geister in einem entschiedenen Punkte mit unserem Thema zusammen; und gerade in diesem zeigt sich KANT als der bei weitem überlegenere.

Gemäß der Aufgabe, die wir uns hier gestellt haben, müssen wir darauf verzichten, HERDERS Philosophie der Geschichte und der Ästhetik näher zu entwickeln und zu prüfen. Uns interessiert allein seine Stellung zum Staat. Da finden wir denn die Jugenderinnerungen HUMBOLDTs noch auf die Spitze getrieben. In jenem Kapitel der Ideen, welches von den Regierungen handelt, und welches HAYM nicht ganz mit Unrecht für eines der schlechtesten des ganzen Werkes erklärt, entwickelt HERDER eine Auffassung vom Staate, die diesem alle Würde und Bedeutung raubt. Die Natur erschafft Familien und Völker, keine Staaten. Es ist nur konsequent, wenn HERDER, der auch die Sittlichkeit der Natur anvertraut hat, den Naturverband der Familie und des Geschlechtes höher stellt als das Produkt des freien Willens, den Staat. Alle Regierungen der Menschen sind nur aus Not entstanden und um dieser fortwährenden Not willen da." 3) HERDER scheint sich den Staat gar nicht anders denken zu können als in Form des Despotismus, gegen den zu eifern er nie mude wird. Daß in einer solchen Staatsform, wo sich Bürger und Regierung so fremd, ja häufig feindselig gegenüberstehen, sich das Individuum im Staate nicht zur sittlichen Höhe seiner Bestimmung erheben kann, ist selbstverständlich. Wir brauchen wohl nicht zu betonen, daß es in den Ausführungen über den Staat auch nicht an treffenden Bemerkungen fehlt.

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Ein neuer Staatstheoretiker, FRANZ OPPENHEIMER, sagt in

1) KANTS Werke (HARTENSTEIN) IV, 169 ff.
3) HERDERS Werke V, 219–220.

2) A. a. O. IV, 190.

seinem Werk über den Staat 1), nachdem er alle möglichen Versuche, die Entstehung des Staates zu erklären, summarisch von der Hand gewiesen hat: „Der Staat ist seiner Entstehung nach ganz und seinem Wesen nach auf seinem ersten Daseinsstufen fast ganz eine gesellschaftliche Einrichtung, die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzten zu regeln, gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern."2) Diese Entdeckung ist nicht neu. Ähnliche Gedankengänge findet man schon in PLATONS Staat und ganz besonders in HERDERS Ideen. „Wer hat Deutschland, wer hat dem kultivierten Europa seine Regierungen gegeben? Der Krieg. Horden von Barbaren überfielen den Weltteil: ihre Anführer und Edlen teilten unter sich Länder und Menschen." 3) HERDER exemplifiziert dann weiter auf die alte Welt in ihrem Verhältnis zu Rom, auf die Eroberungszüge eines Alexander usw. Für die Beurteilung des Staatsbegriffes und der Idee des Staates überhaupt ist diese Erkenntnis von geringer Bedeutung, denn zum Rechtsstaat wird der Staat doch erst, wenn sich in ihm mehr und mehr die Idee des Vertrages verwirklicht. Alle Ausführungen, die HERDER des näheren macht, verraten seinen idealistischen Naturalismus. „Wie bei allen Verbindungen der Menschen gemeinschaftliche Hilfe und Sicherheit der Hauptzweck ihres Bundes ist, so ist auch dem Staat keine andere als die Naturordnung die beste; daß nämlich auch in ihm jeder das sei, wozu ihn die Natur bestellte." 4) Es ist interessant, daß HERDER, obgleich er die Bedeutung des individuellen Lebens so sehr betont, sich dennoch von jener Überschätzung des Individuums freizuhalten wußte, wie wir sie z. B. bei CARLYLE finden. Im Gegenteil, er findet gegen die Verehrung der großen Eroberer und Kriegshelden die bitteren Worte: „Die berühmtesten Namen der Welt sind Würger des Menschengeschlechts, gekrönte oder nach Kronen ringende Henker gewesen, und, was noch trauriger ist, so standen oft die edelsten Menschen auf diesem schwarzen Schaugerüste der Unterjochung ihrer Brüder". 5) Wir sehen, wie auch hier stets die

1) Der Staat. (Rütten und Löhning) Frankfurt a. M.

2) A. a. O. S. 8.

4) A. a. O. V, 221.

3) Herders Werke V, 212.

5) A. a. O. V, 215.

Idee der Humanität, die sich auf dem Grunde des Naturrechts erhebt, das leitende Prinzip der Beurteilung abgibt. Und diese möchte er auch aller künftigen Geschichtsschreibung zugrunde legen; denn die Geschichte war bis zu HERDERS Zeiten nicht viel mehr als eine Aufzählung von Kriegs- und Gewalttaten, durch welche das menschliche Geschlecht den Namen der Humanität verleugnet und geschändet hat. HERDER spricht sich auch auf das deutlichste für die Idee des ewigen Friedens aus. 1) Es ist schon erwähnt worden, wie er sich im tiefsten Innern gegen jede Art des Despotismus und Absolutismus aufgelehnt hat. 2) Dementsprechend findet er auch eine Auslegung des Gottesgnadentums, die bemerkenswert ist. „Alle christlichen Regenten nennen sich also von Gottes Gnaden und bekennen damit, daß sie nicht durch ihr Verdienst, das vor der Geburt auch gar nicht stattfindet, sondern durch das Gutbefinden der Vorsehung, die sie auf dieser Stelle geboren werden ließ, zur Krone gelangten. Das Verdienst müssen sie erst durch eigene Mühe erwerben, mit der sie gleichsam die Providenz zu rechtfertigen haben, daß sie sie ihres hohen Amtes würdig erkannte." 3)

Es versteht sich von selbst, daß HERDER für völlige Freiheit der wissenschaftlichen und künstlerischen Betätigung und des religiösen Denkens eintritt. Er ist überzeugt, daß allein eine freie Regierung den Aufschwung der theoretischen und sittlichen Kultur bewirken wird. In der Schrift „Inwiefern und auf welche Weise hat die Regierung auf Wissenschaften gewirkt bei Völkern, wo sie blühten? 4) hat er den Einfluß der verschiedenen Regierungsformen auf das Gedeihen der Wissenschaft historisch und systematisch untersucht. Es genügt, den allgemeinen Geist der Schrift dahin zu charakterisieren, daß er in Übereinstimmung mit KANT und

1) Vgl. HAYM a. a. O. II, 480.

2) Herders Werke V, 217.

3) A. a. O. V, 222. Noch radikaler äußert sich zu dieser Frage S. PUFENDORF: „Daß man sich auch wieder alle potentaten solte vergriffen haben, indem man die propositionem insignificantem quod majistas sit immediata a Deo verwirft, ist revera lächerlich, denn kein potentat von der welt glaubet sie selbst". Briefe von SAMUEL PUEENDORF an CHRISTIAN THOMASIUS ed E. GIGAS. München-Leipzig 1897. (Hist. Bibl. Bd. II) S. 41. Vgl. Th. LIPPS a. a. O. S. 254, wo er das Gottesgnadentum frevelhafte Anmaßung nennt. 4) Herders Werke XIV, 207 ff.

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