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Die verschiedenen Staaten, die es auf der Erde gibt, sind voneinander zwar unabhängig und selbständig. Sie können aber wie einzelne Personen miteinander in Beziehung treten. Das Recht, welches diese Beziehungen regelt, ist das Völkerrecht. Der Verkehr der Staaten läßt sich gerade so wie der zwischen Personen auf den Vertrag zurückführen. Damit eine Kontrolle darüber vorhanden ist, daß die Verträge gegenseitig gehalten werden, ist das Recht, Gesandte zu schicken, eingeführt. FICHTE gibt zunächst dem in seinem Rechte verletzten Staat ,,das vollkommene Recht, den ungerechten Staat zu bekriegen, bis er ihn als für sich bestehenden Staat ausgetilgt" 1) hat; aber er fragt sofort: „Ist denn auch derjenige der Sieger, der die gerechte Sache gehabt hat? Da ist nun im Gegenteil zu befürchten, daß, weil Macht und Recht gewöhnlich in umgekehrtem Verhältnisse stehen, der Krieg mehr das Unrecht befördert als das Recht.2) Unrecht kann nur abgewendet werden, wenn mehrere Staaten sich verbinden und den ungerechten Staat gemeinsam bekämpfen. Dieser Völkerbund (zu dem man niemand zwingen kann) soll denjenigen Staat bestrafen, der einen Vertrag mit einem der dem Völkerbunde angeschlossenen Staaten bricht. Der Völkerbund hat das Richteramt über das Verhältnis der Staaten zu einander; er muß natürlich auch die Möglichkeit haben, seine „Rechtsurteile auch zur Exekution bringen zu können". 3) Auf diese Weise wird der Krieg aufhören. Der Völkerbund umfaßt die ganze Erde, und der ewige Friede, „das einzig rechtmäßige Verhältnis der Staaten" 4), tritt ein.

Wir können eine Untersuchung über den Staat bei FICHTE nicht abschließen, ohne auch seines persönlichen Verhältnisses zum deutschen Vaterland zu gedenken. Es ist bekannt, daß er für sein Vaterland gestorben ist. Er war trotz seiner fortschrittlichen, ja sogar radikalen Gesinnungen ein glühenderer Patriot, als es SCHELLING oder HEGEL gewesen sind. Deutsch sein bedeutet für ihn human sein. Sein Ideal einer Nationalerziehung nach der Methode PESTALOZZIS und auf dem Grunde der allgemeinen Volksschule knüpft er an die Bedingung, daß es zur Fortbildung des Menschengeschlechtes führen muß. Deutsch ist für ihn ein Idealbegriff. Auch der Deutsche kann Ausländerei treiben, wenn er an ein festes, beharrliches und

1) Angewandtes Naturrecht, S. 260.
3) A. a. O. S. 264..

Falter, Staatsideale.

2) A. a. O. S. 261. 4) A. a. O. S. 265.

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totes Sein glaubt.1) Diese Ausländerei zeigt sich als ruhige „Ergebung in die nun einmal unabänderliche Notwendigkeit ihres Seins, als Aufgeben aller Verbesserung unserer selbst oder anderer durch Freiheit, als Geneigtheit, sich selbst und alle so zu verbrauchen, wie sie sind"), anstatt auf Verbesserung zu dringen, die lebendigen Kräfte im Volke zu wecken, zu vertiefen und an ein ewiges Fortschreiten derselben zu glauben. Die echte deutsche Staatskunst muß sich an das ganze Volk wenden. „So wie der Staat an den Personen seiner erwachsenen Bürger die fortgesetzte Erziehung des Menschengeschlechts ist, so müsse, meint diese Staatskunst, der künftige Bürger selbst erst zur Empfänglichkeit jener höheren Erziehung auferzogen werden." 3) Hierdurch kommt diese Staatskunst nicht nur der griechischen bei, sondern sie übertrifft sie noch in einem sehr wichtigen Punkte, nämlich durch ihren allgemeinen und ,,weltbürgerlichen Geist".4) Das letzte Ziel der Erziehung kann demnach auch nicht die Nation sein, welche nur als Gängelband oder als Leitbegriff zum letzten Ziele, welches die Menschheit bildet, dient. „Der dermalen in ewiger Zeit an der Tagesordnung sich befindende Fortschritt ist die vollkommene Erziehung der Nation zum Menschen." 5) Nur die Nation, welche zuvor diese Aufgabe erreicht hat und dies durch die wirkliche Ausübung beweist,,,wird sodann auch jene des vollkommenen Staates lösen".") Der Fortschritt, der sich in FICHTES Ansichten über den Staat seit den Grundzügen vollzogen hat, ist bedeutend. Während er früher selbst dem Staate das Recht abgesprochen hat, für den Zweck der Erziehung Zwang anzuwenden, wird jetzt diese Ansicht und Antwort, die man gegen die öffentliche Erziehung,,von den Staatsmännern" 7) gewohnt war, abgewiesen. Wenn man warten will, sagt er jetzt, bis die Menschen im allgemeinen den guten Willen haben, dann wird niemals eine Verbesserung eingeführt, da es ohne Erziehung überhaupt niemals zu einem allgemeinen guten Willen kommen kann. Er verlangt, daß der Staat,,als höchster Verweser der menschlichen Angelegenheiten und als der Gott und seinem Gewissen allein verantwortliche Vormund der Unmündigen das vollkommene Recht habe, die letzteren

1) Reden an die deutsche Nation. Reclam S. 107.

2) A. a. O. S. 107-108.

4) A. a. O.

6) A. a. O. S. 89.

3) A. v. O. S. 101.
5) A. a. O. S. 90.

7) A. a. O. S. 167.

zu ihrem Heile auch zu zwingen".1) Der Staat soll daher seinen Grundbegriff vom Zwecke der Erziehung ändern. Er muß für Bildung sorgen. Für die Seligkeit bedarf es keiner Bildung, wohl aber für die Sittlichkeit, die der Mensch in seinem Leben auf der Erde üben soll. Der Staat, welcher früher geglaubt hat, er könne ,,auch ohne alle Religion und Sittlichkeit seiner Bürger, durch die bloße Zwangsanstalt, seinen eigentlichen Zweck erreichen"), soll aus diesen neuen Erfahrungen lernen, daß er das nicht vermag, und daß er durch diesen Mangel lediglich ins Verderben stürzen kann. Wenn ein Volk in Gefahr, ist zu erstarren, dann vermag allein die echte deutsche Staatskunst es zu retten, über welche auch in ruhigen Zeitläuften,,das Gefühl und die Liebe der ewigen Fortbildung" 3) des Menschengeschlechts die Aufsicht führen soll. Der Staat soll die Sittlichkeit verwirklichen helfen. Er ist als bloßes Regiment des im gewöhnlichen friedlichen Gange fortschreitenden menschlichen Lebens nichts Erstes und für sich selbst Seiendes", sondern „das Mittel für den höheren Zweck der ewig gleichmäßig fortgehenden Ausbildung des rein Menschlichen in der Nation".4)

1) A. a. O. S. 168-169.

3) A. a. O. S. 126.

2) A. a. O. S. 163.
4) A. a. O.

VII.

F. W. Schelling.

Von geringer Bedeutung für die Entwicklung der Geschichte der Staatsidee ist die Philosophie SCHELLINGS geworden. SCHELLING war keine politische, er war eine ästhetische Natur. Biegsam und schmiegsam, wie sich sein Geist in der Fortentwicklung seines Systems bewährt hat, war er nur allzusehr geneigt, sich bei der ästhetischen Interpretation des Bestehenden zu begnügen, statt der Idee des Guten in ihrer Beziehung zum Staat schöpferisch nachzugehen. Die Jugendschrift,,Neue Deduktion des Naturrechts" (1795) bietet kaum etwas Bemerkenswertes für unser Thema. Durchaus äußerlich ist die Formulierung, durchaus äußerlich auch der Inhalt des Rechtsbegriffes, der hier gewonnen wird. Die kantische Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität wirkt nach. Hat es die Ethik mit dem Pflichtgemäßen zu tun, so beruht das Recht auf dem, was praktisch möglich ist; es formuliert, was ich darf. 1) Pflicht ist das, was ich soll, was praktisch wirklich; das Recht ist das, was ich kann, was praktisch möglich ist. In allen weiteren Ausführungen zeigt sich nun die Schwäche dieser rein negativen Begriffsbestimmung. Der einzelne Wille wird dem allgemeinen Willen, beide dem Willen überhaupt entgegengestellt. Und so ist von vornherein durch die Unklarheit über das Verhältnis des Individuums zur Allheit eine fruchtbare Entfaltung des Rechtsbegriffs unmöglich gemacht.

Mehr Bedeutung für unser Thema hat die Entwicklung des Rechts und des Staates, wie sie SCHELLING in seinem System des transszendentalen Idealismus gegeben hat. SCHELLING war mittlerweile zu dem Standpunkt der absoluten Identität durchgedrungen. Dieser Standpunkt ist es denn auch, welcher seine Auffassung von

1) Vgl. F. W. SCHELLINGS sämtliche Werke ed. SCHELLING I, 1. § 64 u. 65.

Recht und Staat beherrscht. Er suchte Naturphilosophie und transszendentalen Idealismus dadurch zu vereinigen, daß er in ihnen nur zwei Wege zu demselben Ziele sehen wollte. Beide nämlich, Natur und Vorstellungswelt des Menschen, entspringen aus einem gemeinsamen ursprünglichen Sein, das SCHELLING als das absolute bezeichnet. In ihm gibt es weder Subjekt noch Objekt, weder Freiheit noch Notwendigkeit, weder Bewußtes noch Unbewußtes. Erst wenn es in die Erscheinung tritt, entstehen die beiden Reihen des bewußtlos naturnotwendig schaffenden Daseins der Objekte und des bewußt und frei schaffenden Subjekts. Ihre vorseiende Identität im Absoluten ermöglicht allein auch die Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Objekt.

Dieser Ausgang SCHELLINGS vom Absoluten ist seiner ganzen Lehre vom Staat verderblich geworden. Man möchte des Mephisto Warnung: „Kommt nur nicht absolut nach Haus"! 1) oder die vorsichtigen Erörterungen KANTS 2) ihm entgegenhalten. SCHELLING ist der erste Vorkämpfer in dem zuweilen bösartigen Kampfe gegen das Naturrecht geworden. Um das Wesen des Rechtsgesetzes recht durchsichtig werden zu lassen, will er über der Natur gleichsam noch eine zweite errichtet wissen, in welcher ein ,,Naturgesetz zum Behufe der Freiheit" 3) herrscht. Da nun das Rechtsgesetz ein Naturgesetz ist, kann die Rechtslehre nicht zur Moral gehören, sie kann überhaupt keine praktische Wissenschaft sein. Sie ist vielmehr eine rein theoretische Erkenntnis,,,welche für die Freiheit eben das ist, was die Mechanik für die Bewegung, indem sie nur den Naturmechanismus deduziert, unter welchem freie Wesen als solche in Wechselwirkung gedacht werden können“. 4) Wir stehen hier vor einem alten Mißverständnis, das in letzter Hinsicht ARISTOTELES durch seine Unterscheidung von Theorie und Praxis verschuldet hat. Es fehlt auch bei SCHELLING an der Einsicht, daß, wer sich um die Ethik kümmert, die Praxis begründet, daß eben die reine Theorie die reine Praxis ist Die Freiheit SCHELLINGS ist naturalistisch, ja man kann sogar sagen, naturgesetzlich. Sie ist nicht autonom, sondern heteronom. Auf ähnlichen Gedanken

1) Faust II. Teil: Baccalaureusszene.

2) KANT, Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl. S. 380 ff.

3) System des transszendentalen Idealismus. Tübigen 1800. S. 406. 4) A. a. O.

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