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weisung zu bekommen, damit sie aus der Verlegenheit wegen beiderseitiger Ansprüche herauskomme, und nicht Gefahr laufe, durch die Zweideutigkeit, in die sie leicht gerät, um alle echte sittliche Grundsätze gebracht zu werden.

120.

Die Herablassung zu Volksbegriffen ist allerdings sehr rühmlich, wenn die Erhebung zu den Prinzipien der freien Vernunft zuvor geschehen und zur völligen Befriedigung erreicht ist, und das würde heissen, die Lehre der Sitten zuvor auf Metaphysik gründen, ihr aber, wenn sie feststeht, nachher durch Popularität Eingang verschaffen. Es ist aber äusserst ungereimt, dieser in der ersten Untersuchung, worauf alle Richtigkeit der Grundsätze ankommt, schon willfahren zu wollen. Nicht allein, dass dieses Verfahren auf das höchst seltene Verdienst einer wahren philosophischen Popularität niemals Anspruch machen kann, indem es gar keine Kunst ist, gemeinverständlich zu sein, wenn man dabei auf alle gründliche Einsicht Verzicht thut; so bringt es einen ekelhaften Mischmasch von zusammengestoppelten Beobachtungen und halbvernünftelnden Prinzipien zum Vorschein, daran sich schale Köpfe laben, weil es doch etwas gar Brauchbares fürs alltägliche Geschwätz ist, wo Einsehende aber Verwirrung fühlen und unzufrieden, ohne sich doch helfen zu können, ihre Augen wegwenden, obgleich Philosophen, die das Blendwerk ganz wohl durchschauen, wenig Gehör finden, wenn sie auf einige Zeit von der vorgeblichen Popularität abrufen, um nur allererst nach erworbener bestimmter Einsicht mit Recht populär sein zu dürfen.

121.

Wenn man fragt: was denn eigentlich die reine Sittlichkeit ist, an der, als dem Probemetall, man jeder Handlung moralischen Gehalt prüfen müsse, so muss ich gestehen, dass nur Philosophen die Entscheidung dieser Frage zweifelhaft machen können; denn in der gemeinen Menschenvernunft ist sie, zwar nicht durch abgezogene allgemeine Formeln, aber doch durch den gewöhnlichen Gebrauch, gleichsam als der Unterschied zwischen der rechten und linken Hand, längst entschieden.

122.

Ein Recensent, der etwas zum Tadel dieser Schrift [es handelt sich um Kants » Grundlegung zur Metaphysik der Sitten «] sagen wollte, hat es besser getroffen, als er wohl selbst gemeint haben mag, indem er sagt: dass darin kein neues Prinzip der Moralität, sondern nur eine neue Formel aufgestellt worden. Wer wollte aber auch einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen, und diese gleichsam zuerst erfinden? gleich als ob vor ihm die Welt, in dem was Pflicht

Wer

sei, unwissend, oder in durchgängigem Irrtume gewesen wäre. aber weiss, was dem Mathematiker eine Formel bedeutet, die das, was zu thun sei, um eine Aufgabe zu befolgen, ganz genau bestimmt und nicht verfehlen lässt, wird eine Formel, welche dieses in Ansehung aller Pflicht überhaupt thut, nicht für etwas Unbedeutendes und Entbehrliches halten.

123.

In Betracht der Natur giebt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das, was ich thun soll, von demjenigen herzunehmen, oder dadurch einschränken zu wollen, was gethan wird.

124.

Man braucht eben kein Feind der Tugend, sondern nur ein kaltblütiger Beobachter zu sein, der den lebhaftesten Wunsch für das Gute nicht sofort für dessen Wirklichkeit hält, um (vornehmlich mit zunehmenden Jahren und einer durch Erfahrung teils gewitzigten, teils zum Beobachten geschärften Urteilskraft) in gewissen Augenblicken zweifelhaft zu werden, ob auch wirklich in der Welt irgend wahre Tugend angetroffen werde. Und hier kann uns nichts vor dem gänzlichen Abfall von unseren Ideen der Pflicht bewahren und gegründete Achtung gegen ihr Gesetz in der Seele erhalten, als die klare Überzeugung, dass, wenn es auch niemals Handlungen gegeben habe, die aus solchen reinen Quellen entsprungen wären, dennoch hier auch davon garnicht die Rede sei, ob dies oder jenes geschehe, sondern die Vernunft für sich selbst und unabhängig von allen Erscheinungen gebiete, was geschehen soll, mithin Handlungen, von denen die Welt vielleicht bisher noch gar kein Beispiel gegeben hat, an deren Thunlichkeit sogar der, so alles auf Erfahrung gründet, sehr zweifeln möchte, dennoch durch Vernunft unnachlasslich geboten seien, und dass z. B. reine Redlichkeit in der Freundschaft um nichts weniger von jedem Menschen gefordert werden könne, wenn es gleich bis jetzt gar keinen redlichen Freund gegeben haben möchte, weil diese Pflicht als Pflicht überhaupt, vor aller Erfahrung, in der Idee einer den Willen durch Gründe a priori bestimmenden Vernunft liegt.

125.

Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch ausser derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz und Urteilskraft und wie die Talente des Geistes sonst heissen mögen,

oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatze, als Eigenschaften des Temperaments, sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äusserst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum Charakter heisst, nicht gut ist. Mit den Glücksgaben ist es ebenso bewandt. Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit und das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustande, unter dem Namen der Glückseligkeit, machen Mut und hierdurch öfters auch Übermut, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluss derselben auf's Gemüt, und hiermit auch das ganze Prinzip zu handeln, berichtige und allgemein-zweckmässig mache; ohne zu erwähnen, dass ein vernünftiger und unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines ununterbrochenen Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der gute Wille die unerlassliche Bedingung selbst der Würdigkeit, glücklich zu sein, auszumachen scheint.

126.

Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich gut, und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen, als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja, wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Wenngleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner grössten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde und nur der gute Wille, (freilich nicht etwa ein blosser Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, soweit sie in unserer Gewalt sind,) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Wert in sich selbst hat.

127.

Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.

128.

Was ich also zu thun habe, damit mein Wollen gut sei, dazu brauche ich gar keine weit ausholende Scharfsinnigkeit. Unerfahren in Ansehung des Weltlaufs, unfähig, auf alle sich ereignende Vorfälle desselben gefasst zu sein, frage ich mich nur: kannst du auch

wollen, dass deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? wo nicht, ist sie verwerflich, und zwar nicht um eines dir, oder auch Anderen daraus bevorstehenden Nachteils willen, sondern weil sie nicht als Prinzip in eine mögliche allgemeine Gesetzgebung passen kann; für diese aber zwingt mir die Vernunft unmittelbare Achtung ab, von der ich zwar jetzt noch nicht einsehe, worauf sie sich gründe, (welches der Philosoph untersuchen mag,) wenigstens aber doch soviel verstehe: dass es eine Schätzung des Wertes sei, welcher allen Wert dessen, was durch Neigung angepriesen wird, weit überwiegt, und dass die Notwendigkeit meiner Handlungen aus reiner Achtung fürs praktische Gesetz dasjenige sei, was die Pflicht ausmacht, der jeder andere Bewegungsgrund weichen muss, weil sie die Bedingung eines an sich guten Willens ist, dessen Wert über alles geht.

129.

Eines ist in unserer Seele, welches, wenn wir es gehörig in's Auge fassen, wir nicht aufhören können, mit der höchsten Verwunderung zu betrachten, und wo die Bewunderung rechtmässig, zugleich auch seelenerhebend ist; und das ist: die ursprüngliche moralische Anlage in uns überhaupt.

130.

Es ist etwas in uns, was zu bewundern wir niemals aufhören können, wenn wir es einmal in's Auge gefasst haben, und dieses ist zugleich dasjenige, was die Menschheit in der Idee zu einer Würde. erhebt, die man am Menschen, als Gegenstande der Erfahrung, nicht vermuten sollte. Dass wir den moralischen Gesetzen unterworfene und zu deren Beobachtung selbst mit Aufopferung aller ihnen widerstreitenden Lebensannehmlichkeiten durch unsere Vernunft bestimmte Wesen sind, darüber wundert man sich nicht, weil es objektiv in der natürlichen Ordnung der Dinge als Objekt der reinen Vernunft liegt, jenen Gesetzen zu gehorchen; ohne dass es dem gemeinen und gesunden Verstande nur einmal einfällt, zu fragen, woher uns jene Gesetze kommen mögen, um vielleicht, bis wir ihren Ursprung wissen, die Befolgung derselben aufzuschieben oder wohl gar seine Wahrheit zu bezweifeln. Aber dass wir auch das Vermögen dazu haben, der Moral mit unserer sinnlichen Natur so grosse Opfer zu bringen, dass wir das auch können, wovon wir ganz leicht und klar begreifen, dass wir es sollen, diese Überlegenheit des übersinnlichen Menschen in uns über den sinnlichen, desjenigen, gegen den der letztere, (wenn es zum Widerstreit kommt,) nichts ist, ob dieser zwar in seinen eigenen Augen alles ist, diese moralische, von der Menschheit unzertrennliche Anlage in uns ist ein

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Gegenstand der höchsten Bewunderung, die, je länger man dieses wahre (nicht erdachte) Ideal ansieht, nur immer desto höher steigt; so dass diejenigen wohl zu entschuldigen sind, welche, durch die Unbegreiflichkeit desselben verleitet, dieses Übersinnliche in uns, weil es doch praktisch ist, für übernatürlich d. i. für etwas, was gar nicht in unserer Macht steht und uns als eigen zugehört, sondern vielmehr für den Einfluss von einem andern und höheren Geiste halten; worin sie aber sehr fehlen, weil die Wirkung dieses Vermögens alsdann nicht unsere That sein, mithin uns auch nicht zugerechnet werden könnte, das Vermögen dazu also nicht das unsrige sein würde.

131.

Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis; das, was, auch ohne ein Bedürfnis vorauszusetzen, einem gewissen Geschmacke, d. i. einem Wohlgefallen am blossen zwecklosen Spiel unserer Gemütskräfte gemäss ist, einen Affektionspreis; das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloss einen relativen Wert d. i. einen Preis, sondern einen innern Wert, d. i. Würde.

132.

Geschicklichkeit und Fleiss im Arbeiten haben einen Marktpreis; Witz, lebhafte Einbildungskraft und Launen einen Affektionspreis; dagegen Treue im Versprechen, Wohlwollen aus Grundsätzen, (nicht aus Instinkt), haben einen innern Wert. Die Natur sowohl als Kunst enthalten nichts, was sie, in Ermangelung derselben, an ihre Stelle setzen könnten; denn ihr Wert besteht nicht in Wirkungen, die daraus entspringen, im Vorteil und Nutzen, den sie schaffen, sondern in den Gesinnungen, d. i. Maximen des Willens, die sich auf diese Art in Handlungen zu offenbaren bereit sind, obgleich auch der Erfolg sie nicht begünstigte. Diese Handlungen bedürfen auch keiner Empfehlung von irgend einer subjektiven Disposition oder Geschmack, sie mit unmittelbarer Gunst und Wohlgefallen anzusehen, keines unmittelbaren Hanges oder Gefühles für dieselben; sie stellen den Willen, der sie ausübt, als Gegenstand einer unmittelbaren Achtung dar, dazu nichts als Vernunft gefordert wird, um sie dem Willen aufzuerlegen, nicht von ihm zu erschmeicheln, welches Letztere bei Pflichten ohnedem ein Widerspruch wäre. Diese Schätzung giebt also den Wert einer solchen Denkungsart als Würde zu erkennen, und setzt sie über allen Preis unendlich weg, mit dem sie gar nicht in Anschlag und Vergleichung gebracht werden kann, ohne sich gleichsam an der Heiligkeit derselben zu vergreifen.

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