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durch Erziehung". 1) So hatte PLATON in seinen Staatsentwürfen einen ausführlichen Erziehungsplan aufgestellt. Auch KANT ist sich der Bedeutung der Erziehung für das politische Leben voll bewußt Er verlangt eine wahrhaft kosmopolitische Erziehung. „Kinder sollen nicht dem gegenwärtigen, sondern dem zukünftig möglich besseren Znstande des menschlichen Geschlechtes, das ist: der Idee der Menschheit und deren ganzer Bestimmung angemessen erzogen werden." 2)

Anstalten zur rechten Zeit nach den Ideen getroffen würden .... (a, a. O. S. 373.) So würde auch jene schlimme Erfahrung, welche den Krieg als ein notwendiges Übel oder, wie KANT sagt, als „eine Art von Rohigkeit und Ungezogenheit" unserer Kultur erscheinen läßt, gar nicht existieren, wenn man rechtzeitig dem Vernunftbegriff der Idee des ewigen Friedens entsprechende Anstalten getroffen hätte. Diese Anstalten zu treffen, ist es aber auch heute noch Zeit. Sie bestehen in dem Ausbau und der Schöpfung eines internationalen Rechtes.

Der Unterschied zwischen einem leeren utopischen Idol und einer regulativen Idee in diesem kantischen Sinne, einer für die Erkenntnis und das Handeln fruchtbaren Idee, kann so ausgedrückt werden. Eine utopische Idee ist eine solche, welche der Vernunft und also auch jeder künftigen Erfahrung widersprechende Elemente in sich birgt; eine wirklich regulative Vernunftidee darf derartige unvernünftige Elemente nicht enthalten, sondern prinzipiell muß jede ihrer Forderungen erfüllbar sein. Nur die Unendlichkeit der von ihr gestellten Aufgabe bewirkt es, daß zu ihrer restlosen Erfüllung eine unendliche Zeit erforderlich wäre.

1) Werke (HARTENSTEIN) VIII, 459.

2) A. a. O. VIII, 463.

III.

Friedrich Schiller.1)

Das kantische Problem der Erziehung in seiner politischen Bedeutung hat derjenige Kantianer am tiefsten begriffen, der auch den Gedanken der Idee am lebendigsten und kongenialsten sich angeeignet hat: Friedrich Schiller.

Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, eine Entwicklungsgeschichte der philosophischen Gedanken SCHILLERS zu geben; wir müssen uns begnügen, einen Blick auf diejenigen Schriften SCHILLERS zu werfen, welche bereits die Schule KANTS verraten. In den Jugendwerken finden sich nur gelegentliche Äußerungen, die unser Thema berühren.

„Durch alle Werke SCHILLERS", sagt GOETHE, „geht die Idee von Freiheit, und diese Idee nahm eine andere Gestalt an, sowie SCHILLER weiterging und selbst ein anderer wurde. In seiner Jugend war es die physische Freiheit, die ihm zu schaffen machte, und die in seine Dichtungen überging, in seinem späteren Leben die ideale. 2) Der Entwicklungsgang SCHILLERS ist hiermit in Wahrheit richtig angegeben. In den Räubern ist die Freiheit noch rein physisch genommen. „Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet", sagt Karl Moor, aber die Freiheit brütet Kolosse und Extremitäten aus." Hier erscheint die Freiheit noch ganz als die Freiheit vom Gesetze. „Nur die Natur ist redlich“; „die Natur, sie ist ewig gerecht", ist ein Motiv, das in der Braut von Messina immer wieder durchklingt. Dieser Glaube an die Ursprünglichkeit und Wahrheit der Natur zieht sich durch alle Schriften SCHILLERS

1) Man vgl. FRIEDRICH ÜBERWEG: Schiller, als Historiker und Philosoph. Leipzig 1884; ferner K. FISCHER, Schiller als Philosoph. 2 Bde. Heidelberg; BR. BAUCH, Schiller und die Idee der Freiheit. Kantstudien X, 3.

2) Gespräche mit Goethe von J. P. ECKERMANN. 18. Jan. 1827. Falter, Staatsideale.

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hindurch. Er bleibt ihm erhalten, auch nachdem seine Entwicklung und das Studium der Philosophie ihn zu einer anderen Auffassung vom Gesetze geführt haben, und kehrt in den mannigfachsten poetischen Variationen wieder. 1) Stauffachers Rede in der Rütliszene ist ganz von diesem Geiste des Naturrechts getragen, ja sie nimmt Formen und Gedanken an, die an die Männer der Renaissance erinnern, die an ein goldenes Zeitalter und einen glücklichen Urstand der Natur glaubten. 2)

Das Dichtergenie SCHILLER ist unauflöslich mit dem Denken verknüpft; darin besteht seine Eigenart. Die Idee (die Freiheit von der Erscheinung), das Höchste, was das menschliche Herz und den menschlichen Geist in Anspruch nimmt, beschäftigte ihn und führte ihn zu KANT. Hier ward er belehrt, daß wahre Freiheit nur im Gesetz und durch das Gesetz zu erlangen ist.

Die Jahre 1789-91 hat SCHILLER dem intensivsten Studium KANTS gewidmet und schon in der Antrittsrede, mit der er am 26. Mai 1789 sein akademisches Lehramt antrat, konnte KÖRNER mit Recht kantischen Einfluß konstatieren. Es waren die Schriften KANTS, die in der „Berliner Monatsschrift" erschienen sind, „Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1784)

1) Alle Bedeutungen, die der wandelbare Begriff der Natur in der Zusammensetzung mit dem Recht annehmen konnte, lassen sich bei SCHILLER nachweisen: als Zeitalter der Liebe:

„Jene Linien, sieh! die des Landmanns Eigentum scheiden,
In den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt.

Freundliche Schrift des Gesetzes, des menschenerhaltenden Gottes,
Seit aus der ehernen Welt fliehend die Liebe verschwand".

Etwa das Gegenteil ist im Tor ausgesprochen:

(Spaziergang.)

,,Schmeichelnd locke das Tor den Wilden herein zum Gesetze;
Froh in die freie Natur führ es den Bürger heraus".

Als Zustand des absoluten Rechts:

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Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,

Wenn unerträglich wird die Last greift er

Hinauf getrosten Mutes in den Himmel.

Und holt herunter seine ew'gen Rechte,

Die droben hangen unveräußerlich

Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst

Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,

Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht -“.

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und Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte" (1786), die SCHILLER angezogen hatten. In der zuerst genannten Schrift sagt KANT: „Man kann die Geschichte der Menschengattung im großen als die Vollziehung eines verborgenen Planes der Natur ansehen, um eine innerlich und, zu diesem Zwecke, auch äußerlich →→→ vollkommene Staatsverfassung zustande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit völlig entwickeln kann". 1)

Ob SCHILLER einen Überblick über das kantische System der Philosophie gewonnen hat, mag zweifelhaft erscheinen. So sehr wurde der Dichter nicht zum Schüler. Er blieb stets ein Eigener auch dem Systeme KANTS gegenüber. Es sind seine ureigensten Ideen und Pläne, die er auch weiterhin verfolgt, nur vertieft und bereichert durch die Schärfe kantischen Geistes. In Ästhetik, Geschichte und Politik suchte SCHILLER Anregung und Vertiefung bei KANT. Den Geist jener oben zitierten kantischen Werke finden wir daher in dem Programm der Behandlungsweise einer Universalgeschichte wieder, welches SCHILLER in seiner Antrittsrede entwirft. Er verlangt, daß der Forscher ein teleologisches Prinzip an die Betrachtung der Ereignisse heranbringe und einen vernünftigen Zweck im Weltgeschehen aufsuche. Die Freiheit regelt den Fortschritt der Kultur, und die Geschichte erkennt gerade in den Äußerungen der Freiheit die ewige Notwendigkeit des Geschehens; und, was sie dem strafenden Gewissen eines Gregor und Cromwell geheim hält, eilt sie der Menschheit zu offenbaren, daß der selbstsüchtige Mensch niedrige Zwecke zwar verfolgen kann, aber unbewußt vortreffliche befördert. 2) Diese Übereinstimmung SCHILLERS und KANTS zeigt sich, wenn SCHILLER in der Abhandlung „Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde" 3) ebenso wie KANT in dem Aufsatz Über den mutmaßlichen Anfang der Menschengeschichte" den Sündenfall des ersten Menschenpaares auffaßt als einen Übergang des Menschengeschlechts aus einem zwar glückseligen, aber die Bestimmung des Menschen nicht erfüllenden, weil rein tierischen Naturzustande, in welchem die Natur und der Instinkt gleichsam für den Menschen handeln, zu

1) Werke (Hartenstein) IV, 153.

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2) Schillers Werke ed. K. GOEDECKE. Stuttgart 1894. XII, 292.
3) A. a. O. XII, 294.

einem Zustande, in welchem die Vernunft selbst die Handlungen der Menschen bestimmt.

Nicht minder bedeutsam ist die Übereinstimmung beider über den besten Staat. Hierüber kann uns vornehmlich die Abhandlung „Über die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon" unterrichten. „Alles darf dem Besten des Staates zum Opfer gebracht werden, nur dasjenige nicht, dem der Staat selbst nur als ein Mittel dient. Der Staat selbst ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein anderer, als die Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung. Hindert eine Staatsverfassung, daß alle Kräfte, die im Menscheu liegen, sich entwickeln, hindert sie die Fortschreitung des Geistes, so ist sie verwerflich und schädlich, sie mag übrigens noch so durchdacht und in ihrer Art noch so vollkommen sein. Ihre Dauerhaftigkeit selbst gereicht ihr alsdann vielmehr zum Vorwurf, als zum Ruhme -, sie ist dann nur ein verlängertes Übel; je länger sie Bestand hat, um so schädlicher ist sie." 1) Auch in den ästhetischen Briefen, deren Besprechung wir uns noch vorbehalten, ist dies ein ausschlaggebender Gesichtspunkt, daß die Totalität des Charakters eines jeden einzelnen Bürgers im Staate zur Entfaltung muß kommen können. In der Wirklichkeit ist dies freilich nicht immer der Fall. Indessen gilt doch der Satz: „Der Charakter eines ganzen Volkes ist der treueste Abdruck seiner Gesetze und also auch der sicherste Richter ihres Wertes oder Unwertes". 2) Soweit der Charakter des Volkes von der Idee der Menschheit abweicht, soweit auch seine Gesetze. Wenn nun die Idee der Menschheit im Staate zum Ausdruck kommen soll und der vollendete Staat, weil er Idee ist, in keiner endlichen Zeit verwirklicht werden kann, so muß man mindestens fordern, daß die Möglichkeit seiner Fortentwicklung durch die Gesetzgebung dauernd gewahrt bleibt. Diesen Idealismus findet SCHILLER in Athen verwirklicht, während ihn das dogmatische Staatsideal des Lykurg abstößt. In völliger Harmonie mit KANT sagt er gegen Sparta: „Ein Gesetz z. B., wodurch eine Nation verbunden würde, bei dem Glaubensschema beständig zu verharren, das ihr in einer gewissen Periode als das vortrefflichste erschienen,

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