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Geschichte.

Wenn dasjenige im Menschen selbst angetroffen werden muß, was als Zweck durch seine Verknüpfung mit der Natur befördert werden soll, so muß entweder der Zweck von der Art seyn, daß er selbst durch die Natur in ihrer Wohlthätigkeit befriedigt werden kann, oder es ist die Tauglichkeit und Geschicklichkeit zu allerlei Zwecken, dazu die Natur (äußerlich und innerlich) von ihm gebraucht werden fönne. Der erste Zweck der Natur würde die Glückseligkeit, der zweite die Cultur des Menschen seyn.

Glückseligkeit ist die bloße Idee eines Zustandes, die sich der Mensch selbst entwirft, und zwar auf so verschiedene Art, durch seinen mit der Einbildungskraft und den Sinnen verwickelten Verstand, daß die Natur, wenn sie auch seiner Willkühr gänzlich unterworfen wäre, doch schlechterdings kein bestimmtes allgemeines und festes Gesetz anneh= men könnte, um mit diesem schwankenden Begriffe, und so mit dem Zwecke, den Jeder sich willkührlicher Weise vorsetzt, übereinzustimmen. Aber selbst wenn wir entweder diesen auf das wahrhafte Naturbedürfniß, worin unsere Gattung mit sich übereinstimmt, herabsetzen, oder andererseits die Geschicklichkeit, sich eingebildete Zwecke zu ver= schaffen, noch so hoch steigern wollten, so wiirde doch, was

der Mensch unter Glückseligkeit versteht, und was in der That sein eigener letter Naturzweck (nicht Zweck der Freiheit) ist, von ihm nie erreicht werden; denn seine Natur ist nicht von der Art, irgendwo im Besitze und Genusse aufzuhören und befriedigt zu werden. Andererseits ist so weit gefehlt, daß die Natur ihn zu ihrem besondern Liebling aufgenommen und vor allen Thieren mit Wohlthun begin= stigt habe, daß sie ihn vielmehr in ihren verderblichen Wirfungen, in Pest, Hunger, Wassergefahr, Frost, Anfall von andern großen und kleinen Thieren u. dgl. eben so wenig verschont, wie jedes andere Thier; noch mehr aber, daß das Widersinnige der Naturanlagen ihn selbst in selbstersonnene Plagen und noch andere von seiner eigenen Gattung, durch den Druck der Herrschaft, die Barbarei der Kriege u. f. w. in solche Noth versetzt, und er selbst, so viel an ihm ist, an der Zerstörung seiner eigenen Gattung arbeitet, daß selbst bei der wohlthätigsten Natur außer uns der Zweck derselben, wenn er auf die Glückseligkeit unserer Species gestellt wäre, in einem System derselben auf Erden nicht erreicht werden würde, weil die Natur in uns derselben nicht empfänglich ist.

Als das einzige Wesen auf Erden, das Verstand, mithin ein Vermögen hat, sich selbst willkührlich Zwecke zu setzen, ist der Mensch zwar betitelter Herr der Natur, und wenn man diese als ein teleologisches System ansieht, seiner Bestimmung nach der letzte Zweck der Natur, aber immer nur bedingt, nämlich daß er es verstehe und den Willen habe, dieser und ihm selbst eine solche Zweckbeziehung zu geben, die unabhängig von der Natur sich selbst genugsam, mithin Endzweck seyn könne, der aber in der Natur gar nicht gesucht werden muß.

Um aber auszufinden, worin wir am Menschen wenig= stens jenen letzten Zweck der Natur zu setzen haben, müssen wir dasjenige, was die Natur zu leisten vermag, um ihn dazu vorzubereiten, was er selbst thun muß, um

Endzweck zu seyn, heraussuchen und es von allen den Zwecken absondern, deren Möglichkeit auf Bedingungen beruht, die man allein von der Natur erwarten darf. Von der letztern Art ist die Glückseligkeit auf Erden, worunter der Inbegriff aller durch die Natur außer und in dem Menschen möglichen Zwecke desselben verstanden wird; das ist die Materie aller seiner Zwecke auf Erden, die, wenn er sie zu seinem ganzen Zwecke macht, ihn unfähig macht, seiner eigenen Existenz einen Endzweck zu setzen und dazu zusammen zu stimmen. Es bleibt also von allen seinen Zwecken in der Natur nur die formale, subjective Bedingung, nämlich der Tauglichkeit: sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt ange= messen, als Mittel, zu gebrauchen übrig, was die Natur, in Absicht auf den Endzweck, der außer ihr liegt, ausrichten und welches als ihr letzter Zweck angesehen werden kann. Die Hervorbringung der Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu beliebigen Zwecken überhaupt (folglich in seiner Freiheit) ist die Cultur. Also kann nur die Cultur der lezte Zweck seyn, den man der Natur in Ansehung der Menschengattung beizulegen Ursache hat. (IV, 326-329.)

Der Mensch ist durch seine Vernunft bestimmt, in einer Gesellschaft mit Menschen zu seyn, und in ihr sich durch Kunst und Wissenschaften zu cultiviren, zu civilisiren und zu moralisiren, wie groß auch sein thierischer Hang seyn mag, sich den Anreizen der Gemächlichkeit und des Wohllebens, die er Glückseligkeit nennt, passiv zu überlaffen, sondern vielmehr thätig, im Kampf mit Hindernissen, die ihm von der Rohheit seiner Natur anhängen, sich der Menschheit würdig zu machen. (VII, 2. Abtheil., 265 fg.)

Der Ausgang des Menschen aus dem, ihm durch die Vernunft als ersten Aufenthalt seiner Gattung vorgestellten, Paradiese ist nichts anders gewesen, als der Uebergang aus der Rohheit eines blos thierischen Geschöpfs in die Menschheit, aus dem Gängelwagen des Instincts zur Leitung der Vernunft, mit einem Worte: aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit. Ob der Mensch durch diese Veränderung gewonnen, oder verloren habe, kann nun nicht mehr die Frage seyn, wenn man auf die Bestimmung seiner Gattung sieht, die in nichts als im Fortschreiten zur Vollkommenheit besteht, so fehlerhaft auch die ersten, selbst in einer langen Reihe ihrer Glieder nach einander folgenden Versuche, zu diesem Ziele durchzudringen, ausfallen mögen. Indessen ist dieser Schritt, der für die Gattung ein Fortschritt vom Schlechteren zum Bessern ist, nicht eben das Nämliche für das Individuum. Ehe die Vernunft erwachte, war noch kein Gebot oder Verbot, und also noch keine Uebertretung; als sie aber ihr Geschäft anfing, und, schwach wie sie ist, mit der Thierheit und deren ganzen Stärke ins Gemenge kam, so mußten Uebel, und, was ärger ist, bei cultivirterer Vernunft Laster entspringen, die dem Stande der Unwissenheit, mithin der Unschuld ganz fremd waren. Der erste Schritt also aus diesem Stande war auf der sittlichen Seite ein Fall; auf der physischen waren eine Menge nie gekannter Uebel des Lebens eine Folge dieses Falls, mithin Strafe. Für das Individuum, welches im Gebrauche seiner Freiheit blos auf sich selbst sieht, war bei einer solchen Veränderung Verlust; für die Natur, die ihren Zweck mit dem Menschen auf die Gattung richtet, war sie Gewinn. Jenes hat daher Ursache, alle Uebel, die es erduldet, und alles Böse, das es verübt, seiner eigenen Schuld zuzuschreiben, zugleich aber auch als ein Glied des Ganzen (einer Gattung) die Weisheit und Zweckmäßigkeit der Anordnung zu bewundern und zu preisen. (VII, 1. Abtheil., 373 fg.)

Die Nichtigkeit des Wunsches zur Rückkehr in jene Zeit der Einfalt und Unschuld (des von den Dichtern so gepriesenen goldenen Zeitalters) wird hinreichend gezeigt, wenn man durch die Darstellung des ursprünglichen Zustandes belehrt wird: der Mensch könne sich darin nicht erhalten, darum weil er ihm nicht genügt; noch weniger sey er geneigt, jemals wieder in denselben zurückzukehren; so daß er also den gegenwärtigen Zustand der Mühseligkeiten doch immer sich selbst und seiner eigenen Wahl beizumessen habe. (VII, 1. Abtheil., 382.)

Einzelne Menschen und selbst ganze Völker denken wenig daran, daß, indem sie, ein jedes nach seinem Sinne und Einer oft wider den Andern, ihre eigene Absicht verfolgen, sie unbemerkt an der Naturabsicht, die ihnen selbst unbekannt ist, als an einem Leitfaden fortgehen, und an der= selben Beförderung arbeiten, an welcher, selbst wenn sie ihnen bekannt würde, ihnen doch wenig gelegen seyn würde.

Da die Menschen in ihren Bestrebungen nicht blos in= stinctmäßig wie Thiere, und doch auch nicht, wie vernünftige Weltbürger, nach einem verabredeten Plane, im Ganzen verfahren; so scheint auch keine planmäßige Geschichte (wie etwa von den Bienen oder Bibern) von ihnen möglich zu seyn. Man kann sich eines gewissen Unwillens nicht er= wehren, wenn man ihr Thun und Lassen auf der großen Weltbühne aufgestellt sieht; und bei hin und wieder anscheinender Weisheit im Einzelnen, doch endlich alles im Großen aus Thorheit, kindischer Eitelkeit, oft auch aus findischer Bosheit und Zerstörungssucht zusammengewebt findet: wobei man am Ende nicht weiß, was man sich von unserer auf ihre Vorzüge so eingebildeten Gattung für einen Begriff machen soll. Es ist hier keine Auskunft für den Philosophen, als daß, da er bei Menschen und ihrem Spiele im Großen gar keine verniinftige eigene Absicht voraus

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