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Auflösung seiner Zweifel, nämlich blos die Ueberführung von seiner Unwissenheit, entsprang, konnte auch nur in die Seele eines Mannes kommen, der mitten unter seinen lebhaftesten Zweifeln sagen konnte (27, 5. 6):,,Bis daß mein Ende kommt, will ich nicht weichen von meiner Frömmigfeit" u. s. w. Denn mit dieser Gesinnung bewies er, daß er nicht seine Moralität auf den Glauben, sondern den Glauben auf die Moralität grindete: in welchem Falle dieser, so schwach er auch seyn mag, doch allein lauter und ächter Art, d. i. von derjenigen Art ist, welche eine Religion, nicht der Gunstbewerbung, sondern des guten Lebenswandels gründet. (VII, 1. Abtheil. 398-402.)

Religion und Kirche.

Man kann alle Religionen in die der Gunstbewerbung (des bloßen Cultus) und die moralische, d. i. die Religion des guten Lebenswandels, eintheilen. Nach der erstern schmeichelt sich entweder der Mensch: Gott könne ihn wohl ewig glücklich machen, ohne daß er eben nöthig habe, ein besserer Mensch zu werden (durch Erlassung seiner Verschuldungen); oder auch, wenn ihm dieses nicht möglich zu seyn scheint: Gott könne ihn wohl zum bessern Menschen machen, ohne daß er selbst etwas mehr dabei zu thun habe, als darum zu bitten, welches, da es vor einem allsehenden Wesen nichts weiter ist, als wünschen, eigentlich Nichts gethan seyn würde, denn wenn es mit dem bloßen Wunsche ausgerichtet wäre, so würde jeder Mensch gut seyn. Nach der moralischen Religion aber ist es ein Grundsatz, daß ein Jeder so viel, als in seinen Kräften ist, thun müsse, um ein besserer Mensch zu werden, und nur alsdann, wenn er sein angeborenes Pfund nicht vergraben (Lucä XIX, 12—16), wenn er die ursprüngliche Anlage zum Guten benutzt hat, um ein besserer Mensch zu werden, er hoffen könne, was nicht in seinem Vermögen ist, werde durch höhere Mitwirkung ergänzt werden. Auch ist es nicht schlechterdings nothwendig, daß der Mensch wisse, worin diese bestehe; viel

leicht gar unvermeidlich, daß, wenn die Art, wie sie geschieht, zu einer gewissen Zeit offenbart worden, verschiedene Menschen zu einer andern Zeit sich verschiedene Begriffe, und zwar mit aller Aufrichtigkeit, davon machen würden. Aber alsdann gilt auch der Grundsatz:,,es ist nicht wesentlich, und also nicht Jedermann nothwendig zu wissen, was Gott zu seiner Seligkeit thue oder gethan habe"; aber wohl, was er selbst zu thun habe, um dieses Beistandes würdig zu werden. (X, 59 fg.)

Was der Mensch im moralischen Sinne ist, oder werden. soll, gut oder böse, dazu muß er sich selbst machen oder gemacht haben. Beides muß eine Wirkung seiner freien Willkühr seyn, denn sonst könnte es ihm nicht zugerechnet werden, folglich er weder moralisch gut noch böse seyn. Wenn es heißt, er ist gut geschaffen, so kann das nichts mehr bedeuten, als er ist zum Guten erschaffen, und die ursprüngliche Anlage im Menschen ist gut; der Mensch ist es selber dadurch noch nicht, sondern nachdem er die Triebfedern, die diese Anlage enthält, in seine Maxime aufnimmt oder nicht (welches seiner freien Wahl gänzlich überlassen seyn muß), macht er, daß er gut oder böse wird. Gesetzt, zum Gut oder Besserwerden sey noch eine übernatürliche Mitwirkung nöthig, so mag diese nur in der Verminderung der Hindernisse bestehen, oder auch positiver Beistand seyn, der Mensch muß sich doch vorher würdig machen, sie zu empfangen, und diese Beihilfe annehmen (welches nichts Geringes ist), d. i. die positive Kraftvermehrung in seine Marime aufnehmen, wodurch es allein möglich wird, daß ihm das Gute zugerechnet und er für einen guten Menschen erkannt werde.

Wie es nun möglich sey, daß ein natürlicher Weise böser Mensch sich selbst zum guten Menschen mache, das übersteigt alle unsere Begriffe: denn wie kann ein böser

Baum gute Früchte bringen? Da aber doch nach dem vorher abgelegten Geständnisse ein ursprünglich (der Anlage nach) guter Baum arge Früchte hervorgebracht hat und der Verfall vom Guten ins Böse (wenn man wohl bedenkt, daß dieses aus der Freiheit entspringt) nicht begreiflicher ist, als das Wiederaufstehen aus dem Bösen zum Guten, so kann die Möglichkeit des Leßtern nicht bestritten werden. Denn ungeachtet jenes Abfalls erschallt doch das Gebot: wir sollen bessere Menschen werden, unvermindert in unserer Seele; folglich müssen wir es auch können, sollte auch das, was wir thun können, für sich allein unzureichend seyn, und wir uns dadurch nur eines für uns unerforschlichen höhern Beistandes empfänglich machen. Freilich muß hierbei vorausgesetzt werden, daß ein Keim des Guten in seiner ganzen Reinheit übrig geblieben, nicht vertilgt oder verderbt werden konnte, welcher gewiß nicht die Selbstliebe seyn kann, die, als Princip aller unserer Marimen angenommen, gerade die Quelle alles Bösen ist. (X, 50-52.)

Es darf nicht befremden, wenn ein Apostel den unsichtbaren, nur durch seine Wirkungen auf uns kennbaren, die Grundsätze verderbenden Feind, als außer uns, und zwar als bösen Geist vorstellig macht:,,wir haben nicht mit Fleisch und Blut (den natürlichen Neigungen), sondern mit Fürsten und Gewaltigen mit bösen Geistern zu kämpfen." Ein Ausdruck, der nicht, um unsere Erkenntniß über die Sinnenwelt hinaus zu erweitern, sondern nur um den Begriff des für uns Unergründlichen für den praktischen Gebrauch anschaulich zu machen, angelegt zu seyn scheint; denn übrigens ist es zum Behuf des lettern für uns einerlei, ob wir den Verführer blos in uns selbst, oder auch außer uns sehen, weil die Schuld uns im leztern Falle um nichts minder trifft, als im erstern, als die wir

von ihm nicht verführt werden würden, wenn wir mit ihm nicht im geheimen Einverständnisse wären. *) (X, 68.)

Wenn unter Natur das im Menschen herrschende Princip der Beförderung seiner Glückseligkeit, unter Gnade aber die in uns liegende unbegreifliche moralische Anlage, d. i. das Princip der reinen Sittlichkeit verstanden wird, so find Natur und Gnade nicht allein von einander unterschieden, sondern auch oft gegen einander in Widerstreit. Wird aber unter Natur (in praktischer Bedeutung) das Vermögen, aus eigenen Kräften gewisse Zwecke auszurichten, verstanden, so ist Gnade nichts anders als Natur des Menschen, so fern er durch sein eigenes inneres, aber übersinnliches Princip (die Vorstellung seiner Pflicht) zu Handlungen bestimmt wird, welches, weil wir es uns erklären wollen, gleichwohl aber weiter keinen Grund davon wissen, von uns als von der Gottheit in uns gewirkter Antrieb zum Guten,

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*) Es ist eine Eigenthümlichkeit der christlichen Moral, das fittlich Gute vom sittlich Bösen nicht wie den Himmel von der Erde, sondern wie den Himmel von der Hölle unterschieden vorzustellen; eine Vorstellung, die zwar bildlich, und als solche empörend, nichts destoweniger aber, ihrem Sinne nach, philosophisch richtig ist. Sie dient nämlich dazu, zu verhüten, daß der Gute und Böse, das Reich des Lichts und das Reich der Finsterniß, als an einander grenzend, und durch allmälige Stufen (der größern und mindern Heiligkeit) sich in einander verlierend gedacht, sondern durch seine unermeßliche Kluft von einander ge= trennt vorgestellt werde. Die gänzliche Ungleichartigkeit der Grundsätze, mit denen man unter einem oder dem andern dieser zwei Reiche Unterthan seyn kann, und zugleich die Gefahr, die mit der Einbildung von einer nahen Verwandtschaft der Eigenschaften, die zu einem oder dem andern qualificiren, verbunden ist, berechtigen zu dieser Vorstellungsart, die, bei dem Schauderhaften, das sie in sich enthält, zugleich sehr erhaben ist. (X, 68 fg.)

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