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so redet man nicht mehr mit dem Irrenden, sondern mit dem Vernünftigen. Aber da ist die Aufdeckung der Ungereimtheit nicht nöthig.

Einen abgeschmackten Irrthum kann man auch einen solchen nennen, dem nichts, auch nicht einmal der Schein zur Entschuldigung dient; sowie ein grober Irrthum ein Irrthum ist, welcher Unwissenheit im gemeinen Erkenntnisse oder Verstoß wider gemeine Aufmerksamkeit beweist.

Irrthum in Principien ist größer als in ihrer An= wendung. (III, 225—27.)

Allgemeine Regeln und Bedingungen der Vermeidung des Irrthums überhaupt sind: 1. selbst zu denken, 2. sich in der Stelle eines Andern zu denken, und 3. jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken. Die Marime des Selbstdenkens kann man die aufgeklärte, die Maxime, sich in Anderer Gesichtspunkte im Denken zu versetzen, die erweiterte, und die Marime, jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken, die consequente oder bündige Denkart nennen. (III, 227 fg.)

Ein äußeres Merkmal oder ein äußerer Probierstein der Wahrheit ist die Vergleichung unserer eigenen mit Anderer Urtheilen, weil das Subjective nicht allen Andern auf gleiche Art beiwohnen wird, mithin der Schein dadurch erflärt werden kann. Die Unvereinbarkeit Anderer Urtheile mit den unsrigen ist daher als ein äußeres Merkmal des Irrthums und als ein Wink anzusehen, unser Verfahren im Urtheilen zu untersuchen, aber darum nicht sofort zu verwerfen. Denn man kann doch vielleicht Recht haben in der Sache und nur Unrecht in der Manier, d. i. dem Vortrage.

Der gemeine Menschenverstand (sensus communis) ist

J. Kant.

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auch an sich ein Probierstein, um die Fehler des künst= lichen Verstandesgebrauchs zu entdecken. Das heißt: sich im Denken oder im speculativen Vernunftgebrauche durch den gemeinen Verstand orientiren, wenn man den ge= meinen Verstand als Probe zu Beurtheilung der Richtigkeit des speculativen gebraucht. (III, 227.)

Selbstdenken heißt den obersten Probierstein der Wahrheit in sich selbst (d. i. in seiner eigenen Vernunft) suchen: und die Marime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung. Dazu gehört nun eben so viel nicht, als sich Diejenigen einbilden, welche die Aufklärung in Kenntnisse sezen; da sie vielmehr ein negativer Grundsaß im Gebrauche seines Erkenntnißvermögens ist und öfter der, welcher an Kenntnissen überaus reich ist, im Gebrauche derselben am wenigsten aufgeklärt ist. Sich seiner eigenen Vernunft bedienen, will nichts weiter sagen, als bei allem dem, was man annehmen soll, sich selbst fragen: ob man es wohl thunlich finde, den Grund, warum man etwas annimmt, oder auch die Regel, die aus dem, was man annimmt, folgt, zum allgemeinen Grundsaße seines Vernunftgebrauchs zu machen? Diese Probe kann ein Jeder mit sich selbst an= stellen, und er wird Aberglauben und Schwärmerei bei dieser Prüfung alsbald verschwinden sehen, wenn er gleich bei weitem die Kenntnisse nicht hat, beide aus objectiven Gründen zu widerlegen. Denn er bedient sich blos der Maxime der Selbsterhaltung der Vernunft. Aufklärung in einzelnen Subjecten durch Erziehung zu gründen, ist also gar leicht; man muß nur früh anfangen, die jungen Köpfe zu dieser Reflexion zu gewöhnen. Ein Zeitalter aber aufzuklären ist sehr langwierig, denn es finden sich viel äußere Hindernisse, welche jene Erziehungsart theils verbieten, theils erschweren. (I, 390.)

Es kann seyn, daß nicht Alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält (denn er kann irren); aber in Allem, was er sagt, muß er wahrhaft seyn (er soll nicht täuschen); es mag nun seyn, daß sein Bekenntniß blos innerlich (vor Gott) oder auch ein äußeres sey. Die Uebertretung dieser Pflicht der Wahrhaftigkeit heißt die Lüge, weshalb es äußere, aber auch eine innere Lüge geben kann, sodaß beide zusammen vereinigt, oder auch einander widersprechend, sich ereignen fönnen.

Eine Lüge aber, sie mag innerlich oder äußerlich seyn, ist zwiefacher Art: 1. wenn man das für wahr ausgiebt, dessen man sich doch als unwahr bewußt ist, 2. wenn man etwas für gewiß ausgiebt, wovon man sich doch bewußt ist, subjectiv ungewiß zu sein.

Die Lüge (,,vom Vater der Lügen, durch den alles Böse in die Welt gekommen ist") ist der eigentliche faule Fleck in der menschlichen Natur, so sehr auch zugleich der Ton der Wahrhaftigkeit (nach dem Beispiel mancher chinesischen Krämer, die über ihre Laden die Aufschrift mit goldenen Buchstaben setzen: ,,allhier betrügt man nicht") vornämlich in dem, was das Uebersinnliche betrifft, der ge= wöhnliche Ton ist. Das Gebot: Du sollst (und wenn es auch in der frömmsten Absicht wäre) nicht lügen, zum Grundsat in die Philosophie als eine Weisheitslehre innigst aufgenommen, würde allein den ewigen Frieden in ihr nicht nur bewirken, sondern auch in alle Zukunft sichern können. (I, 660 fg.)

Subtile Irrthümer sind ein Reiz für die Eigenliebe, welche die eigene Stärke gern fühlt; offenbare Wahrheiten hingegen werden so leicht und durch einen so gemeinen Verstand eingesehen, daß es ihnen endlich so geht wie jenen Gesängen, welche man nicht mehr ertragen kann, sobald fie aus dem Munde des Pöbels erschallen. Mit einem Worte:

man schätzt gewisse Erkenntnisse öfters nicht darum hoch, weil sie richtig sind, sondern weil sie uns was kosten, und man hat nicht gern die Wahrheit guten Kaufs. (I, 47.)

Es ist einmal das Loos des menschlichen Verstandes so bewandt; entweder er ist grüblerisch und geräth auf Fraßen, oder hascht verwegen nach zu großen Gegenständen und baut Luftschlösser. Von dem großen Haufen der Denker wählt der eine die Zahl 666, der andere den Ursprung der Thiere und Pflanzen, oder die Geheimnisse der Vorsehung. Der Irrthum, darin beide gerathen, ist von sehr verschiedenem Geschmack, so wie die Köpfe verschieden sind. (I, 69.)

Wenn man die Urtheile der unverstellten Vernunft in verschiedenen denkenden Personen mit der Aufrichtigkeit eines unbestochenen Sachwalters prüfte, der von zwei streitigen Theilen die Gründe so abwägt, daß er sich in Gedanken in die Stelle derer, die sie vorbringen, selbst versezt, um sie so stark zu finden, als sie nur immer werden können, und dann allererst auszumachen, welchem Theile er sich widmen wolle, so würde viel weniger Uneinigkeit in den Meinungen der Philosophen seyn, und eine ungeheuchelte Billigkeit, sich selbst der Sache des Gegentheils in dem Grade anzunehmen, als es möglich ist, würde bald die forschenden Köpfe auf Einem Wege vereinigen. (I, 166.)

Es ist schwer, dem Anspruche auf Richtigkeit zu ent= sagen, den man im Anfange zuversichtlich äußerte, als man Gründe vortrug, allein es ist nicht ebenso schwer, wenn dieser Anspruch gelinde, unsicher und bescheiden war. Selbst die feinste Eitelkeit, wenn sie sich wohl versteht, wird bemerken, daß nicht weniger Verdienst dazu gehört, sich über

zeugen zu lassen, als selbst zu überzeugen, und daß jene Handlung vielleicht mehr wahre Ehre macht, insofern mehr Entsagung und Selbstprüfung dazu als zu der andern erfordert wird. (I, 167.)

Die Größe der Erkenntniß kann in einem zwiefachen Verstande genommen werden, entweder als ertensive oder als intensive Größe. Die erstere bezieht sich auf den Umfang der Erkenntniß und besteht also in der Menge und Mannigfaltigkeit derselben; die letztere bezieht sich auf ihren Gehalt, welcher die Vielgültigkeit oder die logische Wichtigkeit und Fruchtbarkeit einer Erkenntniß betrifft, sofern sie als Grund von vielen großen Folgen betrachtet wird (non multa, sed multum).

Bei Erweiterung unserer Erkenntnisse, oder bei Vervollkommnung derselben ihrer extensiven Größe nach, ist es gut, sich einen Ueberschlag zu machen, inwieweit ein Erkenntniß mit unsern Zwecken und Fähigkeiten zusammenstimme. Diese Ueberlegung betrifft die Bestimmung des Horizonts unserer Erkenntnisse, unter welchem die Angemessenheit der Größe der gesammten Erkenntnisse mit den Fähigkeiten und Zwecken des Subjects zu verstehen ist. Der Horizont läßt sich bestimmen:

1. logisch nach dem Vermögen oder den Erkenntnißkräften in Beziehung auf das Interesse des Verstandes. 2. ästhetisch nach Geschmack in Beziehung auf das Interesse des Gefühls.

3. praktisch nach dem Nußen in Beziehung auf das Interesse des Willens.

Der Horizont betrifft also die Beurtheilung und Be= stimmung dessen, was der Mensch wissen kann, was er wissen darf und was er wissen soll. (III, 205-7.)

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