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sich für ihn die Art, wie das wissenschaftliche Leben sich dem Staate einzugliedern und mit ihm zu verschmelzen habe. Die Universitäten,,,durch welche die Jünglinge des Staates aufgefordert werden, durch Selbstbestimmung das Maß zu erringender Freiheit sich selbst zu erwerben" 1), hängen auf das intimste mit dem Schicksal des Staates zusammen. Der Verfall der Universitäten bedingt den Verfall der Staaten.

1) A. a. O. S. 247f.

VIII.

G. W. F. Hegel.')

HEGELS Philosophie ist derjenigen SCHELLINGS verwandt. Es ist der Gesichtspunkt des Absoluten, durch welchen beide Denker verbunden sind. Nur hat bei HEGEL dieses Urprinzip des Seins, das Absolute, ein deutlicher erkennbares Bild gewonnen. Denn je mehr sich HEGEL von seinem Freunde SCHELLING entfernt, und je deutlicher bei ihm die Züge seines eigenen Systems hervortreten, desto bestimmter enthüllt sich bei ihm das Absolute als der Geist. Die Vorzüge und die Schwächen seines Systems werden sogleich an dieser Charakteristik des Seins vollkommen erkennbar. Das Absolute ist nicht mehr die Nacht, in der alle Kühe grau sind, sondern es hat seine Wirklichkeit in der lebendigen Realität des Begriffes. Das Absolute, von HEGEL als Idee bezeichnet, ist der sich selbst wissende, zu sich selbst zurückgekehrte Geist. Die Umrisse sind deutlicher und klarer geworden; aber um so schäfer treten auch die Schwächen hervor. Der Geist und die Wirklichkeit, die ja nur in ihm ihre Realität hat, werden absolut gesetzt. So wird die Aufgabe der Philosophie darin gefunden, das bestehende Wirkliche zu ergreifen. Dies gilt nicht etwa nur für denjenigen Teil des Systems, welcher - wie die transszendentale Logik KANTS die Begründung der Natur, wie sie ihre Wirklichkeit in den Begriffen der Mathematik, Physik und organischen Naturwissenschaft hat, leisten soll, sondern auch Sittlichkeit und Recht werden unter diesem historischen Gesichtspunkt betrachtet und dadurch der Unterschied zwischen dem Seinsollen der Idee und der relativen Wirklichkeit des Daseins unterdrückt und geleugnet.

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Wenn wir soweit mit der allgemein geübten Kritik am System HEGELS übereinstimmen und die Zweideutigkeit im Begriff der Berlin 1857; ferner K. FISCHER,

1) R. HAYM, Hegel und seine Zeit. Geschichte der Philosophie. Bd. VIII: Hegel.

Wirklichkeit zugeben, so möchten wir andrerseits betonen, dnß sich ihm der Begriff der Wirklichkeit unter der Hand immer wieder in ein Ideal verwandelt. Natürlich, wenn man die Vernunft restlos in der Wirklichkeit wiederfinden will, so muß man die Natur zunächst über sich selbst hinaus erhoben haben, indem man alles das, was heute nur erst als Wunsch, Ziel oder sittliche Pflicht existiert, in sie hineinlegt. Daß hierbei stets vom Bestehenden ausgegangen wird und sich das Bestreben geltend macht, die Wirklichkeit so, wie sie sich der Wissenschaft zeigt, bereits als durchaus vernünftig erscheinen zu lassen, bedingt dann eben in sittlich rechtlicher Hinsicht den Konservatismus der Gesinnung. Die Vermischung des Unterschiedes zwischen dem Seinsollenden und dem Dasein ist der eine große Irrtum des HEGEL schen Systems. Es hat zur Folge gehabt, daß sich die Ethik des Sollens in die Logik des Seins auflöste und ihre Bedeutung als selbständiges Glied in dem System der Philosophie verlor. Ein anderer Fehler liegt in der logischen Methode seines Systems selbst. Die Dialektik der Begriffe ist aufgebaut auf eine fortwährende Verwechslung des Gegensatzes, Unterschiedes und Widerspruches. Gegensatz und Unterschied enthüllen die Realität der Begriffe, indem sie den einen Begriff dem andern entgegenstellen, um ihn doch zugleich darauf zu beziehen. Der Nachweis solcher Verschiedenheit und der wechselseitigen Beziehung aller logischen Grundbegriffe ist der Wahrheitskern und das eigentliche Verdienst der dialektischen Methode. Aber Gegensatz und Unterschied verwandeln sich ihm immer wieder in den Widerspruch. Der Widerspruch aber darf niemals als ein Element des Seins anerkannt werden. Denn das hieße die Möglichkeit der Erkenntnis vernichten und widerstreitet dem tiefsten Sinne jedes echten Idealismus. Der Widerspruch bedeutet die Vernichtung des Seins. Wo ich widerspreche, da erkläre ich eine Begriffsbildung für verfehlt, da leugne ich, daß man es mit dem Begriff eines Seienden zu tun hat, und behaupte, daß hier nur Meinung und Vorstellung im Spiele sei.1)

Es war notwendig, diese scheinbar rein logischen Ausstellungen vorauszuschicken, weil, wie erwähnt, die HEGEL Sche Rechts- und Staatstheorie im wesentlichen in der Logik wurzelt. Da unsere

1) Man vgl. dazu, was H. COHEN in seiner Logik der reinen Erkenntnis über den Widerspruch sagt.

eigne Auffassung vom Wesen des Staates und des Rechts den Einfluß HEGELS zeigt, schien es gerade doppelt notwendig, bei der Darstellung HEGELS kritisch zu verfahren.

Schon in den Jugendschriften HEGELS zeigt es sich, daß das Moment der Kritik und des historischen Begreifens weit mehr ausgebildet ist, als der eigentliche ethisch-rechtliche Sinn für das Seinsollende, Werdende, sich Gestaltende, so schon in der Schrift „Über dle neuesten inneren Verhältnisse Wirtembergs besonders über die Gebrechen der Magistratsverfassung" (1798).1) So treffend hier bestehende Mißstände gegeißelt werden, so wenig kommt er zu positiven Besserungsvorschlägen, weil er sich überall dabei beruhigt, das Bestehende durch die Einsicht in seine historische Entwicklung begriffen zu haben. Aus konservativen Bedenken hält er die Einführung einer Volksrepräsentation, die auf unmittelbarer oder mittelbarer Wahl beruhe, in einem Lande, das seit Jahrhunderten eine Erbmonarchie hat, nicht für rätlich.

Dieselbe zögernde Gesinnung offenbart sich in einer Schrift „Über die deutsche Staatsverfassung" aus dem Jahre 1801.2) Auch hier kommt er im wesentlichen nicht über die historische Erklärung des Bestehenden hinaus. Etwas positiver entfaltet sich seine Gesinnung in dem Entwurf eines Systems der Sittlichkeit, welches vermutlich entstanden ist bei Gelegenheit einer Vorlesung über Naturrecht.3) Hier zeigt sich vor allen Dingen ein tieferes Erfassen der Aufgabe des Staates, insofern nun nicht mehr, wie in jenen Jugendschriften, eine gewisse Vorneigung für die Theorie des laisser faire, laisser aller hervortritt, sondern sich bereits die Auffassung des Staates als der Erscheinung des absoluten, sittlichen Geistes anbahnt.

Im großen und ganzen kündigt sich hier der Standpunkt schon an, welchen die Abhandlung „Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechtes, seine Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften" 1) aufweist. Hier versucht sich HEGEL zunächst mit der

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4) Zuerst erschienen im Kritischen Journal, der Philosophie. II. Stück 2 und 3. (1802/03); jetzt: Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Berlin bei Duncker und Humblot. Bd. I, S. 323 f.

zeitgenössischen Philosophie auseinanderzusetzen, indem er drei Arten der Behandlung des Naturrechts unterscheidet: die empirische, die reflektierte und diejenige aus dem Standpunkt der absoluten Sittlichkeit. Bei der Kritik der empirischen Behandlungsart zeigt HEGEL in der ihm eigenen geistreichen Weise, wie beim Ausgehen von vereinzelten Tatsachen oder Prinzipien der Sittlichkeit zu einer absoluten Einheit der Sittlichkeit und des Rechts nicht durchgedrungen werden kann, weil die eine Besonderheit immer die ihr entgegengesetzte andere Besonderheit als gleichberechtigt hervorruft; es fehlt mit andern Worten ein letztes enttcheidendes Prinzip und Kriterium der Sittlichkeit überhaupt.

Wichtiger ist für uns hier der Versuch, die reflektierte Behandlungsart, wie er sie nennt, zu kritisieren, denn unter diesem Namen verbirgt sich für HEGEL die KANT-FICHTE Sche Moral. Man muß seiner Kritik in allen ihren Teilen zweierlei entgegenhalten. Erstens, daß PLATON und KANT nicht müde werden, uns einzuschärfen, daß die Idee des Guten nicht restlos in irgend einer empirischen Wirklichkeit erscheinen kann, und daß es uns daher auch unmöglich ist, die letzte und absolute Sittlichkeit vollinhaltlich auszusprechen. Das Gute ist Zielpunkt und Ende aller Bemühungen der praktischen Vernunft in der unendlichen Entwicklung des Menschengeschlechtcs. Insofern ist es uns nur als Aufgabe und regulative Idee gegeben, die unser sittliches Erkennen leiten muß. Es muß daher zuerst HEGELS Fordernng, sich auf den Standpunkt der absolnten Sittlichkeit zu erheben, als in sich unberechtigt, weil unmöglich abgewiesen werden. Noch in einem zweiten Punkte hat HEGEL die praktische Philosophie KANTS mißverstanden. Von ihm namentlich stammt jener Vorwurf gegen die KANT Sche Moral, dem man auch heute noch begegnet, der kategorische Imperativ sei ein bloß formales Gesetz, es mangele ihm der Inhalt. Das völlige Verkennen der Bedeutung des Begriffes der Form bei KANT hat diesen Irrtum herbeigeführt. Form bedeutet Gesetz, und das Gesetz gibt den Inhalt an. Also bedeutet der kategorische Imperativ nicht den Gegensatz gegen den Inhalt, sondern den Gegensatz des allgemeinen Gesetzes gegen die besonderen einzelnen empirischen Gesetze, welche ihren ethischen Seinscharakter vom kategorischen Imperativ zu empfangen haben. Beide Fehler, das Absolutsetzen des sittlichen Gesetzes und das Mißverstehen des Formbegriffes

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