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Vorwort.

Gemeinsames Ziel aller Erziehung ist die Menschenbildung. Auch die Politik muß als Erziehungslehre gelten; auch sie kann nur ihrem höchsten Zwecke dienstbar sein, wenn sie wirklich Kulturpolitik wird. Der Zweck des Staates darf nur in der Verwirklichung der Gerechtigkeit und der Sittlichkeit erkannt werden. Der Staat wäre nicht gerechtfertigt, wenn er nicht auf die Förderung der kulturellen Interessen seiner Angehörigen bedacht wäre. soll zum Anwalt allgemeinmenschlicher Sittlichkeit werden und die Völker zur reinen Humanität führen, wo jeder Mensch als-Mensch leben kann.

Die Zeit, in welcher dieser Rechtscharakter des Staates und sein Zusammenhang mit der Ethik erkannt worden ist, wird unser klassisches Zeitalter genannt. Die Resultate des Naturrechtszeitalters finden hier ihre Überwindung und zugleich ihre Vertiefung. Die Erkenntnis, daß die politischen Anschauungen unserer Zeit viel zu sehr von äußeren Machtfragen beeinflußt werden, hat in weiten Kreisen des deutschen Volkes die Überzeugung entstehen lassen, daß unsere Politik ihren Zusammenhang und ihre Grundlage in dem Kultursysteme unserer klassischen Zeit suchen müsse.

Die vorliegende Arbeit unternimmt es, die Ansichten unserer großen Männer über Staat, Recht, Erziehung aus der Einheit ihrer philosophischen Systeme heraus klarzulegen.

G. FALTER.

I.

Überblick über Staat und Recht von der Renaissance bis zur Zeit Leibnizens.

In der Renaissance erlangt das menschliche Denken, das menschliche Selbstbewußtsein seine Befreiung aus den beengenden Schranken der Kirche. Während das Mittelalter die Grundlagen unserer Kultur, Staat, Recht, Sittlichkeit, Wissenschaft, theokratisch umgewertet und nur auf den Wert, den sie für die Theologie hatten, ansah, sprach die Renaissance ihre Selbständigkeit und ihren Eigenwert aus. Und zwar hat sie das Recht der Vernunft unter dem Namen des Naturrechtes verteidigt. Unter der Devise der Natur entwickeln sich die Begriffe der heutigen Kultur.

Das Stammgebiet der Renaissance ist das Mittelalter. Sie leitet nur neue belebende Quellen des Altertums auf die ausgetrockneten Gefilde des Mittelalters, und der ausgeruhte Boden bringt die frischesten und schönsten Blüten hervor, die je der Garten menschlicher Kultur getragen hat. Es ist der künstlerische Geist PLATONS, der an der Wiege der Renaissance Pate stand in Literatur, Kunst, Staatslehre und Philosophie.

PLATO hatte die Idee des Rechts als Norm für das politische Leben der Völker aufgestellt. Dies war der Leitstern, unter dem die Renaissance bedeutsame Begriffe bildete und entfaltete, welche die eigentliche Seele des Rechts- und Staatslebens auch unserer Zeit noch ausmachen.

Vor allem hat das Naturrecht den Gedanken der Volkssouveränität gestärkt und ihm zum Ausdruck verholfen. Das Erwachen der Demokratie kann als Beispiel dafür gelten, wie der Staat durch die Kultur gefördert, wie er von ihr bezwungen wird. Der Kirche war dieser Gedanke von der Gleichberechtigung des

Falter, Staatsideale.

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Volkes zuwider, sie behauptete das göttliche Recht der Regierungen und betrachtete den Staat nur als Notbehelf, gut genug, die sündige

zu einem auf das Jenseits geAUGUSTIN erkennt darin den Er freut sich sogar über den auf Göttliches sich bezieht,

Menschheit in Zwang zu halten und richteten Lebenswandel anzuhalten. Zweck und das Wesen des Staates. Staat, soweit man etwas, das nicht Freude nennen kann 1). Der Staat ist nicht mehr wie bei PLATON und ARISTOTELES Mittel und Weg zur Verwirklichung der Idee des Guten, sondern ein notwendiges Übel, das durch die Schwäche der sündigen menschlichen Natur gefordert wird. Daher verfällt er beim jüngsten Gericht der Verdammnis anheim, während der Bürger des Gottesstaates der ewigen Seligkeit teilhaftig wird. Diese Lehre ist es, welche dann später bei ST. THOMAS und der orthodoxen Kirche überhaupt zur Behauptung von der Suprematie der Kirche über den Staat geführt hat, Denn die Kirche ist die Erscheinung des Gottesstaates auf Erden.

Renaissance und Reformation haben einen neuen Begriff des Staates, den des von der Kirche unabhängigen Staates, und den Gedanken der Gleichberechtigung des Volkes an der Verwaltung des Staates geschaffen. Die naturrechtliche Idee von der Gleichberechtigung aller Menschen hatte diesen Gedanken in die Welt gesetzt, wie sie auch den anderen gebar, daß der Unterschied des religiösen Bekenntnisses keine Differenz in der Verteilung der bürgerlichen Rechte bedingen dürfe.

Der schwerwiegendste dieser Gedanken ist ohne Zweifel der der Souveränität des Volkes. Es gibt keine einzige politische Idee, die im Laufe der letzten Jahrhunderte eine ähnliche Wirksamkeit ausgeübt hätte, wie die Volkssouveränität. Bisweilen zurückgedrängt und nur die Meinungen bestimmend, aber dann wieder hervorbrechend, offen bekannt, niemals realisiert und immer eingreifend, ist sie das ewig bewegliche Ferment der modernen Welt." 2) Die Lehre von der Volkssouveränität fand ihre Verteidiger in den Monarchomachen 3), unter denen man wohl dem deutschen ALTHUSIUS die erste Stelle anweisen kann. Auch THOMAS MORUS gehört in gewissem Sinne zu ihnen. Er schrieb im Jahre 1516: De optimo

1) Civ. dei XV, 4. 2) RANKE, Engl. Gesch., Bd. III, S. 287.
3) R. TREUMANN, Die Monarchomachen. Leipzig 1905.

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