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Allgemein-kritische Grundsätze.

Motto: Die Philosophie der Unwissenheit ist sehr nützlich, aber auch schwer, weil sie bis auf die Quellen der Erkenntnis gehen muss.

74.

Wenn Einsicht und Wissenschaft auf die Neige gehen, alsdenn und nicht eher sich auf den gemeinen Menschenverstand zu berufen, das ist eine von den subtilen Erfindungen neuerer Zeiten, dabei es der schalste Schwätzer mit dem gründlichsten Kopfe getrost aufnehmen und es mit ihm aushalten kann. So lange aber noch ein kleiner Rest von Einsicht da ist, wird man sich wohl hüten, diese Nothilfe zu ergreifen. Und beim Lichte besehen, ist diese Appellation nichts anderes, als eine Berufung auf das Urteil der Menge; ein Zuklatschen, über das der Philosoph errötet, der populäre Witzling aber triumphiert und trotzig thut. Ich sollte aber doch denken, Hume habe auf einen gesunden Verstand ebensowohl Anspruch machen können, als Beattie, und noch überdem auf das, was dieser gewiss nicht besass, nämlich eine kritische Vernunft, die den gemeinen Verstand in Schranken hält, damit er sich nicht in Spekulationen versteige, oder wenn bloss von diesen die Rede ist, nichts zu entscheiden begehre, weil er sich über seine Grundsätze nicht zu rechtfertigen versteht; denn nur so allein wird er ein gesunder Verstand bleiben. Meissel und Schlägel können ganz wohl dazu dienen, ein Stück Zimmerholz zu bearbeiten, aber zum Kupferstechen muss man die Radiernadel brauchen.

75.

Schlechthin und in aller Absicht unnütz und unbrauchbar ist doch kein Erkenntnis, ob wir gleich seinen Nutzen nicht immer einsehen können. Es ist daher ein eben so unweiser, als ungerechter Vorwurf, der grossen Männern, welche mit mühsamem Fleisse die Wissenschaften bearbeiten, von schalen Köpfen gemacht wird, wenn diese hierbei fragen: wozu ist das nütze? Diese Frage muss man, indem man sich mit Wissenschaften beschäftigen will, gar nicht einmal aufwerfen. Gesetzt, eine Wissenschaft könnte nur über irgend

ein mögliches Objekt Aufschlüsse geben, so wäre sie um deswillen schon nützlich genug. Jede logisch vollkommene Erkenntnis hat immer irgend einen möglichen Nutzen, der, obgleich uns bis jetzt unbekannt, doch vielleicht von der Nachkommenschaft wird gefunden werden. Hätte man bei Kultur der Wissenschaften immer nur auf den materiellen Gewinn, den Nutzen derselben gesehen, so würden wir keine Arithmetik und Geometrie haben. Unser Verstand ist auch überdies so eingerichtet, dass er in der blossen Einsicht Befriedigung findet und mehr noch, als in dem Nutzen, der daraus entspringt. Dieses merkte schon Plato an. Der Mensch fühlt seine eigene Vortrefflichkeit dabei; er empfindet, was es heisse, Verstand haben. Menschen, die das nicht empfinden, müssen die Tiere beneiden. Der innere Wert, den Erkenntnisse durch logische Vollkommenheit haben, ist mit ihrem äusseren dem Werte in der Anwendung - nicht

zu vergleichen.

76.

Philosophie ist das System der philosophischen Erkenntnisse oder der Vernunfterkenntnisse aus Begriffen. Das ist der Schulbegriff von dieser Wissenschaft. Nach dem Weltbegriffe ist sie die Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft. Dieser hohe Begriff giebt der Philosophie Würde, d. i. einen absoluten Wert. Und wirklich ist sie es auch, die allein nur innern Wert hat und allen andern Erkenntnissen erst einen Wert giebt.

77.

Wissenschaft (kritisch gesucht und methodisch eingeleitet) ist die enge Pforte, die zur Weisheitslehre führt, wenn unter dieser nicht bloss verstanden wird, was man thun, sondern was Lehrern zur Richtschnur dienen soll, um den Weg zur Weisheit, den Jedermann gehen soll, gut und kenntlich zu bahnen und Andere vor Irrwegen zu sichern; eine Wissenschaft, deren Aufbewahrerin jederzeit die Philosophie bleiben muss, an deren subtiler Untersuchung das Publikum keinen Anteil, wohl aber an den Lehren zu nehmen hat, die ihm, nach einer solchen Bearbeitung, allererst recht hell einleuchten können.

78.

Der Mathematiker, der Naturkündiger, der Logiker sind, so vortrefflich die ersteren auch überhaupt im Vernunfterkenntnisse, die zweiten besonders im philosophischen Erkenntnisse Fortgang haben mögen, doch nur Vernunftkünstler. Es giebt noch einen Lehrer im Ideal, der alle diese ansetzt, sie als Werkzeuge nutzt, um die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft zu befördern. Diesen allein müssten wir den Philosophen nennen.

79.

Der praktische Philosoph, der Lehrer der Weisheit durch Lehre und Beispiel, ist der eigentliche Philosoph. Denn Philosophie ist die Idee einer vollkommenen Weisheit, die uns die letzten Zwecke der menschlichen Vernunft zeigt.

SO.

Der die Wissenschaft hasst, um desto mehr aber die Weisheit liebt, den nennt man einen Misologen. Die Misologie entspringt gemeiniglich aus einer Leerheit von wissenschaftlichen Kenntnissen und einer gewissen damit verbundenen Art von Eitelkeit. Zuweilen verfallen aber auch diejenigen in den Fehler der Misologie, welche anfangs mit grossem Fleisse und Glücke den Wissenschaften nachgegangen waren, am Ende aber in ihrem ganzen Wissen keine Befriedigung fanden.

Philosophie ist die einzige Wissenschaft, die uns diese innere Genugthuung zu verschaffen weiss; denn sie schliesst gleichsam den wissenschaftlichen Zirkel und durch sie erhalten sodann erst die Wissenschaften Ordnung und Zusammenhang.

81.

Die blosse Polyhistorie ist eine cyklopische Gelehrsamkeit, der ein Auge fehlt das Auge der Philosophie.

82.

Weil die Philosophie alles brauchen kann, was der Litterator oder der schwärmende Originalgeist liefert, so schätzt er [der Philosoph] alles, was eine gewisse Seelenkraft in ihrer Grösse beweist. Überdem ist er gewohnt, die Standpunkte verschieden zu nehmen und misstraut selber seinem Urteil über das Vorzüglichste, weil er die Unbegreiflichkeit des Ganzen vor Augen hat. Daher Philosophie demütig macht, oder vielmehr sich nach der Idee und nicht im Vergleich mit Andern zu

messen.

83.

Im Grunde ist wohl alle Philosophie prosaisch; und ein Vorschlag, jetzt wiederum poetisch zu philosophieren, möchte so wohl aufgenommen werden, als der für den Kaufmann: seine Handelsbücher künftig nicht in Prosa, sondern in Versen zu schreiben.

84.

Philosophie ist eine blosse Idee von einer möglichen Wissenschaft, die nirgend in concreto gegeben ist, welcher man sich aber auf mancherlei Wegen zu nähern sucht, so lange, bis der einzige,

sehr durch Sinnlichkeit verwachsene Fusssteig entdeckt wird, und das bisher verfehlte Nachbild, so weit als es Menschen vergönnt ist, dem Urbilde gleich zu machen gelingt. Bis dahin kann man keine Philosophie lernen; denn wo ist sie, wer hat sie im Besitze, und woran lässt sie sich erkennen? Man kann nur philosophieren lernen, d. i. das Talent der Vernunft in der Befolgung ihrer allgemeinen Prinzipien an gewissen vorhandenen Versuchen üben, doch immer mit Vorbehalt des Rechts der Vernunft, jene selbst in ihren Quellen zu untersuchen und zu bestätigen, oder zu verwerfen.

85.

Mathematik, Naturwissenschaft, Gesetze, Künste, selbst Moral etc. füllen die Seele noch nicht gänzlich aus; es bleibt immer noch ein Raum in ihr übrig, der für die blosse reine und spekulative Vernunft abgestochen ist und dessen Leere uns zwingt, in Fratzen oder Tändelwerk, oder auch Schwärmerei, dem Scheine nach Beschäftigung und Unterhaltung, im Grunde aber nur Zerstreuung zu suchen, um den beschwerlichen Ruf der Vernunft zu übertäuben, die ihrer Bestimmung gemäss etwas verlangt, was sie für sich selbst befriedige und nicht bloss zum Behuf anderer Absichten, oder zum Interesse der Neigungen in Geschäftigkeit versetze. Daher hat eine Betrachtung, die sich bloss mit diesem Umfange der für sich selbst bestehenden Vernunft beschäftigt, darum, weil eben in demselben alle andere Kenntnisse, sogar Zwecke zusammenstossen und sich in ein Ganzes vereinigen müssen, wie ich mit Grund vermute, für Jedermann, der es nur versucht hat, seine Begriffe so zu erweitern, einen grossen Reiz, und ich darf wohl sagen, einen grösseren, als jedes andere theoretische Wissen, welches man gegen jenes nicht leichtlich eintauschen würde.

86.

Metaphysik, sowohl der Natur, als der Sitten, vornehmlich die Kritik der sich auf eigenen Flügeln wagenden Vernunft, welche vorübend (propädeutisch) vorhergeht, machen eigentlich allein dasjenige aus, was wir im echten Verstande Philosophie nennen können. Diese bezieht alles auf Weisheit, aber durch den Weg der Wissenschaften, den einzigen, der, wenn er einmal gebahnt ist, niemals verwächst, und keine Verirrungen verstattet. Mathematik, Naturwissenschaft, selbst die empirische Kenntnis des Menschen haben einen hohen Wert als Mittel, grösstenteils zu zufälligen, am Ende aber doch zu notwendigen und wesentlichen Zwecken der Menschheit, aber alsdann nur durch Vermittelung einer Vernunfterkenntnis aus blossen Begriffen, die, man mag sie benennen, wie man will, eigentlich nichts als Metaphysik ist.

87.

Metaphysik ist, wenn gleich nicht als Wissenschaft, doch als Naturanlage wirklich. Denn die menschliche Vernunft geht unaufhaltsam, ohne dass blosse Eitelkeit des Vielwissens sie dazu bewegt, durch eigenes Bedürfnis getrieben, bis zu solchen Fragen fort, die durch keinen Erfahrungsgebrauch der Vernunft und daher entlehnte Prinzipien beantwortet werden können, und so ist wirklich in allen Menschen, sobald Vernunft sich in ihnen bis zur Spekulation erweitert, irgend eine Metaphysik zu aller Zeit gewesen, und wird auch immer darin bleiben.

88.

Metaphysik ist vielleicht mehr, wie irgend eine andere Wissenschaft, durch die Natur selbst ihren Grundzügen nach in uns gelegt und kann gar nicht als das Produkt einer beliebigen Wahl, oder als zufällige Erweiterung beim Fortgange der Erfahrungen (von denen sie sich gänzlich abtrennt), angesehen werden.

89.

Alle falsche Kunst, alle eitle Weisheit dauert ihre Zeit; denn endlich zerstört sie sich selbst, und die höchste Kultur derselben ist zugleich der Zeitpunkt ihres Unterganges. Dass in Ansehung der Metaphysik diese Zeit jetzt da sei, beweist der Zustand, in welchen sie bei allem Eifer, womit sonst Wissenschaften aller Art bearbeitet werden, unter allen gelehrten Völkern verfallen ist. Die alte Einrichtung der Universitätsstudien erhält noch ihren Schatten, eine einzige Akademie der Wissenschaften bewegt noch dann und wann durch ausgesetzte Preise, einen und andern Versuch darin zu machen; aber unter gründliche Wissenschaften wird sie nicht mehr gezählt, und man mag selbst urteilen, wie etwa ein geistreicher Mann, den man einen grossen Metaphysiker nennen wollte, diesen wohlgemeinten, aber kaum von Jemandem beneideten Lobspruch aufnehmen würde.

90.

Nun aber stehen die Sachen der ganzen spekulativen Philosophie so, dass sie auf dem Punkte sind, völlig zu erlöschen, obgleich die menschliche Vernunft an ihnen mit nie erlöschender Neigung hängt, die nur darum, weil sie unaufhörlich getäuscht wird, es jetzt, obgleich vergeblich, versucht, sich in Gleichgiltigkeit zu verwandeln.

91.

Alle Übergänge von einer Neigung zu der ihr entgegengesetzten gehen durch den Zustand der Gleichgiltigkeit, und dieser Zeitpunkt

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