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Platon als Idee bezeichnete, was dem genauen Wortlaute nach dasselbe bedeutet wie die Definition". 1) Daß LEIBNIZ, von dieser Einsicht getragen, eine gerechte Würdigung der Staatstheorien zu geben imstande ist, versteht sich von selbst. Der Begriff der Idee als eines regulativen Prinzipes und eines Vor- und Urbildes für künftig zu verwirklichende Erfahrung, gegen welchen man nicht auf die heute noch widerstreitende wirkliche Erfahrung hinweisen darf, wird von ihm so ausgesprochen: ,,Im gleichen Sinne kann von einem Hause, einer Maschine, einem Staate das Urteil gefällt werden, daß sie, im Falle sie sein werden, schön, wirksam, glücklich sein werden, wenngleich sie niemals sein werden". 2) Gott ist gut und gerecht. Aber es fragt sich, ob das, was er tut, schon deswegen gut und gerecht ist, weil Gott es tut, oder ob nicht vielmehr Gott es will und tut, weil es gerecht und gut ist, d. h. es fragt sich, ob Gerechtigkeit und Güte etwas Willkürliches sind, oder ob sie „in den notwendigen und ewigen Wahrheiten der Natur der Dinge ihren Bestand haben, sowie die Zahlen und die Verhältnisse". 3) Es handelt sich also darnm, den eigentlichen Grund, d. h. das Warum des Attributes der Gerechtigkeit bei Gott, oder den Begriff zu finden, der uns lehren soll, worin die Gerechtigkeit besteht. Dieser eigentliche Grund nun muß Gott und den Menschen gemeinsam sein; denn sonst könnte man nicht ohne Zweidentigkeit auf beide dasselbe Attribut anwenden wollen.“4) Zunächst also gilt es als das Wichtigste, die Definition der Gerechtigkeit zu finden, und von dieser aus sind dann in streng deduktiver Ableitung, so wie es die Logik, die Geometrie und die Arithmetik tun, die Folgerungen zu entwickeln. Denn diese alle haben ihr Fundament nicht in Erfahrungen und Tatsachen, sondern dienen dazu, von den Tatsachen selbst Rechenschaft zu geben und sie im voraus zu regeln.“ 5) Das Gesetz zwar wird durch einen Machtspruch eingeführt und aufrecht erhalten. Wenn es der Macht nun an Weisheit und gutem Willen fehlt, so kann sie recht schlechte Gesetze einführen und aufrecht erhalten. Das Gesetz kann ungerecht sein, das Recht niemals. 6) Offensichtlich wird hier

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der Begriff des Rechtes für LEIBNIZ zu einem Normbegriff, zu einer Idee, ganz im Sinne des Naturrechts. Die Definition der Gerechtigkeit, die LEIBNIZ dann gibt, lautet: „Gerecht ist, was in gleichem Maße der Weisheit und der Güte gemäß ist." 1) In der Gerechtigkeit vereinigen sich also Wissen und Willen. Die Macht erst bewirkt, wenn sie hinzukommt, daß das Recht zur Tatsache wird. Es bauen sich auf den Begriff der Gerechtigkeit drei Stufen des Rechtes auf. Das sogenannte jus strictum ruht auf der Regel neminem laede; das Recht der Billigkeit (jus aequi) hat den Grundsatz suum cuique zur Grundlage und strebt die Idee der „,sozialen Gleichheit" an. Die justitia universalis wird durch die oberste Vorschrift bezeichnet: honeste h. e. probe, pie vive. Im Recht der Herrscher und der Völker kann man ebenfalls die drei Stufen des strikten Rechtes, der Billigkeit und der Frömmigkeit unterscheiden. Bei der Untersuchung des strikten Rechtes kommt LEIBNIZ auf den Ursprung der Staaten und damit auch auf die Theorie des HOBBES. Er widerspricht ihm in wesentlichen Punkten. Vor allen Dingen lengnet er, daß beim Staatsvertrag sich die Untertanen ihres Rechtes und ihrer Freiheit entäußern könnten. Die Übertragung auf den Staat kann vielmehr nur eingeschränkter und vorläufiger Natur sein, d. h. nur so lange stattfinden, als wir überzeugt sind, daß unsere Sicherheit verbürgt ist. Die Gründe, welche HOBBES angeführt hat, um das Recht der Untertanen auf Revolution zu bestreiten, nennt er nur plausible Erwägungen, die sich auf das sehr richtige Prinzip gründen, daß ein derartiges Hilfsmittel für gewöhnlich schlimmer ist, als das Übel selbst. Aber was für gewöhnlich zutrifft, gilt darum noch nicht absolut. 2) Gegen das patriarchalische System, aus welchem man das Recht der Monarchie ableiten will, macht LEIBNIZ geltend, daß nie und nimmer ein Mensch einen andern wie eine Sache oder wie ein Tier als Eigentum oder als Besitz erwerben könne. Vom Standpunkt „der natürlichen Vernunft" gibt es daher auch kein Recht der Sklaverei unter den Menschen. Dieses Vernunftrecht, welches der Sklaverei unter dem Absolutismus widerspricht, ist das Recht der vernunftbegabten Seelen, die von Natur gleich und unveräußerlich sind, d. h. das Recht Gottes, der der oberste Herr der

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Körper und Seelen ist und unter dem die Herren die Mitbürger ihrer Sklaven sind, da diese im Reiche Gottes ebensogut wie jene das Bürgerrecht genießen." 1) Der Staat Gottes ist der Staat der Gerechtigkeit. So wird bei LEIBNIZ der Gottesbegriff im Sinne der platonischen Idee des Guten ein regulatives Prinzip des Rechtes und der Sittlichkeit.

1) A. a. O. S. 516.

Anmerkung: Da sich der moderne Staatsbegriff in der Renaissance gebildet hat unter dem hauptsächlichen Einfluß naturrechtlicher Gedanken, hielt ich es für notwendig, diesen orientierenden Überblick dem eigentlichen Thema vorauszuschicken.

II.

Immanuel Kant.

Der Begriff des modernen Staates als einer juristischen Person hat sich nach mancherlei Kämpfen erst durchgesetzt und Anerkennung verschafft. Ohne uns auf die verwickelten geschichtlichen Verhältnisse dieses Begriffes näher einzulassen, wollen wir nur erwähnen, daß das Naturrecht sich dabei als eine Triebkraft von eminentester Bedeutung bewährt hat. Die von HUGO GROTIUS zur Erklärung des Staatslebens herangezogene socialitas wurde durch S. PUFENDORFS Gedanken vom Ursprung des Rechtes aus dem Staate ersetzt. Das Recht, das seiner Methodik nach frei von aller Theologie bleiben sollte, kam in die engste Beziehung zum Staate. Um das Wesen des Staates zu finden, lag es PUFENDORF am nächsten, sich an das Recht zu halten und jenen mythischen instinktartigen Ursprung aus der socialitas aufzugeben: so entstand der Begriff des Staates als einer persona moralis. Wir haben gesehen, wie THOMASIUS auf dieser Bahn weiterschritt.

Es lag in der Absicht dieser Männer, die Begriffe von Staat und Recht rein juristisch zu fassen, ohne Verquickung mit den Rechten der Sitte und Gewohnheit. Ihre Begründung war naturrechtlich. Wenn bei ihnen auch vom Faktum eines Naturrechtes geredet werden kann, so kann man trotzdem gegen sie den Vorwurf nicht erheben, daß dieses tatsächliche Existieren eines Naturrechts das Faktum der Jurisprudenz beeinträchtige, wie dies gegen die Schule WOLFS und in gewissem Sinne auch gegen KANT eingewandt werden kann.') Das Naturrecht war ihnen nicht wie für H. GROTIUS und WOLF ein Inbegriff von absoluten Vernunftwahrheiten; sie hielten sich an eine andere Bedeutung des Wortes

1) Aus anderem Grunde jedoch wie gegen WOLF, wie wir noch sehen werden.

Natur, die gerade durch GROTIUS inauguriert war, wonach sie als das Recht der Wahrheit zu verstehen sei. 1)

Kaum ein anderer Sterblicher hat solchen Einfluß auf die Theorie des modernen Staates modernen Staates ausgeübt wie ROUSSEAU. Er knüpfte wieder an die socialitas an und betrachtete den Staat vor allem als Gesellschaft. Das ethische Problem des Staates, das gerade in der Einheit der juristischen Person zur Geltung kommt, litt dabei Schaden. Die Gesellschaft bleibt immer eine Mehrheit und damit eine sittliche Besonderheit, während der Staat nur dadurch Einheit wird, daß er die Allheit der Menschen vertritt, d. h. sittliche Allgemeinheit vertreten soll. Was jedoch der Staatsgedanke auf der einen Seite verlor, gewann er in einer andern Beziehung reichlich wieder. ROUSSEAU schuf durch seine Betrachtungen über die Gesellschaft die Grundlagen dafür, daß man die Genossenschaft als das Prototyp der juristischen Person und mithin des Staates ansehen lernte. Durch die immanente Beziehung der Gesellschaft zur Volkssouveränität, zur Behauptung des gleichen natürlichen Rechtes aller Staatsbürger, wird der Gesellschaft doch eine gewisse Allgemeinheit gesichert. Sie erhält ethische Orientierung. Durch den Gedanken der Volkssouveränität, der im Mittelpunkte der ROUSSEAU Schen Untersuchungen über die Gesellschaft steht, wird vor allem die Idee des Vertrages, wenn auch zuweilen in mißverstandener oder mißverständlicher Form, aufs kräftigste betont und gefördert, die den Grund des Rechtes überhaupt und mithin auch des Staates bilden muß.

Gerade dadurch, daß man vom gegebenen Staate absah, konnte man sein eigenstes Wesen viel reiner erkennen. Er verlor jene halb mystische, aus seinem „eignen Recht" erklärbare Losgelöstheit vom wissenschaftlichen Recht, er blieb nicht mehr jenes starre Zwangssystem, in das der Mensch hineingeboren wird, gegen das er nur Pflichten, aber keine Rechte hat. Der Staat trat aus jener

1) Es ist auffällig, jedoch leicht begreiflich, daß Spinoza wenig Einfluß auf die Staatsrechtslehre der Aufklärung gewinnen konnte. Er hat sowohl Staat wie Recht in Zusammenhang mit der Religion gebracht. Es lag dies in seinem religiösen Naturell. Obwohl er über Staat wie Religion die freiesten Anschauungen hegte, so widersprach doch die pantheistische religiös gefärbte Art seiner Deduktionen den gesunden Ansichten der Zeit und konnte keinen Anklang finden.

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