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32.

Die eigentümliche Methode des Unterrichts in der Weltweisheit ist zetetisch, wie sie einige Alte nannten, d. i. forschend, und wird nur bei schon geübterer Vernunft in verschiedenen Stücken dogmatisch, d. i. entschieden. Auch soll der philosophische Verfasser, den man etwa bei der Unterweisung zum Grunde legt, nicht wie das Urbild des Urteils, sondern nur als eine Veranlassung, selbst über ihn, ja sogar wider ihn zu urteilen, angesehen werden, und die Methode selbst nachzudenken und zu schliessen ist es, deren Fertigkeit der Lehrling eigentlich sucht, die ihm auch nur allein nützlich sein kann, und wovon die etwa zugleich erworbenen entschiednen Einsichten als zufällige Folgen angesehen werden müssen, zu deren reichem Überfluss er nur die fruchtbare Wurzel in sich zu pflanzen hat.

Religion.

Motto: Es ist durchaus nötig, dass man sich vom Dasein Gottes überzeuge; es ist aber nicht ebenso nötig, dass man es demonstriere.

33.

Alle Arten, das Dasein Gottes aus den Wirkungen desselben zu erkennen, lassen sich auf die drei folgenden bringen. Entweder man gelangt zu dieser Erkenntnis durch die Wahrnehmung desjenigen, was die Ordnung der Natur unterbricht und diejenige Macht unmittelbar bezeichnet, welcher die Natur unterworfen ist; diese Ueberzeugung wird durch Wunder veranlasst; oder die zufällige Ordnung der Natur, von der man deutlich einsieht, dass sie auf vielerlei andere Art möglich war, in der gleichwohl grosse Kunst, Macht und Güte hervorleuchtet, führt auf den göttlichen Urheber; oder drittens die notwendige Einheit, die in der Natur wahrgenommen wird, und die wesentliche Ordnung der Dinge, welche grossen Regeln der Vollkommenheit gemäss ist, kurz das, was in der Regelmässigkeit der Natur Notwendiges ist, leitet auf ein oberstes Principium nicht allein dieses Daseins, sondern selbst aller Möglichkeit.

Wenn Menschen völlig verwildert sind, oder eine halsstarrige Bosheit ihre Augen verschliesst, alsdenn scheint das erstere Mittel einzig und allein einige Gewalt an sich zu haben, sie vom Dasein des höchsten Wesens zu überführen. Dagegen findet die richtige Betrachtung einer wohlgearteten Seele an so viel zufälliger Schönheit und zweckmässiger Verbindung, wie die Ordnung der Natur darbietet, Beweistümer genug, einen mit grosser Weisheit und Macht begleiteten Willen daraus abzunehmen, und es sind zu dieser Ueberzeugung, soferne sie zum tugendhaften Verhalten hinlänglich, das ist, moralisch gewiss sein soll, die gemeinen Begriffe des Verstandes hinreichend. Zu der dritten Art zu schliessen, wird notwendigerweise Weltweisheit erfordert, und es ist auch einzig und allein ein höherer Grad derselben fähig, mit einer Klarheit und Ueberzeugung, die der Grösse der Wahrheit gemäss ist, zu dem nämlichen Gegenstande zu gelangen.

34.

Erweitert eure Absichten, so viel ihr könnt, über die unermesslichen Nutzen, die ein Geschöpf in tausendfacher Beziehung, wenigstens

der Möglichkeit nach, darbietet (der einzige Kokosbaum schafft dem Indianer unzählige), verknüpft in dergleichen Beziehungen die entlegensten Glieder der Schöpfung mit einander.

Wenn ihr die Produkte der unmittelbar künstlichen Anstalten geziemend bewundert habt, so unterlasset nicht, auch in dem ergötzenden Anblick der fruchtbaren Beziehung, die die Möglichkeiten der erschaffenen Dinge auf durchgängige Harmonie haben, und der ungekünstelten Abfolge so mannigfaltiger Schönheit, die sich von selbst darbietet, diejenige Macht zu bewundern und anzubeten, in deren ewiger Grundquelle die Wesen der Dinge zu einem vortrefflichen Plane gleichsam bereit daliegen.

35.

Wenn ich unter andern die mikroskopischen Beobachtungen erwäge, und sehr zahlreiche Tiergeschlechter in einem einzigen Wassertropfen, räuberische Arten, mit Werkzeugen des Verderbens ausgerüstet, die von noch mächtigeren Tyrannen dieser Wasserwelt zerstört werden, indem sie geflissen sind, andere zu verfolgen; wenn ich die Ränke, die Gewalt und die Scene des Aufruhrs in einem Tropfen Materie ansehe, und erhebe von da meine Augen in die Höhe, um den unermesslichen Raum von Welten, wie von Stäubchen wimmeln zu sehen, so kann keine menschliche Sprache das Gefühl ausdrücken, was ein solcher Gedanke erregt, und alle subtile metaphysische Zergliederung weicht sehr weit der Erhabenheit und Würde, die einer solchen Anschauung eigen ist.

SO

36.

Wenn man von dem Himmel als dem Sitze der Seligen redet, setzt die gemeine Vorstellung ihn gern über sich, hoch in dem unermesslichen Weltraume. Man bedenkt aber nicht, dass unsere Erde aus diesen Gegenden angesehen, auch als einer von den Sternen des Himmels erscheine, und dass die Bewohner anderer Welten mit eben so gutem Grunde nach uns hinzeigen könnten, und sagen: sehet da den Wohnplatz ewiger Freuden und einen himmlischen Aufenthalt, welcher zubereitet ist, uns dereinst zu empfangen. Ein wunderlicher

Wahn nämlich macht, dass der hohe Flug, den die Hoffnung nimmt, immer mit dem Begriffe des Steigens verbunden ist, ohne zu bedenken, dass, so hoch man auch gestiegen ist, man doch wieder sinken müsse, um allenfalls in einer andern Welt festen Fuss zu fassen. Nach den angeführten Begriffen aber würde der Himmel eigentlich die Geisterwelt sein oder, wenn man will, der selige Teil derselben, und diese würde man weder über sich, noch unter sich zu suchen haben, weil ein solches immaterielles Ganze nicht nach den Entfernungen oder Nahheiten gegen körperliche Dinge, sondern in geistigen Verknüpfungen seiner Teile untereinander vorgestellt werden muss.

37.

Die Trüglichheit einer Wage, die nach bürgerlichen Gesetzen ein Mass der Handlung sein soll, wird entdeckt, wenn man Ware und Gewicht ihre Schalen vertauschen lässt, und die Parteilichkeit der Verstandeswage offenbart sich durch eben denselben Kunstgriff, ohne welchen man auch in philosophischen Urteilen nimmermehr ein einstimmiges Facit aus den verglichenen Abwiegungen heraus bekommen kann. Ich habe meine Seele von Vorurteilen gereinigt, ich habe eine jede blinde Ergebenheit vertilgt, welche sich jemals einschlich, um manchem eingebildeten Wissen in mir Eingang zu verschaffen. Jetzo ist mir nichts angelegen, nichts ehrwürdig, als was durch den Weg der Aufrichtigkeit in einem ruhigen und für alle Gründe zugänglichen Gemüte Platz nimmt; es mag mein voriges Urteil bestätigen oder aufheben, mich bestimmen oder unentschieden lassen. Wo ich etwas antreffe, das mich belehrt, da eigne ich es mir zu. Das Urteil desjenigen, der meine Gründe widerlegt, ist mein Urteil, nachdem ich es vorerst gegen die Schale der Selbstliebe und nachher in derselben gegen meine vermeintlichen Gründe abgewogen und in ihm einen grösseren Gehalt gefunden habe. Sonst betrachtete ich den allgemeinen menschlichen Verstand blos aus dem Standpunkte des meinigen; jetzt setze ich mich in die Stelle einer fremden und äusseren Vernunft und beobachte meine Urteile samt ihren geheimsten Anlässen aus dem Gesichtspunkte Anderer. Die Vergleichung beider Beobachtungen giebt zwar starke Parallaxen, aber sie ist auch das einzige Mittel, den optischen Betrug zu verhüten und die Begriffe an die wahren Stellen zu setzen, darin sie in Ansehung der Erkenntnisvermögen der menschlichen Natur stehen... Ich finde nicht, dass irgend eine Anhänglichkeit, oder sonst eine vor der Prüfung eingeschlichene Neigung meinem Gemüte die Lenksamkeit nach allerlei Gründen für oder dawider benehme, eine einzige ausgenommen. Die Verstandeswage ist doch nicht ganz unparteiisch, und ein Arm derselben, der die Aufschrift führt: Hoffnung der Zukunft, hat einen mechanischen Vorteil, welcher macht, dass auch leichte Gründe, welche in die ihm angehörige Schale fallen, die Spekulationen von an sich grösserem Gewichte auf der anderen Seite in die Höhe ziehen. Dieses ist die einzige Unrichtigkeit, die ich nicht wohl heben kann und die ich in der That auch niemals heben will.

38.

Die Erkenntnis von Gott ist entweder spekulativ, und diese ist ungewiss und gefährlichen Irrtümern unterworfen, oder moralisch durch den Glauben, und die denkt keine andern Eigenschaften von Gott, als die auf Moralität abzielen. Dieser Glaube ist natürlich und übernatürlich.

Menschenkunde.

Motto: Wer nicht arbeitet, verschmachtet vor langer Weile und ist allenfalls vor Ergötzlichkeit betäubt und erschöpft, niemals aber erquickt und befriedigt.

39.

Wenn es irgend eine Wissenschaft giebt, die der Mensch wirklich bedarf, so ist es die, welche ich lehre, die Stelle geziemend zu erfüllen, welche dem Menschen in der Schöpfung angewiesen ist, und aus der er lernen kann, was man sein muss, um ein Mensch zu sein. Gesetzt, er hätte über sich oder unter sich täuschende Anlockungen kennen gelernt, die ihn unvermerkt aus seiner eigentümlichen Stellung gebracht haben, so wird ihn diese Unterweisung wiederum zum Stande des Menschen zurückführen, und er mag sich alsdann auch noch so klein oder mangelhaft finden, so wird er doch für seinen angewiesenen Punkt recht gut sein, weil er gerade das ist, was er sein soll.

40.

Der Mensch muss sich in die Natur schicken lernen; aber er will, dass sie sich in ihn schicken soll.

41.

Wenn man das Leben der meisten Menschen ansieht, so scheint diese Kreatur geschaffen zu sein, um wie eine Pflanze Saft in sich zu ziehen und zu wachsen, sein Geschlecht fortzusetzen, endlich alt zu werden und zu sterben. Er erreicht unter allen Geschöpfen am wenigsten den Zweck seines Daseins, weil er seine vorzüglichen Fähigkeiten zu solchen Absichten verbraucht, die die übrigen Kreaturen mit weit minderen, und doch weit sicherer und anständiger erreichen. Er würde auch das verachtungswürdigste unter allen, zum wenigsten in den Augen der wahren Weisheit sein, wenn die Hoffnung des Künftigen ihn nicht erhübe, und den in ihm verschlossenen Kräften nicht die Periode einer völligen Auswickelung bevorstünde.

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