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ausstreut. Und gleichwohl hat sich Niemand in den Sinn kommen lassen, sie von einem besondern Schneesamen herzuleiten und eine künstliche Ordnung der Natur zu ersinnen, sondern man mißt sie als eine Nebenfolge allgemeineren Gesetzen bei, welche die Bildung dieses Products mit nothwendiger Einheit zugleich unter sich befassen.

Gleichwohl ist die Natur reich an einer gewissen andern Art von Hervorbringungen, wo alle Weltweisheit, die über ihre Entstehungsart nachsinnt, sich genöthigt sieht, diesen Weg zu verlassen. Der Bau der Pflanzen und Thiere zeigt eine solche Anstalt, wozu 'die allgemeinen und nothwendigen Naturgeseze unzulänglich sind. . . . . Wie z. B. ein Baum durch eine innere mechanische Verfassung soll vermögend seyn, den Nahrungssaft so zu formen und zu modeln, daß in dem Auge der Blätter oder seinem Samen etwas entstünde, das einen ähnlichen Baum im Kleinen, oder woraus doch ein solcher werden könnte, enthielte, ist nach allen unsern Kenntnissen auf keine Weise einzusehen. Die innerlichen Formen des Herrn von Büffon, und die Elemente organischer Materie, die sich zu Folge ihrer Erinnerungen, den Geseßen der Begierden und des Abscheues gemäß, nach der Meinung des Herrn von Maupertuis zusammenfitgen, sind entweder ebenso unverständlich als die Sache selbst, oder ganz willfürlich erdacht. Allein, ohne sich an dergleichen Theorien zu kehren, muß man denn darum selbst eine andere dafür aufwerfen, die ebenso willkührlich ist, nämlich daß alle diese Individuen übernatürlichen Ursprungs sind, weil man ihre natürliche Entstehungsart gar nicht begreift? Hat wohl jemals einer das Vermögen der Hefen, ihres Gleichen zu erzeugen, mechanisch begreiflich gemacht, und gleichwohl bezieht man sich desfalls nicht auf einen übernatürlichen Grund. (I, 223—26.)

Ebenso, wie unter allen Aufgaben der Naturforschung

keine mit mehr Richtigkeit und Gewißheit aufgelöst worden, als die wahre Verfassung des Weltbaues im Großen, die Gesetze der Bewegungen und das innere Triebwerk der Umläufe aller Planeten; als worin die Newton'sche Weltweisheit solche Einsichten gewähren kann, dergleichen man sonst in keinem Theile der Weltweisheit antrifft; eben also, behaupte ich, sey unter allen Naturdingen, deren erster Ursache man nachforscht, der Ursprung des Weltsystems und die Erzeugung der Himmelskörper sammt den Ursachen ihrer Bewegungen, dasjenige, was man am ersten gründlich einzusehen hoffen darf. Die Ursache hiervon ist leicht zu ersehen. Die Himmelskörper sind runde Massen, also von der einfachsten Bildung, die ein Körper, deffen Ursprung man sucht, nur immer haben kann. Ihre Bewegungen sind gleichfalls unvermischt. Sie sind nichts als eine freie Fortsetzung eines einmal eingedrückten Schwunges, welcher, mit der Attraction des Körpers im Mittelpunkte verbunden, kreisförmig wird. Ueberdies ist der Raum, darin sie sich bewegen, leer, die Zwischenweiten, die sie von einander absondern, ganz ungemein groß, und also Alles sowohl zur unverwirrten Bewegung, als auch zur deutlichen Bemerkung derselben auf das deutlichste auseinandergesetzt. Mich dünkt, man könne hier in gewissem Verstande ohne Vermessenheit sagen: gebt mir Materie, ich will eine Welt daraus bauen! Das ist, gebt mir Materie, ich will Euch zeigen, wie eine Welt daraus entstehen soll. Denn wenn Materie vorhanden ist, welche mit einer wesentlichen Attractionskraft begabt ist, so ist es nicht schwer, diejenigen Ursachen zu be= stimmen, die zu der Einrichtung des Weltsystems, im Großen betrachtet, haben beitragen können. Man weiß, was dazu gehört, daß ein Körper eine kugelrunde Figur erlange; man begreift, was erfordert wird, daß freischwebende Kugeln eine kreisförmige Bewegung um den Mittelpunkt anstellen, gegen den sie gezogen werden. Die Stellung der Kreise gegen einander, die Uebereinstimmung der Richtung, die Excentricität,

Alles kann auf die einfachsten und mechanischen Ursachen gebracht werden, und man darf mit Zuversicht hoffen, sie zu entdecken, weil sie auf die leichtesten und deutlichsten Gründe gesezt werden können. Kann man aber wohl von den geringsten Pflanzen oder einem Insecte sich solcher Vortheile rühmen? Ist man im Stande zu sagen: gebt mir Materie, ich will Euch zeigen, wie eine Raupe erzeugt werden kann? Bleibt man hier nicht bei dem ersten Schritte, aus Unwissenheit der wahren innern Beschaffenheit des Objects und der Verwickelung der in demselben vorhandenen Mannigfaltigkeit, stecken? Man darf es sich also nicht befremden lassen, wenn ich mich unterstehe zu sagen: daß eher die Bildung aller Himmelskörper, die Ursachen ihrer Bewegungen, kurz, der Ursprung der ganzen gegen= wärtigen Verfassung des Weltbaues werde können eingesehen werden, ehe die Erzeugung eines einzigen Krauts, oder einer Raupe, aus mechanischen Gründen, deutlich und vollständig kund werden wird. (VI, 53 fg.)

Die Befugniß, auf eine blos mechanische Erklärungsart aller Naturproducte auszugehen, ist an sich ganz unbeschränkt; aber das Vermögen, damit allein auszulangen, ist, nach der Beschaffenheit unseres Verstandes, so ferne er es mit Dingen als Naturzwecken zu thun hat, nicht allein sehr beschränkt, sondern auch deutlich begränzt, nämlich so, daß, nach einem Princip der Urtheilskraft, durch das erstere Verfahren allein zur Erklärung der letzteren gar nichts ausgerichtet werden könne, mithin die Beurtheilung solcher Producte jederzeit von uns zugleich einem teleologischen Princip untergeordnet werden müsse.

Es ist daher vernünftig, ja verdienstlich, dem Naturmechanism, zum Behuf einer Erklärung der Naturproducte, soweit nachzugehen, als es mit Wahrscheinlichkeit geschehen kann, ja diesen Versuch nicht darum aufzugeben, weil es an

sich unmöglich sey, auf seinem Wege mit der Zweckmäßigfeit der Natur zusammenzutreffen, sondern nur darum, weil es für uns als Menschen unmöglich ist.

Damit also der Naturforscher nicht auf reinen Verlust arbeitë, so muß er in Beurtheilung der Dinge, deren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegründet ist (organisirter Wesen), immer irgend eine ursprüngliche Organisation zum Grunde legen, welche jenen Mechanism selbst benutzt, um andere organisirte Formen hervorzubringen, oder die seinige zu neuen Gestalten (die doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gemäß erfolgen) zu entwickeln.

Es ist rühmlich, vermittelst einer comparativen Anatomie die große Schöpfung organisirter Naturen durchzugehen, um zu sehen: ob sich daran nicht etwas einem System Aehnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip nach, vorfinde, ohne daß wir nöthig haben, beim bloßen Beurtheilungsprincip (welches für die Einsicht ihrer Erzeugung keinen Aufschluß giebt) stehen zu bleiben und muthlos allen Anspruch auf Natureinsicht in diesem Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft so vieler Thiergattungen in einem gewissen gemeinsamen Schema, das nicht allein in ihrem Knochenbau, sondern auch in der Anordnung der übrigen Theile zum Grunde zu liegen scheint, wo bewunderungswürdige Einfalt des Grundrisses durch Verkürzung einer und Verlängerung anderer, durch Einwickelung dieser und Auswickelung jener Theile, eine so große Mannigfaltigkeit von Species hat hervorbringen können, läßt einen obgleich schwachen Strahl von Hoffnung ins Gemith fallen, daß hier wohl Etwas mit dem Princip des Mechanismus der Natur, ohne das es ohnedies keine Naturwissenschaft geben kann, auszurichten seyn möchte. Diese Analogie der Formen, so ferne sie bei aller Verschiedenheit einem gemeinschaftlichen Urbilde gemäß erzeugt zu seyn scheinen, verstärkt die Vermuthung einer wirklichen Verwandtschaft derselben in der Erzeugung von einer gemeinschaftlichen Urmutter, durch die stufenartige Annäherung einer Thier

gattung zur andern, von derjenigen an, in welcher das Princip der Zwecke am meisten bewährt zu sein scheint, nämlich dem Menschen, bis zum Polyp, von diesem sogar bis zu Moosen und Flechten, und endlich zu der niedrigsten uns merklichen Stufe der Natur, zur rohen Materie: aus welcher und ihren Kräften nach mechanischen Gesetzen (gleich denen, danach fie in Krystallerzeugungen wirkt) die ganze Technik der Natur, die uns in organisirten Wesen so unbegreiflich ist, daß wir uns dazu ein anderes Princip zu denken genöthigt glauben, abzustammen scheint.

Hier steht es nun dem Archäologen der Natur frei, aus den übrig gebliebenen Spuren ihrer ältesten Revolutionen, nach allem ihm bekannten oder gemuthmaaßten Mechanism derselben, jene große Familie von Geschöpfen (denn so mußte man sie sich vorstellen, wenn die genannte, durchgängig zusammenhängende Verwandtschaft einen Grund haben soll) entspringen zu lassen. Er kann den Mutterschooß der Erde, die eben aus ihrem chaotischen Zustande herausging (gleichsam als ein großes Thier), anfänglich Geschöpfe von minder zweckmäßiger Form, diese wiederum andere, welche angemessener ihrem Zeugungsplatze und ihrem Verhältnisse unter einander sich ausbildeten, gebären lassen, bis diese Gebärmutter selbst erstarrt, sich verknöchert, ihre Geburten auf bestimmte fernerhin nicht ausartende Species eingeschränkt hätte, und die Mannigfaltigkeit so bliebe, wie sie am Ende der Operation jener fruchtbaren Bildungskraft ausgefallen war. Allein er muß gleichwohl zu dem Ende dieser allgemeinen Mutter eine auf alle diese Geschöpfe zweckmäßig gestellte Organisation beilegen, widrigenfalls die Zweckform der Producte des Thier- und Pflanzenreichs ihrer Möglichteit nach gar nicht zu denken ist.... Die Autokratie der Materie in Erzeugungen, welche von unserm Verstande nur als Zwecke begriffen werden können, ist ein Wort ohne Bedeutung. (IV, 311-15.)

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