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dazu wir die Anlage in uns nicht selbst gegründet haben, mithin als Gnade vorgestellt wird. (X, 296.)

Es ist Etwas in uns, das zu bewundern wir niemals aufhören können, wenn wir es einmal ins Auge gefaßt haben, und dieses ist zugleich dasjenige, was die Menschheit in der Idee zu einer Würde erhebt, die man am Menschen, als Gegenstand der Erfahrung, nicht vermuthen sollte. Daß wir den moralischen Gesetzen unterworfene und zu deren Beobachtung selbst mit Aufopferung aller ihnen widerstreitenden Lebensannehmlichkeiten durch unsere Vernunft bestimmte Wesen sind, darüber wundert man sich nicht, weil es objectiv in der natürlichen Ordnung der Dinge liegt, jenen Gesetzen zu gehorchen, ohne daß es dem gemeinen und gefunden Verstande nur einmal einfällt, zu fragen, woher uns jene Gesetze kommen mögen, um vielleicht, bis wir ihren Ursprung wissen, die Befolgung derselben aufzuschieben oder wohl gar ihre Wahrheit zu bezweifeln. Aber daß wir auch das Vermögen dazu haben, der Moral mit unserer sinnlichen Natur so große Opfer zu bringen, daß wir das auch können, wovon wir ganz leicht und klar begreifen, daß wir es sollen, diese Ueberlegenheit des übersinnlichen. Menschen in uns über den sinnlichen, desjenigen, gegen den der letztere (wenn es zum Widerstreit kommt) nichts ist, ob dieser zwar in seinen eigenen Augen Alles ist, diese moralische, von der Menschheit unzertrennliche Anlage in uns ist ein Gegenstand der höchsten Bewunderung, die, je länger man dieses wahre (nicht erdachte) Ideal ansieht, nur immer desto höher steigt, so daß diejenigen wohl zu ent= schuldigen sind, welche, durch die Unbegreiflichkeit desselben verleitet, dieses Uebersinnliche in uns, weil es doch prak= tisch ist, für übernatürlich, d. i. für Etwas, was gar nicht in unserer Macht steht und uns als eigen zugehört, sondern vielmehr für den Einfluß von einem anderen und

höheren Geiste halten, worin sie aber sehr fehlen, weil die Wirkung dieses Vermögens alsdann nicht unsere That seyn, mithin uns auch nicht zugerechnet werden könnte, das Vermögen dazu also nicht das unserige seyn würde. Die Benutzung der Idee dieses uns unbegreiflicher Weise beiwohnenden Vermögens und die Ansherzlegung derselben von der frühesten Jugend an und fernerhin im öffentlichen Vortrage, enthält nun die ächte Auflösung des Problems vom neuen Menschen, und selbst die Bibel scheint nichts Anderes vor Augen gehabt zu haben, nämlich nicht auf übernatürliche Erfahrungen und schwärmerische Gefühle hinzuweisen, die diese Revolution bewirken sollten, sondern auf den Geist Christi, um ihn, so wie er ihn in Lehre und Beispiel be= wies, zu dem unserigen zu machen, oder vielmehr, da er mit der ursprünglichen moralischen Anlage schon in uns liegt, ihm nur Raum zu verschaffen. (X, 314—16.)

Die Ueberredung, Wirkungen der Gnade von denen der Natur (der Tugend) unterscheiden, oder wohl gar in sich hervorbringen zu können, ist Schwärmerei; denn wir können weder einen übersinnlichen Gegenstand in der Erfahrung irgend woran kennen, noch weniger auf ihn Einfluß haben, um ihn zu uns herabzuziehen, wenn gleich sich im Gemüth bisweilen aufs Moralische hinwirkende Bewegungen ereignen, die man sich nicht erklären kann, und von denen unsere Unwissenheit zu gestehen genöthigt ist: ,,der Wind weht, wohin er will, aber du weißt nicht, woher er kommt u. s. w.“ Himmlische Einflüsse in sich wahrnehmen zu wollen, ist eine Art Wahnsinn, in welchem wohl gar auch Methode seyn kann, der aber immer doch eine der Religion nachtheilige Selbsttäuschung bleibt. Zu glauben, daß es Gnadenwirkungen geben könne, und vielleicht zur Ergänzung der Unvollkommenheit unserer Tugendbestrebung auch geben müsse, ist Alles, was wir davon sagen können;

übrigens sind wir unvermögend, Etwas in Ansehung ihrer Kennzeichen zu bestimmen, noch mehr aber zur Hervorbringung derselben Etwas zu thun. (X, 210.)

Der Wahn, durch religiöse Handlungen des Cultus Etwas in Ansehung der Rechtfertigung vor Gott auszurichten, ist der religiöse Aberglaube; so wie der Wahn, dieses durch Bestrebung zu einem vermeintlichen Umgange mit Gott bewirken zu wollen, die religiöse Schwärmerei. Es ist abergläubischer Wahn, durch Handlungen, die ein jeder Mensch thun kann, ohne daß er eben ein guter Mensch feyn darf, Gott wohlgefällig werden zu wollen (z. B. durch Bekenntniß statutarischer Glaubenssäße, durch Beobachtung kirchlicher Observanz und Zucht u. dgl.). Er wird aber da= rum abergläubisch genannt, weil er sich bloße Naturmittel (nicht moralische) wählt, die zu dem, was nicht Natur ist (d. i. dem sittlich Guten), für sich schlechterdings Nichts wirken können.

Der allem Religionswahn abhelfende oder vorbeugende Grundsaß eines Kirchenglaubens ist: daß dieser neben den statutarischen Säßen, deren er für jezt nicht gänzlich entbehren kann, doch zugleich ein Princip in sich enthalten miisse, die Religion des guten Lebenswandels, als das eigentliche Ziel, um jener dereinst gar entbehren zu können, herbeizuführen. (X, 210 fg.)

Andächtelei (bigotterie, devotio spuria) ist die Gewohnheit, statt Gott wohlgefälliger Handlungen (in Erfüllung aller Menschenpflichten) in die unmittelbare Beschäftigung mit Gott durch Ehrfurchtsbezeigungen, die Uebung der Frömmigkeit zu setzen, welche Uebung alsdann zum Frohndienst (opus operatum) gezählt werden muß, nur daß sie zu dem Aberglauben noch den schwärmerischen Wahn ver

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meinter übersinnlicher (himmlischer) Gefühle hinzu thut. (X, 223.)

Die Phantasie verläuft sich bei Religionsdingen unver= meidlich ins Ueberschwängliche, wenn sie das Uebersinnliche (was in Allem, was Religion heißt, gedacht werden muß) nicht an bestimmte Begriffe der Vernunft, dergleichen die moralischen sind, knüpft, und führt zu einem Illuminatism innerer Offenbarungen, deren ein Jeder alsdann seine eigenen hat, und kein öffentlicher Probierstein der Wahrheit mehr stattfindet. (X, 300.)

Es ist nur eine (wahre) Religion; aber es kann vielerlei Arten des Glaubens geben. Man kann hinzusezen, daß in den mancherlei sich, der Verschiedenheit ihrer Glaubensarten wegen, von einander absondernden Kirchen dennoch eine und dieselbe wahre Religion anzutreffen seyn kann. Es ist daher schicklicher, zu sagen: dieser Mensch ist von diesem oder jenem (jüdischen, muhammedanischen, christlichen, katholischen, Luther'schen) Glauben, als er ist von dieser oder jener Religion. Der letztere Ausdruck sollte billig nicht einmal in der Anrede an das große Publikum (in Katechismen und Predigten) gebraucht werden; denn er ist zu gelehrt und unverständlich. Der gemeine Mann versteht darunter jederzeit seinen Kirchenglauben, der ihm in die Sinne fällt, anstatt daß Religion innerlich verborgen ist, und auf moralische Gesinnungen ankommt. Man thut den Menschen zu viel Ehre an, von ihnen zu sagen: sie bekennen sich zu dieser oder jener Religion; denn sie kennen und verlangen keine; der statutarische Kirchenglaube ist Alles, was fie unter diesem Worte verstehen. Auch sind die sogenann= ten Religionsstreitigkeiten, welche die Welt so oft erschüttert und mit Blut bespritzt haben, nie etwas anderes, als

Zänkereien um den Kirchenglauben gewesen, und der Unterdrückte klagte nicht eigentlich darüber, daß man ihn hinderte, seiner Religion anzuhängen (denn das kann keine äußere Gewalt), sondern daß man ihm seinen Kirchenglauben öffentlich zu befolgen nicht erlaubte. (X, 128.)

Der Glaube einer gottesdienstlichen Religion ist ein Frohn- und Lohnglaube (fides mercenaria, servilis), und fann nicht für den feligmachenden angesehen werden, weil er nicht moralisch ist. Denn dieser muß ein freier, auf lauter Herzensgesinnungen gegründeter Glaube (fides ingenua) seyn. Der erstere wähnt durch Handlungen (des cultus), welche (obzwar mithsam) doch für sich keinen moralischen Werth haben, mithin nur durch Furcht oder Hoffnung abgenöthigte Handlungen sind, die auch ein böser Mensch ausüben kann, Gott wohlgefällig zu werden, anstatt daß der letztere dazu eine moralisch gute Gesinnung als nothwendig vorausseßt. (X, 138.)

In der Erscheinung des Gottmenschen ist nicht das, was von ihm in die Sinne fällt, oder durch Erfahrung er= fannt werden kann, sondern das in unserer Vernunft liegende Urbild, welches wir dem letztern unterlegen (weil, so viel sich an einem Beispiel wahrnehmen läßt, er jenem gemäß befunden wird), eigentlich das Object des feligmachenden Glaubens, und ein solcher Glaube ist einerlei mit dem Princip eines Gott wohlgefälligen Lebenswandels. (X, 142.)

Das Christenthum hat, außer der größten Achtung, welche die Heiligkeit seiner Gesetze unwiderstehlich einflößt, noch etwas Liebenswürdiges in sich. Ich meine hier nicht die Liebenswürdigkeit der Person, die es uns mit

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