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IMMANUEL KANT'S

SÄMMTLICHE WERKE

IN CHRONOLOGISCHER REIHENFOLGE

HERAUSGEGEBEN

VON

G. HARTENSTEIN.

ERSTER BAND.

MIT DREI LITHOGRAPHIRTEN TAFELN,

LEIPZIG,

LEOPOLD VOSS.

1867.

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VORREDE.

Bei dem Erscheinen des ersten Bandes einer neuen Ausgabe der Werke IMMANUEL KANT's, deren Besorgung ich auf den Wunsch des Herrn Verlegers übernommen habe, liegt mir zuvörderst ob, über den Umfang und die Anordnung derselben, sowie über die bei der Revision und Feststellung des Textes befolgten Grundsätze eine kurze Rechenschaft zu geben.

Die vorliegende Ausgabe umfasst neben den entweder von KANT selbst oder mit seinem Willen und zum Theil unter seiner Aufsicht und persönlichen Mitwirkung herausgegebenen Schriften alles das, was als ein von ihm unzweifelhaft herrührendes Schriftstück bis jetzt veröffentlicht worden ist. Ausgeschlossen bleiben die VOLLMER'sche Ausgabe seiner physischen Geographie, die von K. H. L. PÖLITZ herausgegebenen „,Vorlesungen über philosophische Religionslehre" (Leipzig, 1817) und über „Metaphysik“ (Leipzig, 1831), so wie die von J. A. BERGK (unter dem angenommenen Namen FR. CHR. STARKE) ebenfalls aus Vorlesungen herausgegebene ,,Anweisung zur Weltund Menschenkenntniss" (Leipzig, 1831) und „Anweisung zur Menschenkunde oder philosophische Anthropologie" (Leipzig, 1831). Diese Schriften können sämmtlich so wenig auf Authentie Anspruch machen, dass sie hier ebenso, wie in den früheren zwei Gesammtausgaben der Werke KANT's, unberücksichtigt bleiben durften. Selbstverständlich gilt dies auch von der untergeschobenen Schrift:,,Antwortschreiben des Professor KANT an den Abbé SIEYES in Paris. 1796. Aus dem lat. Original übersetzt". o. O. 1797.

Ausser diesen Schriften schien aber auch von der Benutzung einer aus KANT's Nachlass zu Tage gekommenen umfänglichen, aber

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unvollendeten Handschrift, welcher UEBERWEG (Grundriss d. Gesch. d. Philos. Bd. III, S. 141) die Bezeichnung,,zur Metaphysik der Natur“ gibt, bei der vorliegenden Ausgabe ebenso abgesehen werden zu dürfen, wie von der etwaniger sonstiger Paralipomena von KANT, die möglicher Weise hier und da noch zerstreut sein können. Auf die Existenz jener Handschrift hat meines Wissens zuerst F. W.SCHUBERT in den neuen preussischen Provincialblättern (Königsb., 1858, S. 58-61) aufmerksam gemacht; eine ausführliche Beschreibung derselben hat RUD. REICKE in der altpreussischen Monatsschrift (Königsb., 1864, Bd. I, S. 742-749) mitgetheilt. So wünschenswerth und erfreulich nun auch eine Bearbeitung und Herausgabe dieser in die allerletzten Lebensjahre KANT'S fallenden Niederschriften sein mag, eine Herausgabe, welche nach einer Andeutung UEBERWEG's (a. a.O. S. 168) von Herrn Dr. REICKE vielleicht zu erwarten steht, so ist doch zuvörderst jene Handschrift fremdes Eigenthum, und sodann war der Eindruck, den die von REICKE mitgetheilte Beschreibung ihres Inhalts und ihrer Beschaffenheit auf mich gemacht hat, nicht von der Art, dass ich mich dadurch genöthigt gesehen hätte, eine Bearbeitung derselben als einen wesentlichen und unentbehrlichen Bestandtheil einer Sammlung der Werke KANT's anzusehen. Wird sie veröffentlicht, so wird sie als ein Supplementband zu allen bisherigen Ausgaben der Werke KANT's betrachtet werden können. Selbst rücksichtlich der Briefe von und an KANT konnte die Frage entstehen, ob sie nicht ebenso von der Sammlung seiner Werke auszuschliessen seien, wie die Briefe GOETHE'S, SCHILLER'S, HERDER'S u. Anderer in den Gesammtausgaben ihrer Werke fehlen; die geringe Bogenzahl jedoch, welche sie einnehmen, und der Umstand, dass sie in den bisherigen Gesammtausgaben mit enthalten sind und von den Besitzern dieser Ausgabe nur ungern vermisst werden würden, entschied dafür, die bis jetzt veröffentlichten auch hier wieder mit abdrucken zu lassen.

Für die Anordnung liegt bei der Mannigfaltigkeit und Vielscitigkeit der Schriften KANT's der Gedanke am nächsten, die Gesammtheit derselben nach der Gleichartigkeit und Verwandtschaft des Inhalts zu gruppiren, und in den beiden bisherigen Gesammtausgaben ist dieser Gesichtspunkt für die Vertheilung des Stoffes in die einzelnen Bände maassgebend gewesen. Der Wunsch des Verlegers, bei etwas knapperem Druck eine minder umfängliche und leichter

zugängliche Gesammtausgabe herzustellen und deshalb das gesammte Material auf höchstens acht Bände zu vertheilen, ist die Veranlassung gewesen, für diese Ausgabe von einer sachlichen Anordnung abzusehen und statt dessen mit Ausnahme der Briefe und sonstiger kleinerer Bestandtheile der ganzen Sammlung, die sich am bequemsten gruppenweise am Ende des letzten Bandes zusammenstellen lassen, für alle selbstständig erschienenen Werke und Abhandlungen KANT'S die chronologische Reihenfolge zu wählen. Die Gesammtheit seiner Schriften nach Verwandtschaft ihres Inhalts gerade in acht Gruppen zu vertheilen, war, wenn nicht die einzelnen Bände ihrem Umfange nach unverhältnissmässig ungleich werden sollten, nicht wohl ausführbar. Einen Nachtheil für diejenigen, welche KANT's Schriften studieren, kann eine sich nicht nach der Gleichartigkeit des Inhalts richtende Anordnung in keiner Weise mit sich führen, da Niemand, der dies thut, diese Schriften gerade in der Reihenfolge lesen wird, in welcher sie in einer Gesammtausgabe nach sachlichen Gesichtspunkten zusammengestellt sind; bei jeder solchen Anordnung wird ausserdem dem subjectiven Ermessen des Herausgebers ein nicht geringer Spielraum übrig bleiben und jedenfalls bietet eine chronologische Anordnung den Vortheil dar, dass sie sich der allmähligen Entwickelung der Denkart und der wissenschaftlichen Thätigkeit des Verfassers unmittelbar anschliesst, ein Gesichtspunkt, von welchem aus ganz vor Kurzem UEBERWEG (a. a. O. Bd. III, S. 128) eine chronologische Anordnung geradezu als die weit vorzüglichere bezeichnet hat. Die Möglichkeit, eine bestimmte einzelne Abhandlung leicht zu finden, kann für die, denen das Jahr ihres ersten Erscheinens nicht sogleich gegenwärtig ist, durch ein Gesammtverzeichniss mit wenig Mühe gesichert werden.

Auf die Revision und Feststellung des Textes habe ich für meine Pflicht gehalten, nochmals die grösste Sorgfalt zu verwenden. Die einzige zuverlässige kritische Grundlage bieten in dieser Beziehung die Originalausgaben der einzelnen Schriften; ich habe sie, auch wo dies bei meiner früheren Ausgabe schon geschehen war, nochmals genau verglichen; eine wiederholte Vergleichung, die zwar mühsam genug, aber, wie mich der Erfolg gelehrt hat, doch in einzelnen Fällen nicht ohne Ertrag war. Die grösste Schwierigkeit liegt hierbei nicht in der Arbeit selbst, sondern darin, dass die Originalausgaben der ältesten Schriften KANT's bis zu dem Jahre 1770 zum

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