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heiligem Schauer ist, den Abgrund des Übersinnlichen sich vor seinen Füssen eröffnen zu sehen.

317.

In der Einheit des Charakters besteht die Vollkommenheit des Menschen.

318.

Alle andere gute und nutzbare Eigenschaften desselben haben einen Preis, sich gegen andere, die ebensoviel Nutzen schaffen, austauschen zu lassen; das Talent einen Marktpreis, denn der Landesoder Gutsherr kann einen solchen Menschen auf allerlei Art brauchen;

--

das Temperament einen Affektionspreis; man kann sich mit ihm gut unterhalten, er ist ein angenehmer Gesellschafter; aber der Charakter hat einen inneren Wert und ist über allen Preis erhaben.

319.

>> er hat

Von einem Menschen schlechthin sagen zu können: einen Charakter«, heisst sehr viel von ihm, nicht allein gesagt, sondern auch gerühmt; denn das ist eine Seltenheit, die Hochachtung gegen ihn und Bewunderung erregt.

320.

Selbst ein Mensch von bösem Charakter (wie Sylla), wenn er gleich durch die Gewaltthätigkeit seiner festen Maximen Abscheu erregt, ist doch zugleich ein Gegenstand der Bewunderung; wie Seelenstärke überhaupt in Vergleichung mit Seelengüte, welche freilich beide in dem Subjekt vereinigt angetroffen werden müssen, um das herauszubringen, was mehr Ideal, als in der Wirklichkeit ist, nämlich: zum Titel der Seelengrösse berechtigt zu sein.

321.

Die vielen Anpreisungen der Gutherzigkeit, welche doch wenig mehr als gute Wünsche hervorbringen, romanische Paradiese u. s. w. verhindern das Gemüt, einen Charakter anzunehmen. Aber die pünktlichste Genauigkeit im Unterscheiden dessen, was zum Rechte der Menschen gehört, und grösste Gewissenhaftigkeit im Beobachten desselben bildet einen Charakter, macht den Menschen nicht weich, sondern wacker, und bringt Thätigkeit hervor.

322.

Die alles auf Gefühle reduzieren, Poeten, haben keinen Charakter.

323.

Intrigante Leute sind schwache Köpfe, öfters haben sie Einfälle, aber im Grossen kann ein böser Mensch nichts einsehen.

324.

Einsehende Leute, weil die Wahrheit ihr eigentliches Objekt ist, und sie nur an dem, was beständig ist, Vergnügen finden, sind jederzeit ehrlich.

325.

Manche Menschen haben solche dreiste Gesichter, dass man sich immer vor einer Grobheit von ihnen fürchten muss, sowie man andern Gesichtern es gleich ansehen kann, dass sie nicht im Stande sind, Jemandem eine Grobheit zu sagen. Man kann immer freimütig aussehen, wenn es nur mit einer gewissen Güte verbunden ist.

326.

Der Hochmut ist niederträchtig, darum weil er Andern Niederträchtigkeit, nämlich sich selbst in Ansehung seiner gering zu achten, zumutet. Wenn man nicht selbst zu einer solchen Niederträchtigkeit aufgelegt ist, so kann man Andere, die sie an sich haben, nicht in seine Neigung aufnehmen. Man muss selbst gelegentlich kriechend sein, um es gut zu finden, dass Andere vor uns kriechen.

327.

Kinder, vornehmlich Mädchen müssen früh zum freimütigen ungezwungenen Lächeln gewöhnt werden; denn die Erheiterung der Gesichtszüge hierbei drückt sich nach und nach auch im Innern ab und begründet eine Disposition zur Fröhlichkeit, Freundlichkeit und Geselligkeit, welche diese Annäherung zur Tugend des Wohlwollens frühzeitig vorbereitet.

328.

Die offene Art sich zu erklären an einem der Mannbarkeit sich nähernden Mädchen, oder einem mit der städtischen Manier unbekannten Landmann, erweckt, durch die Unschuld und Einfalt (die Unwissenheit in der Kunst zu scheinen) ein fröhliches Lachen bei denen, die in dieser Kunst schon geübt und gewitzigt sind. Nicht ein Auslachen mit Verachtung; denn man ehrt doch hierbei im Herzen die Lauterkeit und Aufrichtigkeit; sondern ein gutmütiges liebevolles Belachen der Unerfahrenheit in der bösen, obgleich auf unsere schon verdorbene Menschennatur gegründeten Kunst zu scheinen, die man eher beseufzen, als belachen sollte, wenn man sie mit der Idee einer noch unverdorbenen Natur vergleicht. Es ist eine augenblickliche

Fröhlichkeit, wie von einem bewölkten Himmel, der sich an einer Stelle einmal öffnet, den Sonnenstrahl durchzulassen, aber sich sofort wieder zuschliesst, um der blöden Maulwurfsaugen der Selbstsucht zu schonen.

329.

Es ist merkwürdig, dass das weibliche Geschlecht in Ansehung dessen, was das gemeine Beste betrifft, völlig gleichgiltig sei, dass ob sie gleich nicht immer in Ansehung einzelner Personen, die sie kennen, lieblos sind, doch die Idee vom Ganzen ganz und gar keine bewegende Kraft hat. So lange das noch unangetastet bleibt, was ihre besondere Neigung interessiert, so sehen sie den Lauf der Dinge, wie er geht, ohne dass es sie anficht. Sie waren nicht geschaffen, um an dem ganzen Gebäude Hand anzulegen, und sehen es für Thorheit an, sich um etwas mehr als seine eigene Angelegenheit zu bekümmern.

Das ist sehr gut. Die Männer erholen sich bei ihnen von den öffentlichen Angelegenheiten. Sie bringen auch in die menschlichen Dinge die Kleinigkeit eines Spiels, wie es wirklich beschaffen ist, und mässigen die übergrosse Wichtigkeit.

330.

Der Mann beurteilt weibliche Fehler gelind, die Frau aber (öffentlich) sehr strenge, und junge Frauen, wenn sie die Wahl hätten, ob ihr Vergehen von einem männlichen oder weiblichen Gerichtshofe abgeurteilt werden solle, würden sicher den ersten zu ihrem Richter wählen.

331.

Das Weib ist weigernd, der Mann bewerbend; ihre Unterwerfung ist Gunst. Die Natur will, dass das Weib gesucht werde; daher musste sie selbst nicht so delicat in der Wahl (nach Geschmack) sein, als der Mann, den die Natur auch gröber gebaut hat, und der dem Weibe schon gefällt, wenn er nur Kraft und Tüchtigkeit zu ihrer Verteidigung in seiner Gestalt zeigt; denn wäre sie in Ansehung der Schönheit seiner Gestalt ekel und fein in der Wahl, um sich verlieben zu können, so müsste sie sich bewerbend, er aber weigernd zeigen; welches den Wert ihres Geschlechts, selbst in den Augen des Mannes, gänzlich herabsetzen würde.

332.

Die Moden haben so wie die gedankenlosen Schönen ihr Glück nur ihrer Jugend zu danken.

333.

Es sind ganz verschiedene Lobsprüche: eine feine Dame, und: ein wackeres und angenehmes Weib. Jenes lässt sich leicht erlangen,

und ist gut vorzuzeigen oder Parade zu machen, zu Hause aber viel Umstände und Bemühung ohne Nutzen. Das letztere macht die Glückseligkeit des Mannes. Wenn ich sage: ein feiner Herr, so ist dieses bei weitem etwas anderes als: ein tüchtiger und wackerer Mann. Wenn jener aufhört Herr zu sein, so ist er nichts. Das Wort >> Weib<< möchte ich nicht gern aus den Lobsprüchen des Geschlechts verschwinden sehen. Wenn sich die eigentümlichen Wörter verlieren, so verschwinden allgemach die Begriffe.

334.

»

Was die gelehrten Frauen betrifft, so brauchen sie ihre Bücher etwa so, wie ihre Uhr, nämlich sie zu tragen, damit gesehen werde, dass sie eine haben; ob sie zwar gemeiniglich still steht oder nicht nach der Sonne gestellt ist.

335.

Es giebt zweierlei Art von glücklicher Gemütsverfassung. 1) die Gemütsruhe oder Zufriedenheit (gutes Gewissen); 2) das stets fröhliche Herz. Das erste wird unter der Bedingung, dass man sich keiner Schuld bewusst sei, durch eine klare Vorstellung von der Nichtigkeit der Glücksgüter; das zweite ist ein Geschenk der Natur.

Quellenregister.

(Die römischen Ziffern beziehen sich auf die Bandnummern, die arabischen auf die Seitenzahlen von Hartenstein, Kants sämtliche Werke 1867/68, bez. auf Erdmann, Reflexionen Kants).

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12) Begriff d. neg. Gr. (II, 99) 13) Träume e. G. (II, 339)

14) Ob die Erde veralte? (I, 191|92) 15) Allg. Naturgesch. (I, 328) 16) U. d. Optimismus (II, 43)

17) Ü. d. Schöne u. Erhabene (II, 263) 18) Allg. Naturgesch. (I, 219 20) Sittenlehre und Erziehung. Motto: Fragmente (VIII, 611) 19) Einrchtg. d. Vorlsg. (II, 319) 20) Fragmente (VIII, 611)

21)

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(VIII, 615) (VIII, 61415)

23) Allg. Naturgesch. (II, 343) 24) Begriff d. neg. Gr. (II, 85) 25) Ü. d. Krankh. d. Kopfes (II, 220|21) 26) U. d. Schöne u. Erhabene (II, 239) 27) Fragmente (VIII, 615)

28)

(VIII, 617)

29) Einrchtg. d. Vorlsg. (II, 313) (II, 313)

30)

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Motto: Fragmente (VIII, 637) 39) (VIII, 62425) 40) Geschichte u. Naturbeschreibung d. Erdbebens v. Jahre 1755 (I, 440) 41) Allg. Naturgesch. (1, 334) 42) Ü. d. Schöne u. Erhabene (II, 236) 43) Fragmente (VIII, 618) 44) Träume e. G. (II, 328)

45) Ü. d. Schöne u. Erhabene (II, 247) 46) Von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1, 67)

47) Ü. d. Optimismus (11, 37) 48) Beweisgrund (II, 111)

49) Ü. d. Schöne u. Erhabene (II, 247) 50) (II, 26263)

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51) Träume e. G."(II, 360)

52) Fragmente (VIII, 614) 53) Beweisgrund (II, 112) 54) Fragmente (VIII, 619) (VIII, 620)

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55) 56) Von der wahren Schätzung (1, 8) 57) Träume e. G. (II, 258 Anmkg.) 58) Fragmente (VIII, 628)

59) Ü. d. Schöne u. Erhabene (II, 233)

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