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selbst vermessen und unitberlegt zu seyn dünken. (IV, 251.)

Die äußere Zweckmäßigkeit der Naturdinge giebt keine hinreichende Berechtigung, sie zugleich als Zwecke der Natur, zu Erklärungsgründen ihres Daseyns und der zufällig zweckmäßigen Wirkungen derselben in der Idee, zu Gründen ihres Daseyns nach dem Princip der Endursachen zu brauchen. So kann man die Flüsse, weil sie die Gemeinschaft im Innern der Länder unter Völkern befördern; Gebirge, weil sie zu diesen die Quellen und zur Erhaltung derselben den Schneevorrath für regenlose Zeiten enthalten; ingleichen den Abhang der Länder, der diese Gewässer abführt und das Land trocken werden läßt, darum nicht sofort für Naturzwecke halten, weil, obzwar diese Gestalt der Oberfläche der Erde zur Entstehung und Erhaltung des Gewächs- und Thierreichs sehr nöthig war, sie doch nichts an sich hat, zu dessen Möglichkeit man sich genöthigt sähe, eine Causalität nach Zwecken anzunehmen. Eben das gilt von Gewächsen, die der Mensch zu seiner Nothdurft oder Ergöglichkeit nutt: von Thieren, dem Kameele, dem Rinde, dem Pferde, Hunde u. s. w., die er theils zu seiner Nahrung, theils zu seinem Dienste so vielfältig gebrauchen und großentheils gar nicht entbehren kann. Von Dingen, deren keines für sich als Zweck anzusehen man Ursache hat, kann das äußere Verhältniß nur hypothetisch für zweckmäßig beurtheilt werden. (IV, 261 fg.)

Wenn auch das Daseyn einer höchsten Intelligenz bewiesen wäre, so würden wir uns zwar daraus das Zweckmäßige in der Welteinrichtung und Ordnung im Allgemeinen begreiflich machen, keineswegs aber befugt sein, irgend eine besondere Anstalt und Ordnung daraus abzuleiten, oder, wo

sie nicht wahrgenommen wird, darauf kühnlich zu schließen, indem es eine nothwendige Regel des speculativen Gebrauchs der Vernunft ist, Naturursachen nicht vorbeizugehen und das, wovon wir uns durch Erfahrung belehren können, aufzu= geben, um etwas, was wir kennen, von demjenigen abzuleiten, was alle unsere Kenntniß gänzlich übersteigt. (II, 616.)

Wenn man wissen will, ob ein Ding alt, ob es sehr alt, oder noch jung zu nennen seh, so muß man es nicht nach der Anzahl der Jahre schätzen, die es gedauert hat, sondern nach dem Verhältniß, das diese zu derjenigen Zeit haben, die es dauern soll. Eben dieselbe Dauer, die für eine Art von Geschöpfen ein hohes Alter genannt werden kann, ist es nicht für eine andere. In derselben Zeit, da ein Hund veraltet, hat der Mensch kaum seine Kindheit überschritten, und die Eichen und Cedern auf dem Libanon sind noch nicht in ihrer männlichen Stärke, wenn die Linden oder Tannen alt werden und verdorren. Am meisten fehlt der Mensch, wenn er, in dem Großen der Werke Gottes, zum Maaßstabe des Alters die Reihe der menschlichen Geschlechter anwenden will, welche in dieser Zeit verflossen sind. Es ist zu besorgen, daß es mit seiner Art zu urtheilen bewandt sen, wie mit der der Rosen beim Fontenelle, welche von dem Alter ihres Gärtners muthmaaßten: Unser Gärtner, sagten sie, ist ein sehr alter Mann, seit Rosen gedenken ist er derselbe, der er immer gewesen, in der That er stirbt nicht, er verändert sich nicht einmal. Wenn man die Dauerhaftigkeit erwägt, die bei den Anstalten der Schöpfung an den großen Gliedern ihres Inbegriffs angetroffen wird, und welche einer Unendlichkeit nahe kommt, so wird man bewogen zu glauben, daß ein Ablauf von 5 oder 6000 Jahren für die der Erde bestimmte Dauer vielleicht noch nicht dasjenige sey, was ein Jahr in Ansehung des Lebens eines Menschen ist.

Die Wahrheit zu gestehen, wir haben keine Merkmale in der Offenbarung, woraus wir abnehmen können, ob die Erde anjezt jung oder alt, als in der Blüthe ihrer Vollkommenheit, oder in dem Verfall ihrer Kräfte begriffen, könne angesehen werden. Sie hat uns zwar die Zeit ihrer Ausbildung und den Zeitpunkt ihrer Kindheit entdeckt, aber wir wissen nicht, welchem von den beiden Endpunkten ihrer Dauer, dem Punkte ihres Anfanges oder Unterganges, fie anjetzt näher sey.

Wenn wir die Klagen bejahrter Leute hören, so ver= nehmen wir, die Natur altere merklich, und man könne die Schritte verspüren, die sie zu ihrem Verfalle thue. Die Witterungen, sagen sie, wollen nicht mehr so gut wie vormals einschlagen. Die Kräfte der Natur sind erschöpft, ihre Schönheit und Richtigkeit nimmt ab. Die Menschen werden weder so stark noch so alt mehr als vormals. Diese Abnahme, heißt es, ist nicht allein bei der natitrlichen Verfassung der Erde zu bemerken, sie erstreckt sich auch bis auf die sittliche Beschaffenheit. Die alten Tugenden sind erloschen, an deren Statt finden sich neue Laster. Falschheit und Betrug haben die Stelle der alten Redlichkeit eingenommen. Dieser Wahn, welcher nicht verdient, widerlegt zu werden, ist nicht sowohl eine Folge des Irrthums als der Eigenliebe. Die ehrlichen Greise, welche so eitel sind, sich zu überreden, der Himmel habe die Sorgfalt für sie gehabt, fie in den blühendsten Zeiten an das Licht zu stellen, können sich nicht überreden, daß es nach ihrem Tode eben so gut in der Welt hergehen solle, als es zuging, ehe sie geboren waren. Sie möchten sich gerne einbilden, die Natur veralte zugleich mit ihnen, damit es sie nicht reuen dürfte, eine Welt zu verlassen, die schon selber ihrem Untergange nahe ist. (VI, 15-17.)

So ungegründet, wie diese Einbildung ist, das Alter

und die Dauerhaftigkeit der Natur nach dem Maaßstabe eines einzigen Menschenalters messen zu wollen, so scheint doch eine andere Vermuthung dem ersten Anblicke nach nicht eben so ungereimt, daß in einigen tausend Jahren vielleicht eine Veränderung in der Verfassung des Erdbodens merklich werden könne.

Die Meinung der meisten Naturforscher, welche Theorien der Erde entworfen haben, geht dahin, daß die Fruchtbarkeit der Erde allmälig abnehme, daß sie sich dem Zustande mit langsamen Schritten nähere, unbewohnter und wüst zu werden, und daß es nur Zeit braucht, um die Natur gänzlich veraltet und in der Ermattung ihrer Kräfte erstorben zu sehen. Diese Frage ist wichtig und es verlohnt sich wohl der Mithe, sich mit Behutsamkeit diesem Schlusse zu nähern.

Laßt uns aber vorher den Begriff bestimmen, den man sich von dem Veralten eines sich durch natürliche Kräfte zur Vollkommenheit ausbildenden, und durch die Kräfte der Elemente modificirenden Körpers zu machen hat.

Das Veralten eines Wesens ist in dem Ablauf seiner Veränderungen nicht ein Abschnitt, der äußere und gewalt= same Ursachen zum Grunde hat. Eben dieselben Ursachen, durch welche ein Ding zur Vollkommenheit gelangt und darin erhalten wird, bringen es durch unmerkliche Stufen der Veränderungen seinem Untergange wieder nahe. Es ist eine natürliche Schattirung in der Fortsetzung seines Daseyns, und eine Folge eben derselben Gründe, dadurch seine Ausbildung bewirkt wurde, daß es endlich verfallen und untergehen muß. Alle Naturdinge sind diesem Gesetze unterworfen, daß derselbe Mechanismus, der im Anfange an ihrer Vollkommenheit arbeitet, nachdem sie den Punkt derselben erreicht haben, weil er fortfährt das Ding zu verändern, selbiges nach und nach wieder von den Bedingungen der guten Verfassung entfernt und dem Verderben mit unvermerkten Schritten endlich überliefert. Dieses Verfahren der Natur

zeigt sich deutlich an der Dekonomie des Pflanzen- und Thierreichs. Eben derselbe Trieb, der die Bäume wachsen macht, bringt ihnen den Tod, wenn sie ihr Wachsthum vollendet haben. Eben der Mechanismus, wodurch das Thier oder der Mensch lebt und aufwächst, bringt ihm endlich den Tod, wenn das Wachsthum vollendet ist. Eben so ist der allmälige Verfall der guten Verfassung der Erde ebenfalls in die Folge der Abänderungen, welche ihre Vollkommenheit anfänglich bewirkten, so eingeflochten, daß er nur in langen Zeitläuften kenntlich werden kann. (VI, 17-19.) *)

Man kann den unvermeidlichen Hang, den ein jegliches zur Vollkommenheit gebrachtes Weltgebäude nach und nach zu seinem Untergange hat, unter die Gründe rechnen, die es bewähren können, daß das Univerfum dagegen in andern Gegenden an Welten fruchtbar seyn werde, um den Mangel zu ersetzen, den es an einem Orte erlitten hat. Das ganze

*) Kant wirst nach dieser Auseinandersetzung einen Blick auf die veränderlichen Scenen, welche die Natur von ihrem Anfange an bis zur Vollendung spielt, um die ganze Kette der Folgen zu übersehen, worin das Verderben das letzte Glied ist. Er prüft die verschiedenen physikalischen Gründe, die sich für das Veralten der Erde anführen lassen, verhält sich aber eben nur prüfend, nicht entscheidend zu der aufgeworfenen Frage. Darnm schließt er mit den Worten: Ich habe demnach die aufgeworfene Frage von dem Veralten der Erde nicht entscheidend, wie es der unternehmende Geist eines kühnen Naturforschers erheischen würde, sondern prüfend, wie es die Beschaffenheit des Vorwurfs selber mit fich bringt, abgehandelt. Ich habe den Begriff richtiger zu bestimmen gesucht, den man sich von dieser Veränderung zu machen hat. Es können noch andere Ursachen seyn, die durch einen plößlichen Umsturz der Erde ihren Untergang zuwege bringen könnten (Kometen, unterirdisches Feuer u. f. w). Allein dergleichen Zufälle gehören eben so wenig zu der Frage des Veraltens der Erde, als man bei der Erwägung, durch welche Wege ein Gebäude veralte, die Erdbeben oder Feuersbrünste in Betracht zu ziehen hat. (VI,37.)

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