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thun, ist dieser Sammlung Zweck; dass dann auch die Bewunderung und Liebe nicht ausbleiben werden, dafür lässt der Herausgeber vertrauensvoll Kant selber sorgen.

Für Fachgelehrte sind also diese Aussprüche nicht bestimmt. Wer Kant aus dessen eigenen Werken kennt, wird sich verbitten, Gedanken, die durch den Zusammenhang, in den sie gestellt sind, gesteigerte Bedeutung erfahren, noch einmal, losgelöst aus den Verbindungen und aller fruchtbaren Beziehungen entkleidet, vorgesetzt zu bekommen. Dagegen regen diese Gedanken vielleicht unter den Laien den Einen oder den Andern an, ein Kantisches Werk selbst aufzuschlagen, in dessen Tiefe sich gewiss nie ohne Gewinn zu versenken. Aber auch derjenige, dessen Anlage oder Beruf ihn vermutlich niemals den Blick in ein philosophisches System wird werfen lassen, der allen theoretischen Spekulationen abgewandte Geist, der Künstler, der Geschäftsmann, der Beamte wird, wenn er in diesen Blättern liest, - Kant nicht mehr fremd gegenüber stehen. Vielleicht entdeckt er gerade dieses Etwas, in dem jeder Deutsche seinen grossen Meistern verwandt ist.

Doch soll Niemand von dieser Spruchsammlung erwarten, dass sie ihm auf bequeme Weise die Kantische Philosophie oder auch nur die eigentümlichsten Gedanken derselben übermittle. Jede Philosophie bildet einen in sich geschlossenen Zusammenhang, und ihre Grundgedanken sind am allerwenigstens bei Kant aus diesem Zusammenhange herauszulösen. Lässt sich somit von den ,,Aussprüchen" nur weniges über die eigentlichen Lehren Kant's und dessen wissenschaftliches System erfahren, so spiegeln sie doch die Kantische Lebensanschauung einigermassen getreu wieder. Und überdies lebt in ihnen allen Kant's edelgrosse Persönlichkeit. Darauf, dass diese Sammlung in jedem Teile auch wirklich Kantischen Geist atme, bin ich bei ihrer Zusammenstellung vor allem bedacht gewesen. Der Mensch aber ist gerade beim Philosophen von seinem Werk nicht zu trennen; wer sich mit dem Menschen Kant vertraut macht, darf also auch hoffen, in die Anschauungen des Denkers einen Blick zu thun.

Über diese individuelle Wirkung auf den einzelnen Menschen hinaus verfolgt diese Sammlung noch ein höheres, kühneres und versteckteres Ziel. Die Kantische Lebensansicht will sich durch dieselbe dem Geist unsrer Zeit zur Kenntnisnahme, vielleicht gar zur Beherzigung empfehlen. Von der Bedeutung Kant's für die neuere Wissenschaft ist wiederum nicht die Rede. Diese Bedeutung steht fest. „Zurück zu Kant" ist das Losungswort nicht nur einer wissenschaftlichen Richtung geworden. Man streitet sich hier wohl darüber, was uns Kant sein solle, und was er uns nicht sein solle; dass er uns etwas ist und sein soll, nimmt man in diesen Kreisen als selbst

verständlich an. Hier aber handelt es sich darum, ob Kant auch unsrer Zeit noch ein Führer durch das Leben (gewiss nicht der einzige, aber doch einer) sein könne, ob er die Lebensrichtung des heutigen Menschen noch irgendwie mitzubestimmen vermöge. Und da ist soviel gewiss: Die Kantische Lebensanschauung ist das wohlthätigste Gegengewicht für manche Strömung der Zeit. Da sie innig verknüpft ist mit ewigen Ideen, raubt es ihr nichts an überzeugender Kraft, dass sie nicht der zeitlichen Gegenwart Kind ist und ihre Form oft altertümlich anmutet. Gerade dem Zeitlichen in unserer Gegenwart tritt sie als lebendige Mahnung, und dem ÜberschwenglichZeitlichen, dem ausschliesslich „Modernen" als heilsames Zuchtmittel entgegen.

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Ein überspannter Subjektivismus und Individualismus ist das Glaubensbekenntnis einer grossen Bewegung unsrer Tage. Vorzüglich in der modernen Kunst hat diese Lebensansicht ihren talentvollsten Ausdruck erfahren: von der liebevollen Zergliederung des Allerindividuellsten im Menschen, unsrer unwillkürlichen Associationen und verschwimmenden Stimmungstöne im modernen Roman, Drama und Gedicht bis hinauf zur Vergötterung des selbstherrlichen Individuums im modernen Dithyrambus. Die äusseren Dinge, die Objekte, kommen nur insoweit in Betracht, als sie in den einzelnen Persönlichkeiten Vorstellungen und Phantasiebilder anregen, das Spiel der Gefühle und Leidenschaften auslösen und Willensbethätigungen hervorrufen; selbst das Wahre und ebenso das Schöne und Gute wird nicht mehr in objektiven Verhältnissen gegründet; auch über diese Werte befindet und entscheidet das Individuum. Dadurch geraten Werte und Wirklichkeiten in's Schwanken. Denn alles Subjektive scheint naturgemäss relativ, veränderlich und nur von individueller Geltkraft. Der gefühlsmässige Niederschlag dieser Schwankungen kann im Leben nur ein gewisser Stimmungsskepticismus sein, oder aber ein Akt trotziger Selbstüberhebung, zwar kein zweifelnder, aber ein verzweifelter Schritt. Solche stimmungsmässigen Überzeugungen bereiten der heutigen Jugend aller Kulturländer schwere und ernste Leiden. Hiergegen wüsste ich nun kein heilkräftigeres Mittel als ein Bad in dem reinen Stahlquell des Kantischen Geistes. Niemand braucht zu befürchten, dadurch in die überwundene Denkweise vergangener Zeiten zurückversetzt zu werden. Das wirklich Wahre und Wertvolle an seiner Lebensansicht, dasjenige, was mit Recht als eine Errungenschaft der neuen Zeit bezeichnet werden darf, soll ihm nicht entrissen, nicht verkürzt werden: dass die Welt, in der wir leben, nicht eine einfache Spiegelung objektiver, an sich seiender, absoluter Dinge und Verhältnisse ist, sondern auf allen wesentlichen Punkten mitbestimmt durch die Beschaffenheit des menschlichen Subjekts. In diesem Sinne hat auch Kant den Subjektivismus ver

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treten; ja er hat eigentlich diese Anschauungsweise in ihrer ganzen Wucht zum ersten Mal verkündet, mit einer Schärfe bis in's Einzelne und Einzelste durchgeführt, und mit einer Kühnheit ihre Folgerungen gezogen, welche vielleicht den eingefleischten Stimmungsindividualisten von heute, würde er sich in sie versenken, erschrecken möchte. aber das Auszeichnende an dem Kantischen Subjektivismus ist, zugleich das Stärkende und Erfrischende an ihm: für Kant ist das Subjektive keineswegs gleichbedeutend mit dem Relativen, dem Willkürlichen, Beliebigen, Gesetzlosen, Anarchischen. An jedem Subjekt sind zwei Seiten streng zu scheiden: die eine ist rein individuell, ist bei den einzelnen Menschen, ja bei demselben Menschen je nach der Lebenslage ganz verschieden; ihr gehören die Sinnesempfindungen, vor allem aber das weite Reich der Gefühle und Gemütsbewegungen, unsre Sympathien und Antipathien an. Die andre Seite hat es mit demjenigen zu thun, was allen Subjekten gemeinsam ist, nämlich mit den Gesetzen und Formen, nach denen der Mensch die Welt der wirklichen Dinge, die Natur, aber auch die Welt der Schönheit und der Sittlichkeit notwendig erbaut. Diese Formen und Gesetze stammen zwar aus dem Subjekt, aber nicht aus den Menschen, sondern aus dem Menschen; sie sind allen Menschen eigen. Darum gelten sie auch für alle Zeiten, an allen Orten und für alle Individuen. Diese allgemeine Giltigkeit steht nicht mit ihrem subjektiven Ursprung in Widerspruch; vielmehr gerade weil sie allgemeine Geltung haben, können sie ihren Ursprung nur im Subjekt nehmen. Allgemeingiltig sind sie, wie Kant nachweist, weil sie die Grundvoraussetzung aller objektiven Erfahrung und Erkenntnis (der Natur), aller Wissenschaft und aller Kunst, von Sittlichkeit und Recht weil sie die Grundbedingungen des vollbewussten Lebens selber sind. Was aber Grundbedingung der Objekte ist, sofern sie für uns überhaupt Gegenstand der Erkenntnis werden sollen, kann von den Objekten sich nicht herleiten; es kann, da hier ausser Objekten und Subjekten keine dritte Quelle fliesst, nur aus dem Subjekte selber stammen, dessen ureigenen Erkenntnis- und Willensformen (dem a priori) sich die objektive Welt ausnahmslos fügen muss. Solche Bestandteile a priori sind z. B. im Erkenntnisgebiete Raum und Zeit, mit deren gesetzmässigen Beziehungen sich die Mathematik beschäftigt, die Causalität und der Substanzbegriff, die letzten Elemente der Naturwissenschaft, im Willensgebiet das Sittengesetz, mit dem sich alle moralischen Handlungen im Einklang befinden müssen. In dem Nachweis für diese Behauptungen besteht die wissenschaftliche Grossthat Kant's, mit der wir es hier nicht zu thun haben. Im Einklang damit heisst uns auch die Kantische Lebensansicht nicht auf den Standpunkt zurückkehren, auf dem man von einer objektiven Welt, die unabhängig vom Subjekt besteht, endlich oder unendlich ist, und in der

die Werte des Guten und Schönen gelagert sind, als von etwas Selbstverständlichem redet; aber sie lehrt uns, dass der Subjektivismus nicht notwendig zum Individualismus und Relativismus zu führen braucht, dass es auch am Subjekt Ewiges, Unwandelbares, Notwendiges und Gesetzmässiges giebt. Damit bietet sie sich allen denen als Anker und Halt an, welche die Brücke, die zur naiven alten Auffassung zurück führt, hinter sich abgebrochen, und doch auf dem Lande der neuen Weltansicht unter dem scheinbaren Fluss alles Festen, der Zersetzung alles Ewig-Wertvollen schwer zu leiden haben. Und derer sind nicht wenige. In dem Gesetzmässigen, Allgemeingiltigen, das Kant's Lebensansicht in neuer Bedeutung hervorkehrt, lässt sich gut ruhn; ganz abgesehen davon, dass schon Kant's strenge und systematische Behandlung des Subjektiven an sich beruhigend und kräftigend wirkt und alle bedenklichen Folgen eines unkritischen Subjektivismus im Keime erstickt.

Mit dem angedeuteten allgemeinen Grundergebnis dieser Lebensphilosophie hängen eng ihre einzelnen Züge zusammen, an denen unsre Zeit nicht achtlos vorüber gehen sollte. Vor allem ist es der Geist der Kritik, den zu üben uns Kant vorbildlich gelehrt hat. Die vertiefte und wahrhaft philosophische Kritik besteht nicht in dem raschen Absprechen für oder wider, noch in einer dialektisch-klügelnden Zersetzung aller Ansichten, die uns begegnen. Sie ist nicht Geschwätz. In methodischem und besonnen-prüfendem Forschen steigt sie überall zu den Grundlagen und Elementen der Erkenntnis, der Welt und des Lebens herab. Kant's Hauptwerke sind in diesem Sinne durchaus elementare Bücher; sie handeln von den Elementen der Wissenschaft, der Moral, der Kunst und der Religion. Eine solche Kritik vertieft nicht nur, sie macht auch tapfer. Vor nichts schreckt sie zurück; alles muss sich ihr unterwerfen, auch dürfen sich „,Religion durch ihre Heiligkeit und Gesetzgebung durch ihre Majestät“ ihr nicht entziehen. (Spruch 105.) So hat Kant die schönste Frucht der Aufklärungszeit, die Freiheit zu denken, zu uns herübergerettet. Weder der staatliche Zwang, noch der Gewissenszwang, noch die Missachtung der nüchternen Vernunftprüfung durch eine falsche Genialität, ,,welche wir gemeine Menschen Schwärmerei, jene Günstlinge der Natur aber Erleuchtung nennen", dürfen die Denkfreiheit antasten. Belehrten uns nicht einige stilistische Wendungen eines Bessern, man möchte glauben, die diesbezüglichen Ausführungen (Spruch 108) seien für unsre Tage eigens geschrieben. Aber die Grenzen der Aufklärung hat Kant wohl gesehen; er selbst war es, der sie zum ersten Mal klar und scharf gesteckt hat. Diese Grenzbestimmung betrachtete er immer als das vornehmste Werk der Kritik. Es lässt sich nicht Alles klären. Aber nur, wer zu den Quellen der Erkenntnis hinabsteigt, kann den Ort genau bestimmen,

an dem menschliches Wissen sich zu bescheiden habe. Der Geist Kantischer Kritik macht tapfer und bescheiden zugleich. Diese Scheide von Wissen und ewigem Nichtwissen hat Kant zwischen der sinnlichen Welt, der Welt der Erscheinungen, und der übersinnlichen Welt der Dinge an sich gezogen, in welch' letzterer auch die Objekte des religiösen Glaubens (nicht Wissens) gelagert sind. So ist eine „,Philosophie der Unwissenheit" das erste Ergebnis der Kritik.

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Tröstlich wird diese Lebensansicht dadurch, dass der Mensch zu beiden Welten gehört; in der sinnlichen Welt der Erscheinungen leben wir unser irdisches Dasein; aber der Zugehörigkeit zu einer übersinnlichen Welt sind wir uns unmittelbar durch das sittliche Gewissen bewusst. Die gedankliche Formulierung unsrer Gewissensaussagen der Hauptinhalt des wissenschaftlichen Teils der Kantischen Sittenlehre ist das, was Kant das Sittengesetz oder den kategorischen Imperativ zu nennen pflegt. Es ist ein Gebot der „praktischen“ Vernunft (d. h. der Vernunft, welche den Willen zum Handeln bestimmt.) Wer diese Formulierungen für etwas Geringfügiges erachtet, wird statt aller Entgegnungen gebeten, Spruch 121 einzusehen. Kant will nicht auf gelehrtem Wege die Moral entdecken, die ja auf ungelehrtem Wege längst entdeckt war, so lange es Menschen gab. Seitdem er Rousseau gelesen, steht es für ihn fest: das Sittliche kann kein subtiles, nur dem Gelehrten zugängliches Gut sein; ebensowenig bedarf es der verfeinerten Gefühlsschattierungen der Vornehmen und Cultivierten zu seiner Besitzergreifung. Es wohnt in jedes Menschen Herz, auch in dem des social-niedrigen und intellektuell ungebildeten Mannes; und hier vielleicht am unverdorbensten und reinsten. Moralität hat mit Kultur nichts zu schaffen. Sie steht über den Zeiten und den Landen. Wir sind in hohem Grade durch Kunst und Wissenschaft kultiviert. Wir sind civilisiert, bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns schon für moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel" (Spruch 167). Sind diese Worte nur für das achtzehnte Jahrhundert geschrieben? Es kann nach alledem nicht ausbleiben, dass der Kern solch' ethischer Anschauungen von etwas im Grunde sehr Einfachem und Naivem gebildet wird: es ist der gute alte Pflichtbegriff, der im Mittelpunkt dieser Morallehre steht. Aber Kant zeigt uns die Pflicht in einem so neuen Lichte, umflossen von einer so strahlenden Glorie, deren Leuchtkraft dem tiefsten Menscheninnern entstammt, dass Mancher, für den Pflicht und Sollen auf Grund der neuen Zeit längst überwunden und als philisterhaft abgethan gelten, wenn er hier Kant's Aussprüche durchliest, bedenklich den Kopf schütteln und ernste innere Einkehr halten wird. Die Pflicht im Kantischen Sinne ist keine Alltagsleistung. Sie lastet als schwere Wucht auf mensch

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