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Immanuel Kant's Leben, Charakter und

Philosophie.

Immanuel Kant wurde am 22. April 1724 zu Königsberg geboren, wo sein Vater, Johann George Cant, dessen Vorfahren aus Schottland herstammten, als Meister das Sattlerhandwerk trieb und im besten Rufe bei seinen Mitbürgern stand. Kant's Mutter war eine Frau von großzem. natürlichen Verstande, einem edeln Herzen, und einer echten, aber durchaus nicht schwärmerischen Religiosität. Sie führte ihren Immanuel oft in die freie Natur, machte auf diesen Spaziergängen ihn auf allerlei Erscheinungen der Natur aufmerksam und sprach mit ihm von der wunderbaren Macht Gottes. Nachdem Kant den Elementarunterricht in der vorstädtischen Hospitalschule genossen hatte, wurde er in seinem zehnten Lebensjahre 1733 der gelehrten Schule,,Collegium Fridericianum" übergeben, deren Unterricht er sieben Jahre genoß. 1740, also noch vor seinem zurückgelegten siebzehnten Lebensjahre, bezog er die Universität seiner Vaterstadt, anfänglich in der Absicht, Theologie zu studiren, wol auch von dem Gedanken geleitet, dadurch am besten das Andenken seiner geliebten, ihm 1737 durch den Tod entrissenen Mutter zu ehren. Die damalige gute Gewohnheit der Studirenden brachte es mit sich, daß sie, bevor sie mit Ernst die Vor

lesungen der von ihnen gewählten Berufsfächer besuchten, in dem ersten, wol auch in den beiden ersten Semestern sich ausschließlich mit Vorlesungen der philosophischen Facultät beschäftigten. Kant erwählte dazu die Mathematik und Philosophie. Diese entfremdeten ihn aber ganz dem Studium der Theologie, deren damalige Richtung in Königsberg ihm nicht zusagte. Er entschied sich demnach schon in seinen letzten Universitätsjahren für das Lehrfach.

Nach dem Abgange von der Universität mußte sich Kant, durch seine Verhältnisse dazu genöthigt, entschließen, das geliebte Königsberg zu verlassen, um in Hauslehrerstellen die weitere Vorbereitung für ein akademisches Lehramt durchzuführen. Er mußte dem Hauslehrerleben nicht weniger als neun Jahre widmen. Dieses längere Leben in fremden Familien, die verschiedenartigen geselligen Beziehungen, denen er sich hingeben mußte und die er bald meisterhaft sich unterwarf, die vielfachen Anforderungen, welche sein Beruf als Erzieher an ihn machte, und die gewissenhafte Pflichterfüllung, mit welcher er denselben zu entsprechen sich bemühte, alles dies war von außerordentlichem Einfluß auf sein ganzes späteres Leben und half die bewundernswerthe Vielseitigkeit seines Geistes entfalten. Während dieser Zeit gab Kant seine erste Schrift:,,Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte" (1747) heraus.

1755-70, also funfzehn Jahre, war Kant Privatdocent an der philosophischen Facultät zu Königsberg. 1755 begann er die Reihe seiner akademischen Vorlesungen über Mathematik und Physik. Diese Vorträge ließ er in regelmäßiger Folge neben den philosophischen fortgehen, welche er vorzugsweise auf Logik, Metaphysik, MoralPhilosophie und philosophische Encyklopädie ausdehnte. Seine durch Beispiele aus den Wissenschaften und dem Leben erläuterten und durch Beimischung von Witz und Laune belebten Vorlesungen fanden bei den Zuhörern die günstigste Aufnahme. Unterdessen hatte sich auch seine schriftstellerische

Thätigkeit, außer einigen kleinern Abhandlungen in den ,,Königsbergischen Nachrichten“ und einigen Programmen zur Ankündigung seiner halbjährlichen Vorlesungen, auf eine sehr bemerkenswerthe Weise in seiner,, Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ (1755) gezeigt. Nachdem er so hinlänglich für seinen literarischen Ruf gesorgt und sein Lehrtalent für die Universität auf eine unzweifelhafte Weise befundet hatte, meldete er sich 1756 zu der erledigten außerordentlichen Professur der Mathematik, Logik und Metaphysik. Aber sein Wunsch wurde nicht erfüllt. Zwei Jahre darauf trat auch für die ordentliche Professur der Logik und Metaphysik die Vacanz ein, und Kant bewarb sich wiederum um diese Stelle. Aber auch diesmal wurden Kant's Erwartungen nicht erfüllt. Noch zwölf Jahre mußte er in dem beschränkten Leben eines Privatdocenten aushalten. Den Kreis seiner Vorlesungen dehnte er zwischen 1760-69 noch auf natürliche Theologie oder Religionsphilosophie, Anthropologie und physische Geographie aus, die er seitdem in regelmäßiger Folge wiederholte. Nebenbei hielt er noch Specialvorträge zur Kritik der Beweise für das Dasein Gottes und über die Lehre von dem Schönen und Erhabenen, nachdem er über beide Gegenstände seine Untersuchungen durch den Druck bekannt gemacht hatte. (,,Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes", 1763;,,Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen", 1764.) Von andern Schriften Kant's aus dieser Zeit ist noch besonders zu nennen die Abhandlung zur Beantwortung der Preisfrage, welche die berliner Akademie der Wissenschaf= ten auf das Jahr 1763 aufgegeben:,,Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsäße der natürlichen Theologie und der Moral." Diese Arbeit bewirkte zuerst eine größere Aufmerksamkeit auf den königsberger Philosophen in der Hauptstadt des preußischen Staats und selbst bei dem Ministerium. Gleichzeitig kamen nach Berlin Nachrichten von dem sehr günstigen Erfolge seiner Vorlesungen auch

außerhalb des Kreises der Studirenden. Als nun 1762 die Profeffur der Dichtkunst in Königsberg erledigt worden war, erging von Berlin aus eine Anfrage über Kant, wiewol er selbst sich gar nicht zu dieser erledigten Professur gemeldet hatte. Kant glaubte für diese Professur keinen Beruf zu haben. Er lehnte sie daher ab und empfahl sich nur für eine günstigere Gelegenheit. Erst 1766, also im Alter von 42 Jahren, gelangte Kant zu einem Amte mit firer, wenngleich sehr geringer Besoldung (62 Thaler), nämlich zu dem eines Unterbibliothekars der königsberger Schloßzbibliothek. Kant's Verhältnisse hatten sich inzwischen immer mehr gebessert, seine Vorlesungen wurden nicht nur zahlreicher besucht, sondern er mußte oftmals auf dringendes Verlangen unangezeigte Vorlesungen als Privatissima dem ordentlichen. Cursus hinzufügen. Durch die Einnahmen aus denselben waren bei seinem einfachen Leben die nothwendigen Ausgaben vollständig gedeckt. Kant's Ruf war unterdessen auch über die Grenzen des preußischen Staats hinaus ausgebreitet worden. Es wurden ihm von den Universitäten Erlangen und Jena Anträge gemacht, aber beiden ausländischen Bocationen zog er er ohne Bedenken die sichere und seinen Forschungen entsprechende Anstellung im Vaterlande vor, als diese ihm zu gleicher Zeit eröffnet wurde. Im Jahre 1770 erhielt Kant die Professur der Logik und Metaphysik. Er trat dieses Lehramt, womit ein Einkommen von höchstens 400 Thalern verbunden war, mit der Vertheidigung der Dissertation:,,De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis" (1770) an, in welcher akademischen Schrift er zuerst die Grundziige seiner Kritik der reinen. Vernunft öffentlich bekannt machte.

Nachdem Kant endlich in seinem 46. Lebensjahre seinen so lange gehegten Wunsch, auf der königsberger Universität den Lehrstuhl der theoretischen Philosophie einzunehmen, erfüllt fah, blieb er auch den ehrenvollsten Einladungen gegenüber seiner Baterstadt treu. Seine Vorlesungen über Logik

Metaphysik, Naturrecht, Moral, natürliche Theologie, Anthropologie und physische Geographie wechselten in regelmäßiger Folge und wurden von ihm mit dem musterhaftesten Fleiße ohne alle Unterbrechung in jedem Semester durchgeführt. Die Vorlesungen über physische Geographie, Anthropologie und Moral gewannen eine immer größere Anzahl von Zuhörern, weil sie die leichtverständlichsten waren, keine genauere Kenntniß seines Systems voraussetzten und durch den geistig belebten Vortrag besondern Reiz erhielten. Sie hatten daher auch am meisten ein gemischtes Publikum, nicht nur aus Studenten der vier verschiedenen Facultäten, sondern auch aus den reifern Männern verschiedener Stände. Die außerordentliche Achtung, die Kant als Lehrer genoß, bewirkte bei seinem Erscheinen auf dem Katheder die größte Stille und verhinderte jede Störung. Sein Verhältniß zu den Studirenden war ein höchst günstiges; ernst in allen dienstlichen Geschäften, in denen er als Lehrer, Dekan und Rector ihnen gegenübertrat, war er ihr wahrer Freund und Beschüßer, wo er in irgendeiner Beziehung zu einer freiern Entwickelung der studirenden Jugend helfen konnte. In Bezug auf die akademische Disciplin hegte er sehr liberale Ansichten und pflegte zu sagen:,,Bäume, wenn sie im Freien stehen und im Wachsthum begriffen find, gedeihen besser und tragen einst herrlichere Früchte, als wenn sie durch Künsteleien, Treibhäuser und confiscirte Formen dazu gebracht werden. sollen."

Nicht minder bedeutend als die Kant'sche Lehrthätigkeit in den ersten zwanzig Jahren seiner Professur (1770-90), war auch seine schriftstellerische Wirksamkeit. In diese Beriode fallen seine epochemachenden systematischen Schriften, die von dem größten Einfluß auf die spätere Entwickelung der Philosophie wurden. Nachdem er 1770 in der Abhandlung,,De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis", mit welcher er seine Professur antrat, gleichsam das Programm seiner,,Kritik der reinen Vernunft" gegeben

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