Page images
PDF
EPUB

und mit dem nun existierenden Lebensgenuss nicht ein Ganzes ausmachen, sondern durch diesen, als den nachfolgenden, verdrängt werden. Wendet man aber denselben Satz auf die Beurteilung des moralischen Werts des bis dahin geführten Lebens an, so kann der Mensch sehr Unrecht haben, es so zu beurteilen, ob er gleich dasselbe mit einem ganz guten Wandel beschlossen hat. Denn das moralisch subjektive Prinzip der Gesinnung, wonach sein Leben beurteilt werden muss, ist (als etwas Übersinnliches) nicht von der Art, dass sein Dasein in Zeitabschnitte teilbar, sondern nur als absolute Einheit gedacht werden kann, und da wir die Gesinnungen nur Handlungen (als Erscheinungen derselben) schliessen können, so wird das Leben zum Behuf dieser Schätzung nur als Zeiteinheit, d. i. als ein Ganzes in Betrachtung kommen; da dann die Vorwürfe aus dem ersten Teil des Lebens (vor der Besserung) ebenso laut mitsprechen, als der Beifall im letzteren, und den triumphierenden Ton: Ende gut, alles gut, gar sehr dämpfen möchten.

167.

aus den

Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft kultiviert. Wir sind civilisiert, bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns schon für moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel.

168.

Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im Überschwenglichen, ausser meinem Gesichtskreise, suchen und bloss vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz. Das erste fängt von dem Platze an, den ich in der äussern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins Unabsehlich-Grosse mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit an, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich, nicht wie dort, in bloss zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Verknüpfung erkenne. Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleich

sam meine Wichtigkeit, als eines tierischen Geschöpfes, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten, (einem blossen Punkt im Weltall), wieder zurückgeben muss, nachdem es eine kurze Zeit (man weiss nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweite erhebt dagegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmässigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmen lässt.

Erziehung.

Motto: Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss.

169.

In unsern Zeiten, wo man mit schmelzenden, weichherzigen Gefühlen, oder hochfliegenden, aufblähenden und das Herz eher welk als stark machenden Anmassungen über das Gemüt mehr auszurichten hofft, als durch die der menschlichen Unvollkommenheit und dem Fortschritte im Guten angemessenere trockene und ernsthafte Vorstellung der Pflicht, ist die Hinweisung auf diese Methode nötiger, als jemals. Kindern Handlungen als edle, grossmütige, verdienstliche zum Muster aufzustellen, in der Meinung, sie durch Einflössung eines Enthusiasmus für dieselben einzunehmen, ist vollends zweckwidrig. Denn da sie noch in der Beobachtung der gemeinsten Pflicht und selbst in der richtigen Beurteilung derselben so weit zurück sind, so heisst das so viel, als sie bei Zeiten zu Phantasten zu machen. Aber auch bei dem belehrteren und erfahrneren Teil der Menschen ist diese vermeinte Triebfeder, wo nicht von nachteiliger, wenigstens von keiner echten moralischen Wirkung aufs Herz, die man dadurch doch hat zuwege bringen wollen.

170.

Ich weiss nicht, warum die Erzieher der Jugend von diesem Hange der Vernunft, in aufgeworfenen praktischen Fragen selbst die subtilste Prüfung mit Vergnügen einzuschlagen, nicht schon längst Gebrauch gemacht haben, und, nachdem sie einen bloss moralischen Katechismus zum Grunde legten, sie nicht die Biographien alter und neuer Zeiten in der Absicht durchsuchten, um Belege zu den vorgelegten Pflichten bei der Hand zu haben, an denen sie, vornehmlich durch die Vergleichung ähnlicher Handlungen unter verschiedenen Umständen, die Beurteilung ihrer Zöglinge in Thätigkeit setzten, um den minderen oder grösseren moralischen Gehalt derselben zu bemerken, als worin sie selbst die frühe Jugend, die zu aller Spekulation sonst noch unreif ist, bald sehr scharfsichtig, und dabei, weil sie den Fortschritt ihrer Urteilskraft fühlt, nicht wenig interessiert finden werden; was aber das Vornehmste ist, mit Sicherheit hoffen können, dass die

öftere Übung, das Wohlverhalten in seiner ganzen Reinigkeit zu kennen und ihm Beifall zu geben, dagegen selbst die kleinste Abweichung von ihr mit Bedauern oder Verachtung zu bemerken, ob es zwar bis dahin nur als ein Spiel der Urteilskraft, in welchem Kinder mit einander wetteifern können, getrieben wird, dennoch einen dauerhaften Eindruck der Hochschätzung auf der einen und des Abscheues auf der andern Seite zurücklassen werde, welche, durch blosse Gewohnheit solche Handlungen als beifalls- oder tadelswürdig öfters anzusehen, zur Rechtschaffenheit im künftigen Lebenswandel eine gute Grundlage ausmachen würden. Nur wünsche ich sie mit Beispielen sogenannter edler (überverdienstlicher) Handlungen, mit welchen unsere empfindsamen Schriften so viel um sich werfen, zu verschonen, und alles bloss auf Pflicht und den Wert, den ein Mensch sich in seinen eigenen Augen durch das Bewusstsein, sie nicht übertreten zu haben, geben kann und muss, auszusetzen, weil, was auf leere Wünsche und Sehnsuchten nach unersteiglicher Vollkommenheit hinausläuft, lauter Romanhelden hervorbringt, die, indem sie sich auf ihr Gefühl für das überschwenglich Grosse viel zu Gute thun, sich dafür von der Beobachtung der gemeinen und gangbaren Schuldigkeit, die alsdenn ihnen nur unbedeutend klein scheint, frei sprechen.

171.

Wir leben im Zeitpunkte der Disziplinierung, Kultur und Civilisierung, aber noch lange nicht in dem Zeitpunkte der Moralisierung. Bei dem jetzigen Zustande der Menschen kann man sagen, dass das Glück der Staaten zugleich mit dem Elende der Menschen wachse. Und es ist noch die Frage, ob wir im rohen Zustande, da alle diese Kultur bei uns nicht stattfände, nicht glücklicher als in unserem jetzigen Zustande sein würden? Denn wie kann man Menschen glücklich machen, wenn man sie nicht sittlich und weise

macht?

172.

Der Mensch soll seine Anlagen zum Guten erst entwickeln; die Vorsehung hat sie nicht schon fertig in ihn gelegt; es sind blosse Anlagen und ohne den Unterschied der Moralität. Sich selbst besser machen, sich selbst kultivieren, und wenn er böse ist, Moralität bei sich hervorbringen, das soll der Mensch.

173.

Disziplin oder Zucht ändert die Tierheit in die Menschheit um. Ein Tier ist schon alles durch seinen Instinkt; eine fremde Vernunft hat bereits alles für dasselbe besorgt. Der Mensch aber braucht eigene Vernunft. Er hat keinen Instinkt, und muss sich selbst den

Plan seines Verhaltens machen. Weil er aber nicht sogleich im Stande ist, dieses zu thun, sondern roh auf die Welt kommt, so müssen es Andere für ihn thun.

174.

Erziehung ist das grösseste Problem, und das schwerste, was dem Menschen kann aufgegeben werden. Denn Einsicht hängt von der Erziehung, und Erziehung hängt wieder von der Einsicht ab. Daher kann die Erziehung auch nur nach und nach einen Schritt vorwärts thun, und nur dadurch, dass eine Generation ihre Erfahrungen und Kenntnisse der folgenden überliefert, diese wieder etwas hinzuthut und es so der folgenden übergiebt, kann ein richtiger Begriff von der Erziehungsart entspringen.

175.

Die Erziehung ist eine Kunst, deren Ausübung durch viele Generationen vervollkommnet werden muss. Jede Generation, versehen mit den Kenntnissen der vorhergehenden, kann immer mehr eine Erziehung zu Stande bringen, die alle Naturanlagen des Menschen proportionierlich und zweckmässig entwickelt und SO die ganze Menschengattung zu ihrer Bestimmung führt.

176.

Verabsäumung der Disziplin ist ein grösseres Übel als Verabsäumung der Kultur, denn diese kann noch weiterhin nachgeholt werden; Wildheit aber lässt sich nicht wegbringen, und ein Versehen in der Disziplin kann nie ersetzt werden. Vielleicht, dass die Erziehung immer besser werden und dass jede folgende Generation einen Schritt näher thun wird zur Vervollkommnung der Menschheit; denn hinter der Education steckt das grosse Geheimnis der Vollkommenheit der menschlichen Natur. . . Nun erst fängt man an, richtig zu urteilen und deutlich einzusehen, was eigentlich zu einer guten Erziehung gehöre. Es ist entzückend, sich vorzustellen, dass die menschliche Natur immer besser durch Erziehung werde entwickelt werden, und dass man diese in eine Form bringen kann, die der Menschheit angemessen ist. Dies eröffnet uns den Prospekt zu einem künftigen glücklicheren Menschengeschlechte.

177.

Ein Prinzip der Erziehungskunst, das besonders solche Männer, die Pläne zur Erziehung machen, vor Augen haben sollten, ist: Kinder sollen nicht dem gegenwärtigen, sondern dem zukünftig möglich bessern Zustande des menschlichen Geschlechts, das ist der Idee der Menschheit und deren ganzer Bestimmung angemessen erzogen werden. Dieses Prinzip ist von grosser Wichtigkeit. Eltern erziehen

« PreviousContinue »