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reipublicae statu deque nova insula Utopia. In diesem Werke greift MORUS den Gedankengang PLATONS auf, auf welchen er als echter Mann der Renaissance auch als Urheber seines Denkens zurückweist. Hatte PLATON in den Gesetzen den zu errichtenden Staat nach Art der Kolonisation einer Insel beschrieben, so ist auch der Staat des MORUS auf einer Insel „Utopia" errichtet. Wenn wir von der äußeren Verfassung absehen, die bei MORUS eine Art Wahlrepublick ist, so finden sich zahlreiche Übereinstimmungen zwischen ihm und PLATON. Die Grundtendenz der Bekämpfung des Privateigentums, um die Klassengegensätze von Reich und Arm zu entfernen, die gemeinsame öffentliche Erziehung beider Geschlechter, die weitgehendste Gleichstellung der beiden Geschlechter im Staatsleben und in der Öffentlichkeit, die öffentliche Speisung und endlich eine gewisse Vorliebe für das bäuerliche Leben ist beiden gemeinsam. „Überall, wo das Eigentumsrecht herrscht, wo man alles mit Geld mißt, wird von Billigkeit und gesellschaftlichem Wohlbefinden nie die Rede sein. 1) MORUS hofft mit einem sechsstündigen Arbeitstag auszukommen. Alle Arbeit wird vom Staate geregelt, der wie bei PLATON auch in das häusliche Leben der Einzelnen durch Gesetze eingreift. Von Weibergemeinschaft will MORUS nichts wissen. Er tritt für weitgehende religiöse Toleranz ein; auch die Atheisten sollen nicht durch Strafen zur Heuchelei gezwungen werden; er will ihnen nur die Befähigung, ein Staatsamt zu bekleiden, absprechen.

In dem Punkte der religiösen Toleranz ist MORUS mit BODIN einer Meinung. Bei BODIN regt sich bereits der Gedanke des positiven Rechts und der historischen Rechtsschule, die die Berechtigung des Natur- oder Vernunftsrechtes bestreitet. Er gilt als der Vater der modernen theoretischen Staatslehre. Auf die Frage nach dem Wesen des Staates antwortet BODIN: „Respublica est familiarum rerumque inter ipsas communium, summa potestate ac ratione moderata multitudo". 2) Es findet sich bei ihm auch die Lehre vom Staatsvertrag, nach welchem das Volk in dem Vertrag seine Rechte der Regierung überträgt, welche dafür den Schutz der Bürger übernimmt.

1) Utopia von TH. MORUS, (Reclam) S. 48.

2) De republica I, 1.

ALTHUSIUS 1) stellt sich in Gegensatz zu BODIN, indem er behauptet, daß das Majestätsrecht des Volkes niemals übertragen werden kann. Das Volk kann diese Rechte nur verleihen und darf sie vom Beliehenen jederzeit zurückfordern, wenn derselbe sie mißbraucht. Im Staat bleibt immer das Volk souverän. Die Menschen sind von Natur frei und gleich; deshalb kann auch nur ihre allgemeine Zustimmung eine Gewalt begründen. Die Regierung hat immer nur die Verwaltung der Majestätsrechte des Volkes. In diesem Gedanken spricht sich das Wiedererwachen der Völker auf politischem Gebiete aus. Wenn hierin ALTHUSIUS als Vorläufer ROUSSEAUS zu betrachten ist, so unterscheidet er sich von diesem und von BODIN dadurch, daß er nicht wie sie eine allgemeine Toleranz in religiösen Dingen an den Tag legt. Er ist ein orthodoxer Kalvinist. Es interessant zu bemerken, daß auch die katholischen Rechtslehrer dieser Zeit (z. B. MARIANA) die unbedingte Volkssouveränität fordern, aber allerdings die Unterordnung des Staates unter die Kirche zur Bedingung machen.

Fast bedeutender noch als BODIN und ALTHUSIUS, in der Wirkung jedenfalls gewaltiger, ist HUGO GROTIUS, dessen Werk De jure belli ac pacis (1625) den haupsächlichsten Zweck hat, den Völkern eine menschlichere und mildere Kriegführung ans Herz zu legen. Es unterscheidet das jus humanum vom jus divinum (geoffenbartes Recht). Das jus humanum teilt er weiter ein in das jus personale und das jus gentium. Überall aber will er das historisch gewordene positive Recht (jus civile oder im Völkerrecht jus gentium voluntarium) vom jus naturale unterschieden wissen. Des Naturrecht beruht auf der vernünftigen Natur des Menschen. Wenn daher das positive Recht wandelbar und veränderlich ist, so kann das Naturrecht nur ein einziges, ewiges, allgemein menschliches sein. Gott selbst könnte dieses Recht und seine Gesetze nicht ändern, ebensowenig wie er eine Wahrheit in ihr Gegenteil verkehren kann. GROTIUS ergreift die Partei des BODIN, indem er glaubt, daß das Volk im Staatsvertrage seine Rechte an die Regierung zu übertragen vermag, mit Ausnahme jedoch der Naturrechte, die kein Staat zu verändern also auch keine Regierung dem Volke zu nehmen vermag. Den Begriff des jus gentium in dem

1) Vgl. über ihn OTTO GIERKE in den Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. Breslau 1880, Bd. 7.

Sinne, den er heute angenommen hat, wo er das Recht bedeutet, welches den Verkehr der Völker untereinander regelt, hat GROTIUS überhaupt erst geschaffen. Bis dahin war das jus gentium das den verschiedenen Völkern gemeinsame Recht. GROTIUS appellierte an die menschlichn Natur; diese aber liegt in der Vernunft begründet. So entdeckte er die Idee der Menschheit, in welcher alle Sittlichkeit des positiven und des werdenden Rechts ewig wurzeln muß. Das Gewordene und zufällig Bestehende galt wegen seines Alters und wegen der Gewohnheit nicht mehr als unverletzlich und unverbrüchlich. Die Vernunft wagte es, neue Wege zu ersinnen, durch welche eine reinere sittliche Welt des Rechtes entstehen sollte, in der die Idee des Menschen ihren angemessenen Ausdruck finden könne.

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Will man kennen lernen, was die unverlierbare Bedeutung des Begriffes vom Naturrecht ist, so muß man sich an den großen Systematiker des Naturrechts, SAMUEL PUFENDORF, halten. Die propositio fundamentalis des Naturrechts müsse so sein, sagt PUFENDORF, ut non solum caetera praecepta per evidentem consequentiam inde fluerent, sed et ut eiusdem veritas ex solo rationis lumine exsplendesceret". 1) Zweierlei ist an diesen Worten wichtig. Erstens, die Natur des Menschen wird hier der Vernunft gleichgesetzt. Es muß sich aus dem Lichte der Vernunft selbst ableiten lassen, was der Natur des Menschen angemessen ist. Steht aber vielleicht an dieser Stelle auch nur ein Wort davon, daß man nicht auf das gewordene und historisch bedingte, kurz auf das positive Recht Rücksicht zu nehmen hätte? Ist nicht das positive Recht vielmehr auch einmal in dem Sinne Naturrecht gewesen, daß es die sittliche und theoretische Erkenntnis eines Zeitalters und einer Kulturepoche in sich schloß? Nur sollte das Gewordene nicht eben darum schon zugleich das Ewige und Zukünftige sein. Ideen der Vernunft sollen vielmehr die Entwicklung leiten; vorausschauend soll der menschliche Geist der natürlichen Entfaltung des Rechtes seine Bahnen anweisen.

Es ist der alte Gedanke der platonischen Methode alles Philosophierens und aller Wissenschaft überhaupt: die Methode der Hypothesis, die sich zweitens in den oben zitierten Worten

1) S. PUFENDORF, Eris scandica (Frankfurt a. M. 1706), S. 195.

PUFENDORFS ausspricht. Wo sich die menschliche Vernunft um Erkenntnis oder praktische Umgestaltung des Seins bemüht, da muß sie von wissenschaftlichen Grundlegungen ausgehen. Sie muß Hypothesen bilden, Grundbegriffe des Geistes, aus welchen sich die einzelnen Erscheinungen ableiten und begreifend erfassen lassen. Nicht um vage Vermutung handelt es sich bei diesem Begriffe der Hypothese: die Vernunft muß Rechenschaft geben können (2óyov didóval). So wie der Mathematiker dem System der Geometrie Grundsätze vorausschickt, welche auf die Lehrsätze angelegt sind und in ihnen sich bewähren und entfalten, so muß auch im sittlichen Leben die Menschheit Gesetze des sittlichen Handelns zugrunde legen, auf welchen sich die Einheit und das System des Staates und der menschlichen Gemeinschaft erheben kann. Es ist charakteristisch, daß PUFENDORF an der angeführten Stelle sich geradezu auf dieses Verfahren der Hypothesis beruft. Es heißt dort: „Haec porro propositio licet eundem in disciplina juris naturalis usum praebeat, quem in physicis et astronomicis exhibent hypotheses".1) Ein wesentliches Kriterium der wissenschaftlichen Brauchbarkeit der Hypothesis ist ihre Fruchtbarkeit. In diesem Geiste weiß sich PUFENDORF mit VELTEN einig, der da sagt: „Fundamentum juris vocatur id, quo aliquid aptum est, ut sit vel fiat jus". 2) Die Hypothesis ist die rechtserzeugende Methode: bestimmter lassen sich die Ansprüche des Naturrechts nicht fixieren. Irreführend bleibt in dem Namen des Naturrechtes gerade das Wort „Natur". Denn unter der Natur verstehen wir ja gerade den Bruchteil des Seins und den Inbegriff derjenigen Seinsgesetze, welche die Menschheit an einem bestimmten Zeitpunkt, der also endlich und vergänglich ist, erkannt und erreicht hat. Aber das Naturrecht spricht vom Seinsollenden, nicht vom bereits verwirklichten Sein. Verhängnisvoll ist die Ausdrucksweise des Naturrechts, wie wir sehen werden, besonders gerade der Lehre vom Staate geworden. Denn wenn hier der status naturalis vom status civilis unterschieden wird, wo dann der letztere aus dem ersteren durch einen Vertrag entstehen sollte, so gewann die ganze Konstruktion allzuleicht den Anschein der Behauptung eines historischen Faktums, und die Grundtendenz des Naturrechtes, welche auch dieser Vortragstheorie, wie wir in

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der Folge sehen werden, erst ihre tiefere Bedeutung verleiht, wurde verdunkelt.

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Zum Teil jedoch nur trifft die Schuld die Naturrechtslehrer selbst; zum größeren Teil ist sie jenen Fiktionen über geschichtliche Persönlichkeiten zuzuschreiben, die sich die Gegner des Naturrechts im eigensten Interesse erlaubt haben. Zu dem mißverstandenen Naturrechtlern gehört nicht nur S. PUFENDORF, sondern auch sein Schüler, der tapfere Streiter für religiöse Toleranz und Aufklärung, CHRISTIAN THOMASIUS, dessen wir hier mit einigen Worten gedenken wollen. In seiner Schrift vom Rechte eines christlichen Fürsten in Religionssachen 1) führt er die Entstehung des Staates oder, wie er sagt, des gemeinen Wesens zurück auf das Bedürfnis des Menschen, den dauernden Frieden zu sehen. Durch das gemeine Wesen verstehe ich die bürgerliche um gemeinen Friedens willen mit der höchsten Gewalt versehene Gesellschaft." 2) Wenn überall Friede wäre, wäre kein gemein Wesen und folglich auch kein Fürst oder höchste Gewalt.") Die höchste Gewalt liegt in den Händen des Fürsten. Alle Rechte, die ihm zustehen, haben nur die Erhaltung des gemeinen Friedens zur Absicht. Das Tun und Lassen der Untertanen, das den gemeinen Frieden weder behindert noch befördert, ist den Rechten des Fürsten nicht unterworfen. Hierhin gehört aber das Tun und Lassen des menschlichen Verstandes, sofern derselbe mit dem Begriffe eines Dinges zu tun hat. Was er hierüber ausfindet, muß er frei heraussagen können und von seiner Erkenntnis nicht anders reden, als er denkt. Ein Fürst kann nicht die Gedankenfreiheit beschränken; wenn er dies versucht, sind ihm die Untertanen keinen Gehorsam schuldig. 4) Es können in einem Staate nicht zwei höchste Gewalten oder Obrigkeiten bestehen. Daher kann die christliche Kirche oder Gemeine keine Form des Regimentes oder der Herrschaft beanspruchen. 5) Die Fürsten werden durch Bekenntnis zur christlichen Kirche nicht Bischöfe oder Lehrer, ja es kann auch das Amt eines christlichen Lehrers nicht füglich von einem Fürsten zugleich verwaltet werden. 6)

1) Vernünftige und christliche, aber nicht scheinheilige Thomasische Gedanken und Erinnerungen über allerhand gemischte philosophische und juristische Händel. Anderer Teil. Halle im Magdeburgischen 1724, S. 2 ff. 2) A. a. O. S. 3. 3) A. a. 0. 4) A. a. O. S. 6. 6) A. a. O. S. 19-20.

5) A. a. O. S. 16 ff.

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