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Geschichte.

Motto: Obgleich der Staatskörper für jetzt nur noch sehr im rohen Entwurfe dasteht, so fängt sich dennoch gleichsam schon ein Gefühl in allen Gliedern, deren jedem an der Erhaltung des Ganzen gelegen ist, an zu regen; und dieses giebt Hoffnung, dass nach manchen Revolutionen der Umbildung endlich das, was die Natur zur höchsten Absicht hat, ein allgemeiner weltbürgerlicher Zustand, als der Schoss, worin alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwickelt werden, dereinst einmal zu Stande kommen werde.

256.

Einzelne Menschen und selbst ganze Völker denken wenig daran, dass, indem sie, ein jedes nach seinem Sinne und einer oft wider den andern ihre eigene Absicht verfolgen, sie unbemerkt an der Naturabsicht, die ihnen selbst unbekannt ist, als an einem Leitfaden fortgehen und an derselben Beförderung arbeiten, an welcher, selbst wenn sie ihnen bekannt würde, ihnen doch wenig gelegen sein würde.

257.

Es scheint der Natur darum gar nicht zu thun gewesen zu sein, dass der Mensch wohl lebe; sondern dass er sich so weit hervorarbeite, um sich, durch sein Verhalten, des Lebens und des Wohlbefindens würdig zu machen. Befremdend bleibt es immer hiebei, dass die älteren Generationen nur scheinen um der späteren willen ihr mühseliges Geschäft zu treiben, um nämlich diesen eine Stufe zu bereiten, von der diese das Bauwerk, welches die Natur zur Absicht hat, höher bringen könnten; und dass doch nur die spätesten das Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen, woran eine lange Reihe ihrer Vorfahren, (zwar freilich ohne ihre Absicht,) gearbeitet hatten, ohne doch selbst an dem Glück, das sie vorbereiteten, Anteil nehmen zu können. Allein so rätselhaft dieses auch ist, so notwendig ist es doch zugleich, wenn man einmal annimmt: eine Tiergattung soll Vernunft

haben, und als Klasse vernünftiger Wesen, die insgesamt sterben, deren Gattung aber unsterblich ist, dennoch zu einer Vollständigkeit der Entwickelung ihrer Anlagen gelangen.

258.

In den Zustand des Zwanges zu treten, zwingt den, sonst für ungebundene Freiheit so sehr eingenommenen Menschen die Not; und zwar die grösste unter allen, nämlich die, welche sich Menschen unter einander selbst zufügen, deren Neigungen es machen, dass sie in wilder Freiheit nicht lange neben einander bestehen können. Allein in einem solchen Gehege, als bürgerliche Vereinigung ist, thun ebendieselben Neigungen hernach die beste Wirkung; so wie Bäume in einem Walde, eben dadurch, dass ein jeder dem anderen Luft und Sonne zu benehmen sucht, einander nötigen, beides über sich zu suchen und dadurch einen schönen geraden Wuchs bekommen; statt dass die, welche in Freiheit und von einander abgesondert ihre Äste nach Wohlgefallen treiben, krüppelig, schief und krumm wachsen. Alle Kultur und Kunst, welche die Menschheit ziert, die schönste gesellschaftliche Ordnung, sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich selbst genötigt wird, sich zu disziplinieren und so, durch abgedrungene Kunst, die Keime der Natur vollständig zu entwickeln.

259.

Wissenschaften und Künste könnten durch einen Kopf, der für sie gemacht ist, wenn er einmal zur rechten Reife des Urteils durch lange Übung und erworbene Erkenntnis gelangt ist, viel weiter gebracht werden, als ganze Generationen von Gelehrten nach einander es leisten mögen, wenn jener nur mit der nämlichen jugendlichen Kraft des Geistes die Zeit, die diesen Generationen zusammen verliehen ist, durchlebte. Nun hat die Natur ihre Entschliessung wegen der Lebensdauer des Menschen offenbar aus einem anderen Gesichtspunkte, als dem der Beförderung der Wissenschaften genommen. Denn wenn der glücklichste Kopf am Rande der grössten Entdeckungen steht, die er von seiner Geschicklichkeit und Erfahrenheit hoffen darf, so tritt das Alter ein; er wird stumpf, und muss es einer zweiten Generation, (die wieder vom ABC anfängt und die ganze Strecke, die schon zurückgelegt war, nochmals durchwandern muss,) überlassen, noch eine Spanne im Fortschritte der Kultur hinzuzuthun. Der Gang der Menschengattung zur Erreichung ihrer ganzen Bestimmung scheint daher unaufhörlich unterbrochen und in kontinuierlicher Gefahr zu sein, in die alte Rohigkeit zurückzufallen; und der griechische Philosoph klagte nicht ganz ohne Grund: Es ist schade, dass man alsdann sterben muss, wenn man eben angefangen hat einzusehen, wie man eigentlich hätte leben sollen.

260.

Von der Religion auf Erden (in der engsten Bedeutung des Worts) kann man keine Universalhistorie des menschlichen Geschlechts verlangen; denn die ist, als auf dem reinen moralischen Glauben gegründet, kein öffentlicher Zustand, sondern Jeder kann sich der Fortschritte, die er in demselben gemacht hat, nur für sich selbst bewusst sein. Der Kirchenglaube ist es daher allein, von dem man eine allgemeine historische Darstellung erwarten kann; indem man ihn nach seiner verschiedenen und veränderlichen Form mit dem alleinigen, unveränderlichen, reinen Religionsglauben vergleicht. Von da an, wo der erstere seine Abhängigkeit von den einschränkenden Bedingungen des letztern und der Notwendigkeit der Zusammenstimmung mit ihm öffentlich anerkennt, fängt die allgemeine Kirche an, sich zu einem ethischen Staat Gottes zu bilden und nach einem feststehenden Prinzip, welches für alle Menschen und Zeiten ein und dasselbe ist, zur Vollendung desselben fortzuschreiten.

261.

Dass Könige philosophieren oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen; weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Dass aber Könige oder königliche, (sich selbst nach Gleichheitsgesetzen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist beiden zur Beleuchtung ihres Geschäftes unentbehrlich.

262.

Ich gestehe, dass ich mich in den Ausdruck, dessen sich auch wohl kluge Männer bedienen, nicht wohl finden kann: ein gewisses Volk, (was in der Bearbeitung einer gesetzlichen Freiheit begriffen ist,) ist zur Freiheit nicht reif; die Leibeigenen eines Gutseigentümers sind zur Freiheit noch nicht reif; und so auch, die Menschen überhaupt sind zur Glaubensfreiheit noch nicht reif. Nach einer solchen Voraussetzung aber wird die Freiheit nie eintreten; denn man kann zu dieser nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gesetzt worden ist, (man muss frei sein, um sich seiner Kräfte in der Freiheit zweckmässig bedienen zu können.) Die ersten Versuche werden freilich roh, gemeiniglich auch mit einem beschwerlicheren und gefährlicheren Zustande verbunden sein, als da man noch unter den Befehlen, aber auch der Vorsorge Anderer stand; allein man reift für die Vernunft nie anders, als durch eigene Versuche, (welche machen zu dürfen, man frei sein muss.) Ich habe nichts dawider, dass die, welche die Gewalt in Händen haben, durch Zeitumstände genötigt,

die Entschlagung von diesen drei Fesseln noch weit, sehr weit aufschieben. Aber es zum Grundsatze machen, dass denen, die ihnen einmal unterworfen sind, überhaupt die Freiheit nicht tauge, und man berechtigt sei, sie jederzeit davon zu entfernen, ist ein Eingriff in die Regalien der Gottheit selbst, die den Menschen zur Freiheit schuf. Bequemer ist es freilich im Staat, Hause und Kirche zu herrschen, wenn man einen solchen Grundsatz durchzusetzen vermag. Aber auch gerechter?

263.

Man hat die hohen Benennungen. die einem Beherrscher oft beigelegt werden, (die eines göttlichen Gesalbten, eines Verwesers des göttlichen Willens auf Erden und Stellvertreters desselben,) als grobe, schwindlig machende Schmeicheleien oft getadelt; aber mich dünkt, ohne Grund. Weit gefehlt, dass sie den Landesherrn sollten hochmütig machen, so müssen sie ihn vielmehr in seiner Seele demütigen, wenn er Verstand hat, (welches man doch voraussetzen muss,) und es bedenkt, dass er ein Amt übernommen habe, was für einen Menschen zu gross ist, nämlich das Heiligste, was Gott auf Erden hat, das Recht der Menschen zu verwalten, uud diesem Augapfel Gottes irgend worin zu nahe getreten zu sein, jederzeit in Besorgnis stehen muss.

264.

Was das Recht der Gleichheit aller Staatsbürger, als Unterthanen, betrifft, so kommt es in Beantwortung der Frage von der Zulässigkeit des Erbadels allein darauf an: »ob der vom Staat zugestandene Rang (eines Unterthans vor dem andern) vor dem Verdienst, oder dieses vor jenem vorhergehen müsse.<< Nun ist offenbar: dass, wenn der Rang mit der Geburt verbunden wird, es ganz ungewiss ist, ob das Verdienst (Amtsgeschicklichkeit und Amtstreue) auch folgen werde; mithin ist es eben so viel, als ob er ohne alles Verdienst dem Begünstigten zugestanden würde (Befehlshaber zu sein); welches der allgemeine Volkswille in einem ursprünglichen Vertrage, (der doch das Prinzip aller Rechte ist,) nie beschliessen wird. Denn ein Edelmann ist darum nicht sofort ein edler Mann. Was den Amtsadel, (wie man den Rang einer höheren Magistratur nennen könnte, und den man sich durch Verdienste erwerben muss,) betrifft, so klebt der Rang da nicht, als Eigentum, an der Person, sondern am Posten, und die Gleichheit wird dadurch nicht verletzt; weil, wenn jene ihr Amt niederlegt, sie zugleich den Rang ablegt und unter das Volk zurücktritt.

265.

Es ist ein nicht bloss gutgemeinter und in praktischer Absicht empfehlungswürdiger, sondern allen Ungläubigen zum Trotz auch für

die strengste Theorie haltbarer Satz: dass das menschliche Geschlecht im Fortschreiten zum Besseren immer gewesen sei, und so fernerhin fortgehen werde, welches, wenn man nicht bloss auf das sieht, was in irgend einem Volk geschehen kann, sondern auch auf die Verbreitung über alle Völker der Erde, die nach und nach daran teilnehmen dürften, die Aussicht in eine unabsehliche Zeit eröffnet; wofern nicht etwa auf die erste Epoche einer Naturrevolution, die (nach Camper und Blumenbach) bloss das Tier- und Pflanzenreich, ehe noch Menschen waren, vergrub, noch eine zweite folgt, welche auch dem Menschengeschlechte ebenso mitspielt, um andere Geschöpfe auf diese Bühne treten zu lassen, u. s. w. Denn für die Allgewalt der Natur, oder vielmehr ihrer uns unerreichbaren obersten Ursache ist der Mensch wiederum nur eine Kleinigkeit. Dass ihn aber auch die Herrscher von seiner eigenen Gattung dafür nehmen und als eine solche behandeln, indem sie ihn teils tierisch, als blosses Werkzeug ihrer Absichten belasten, teils in ihren Streitigkeiten gegen einander aufstellen, um sie schlachten zu lassen, das ist keine Kleinigkeit, sondern Umkehrung des Endzwecks der Schöpfung selbst.

266.

Nach einem beendigten Kriege, beim Friedensschlusse, möchte es wohl für ein Volk nicht unschicklich sein, dass nach dem Dankfeste ein Busstag ausgeschrieben würde, den Himmel im Namen des Staats um Gnade für die grosse Versündigung anzurufen, die das menschliche Geschlecht sich noch immer zu Schulden kommen lässt, sich keiner gesetzlichen Verfassung im Verhältnis auf andere Völker fügen zu wollen, sondern stolz auf seine Unabhängigkeit lieber das barbarische Mittel des Krieges, (wodurch doch das, was gesucht wird, nämlich das Recht eines jeden Staats nicht ausgemacht wird,) zu gebrauchen.

Die Dankfeste während dem Kriege über einen erfochtenen Sieg, die Hymnen, die (auf gut israelitisch) dem Herrn der Heerscharen gesungen werden, stehen mit der moralischen Idee des Vaters der Menschen in nicht minder starkem Kontrast; weil sie ausser der Gleichgiltigkeit wegen der Art, wie Völker ihr gegenseitiges Recht suchen, (die traurig genug ist,) noch eine Freude hineinbringen, recht viel Menschen oder ihr Glück zernichtet zu haben.

267.

Alle Kriege sind so viel Versuche, (zwar nicht in der Absicht der Menschen, aber doch in der Absicht der Natur,) neue Verhältnisse der Staaten zu Stande zu bringen und durch Zerstörung, wenigstens Zerstückelung aller, neue Körper zu bilden, die sich aber wieder, entweder in sich selbst oder neben einander, nicht erhalten können und

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