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annimmt, was zu wissen zwar unmöglich, aber vorauszusetzen moralisch nothwendig ist. Dieser Art des Unglaubens liegt immer Mangel an moralischem Interesse zum Grunde. Je größer die moralische Gesinnung eines Menschen ist, desto fester und lebendiger wird auch sein Glaube seyn an alles dasjenige, was er aus dem moralischen Interesse in praktisch nothwendiger Absicht anzunehmen und vorauszusetzen sich genöthigt fühlt.

3. Wissen. Das Fürwahrhalten aus einem Erkenntnißgrunde, der sowohl objectiv als subjectiv zureichend ist, oder die Gewißheit ist entweder empirisch oder ratio= nal, je nachdem sie entweder auf Erfahrung die eigene sowohl als die fremde mitgetheilte oder auf Vernunft sich gründet. Diese Unterscheidung bezieht sich also auf die beiden Quellen, woraus unser gesammtes Erkenntniß geschöpft wird: die Erfahrung und die Vernunft.

Die rationale Gewißheit ist hinwiederum entweder mathematische oder philosophische Gewißheit. Iene ist intuitiv, diese discursiv.

Die empirische Gewißheit ist eine ursprüngliche, sofern ich von Etwas aus eigener Erfahrung, und eine ab= geleitete, sofern ich durch fremde Erfahrung wovon ge= wiß werde. Diese lettere pflegt auch die historische Ge= wißheit genannt zu werden.

Die rationale Gewißheit unterscheidet sich von der em= pirischen durch das Bewußtseyn der Nothwendigkeit, das mit ihr verbunden ist. Rational gewiß ist man von dem, was man auch ohne alle Erfahrung a priori würde eingesehen haben. -Rationale Gewißheit können wir nicht von Allem haben; aber da, wo wir sie haben können, müssen wir sie der empirischen vorziehen.

Alle Gewißheit ist entweder eine unvermittelte, oder eine vermittelte, d. h. sie bedarf entweder eines Beweises, oder ist keines Beweises fähig und bedürftig. (III, 238—45.)

Zweifel ist ein Gegengrund oder ein bloßes Hinderniß des Fürwahrhaltens, das entweder subjectiv oder objec= tiv betrachtet werden kann. Subjectiv nämlich wird Zweifel bisweilen genommen als ein Zustand eines unentschlossenen Gemüths, und objectiv als die Erkenntniß der Unzulänglichkeit der Gründe zum Fürwahrhalten. In der letztern Rücksicht heißt er Einwurf, das ist ein objectiver Grund, ein für wahr gehaltenes Erkenntniß für falsch zu halten.

Ein blos subjectiv gültiger Gegengrund des Fürwahrhaltens ist ein Scrupel. Beim Scrupel weiß man nicht, ob das Hinderniß des Fürwahrhaltens objectiv, oder nur subjectiv, z. B. nur in der Neigung, der Gewohnheit u. dgl. m. gegründet sey. Man zweifelt, ohne sich über den Grund des Zweifels deutlich und bestimmt erklären und ohne einsehen zu können, ob dieser Grund im Object selbst oder nur im Subject liege. Sollen nun solche Scrupel hinweg= genommen werden können, so müssen sie zur Deutlichkeit und Bestimmtheit eines Einwurfs erhoben werden. durch Einwirfe wird die Gewißheit zur Deutlichkeit und Vollständigkeit gebracht, und keiner kann von einer Sache gewiß seyn, wenn nicht Gegengründe rege gemacht worden, wodurch bestimmt werden kann, wie weit man noch von der Gewißheit entfernt, oder wie nahe man derselben sey.

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Denn

Auch ist es nicht genug: daß ein jeder Zweifel blos beant= wortet werde; man muß ihn auch auflösen, das heißt: begreiflich machen, wie der Scrupel entstanden ist. Geschieht dieses nicht: so wird der Zweifel nur abgewiesen, aber nicht aufgehoben; der Same des Zweifelns bleibt da immer noch übrig. -In vielen Fällen können wir freilich nicht wissen: ob das Hinderniß des Fürwahrhaltens in uns nur subjective oder objective Gründe habe, und also den Scrupel nicht heben durch Aufdeckung des Scheines, da wir unsere Erkenntnisse nicht immer mit dem Object, sondern oft nur unter einander vergleichen können. Es ist daher

Bescheidenheit, seine Einwürfe nur als Zweifel vorzutragen. (III, 260 fg.)

Der Ueberzeugung steht die Ueberredung entgegen, ein Fürwahrhalten aus unzureichenden Gründen, von denen man nicht weiß, ob sie blos subjectiv oder auch objectiv sind. Die Ueberredung geht oft der Ueberzeugung vorher. Wir sind uns vieler Erkenntnisse nur so bewußt, daß wir nicht urtheilen können, ob die Gründe unsers Fürwahrhaltens objectiv oder subjectiv sind. Wir müssen daher, um von der bloßen Ueberredung zur Ueberzeugung gelangen zu können, zuvörderst überlegen, d. h. sehen, zu welcher Erkenntnißkraft ein Erkenntniß gehöre; und sodann untersuchen, d. i. prüfen, ob die Gründe in Ansehung des Objects zureichend find. Bei Vielen bleibt es bei der Ueberredung, bei Einigen kommt es zur Ueberlegung, bei Wenigen zur Untersuchung. Der da weiß, was zur Gewißheit gehört, wird Ueberredung und Ueberzeugung nicht leicht verwechseln und sich also auch nicht leicht überreden lassen.

Es giebt einen Bestimmungsgrund zum Beifall, der aus objectiven und subjectiven Gründen zusammengesetzt ist, und diese vermischte Wirkung setzen die mehresten Menschen nicht auseinander.

Die Zulänglichkeit des Fürwahrhaltens (im Glauben) läßt sich auf die Probe stellen durch Wetten oder durch Schwören. Zu dem ersten ist comparative, zum zweiten absolute Zulänglichkeit objectiver Grinde nöthig, statt deren, wenn sie nicht vorhanden sind, dennoch ein schlechterdings subjectiv zureichendes Fürwahrhalten gilt. (III, 247 fg.)

Der gewöhnliche Probierstein: ob etwas bloße Ueberredung, oder wenigstens subjective Ueberzeugung, d. i. festes

Glauben sey, was Jemand behauptet, ist das Wetten. Defters spricht Jemand seine Säße mit so zuversichtlichem und unlenkbarem Troße aus, daß er alle Besorgniß des Irrthums gänzlich abgelegt zu haben scheint. Eine Wette

macht ihn stutig. Bisweilen zeigt sich, daß er zwar Ueberredung genug, die auf einen Dukaten an Werth geschäßt werden kann, aber nicht auf zehn, besize. Denn den ersten wagt er noch wohl, aber bei zehn wird er allererst inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nämlich doch wohl möglich sey, er habe sich geirrt. Wenn man sich in Gedanken vorstellt: man solle worauf das Glück des ganzen Lebens verwetten, so schwindet unser triumphirendes Urtheil gar sehr, wir werden überaus schüchtern und entdecken so allererst, daß unser Glaube so weit nicht zulange. So hat der pragmatische Glaube nur einen Grad, der nach Verschiedenheit des Interesse, das dabei im Spiele ist, groß oder auch klein seyn kann. (II, 635.)

Die vorläufigen Urtheile sind sehr nöthig, ja unentbehrlich für den Gebrauch des Verstandes bei allem Meditiren und Untersuchen. Denn sie dienen dazu, den Verstand bei seinen Nachforschungen zu leiten und ihm hierzu verschiedene Mittel an die Hand zu geben.

Wenn wir über einen Gegenstand meditiren, müssen wir immer schon vorläufig urtheilen und das Erkenntniß gleichsam schon wittern, das uns durch die Meditation zu Theil werden wird. Und wenn man auf Erfindungen oder Entdeckungen ausgeht, muß man sich immer einen vorläufigen Plan machen, sonst gehen die Gedanken blos aufs Ungefähr.

Von den vorläufigen Urtheilen müssen die Vorurtheile unterschieden werden.

Vorurtheile sind vorläufige Urtheile, insofern sie als Grundsätze angenommen werden. Ein jedes

Vorurtheil ist als ein Princip irriger Urtheile anzusehen, und aus Vorurtheilen entspringen nicht Vorurtheile, sondern irrige Urtheile. Man muß daher die falsche Erkenntniß, die aus dem Vorurtheile entspringt, von ihrer Quelle, dem Vorurtheile selbst, unterscheiden. So ist z. B. die Bedeutung der Träume an sich selbst kein Vorurtheil, sondern ein Irrthum, der aus der angenommenen allgemeinen Regel entspringt: was einigemal eintrifft, trifft immer ein, oder ist immer für wahr zu halten. Und dieser Grundsaß, unter welchen die Bedeutung der Träume mit gehört, ist ein Vorurtheil.

Zuweilen sind die Vorurtheile wahre vorläufige Urtheile nur daß sie uns als Grundsäge oder als bestimmende Urtheile gelten, ist Unrecht. Die Ursache von dieser Täuschung ist darin zu suchen, daß subjective Gründe fälschlich für objective gehalten werden, aus Mangel an Ueberlegung, die allem Urtheilen vorhergehen muß.

Die Hauptquellen der Vorurtheile sind: Nachahmung, Gewohnheit und Neigung.

Die Nachahmung hat einen allgemeinen Einfluß auf unsre Urtheile; denn es ist ein starker Grund, das für wahr zu halten, was Andere dafür ausgegeben haben. Daher das Vorurtheil: was alle Welt thut, ist Recht. Was die Vorurtheile betrifft, die aus der Gewohnheit entsprungen sind, so können sie nur durch die Länge der Zeit ausgerottet werden, indem der Verstand, durch Gegengründe nach und nach im Urtheilen aufgehalten und verzögert, dadurch allmälig zu einer entgegengesetzten Denkart gebracht wird. Ist aber ein Vorurtheil der Gewohnheit zugleich durch Nachahmung entstanden: so ist der Mensch, der es besitzt, davon schwerlich zu heilen. Ein Vorurtheil aus Nachahmung kann man auch den Hang zum passiven Gebrauch der Vernunft nennen, oder zum Mechanism der Vernunft statt der Spontaneität derselben unter Gefeßen.

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