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der Kleidung, in der Diät, in der Religion herrscht oft viel Pedanterei.

Eine zweckmäßige Genauigkeit in Formalien ist Gründlich = feit (schulgerechte, scholastische Vollkommenheit). Pedanterie ist also eine affectirte Gründlichkeit, so wie Galanterie, als eine bloße Buhlerin um den Beifall des Geschmacks, nichts als eine affectirte Popularität ist. Denn die Galanterie ist nur bemüht, sich dem Leser gewogen zu machen und ihn daher auch nicht einmal durch ein schweres Wort zu be= leidigen.

Pedanterei zu vermeiden, dazu werden ausgebreitete Kenntnisse nicht nur in den Wissenschaften selbst, sondern auch in Ansehung des Gebrauchs derselben erfordert. Daher kann sich nur der wahre Gelehrte von der Pedanterei losmachen, die immer die Eigenschaft eines eingeschränkten Kopfes ist. (III, 213 fg.)

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Bei dem Bestreben, unserm Erkenntnisse die Vollkommen= heit der scholastischen Gründlichkeit und zugleich der Popu= larität zu verschaffen, ohne darüber in die Fehler einer affectirten Gründlichkeit oder einer affectirten Popularität zu gerathen, müssen wir vor allem auf die scholastische Vollkommenheit unsers Erkenntnisses die schulgerechte Form der Gründlichkeit - sehen und sodann erst dafür sorgen, wie wir die methodisch in der Schule gelernte Erkenntniß wahrhaft popular, d. i. Andern so leicht und allgemein mittheibar machen, daß doch die Gründlichkeit nicht durch die Popularität verdrängt werde. Denn um der popularen Vollkommenheit willen dem Volke zu Gefallen, muß die scholastische Vollkommenheit nicht aufgeopfert werden, ohne welche alle Wissenschaft nichts als Spielwerk und Tändelei wäre.

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Um aber wahre Popularität zu lernen, muß man die Alten lesen, z. B. Cicero's philosophische Schriften, die

Dichter Horaz, Virgil u. s. w.; unter den Neuern Hume, Shaftesbury u. a. m., Männer, die alle vielen Umgang mit der verfeinerten Welt gehabt haben, ohne den man nicht popular seyn kann. Denn wahre Popularität erfordert viele praktische Welt und Menschenkenntniß, Kenntniß von den Begriffen, dem Geschmacke und den Neigungen der Menschen, worauf bei der Darstellung und selbst der Wahl schicklicher, der Popularität angemessener Ausdrücke beständig Rücksicht zu nehmen ist. Eine solche Herablaffung (Condescendenz) zu der Fassungskraft des Publikums und den gewohnten Ausdrücken, wobei die scholastische Vollkommenheit nicht hintenangesetzt, sondern nur die Einkleidung der Gedanken so eingerichtet wird, daß man das Gerüst das Schulgerechte und Technische von jener Vollkommenheit nicht sehen läßt (so wie man mit Bleistift Linien zieht, auf die man schreibt und sie nachher wegwischt) diese wahrhaft populare Vollkommenheit des Erkenntnisses ist in der That eine große und seltene Vollkommenheit, die von vieler Einsicht in die Wissenschaft zeigt. Auch hat sie außer vielen andern Verdiensten noch dieses, daß sie einen Beweis für die vollständige Einsicht in eine Sache geben kann. Denn die blos scholastische Prüfung einer Erkenntniß läßt noch den Zweifel übrig: ob die Prüfung nicht einseitig sey, und ob die Erkenntniß selbst auch wohl einen von allen Menschen ihr zugestandenen Werth habe? Die Schule hat ihre Vorurtheile so wie der gemeine Verstand. Eines verbessert hier das andere. Es ist daher wichtig, ein Erkenntniß an Menschen zu prüfen, deren Verstand an feiner Schule hängt.

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Diese Vollkommenheit der Erkenntniß, wodurch sich dieselbe zu einer leichten und allgemeinen Mittheilung qualificirt, könnte man auch die äußere Extension oder die ertensive Größe eines Erkenntnisses nennen, sofern es äußerlich unter vielen Menschen ausgebreitet ist. (III, 214—16.)

Vom Wissen kommt Wissenschaft her, worunter der Inbegriff einer Erkenntniß, als System, zu verstehen ist. Sie wird der gemeinen Erkenntniß entgegengesetzt, d. i. dem Inbegriff einer Erkenntniß, als bloßem Aggregate. Das System beruht auf einer Idee des Ganzen, welche den Theilen vorangeht; beim gemeinen Erkenntnisse dagegen, oder dem bloßen Aggregate von Erkenntnissen gehen die Theile dem Ganzen vorher. Es giebt historische und Vernunft wissenschaften. (III, 245 fg.)

Wenn man eine Erkenntniß als Wissenschaft darstellen will, so muß man zuvor das Unterscheidende, was sie mit feiner andern gemein hat, und was ihr also eigenthümlich ist, genau bestimmen können; widrigenfalls die Grenzen aller Wissenschaften ineinanderlaufen, und keine derselben, ihrer Natur nach, gründlich abgehandelt werden kann.

Dieses Eigenthümliche mag nun in dem Uuterschiede des Objects, oder der Erkenntnißquellen, oder auch der Erkenntnißart, oder einiger, wo nicht aller dieser Stücke zusammen, bestehen, so beruht darauf zuerst die Idee der möglichen Wissenschaft und ihres Territoriums. (III, 15.)

Wissenschaft hat einen innern wahren Werth nur als Organ der Weisheit. Als solches ist sie ihr aber auch unentbehrlich, sodaß man wohl behaupten darf: Weisheit ohne Wissenschaft sey ein Schattenriß von einer Vollkommenheit, zu der wir nie gelangen werden.

Der die Wissenschaft haßt, um desto mehr aber die Weisheit liebt, den nennt man einen Misologen. Die Misologie entspringt gemeiniglich aus einer Leerheit von wissenschaftlichen Kenntnissen und einer gewissen damit verbundenen Art von Eitelkeit. Zuweilen verfallen aber auch diejenigen in den Fehler der Misologie, welche Anfangs mit

großem Fleiße und Glücke den Wissenschaften nachgegangen waren, am Ende aber in ihrem ganzen Wissen keine Befriedigung fanden.

Philosophie ist die einzige Wissenschaft, die uns diese innere Genugthuung zu verschaffen weiß; denn sie schließt gleichsam den wissenschaftlichen Zirkel und durch sie erhalten sodann erst die Wissenschaften Ordnung und Zusammenhang. (III, 188.)

Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse, daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft. (II, 5.) *)

Daß der Geist des Menschen metaphysische Untersuchungen einmal gänzlich aufgeben werde, ist ebenso wenig zu erwarten, als daß wir, um nicht unreine Luft zu schöpfen, das Athemholen einmal lieber ganz und gar einstellen würden. Es wird also in der Welt jederzeit, und was noch mehr, bei jedem, vornämlich dem nachdenkenden Menschen Metaphysik seyn, die, in Ermangelung eines öffentlichen Richtmaaßes, jeder sich nach seiner Ärt zu= schneiden wird. (III, 145.)

Mathematik, Naturwissenschaft, Gesetze, Kunst, selbst Moral u. f. w. füllen die Seele noch nicht gänzlich aus; es bleibt immer noch ein Raum in ihr übrig, der für die bloße reine und speculative Vernunft abgestochen ist, und

*) Kant meint die metaphysischen, das Daseyn Gottes, Freiheit und die Unsterblichkeit betreffenden Fragen.

die

dessen Leere uns zwingt, in Fragen oder Tändelwerk, oder auch Schwärmerei, dem Scheine nach, Beschäftigung und Unterhaltung, im Grunde aber nur Zerstreuung zu suchen, um den beschwerlichen Ruf der Vernunft zu übertäuben, die ihrer Bestimmung gemäß Etwas verlangt, das sie für sich selbst befriedige, und nicht blos zum Behuf anderer Absichten, oder zum Interesse der Neigungen in Geschäftigkeit verfete. Darum hat eine Betrachtung, die sich blos mit diesem Umfange der für sich selbst bestehenden Vernunft beschäftigt, darum, weil eben in demselben alle andern Kenntnisse, sogar Zwecke zusammenstoßen, und in ein Ganzes vereinigen müssen, wie ich mit Grund vermuthe, für Jedermann, der es nur versucht hat, seine Begriffe so zu erweitern, einen großen Reiz, und ich darf wohl sagen, einen größern, als jedes andere theoretische Wissen, welches man gegen jenes nicht leichtlich eintauschen würde. (III, 162 fg.)

Alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgend einer Absicht gut. Selbst Gifte dienen dazu, andere Gifte, welche sich in unseren eigenen Säften erzeugen, zu überwältigen, und dürfen daher in einer vollständigen Sammlung von Heilmitteln (Officin) nicht fehlen. Die Einwürfe wider die Ueberredungen und den Eigendünkel unserer blos speculativen Vernunft sind selbst durch die Natur unserer Vernunft aufgegeben und müssen also ihre gute Bestimmung und Absicht haben, die man nicht in den Wind schlagen muß. Wozu hat uns die Vorsehung manche Gegenstände, ob sie gleich mit unserm höchsten Interesse zusammenhängen, so hoch ge= stellt, daß uns fast nur vergönnt ist, fie in einer undeutlichen und von uns selbst bezweifelten Wahrnehmung an= zutreffen, dadurch ausspähende Blicke mehr gereizt, als be= friedigt werden? Ob es nützlich sey, in Ansehung solcher Aussichten dreiste Bestimmungen zu wagen, ist wenigstens zweifelhaft, vielleicht gar schädlich. Allemal aber und ohne

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