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12.

Ich bin gar sehr überführt, dass unvollendete Versuche, im abstracten Erkenntnisse problematisch vorgetragen, dem Wachsthum der höheren Weltweisheit sehr zuträglich sein können; weil ein Anderer sehr oft den Aufschluss in einer tief verborgenen Frage leichter antrifft, als derjenige, der ihm dazu Anlass giebt, und dessen Bestrebungen vielleicht nur die Hälfte der Schwierigkeiten haben überwinden können.

13.

Die Berufung auf immaterielle Principien ist eine Zuflucht der faulen Philosophie, und darum auch die Erklärungsart in diesem Geschmacke nach aller Möglichkeit zu vermeiden, damit diejenigen Gründe der Welterscheinungen, welche auf den Bewegungsgesetzen der blossen Materie beruhen und welche auch einzig und allein der Begreiflichkeit fähig sind in ihrem ganzen Umfange erkannt werden.

14.

Das Veralten eines Wesens ist in dem Ablauf seiner Veränderungen nicht ein Abschnitt, der äussere und gewaltsame Ursachen zum Grunde hat. Ebendieselben Ursachen, durch welche ein Ding zur Vollkommenheit gelangt und darin erhalten wird, bringen es durch unmerkliche Stufen der Veränderungen seinem Untergange wieder nahe. Es ist eine natürliche Schattierung in der Fortsetzung seines Daseins, und eine Folge ebenderselben Gründe, dadurch seine Ausbildung bewirkt worden, dass es endlich verfallen und untergehen muss. Alle Naturdinge sind diesem Gesetze unterworfen, dass derselbe Mechanismus, der im Anfange an ihrer Vollkommenheit arbeitete, nachdem sie den Punkt derselben erreicht haben, weil er fortfährt, das Ding zu verändern, selbiges nach und nach wieder von den Bedingungen der guten Verfassung entfernt, und dem Verderben mit unvermerkten Schritten endlich überliefert. Dieses Verfahren der Natur zeigt sich deutlich an der Oekonomie des Pflanzen- und Tierreichs. Ebenderselbe Trieb, der die Bäume wachsen macht, bringt ihnen den Tod, wenn sie ihr Wachstum vollendet haben... Eben der Mechanismus, wodurch das Tier oder der Mensch lebt und aufwächst, bringt ihm endlich den Tod, wenn das Wachstum vollendet ist.

15.

Die Natur, ohnerachtet sie eine wesentliche Bestimmung zur Vollkommenheit und Ordnung hat, fasst in dem Umfange ihrer Mannigfaltigkeit alle möglichen Abwechslungen, sogar bis auf die Mängel und Abweichungen in sich. Ebendieselbe unbeschränkte Fruchtbarkeit derselben hat die bewohnten Himmelskugeln sowohl als

die Kometen, die nützlichen Berge und die schädlichen Klippen, die bewohnbaren Landschaften und öden Wüsteneien, die Tugenden und Laster hervorgebracht.

16.

Unermessliche Räume und Ewigkeiten werden wohl nur vor dem Auge des Allwissenden die Reichtümer der Schöpfung in ihrem ganzen Umfange eröffnen; ich aber aus dem Gesichtspunkte, worin ich mich befinde, bewaffnet durch die Einsicht, die meinem schwachen Verstande verliehen ist, werde um mich schauen, soweit ich kann, und immer mehr einsehen lernen: dass das Ganze das Beste sei, und alles um des Ganzen willen gut sei.

17.

An der Natur liegt es niemals, wenn wir nicht mit einem guten Anstande erscheinen, sondern daran, dass man sie verkehren will.

18.

Mich dünkt, man könne in gewissem Verstande ohne Vermessenheit sagen: gebet mir Materie, ich will eine Welt daraus bauen! das ist: gebet mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Welt daraus entstehen soll... Kann man aber wohl von den geringsten Pflanzen oder einem Insecte sich solcher Vorteile rühmen? Ist man

im Stande, zu sagen: gebt mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Raupe erzeugt werden könne?

Sittenlehre und Erziehung.

Motto: Die Weichlichkeit rottet mehr die Tugend

aus als die Liederlichkeit.

19.

Die moralische Weisheit hat dieses besondere Schicksal, dass sie noch eher, wie die Metaphysik, den Schein der Wissenschaft und einiges Ansehen von Gründlichkeit annimmt, wenn gleich keine von beiden bei ihr anzutreffen ist; wovon die Ursache darinnen liegt, dass die Unterscheidung des Guten und Bösen in den Handlungen und das Urteil über die sittliche Rechtmässigkeit geradezu, und ohne den Umschweif der Beweise von dem menschlichen Herzen durch dasjenige, was man Sentiment nennt, leicht und richtig erkannt werden kann; daher, weil die Frage mehrenteils schon vor den Vernunftgründen entschieden ist, welches in der Metaphysik sich nicht so verhält, kein Wunder ist, dass man sich nicht sonderlich schwierig bezeigt, Gründe, die nur einigen Schein der Tüchtigkeit haben, als tauglich durchgehen zu lassen. Um deswillen ist nichts gemeiner, als der Titel eines Moralphilosophen, und nichts seltener, als einen solchen Namen zu verdienen.

20.

·

Da so viel läppische Bedürfnisse uns weichlich machen, so kann uns der blosse ungekünstelte moralische Trieb nicht genug Kräfte geben; daher etwas Phantastisches dazu kommen muss.

21.

Ganze Nationen können das Beispiel von einem Menschen überhaupt abgeben. Man findet niemals grosse Tugenden, wo nicht zugleich grosse Ausschweifungen damit vereinbart sind, wie bei den Engländern.

22.

Es giebt gar keine unmittelbare Neigung zu moralischen bösen Handlungen, wohl aber eine unmittelbare zu guten.

23.

Gehört nicht ein gewisser Mittelstand zwischen der Weisheit und Unvernunft zu der unglücklichen Fähigkeit, sündigen zu können?

24.

Die Begriffe der realen Entgegensetzung haben auch ihre nützliche Anwendung in der praktischen Weltweisheit. Untugend ist nicht lediglich eine Verneinung; sondern eine negative Tugend. Denn Untugend kann nur stattfinden, insofern als in einem Wesen ein inneres Gesetz ist, (entweder blos das Gewissen oder auch das Bewusstsein eines positiven Gesetzes), welchem entgegengehandelt wird.

25.

Wer durch eine moralische Empfindung als durch einen Grundsatz mehr erhitzt wird, als es Andere nach ihrem matten und öfters unedlen Gefühl sich vorstellen können, ist in ihrer Vorstellung ein Phantast. Ich stelle den Aristides unter Wucherer, den Epiktet unter Hofleute und den Johann Jakob Rousseau unter die Doctoren der Sorbonne. Mich deucht, ich höre ein lautes Hohngelächter, und hundert Stimmen rufen: welche Phantasten! Dieser zweideutige Anschein von Phantasterei in an sich guten moralischen Empfindungen ist der Enthusiasmus, und es ist niemals ohne denselben in der Welt etwas Grosses ausgerichtet worden.

26.

Wahre Tugend kann nur auf Grundsätze gepfropft werden, welche, je allgemeiner sie sind, desto erhabener und edler wird. Diese Grundsätze sind nicht speculativische Regeln, sondern das Bewusstsein eines Gefühls, dass in jedem menschlichen Busen lebt und sich viel weiter als auf die besonderen Gründe des Mitleidens und der Gefälligkeit erstreckt. Ich glaube, ich fasse alles zusammen, wenn ich sage: es sei das Gefühl von der Schönheit und der Würde der menschlichen Natur. Das erstere ist ein Grund der allgemeinen Wohlgewogenheit, das zweite der allgemeinen Achtung; und wenn dieses Gefühl die grösseste Vollkommenheit in irgend einem menschlichen Herzen hätte, so würde dieser Mensch sich zwar auch selbst lieben und schätzen, aber nur insofern er Einer von Allen ist, auf die sein ausgebreitetes und edles Gefühl sich ausdehnt. Nur indem man einer so erweiterten Neigung seine besondere unterordnet, können unsere gütigen Triebe proportioniert angewandt werden, und den edlen Anstand zuwege bringen, der die Schönheit der Tugend ist.

27.

Diejenigen, welche aus der Tugendlehre eine Lehre der Frömmigkeit machen, machen aus dem Teile ein Ganzes; denn die Frömmigkeit ist nur eine Art von Tugend.

28.

Kann wohl etwas verkehrter sein, als den Kindern, die kaum in diese Welt treten, gleich von der andern etwas vorzureden?

29.

Alle Unterweisung der Jugend hat dieses Beschwerliche an sich, dass man genötigt ist, mit der Einsicht den Jahren vorzueilen, und, ohne die Reife des Verstandes abzuwarten, solche Erkenntnisse erteilen soll, die nach der natürlichen Ordnung nur von einer geübteren und versuchten Vernunft könnten begriffen werden. Daher entspringen die ewigen Vorurteile der Schulen, welche hartnäckiger und öfters abgeschmackter sind, als die gemeinen, und die frühkluge Geschwätzigkeit junger Denker, die blinder ist, als irgend ein anderer Eigendünkel und unheilbarer, als die Unwissenheit.

30.

Von einem Lehrer wird erwartet, dass er an seinem Zuhörer erstlich den verständigen, dann den vernünftigen Mann, und endlich den Gelehrten bilde. Ein solches Verfahren hat den Vorteil, dass, wenn der Lehrling gleich niemals zu der letzten Stufe gelangen sollte, wie es gemeiniglich geschieht, er dennoch durch die Unterweisung gewonnen hat, und wo nicht für die Schule, doch für das Leben geübter und klüger geworden.

31.

Wenn man diese Methode umkehrt, so erschnappt der Schüler eine Art von Vernunft, ehe noch der Verstand an ihm ausgebildet wurde, und trägt erborgte Wissenschaft, die an ihm gleichsam nur geklebt und nicht gewachsen ist, wobei seine Gemütsfähigkeit noch so unfruchtbar, wie jemals, aber zugleich durch den Wahn von Weisheit viel verderbter geworden ist. Dieses ist die Ursache, weswegen man nicht selten Gelehrte (eigentlich Studierte) antrifft, die wenig Verstand zeigen, und warum die Akademien mehr abgeschmackte Köpfe in die Welt schicken, als irgend ein anderer Stand des gemeinen Wesens.

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