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daher neue ähnliche Revolutionen erleiden müssen; bis endlich einmal, teils durch die bestmögliche Anordnung der bürgerlichen Verfassung innerlich, teils durch eine gemeinschaftliche Verabredung und Gesetzgebung äusserlich, ein Zustand errichtet wird, der, einem bürgerlichen gemeinen Wesen ähnlich, so wie ein Automat sich selbst erhalten kann.

268.

Auf der Stufe der Kultur, worauf das menschliche Geschlecht noch steht, ist der Krieg ein unentbehrliches Mittel, diese noch weiter zu bringen; und nur nach einer (Gott weiss wann) vollendeten Kultur würde ein immerwährender Friede für uns heilsam, und auch durch jene allein möglich sein.

269.

Wenn es Pflicht, wenn zugleich gegründete Hoffnung da ist, den Zustand eines öffentlichen Rechts, obgleich nur in einer in's Unendliche fortschreitenden Annäherung wirklich zu machen, so ist der ewige Friede, der auf die bisher fälschlich so genannten Friedensschlüsse (eigentlich Waffenstillstände) folgt, keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele, (weil die Zeiten, in denen gleiche Fortschritte geschehen, hoffentlich immer kürzer werden,) beständig näher kommt.

270.

Die Deutschen hängen nicht am Boden, sondern verpflanzen sich leicht allerwärts; sie sind kosmopolitisch aus Temperament und hassen kein Volk, als höchstens zur Wiedervergeltung. Haben sie nicht viel Genie, so haben sie gute Urteilskraft, die Produkte desselben zu nützen. Sind sie nicht blendend durch Neuigkeit, so sind sie tüchtig durch Stetigkeit. Sie sind gemacht, das Gute aller Nationen zu sammeln und zu vereinbaren, und nehmen alle gleich willig auf.

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Menschenkunde.

Motto: Der grösste Sinnengenuss, der gar keine Beimischung von Ekel bei sich führt, ist, im gesunden Zustande, Ruhe nach der Arbeit.

272.

Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. Nur die Annäherung zu dieser Idee ist uns von der Natur auferlegt.

273.

Am Menschen, (als dem einzigen vernünftigen Geschöpf auf Erden,) sollten sich diejenigen Naturanlagen, die auf den Gebrauch seiner Vernunft abgezielt sind, nur in der Gattung, nicht aber im Individuum vollständig entwickeln.

274.

Die Natur hat uns selbst darauf geführt, zwar empfindsam aber gleichmütig zu sein (Gegenteil von Leidenschaft). Sie hat allen Eindrücken etwas entgegengesetzt. Sie lehrt uns, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden, dass wir nämlich uns über eine Gunst des Glückes nicht wie Kinder erfreuen noch über dessen Ungunst wie Kinder betrüben sollen. Sie hat der lebhaften Freude hintennach den Überdruss und Gleichgiltigkeit gestellt, damit wir nicht durch Einbildung uns phantastische Glückseligkeit dabei gedächten; die Liebe, welche sich von dem Zwange der Verbindlichkeit frei spricht, mit viel Kränkungen, die, so sich der Ordnung und dem Gesetze unterwirft, mit Beschwerlichkeit, vornehmlich mit Kaltsinn verbunden, damit der Mann nicht ein Geck seiner Leidenschaft werde. Sie hat das Unbedeutende der Menschen und ihrer Urteile so vor Augen gelegt, damit wir zwar durch Hang nicht ohne Gefühl für ihr Urteil wären, aber daraus auch keine Sache machen sollen, die uns ans Herz geht.

275.

Man kann in Ansehung des Interesses an dem, was in der Welt vorgeht, zwei Standpunkte nehmen, den Standpunkt des Erdensohns und den des Weltbürgers. In dem ersten interessiert nichts als Geschichte, und was sich auf Dinge bezieht, sofern sie Einfluss auf unser Wohlbefinden haben; im zweiten interessiert die Menschheit, das Weltganze, der Ursprung der Dinge, ihr innerer Wert, die letzten Zwecke, wenigstens genug, nur darüber mit Neigung zu urteilen. Der Standpunkt des Erdensohns führt uns zu unserer nächsten Pflicht, nur muss man daran nicht geheftet sein. Es macht einen thätigen, wackern Mann, aber doch von engem Herzen und Aussichten. Der Erdensohn hat nicht genugsam Stoff in sich selbst; er hängt an den Menschen und Dingen, von denen er befangen ist. Weltbürger muss die Welt als Einsassen und nicht als Fremdlinge betrachten.

276.

Die menschliche Natur stürzt sich lieber in Irrtümer als Unwissenheit, sowie lieber in Gefahr als Unschlüssigkeit, lieber in Sorgen und Bekümmernisse als Genügsamkeit und Enthaltung.

277.

Man muss

Es giebt Irrtümer, die man nicht widerlegen kann. den verkehrten Kopf in Erkenntnisse führen, die ihn aufklären; alsdann verliert sich der Irrtum von selbst. Umsonst wird man die blinde Meinung der Sympathie Jemandem benehmen; man lehre ihn die Physik.

278.

Man täuscht sich nirgends leichter, als in dem, was die gute Meinung von sich selbst begünstigt.

279.

Die, so niemals selbst denken, besitzen dennoch die Scharfsichtigkeit, alles, nachdem es ihnen gezeigt worden, in demjenigen, was sonst schon gesagt worden, aufzuspähen, wo es doch vorher Niemand sehen konnte.

280.

Es ist merkwürdig, dass der Unwissende ein Vorurteil für die Gelehrsamkeit hat und der Gelehrte dagegen wiederum ein Vorurteil für den gemeinen Verstand.

281.

Das Künftige ist der fortgesetzte Lauf der Welt des Vergangenen und Gegenwärtigen, nur im Nebel. Nur die Zukunft scheint uns wichtig. Woher mag das kommen und was mag es bedeuten ?

282.

Jedermann würde die schlechten Umstände auf die erste Lebenszeit und die guten auf die letzte verschieben, damit er sie im Prospekt hätte.

283.

Wir denken selten bei dem Licht an Finsternis, beim Glück ans Elend, bei der Zufriedenheit an Schmerz; aber umgekehrt jederzeit.

284.

Dass ich etwas Gutes nicht habe, was ich habe besitzen können, schmerzt lange nicht so sehr, als dass ich etwas nicht mehr besitze, was ich gehabt habe.

285.

Man muss sich nur schlecht auf die Schätzung des Wertes des Lebens verstehen, wenn man noch wünschen kann, dass es länger währen solle, als es wirklich dauert; denn das wäre doch nur eine Verlängerung eines mit lauter Mühseligkeiten beständig ringenden Spiels. Aber man mag es einer kindischen Urteilskraft allenfalls nicht verdenken, dass sie den Tod fürchtet, ohne das Leben zu lieben, und indem es ihr schwer wird, ihr Dasein jeden einzelnen Tag mit leidlicher Zufriedenheit durchzubringen, dennoch der Tage niemals genug hat, diese Plage zu wiederholen.

286.

Warum missfällt der Tod, da man doch leben müsste, um unglücklich zu sein?

287.

Der Selbstmord ist oft bloss die Wirkung von einem Raptus. Denn der, welcher sich in der Heftigkeit des Affekts die Gurgel abschneidet, lässt sich bald darauf geduldig sie wieder zunähen.

288.

Den Tod fürchten die am wenigsten, deren Leben den meisten Wert hat.

289.

Das gründlichste und leichteste Besänftigungsmittel aller Schmerzen ist der Gedanke, den man einem vernünftigen Menschen wohl anmuten

kann: dass das Leben überhaupt, was den Genuss desselben betrifft, der von Glücksumständen abhängt, gar keinen eigenen Wert, und nur was den Gebrauch desselben anlangt, zu welchen Zwecken es gerichtet ist, einen Wert habe, den nicht das Glück, sondern allein die Weisheit dem Menschen verschaffen kann; der also in seiner Gewalt ist. Wer ängstlich wegen des Verlustes desselben bekümmert ist, wird des Lebens nie froh werden.

290.

Dem, welcher ein Bein gebrochen hat, kann man dadurch sein Unglück doch erträglicher machen, wenn man ihm zeigt, dass es leicht hätte das Genick treffen können.

291.

Im Leben (absolut) zufrieden zu sein, wäre thatlose Ruhe und Stillstand der Triebfedern, oder Abstumpfung der Empfindungen und der damit verknüpften Thätigkeit. Eine solche aber kann eben so wenig mit dem intellektuellen Leben des Menschen zusammen bestehen, als der Stillstand des Herzens in einem tierischen Körper, auf den, wenn nicht (durch Schmerz) ein neuer Anreiz ergeht, unvermeidlich der Tod erfolgt.

292.

Der Schmerz ist der Stachel der Thätigkeit, und in dieser fühlen wir allererst unser Leben.

293.

Warum ist die Arbeit die beste Art sein Leben zu geniessen? Weil sie beschwerliche, (an sich unangenehme und nur durch den Erfolg ergötzende,) Beschäftigung ist, und die Ruhe, durch das blosse Verschwinden einer langen Beschwerde, zur fühlbaren Lust, dem Frohsein wird; da sie sonst nichts Geniessbares sein würde.

294.

Das Zeitalter der Gelangung des Menschen zum vollständigen Gebrauch seiner Vernunft kann in Ansehung seiner Geschicklichkeit (Kunstvermögens zu beliebiger Absicht) etwa ins zwanzigste, das in Ansehung der Klugheit (andere Menschen zu seinen Absichten zu brauchen) ins vierzigste, endlich das der Weisheit etwa im sechzigsten anberaumt werden; in welcher letzteren Epoche aber sie mehr negativ ist, alle Thorheiten der beiden ersteren einzusehen; wo man sagen kann: »es ist schade, alsdann sterben zu müssen, wenn man nun allererst gelernt hat, wie man recht gut hätte leben sollen «<, und wo

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