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Obgleich er von schwächlicher Leibesbeschaffenheit war, so beherrschte doch bei ihm der Geist den Leib und ließ ihn trotz der großen Anstrengungen zu hohem Alter gelangen. Die Macht des Gemüths, durch den bloßen festen Vorsatz über seine krankhaften Gefühle Meister zu sein, lehrte er nicht blos theoretisch, sondern übte sie selbst auch praktisch. Dabei war er aber von sanftem und wohlwollendem Gemüth; er hatte, wie alle Genies, etwas Kindliches in seinem » Wesen. Mit offenem, frischem, munterm und rein auffassendem Sinn gab er sich vertrauensvoll hin, mit aufrichtiger Achtung ehrte er die verschieden gestalteten Kräfte und Eigenschaften in jedem Menschen, und eine seltene Bescheidenheit zierte ihn bei der Beurtheilung der Verdienste Anderer. Er suchte in Jedem lieber das Gute, als das Schlechte auf; dadurch gewann er aller Herzen. Mit stets reger Lernbegierde suchte er im Umgang mit gediegenen Männern aus den verschiedensten Ständen und Fächern, sowie in innigerer Vertrautheit mit der Natur die große Masse von Kenntnissen und Erfahrungen zu erlangen, welche er für seine umfassenden Lehrplane benutzen wollte.

Gegen seine Collegen handelte er stets human und zuvorkommend; jüngere Gelehrte unterstüßte er mit Rath und That. Er verabscheute jede Art von Schmeichelei; seine lautere Wahrheitsliebe machte ihn zum Feinde jeder Unwahrheit. Im Forschen und Denken ehrte er die Freiheit. Ein Ausruhen bei dem einmal Erworbenen an Kenntnissen fand bei ihm nie statt, sondern stets folgte er dem weitern Fortschritt der Wissenschaften. Seine Vorlesungen hielt er sehr pünktlich, aber sein Vortrag war kein zum Nachschreiben gemachter, sondern täglich führte er den Proceß des Philosophirens und Reproducirens der eigenen Gedanken seinen Zuhörern vor. Sein Auge glänzte dabei; auf seiner Stirn ruhte der Tiefsinn und um seinen Mund die Milde. In seinen Vorlesungen überbot er oft noch den Geistesreichthum, der in seinen Schriften herrscht. In seinen Tischgesellschaf=

ten war er von großer Gesprächigkeit und warf oft massen= weise geniale Gedanken aus.

Die Regelmäßigkeit der Lebensordnung war für Kant ein so heiliges Gesetz, daß er seit seinem Eintritt in ein selbständiges amtliches Leben (1770) erst nur in sehr wenigen Ausnahmsfällen davon abgewichen ist. Seine häusliche Einrichtung empfahl sich, als er Eigenthümer eines nicht großen zweistöckigen Hauses wurde, das er allein bewohnte, durch musterhafte Einfachheit. Die strenge Beobachtung eines regelmäßigen häuslichen Lebens scheint vorzüglich von ihm als ein Hinderniß betrachtet worden zu sein, in den Ehestand zu treten. Er sprach von den Frauen mit großer Achtung, warf ihnen aber im Allgemeinen Herrschsucht vor Er suchte im Gespräche nicht die auf, welche durch ihre Bildung glänzen wollten, sondern gab denen den Vorzug, die durch gesunde Vernunft, Natürlichkeit, Heiterkeit und häuslichen Sinn seine Aufmerksamkeit auf sich zogen.

Die Wohlthätigkeit übte Kant gewissenhaft als eine Pflicht gegen die Menschheit, aber auch nach reiflich_er= wogenen Grundsätzen, von denen er nicht abwich. Zwecklose Almosen erschienen ihm immer als eine verschuldete Beförderung der Schlechtigkeit unter den Menschen. Seine Verwandten unterstützte er auf das mildthätigste.

Sein

Vermögen hatte sich so günstig vergrößert, daß er bei einem sorgenfreien Alter ungestört die Freude genießen konnte, seine arme Familie reichlich zu unterstützen und seinem Dankbarkeitsgefühl für geleistete treue Dienste in seinem Testament freien Lauf zu lassen. Sein Wohlwollen äußerte sich aber in vollkommener Uebereinstimmung mit seinen festgestellten Marimen, sodaß er in Wahrheit einst von sich sagen konnte: Wer mir noch in meinen letzten Augenblicken eine gute Handlung vorzuschlagen weiß, dem will ich danken."

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Nachdem wir Kant's Leben und Charakter in ihren Grundzügen dargestellt haben, bleibt uns noch übrig, seine Philosophie zu charakterisiren. Die Kant'sche Philo=

sophie ist epochemachend geworden durch ihren Kriticismus, welcher in Gegensatz trat zu dem vorangegangenen Dogmatismus der Leibniz-Wolf'schen Philosophie. Der Dogmatismus wendet die aus den angeborenen Functionen des menschlichen Erkenntnißvermögens entspringenden apriorischen Begriffe und Sätze, die eben wegen dieses Ursprungs nur relative Gültigkeit haben, nur Gefeße der Erscheinung find, dazu an, das Wesen an sich der Welt zu ergründen, und hält sie für',,ewige Wahrheiten". Als Widersacher dieser ganzen Methode ist Kant mit seiner kritischen Philosophie aufgetreten, welche gerade die allem solchen dogmatischen Bau zur Unterlage dienenden, sogenannten,, ewigen Wahrheiten" zu ihrem Problem macht, dem Ursprunge derselben nachforscht und ihn findet im menschlichen Kopf, wo sie aus den diesem angehörenden eigenthümlichen Formen, welche er zum Behuf der Auffassung einer objectiven Welt in sich trägt, erwachsen. Der Grundzug und das Hauptverdienst der Kant'schen kritischen Philosophie ist daher die Unterscheidung der Erscheinung vom Dinge an sich oder die Lehre von der Diversität des Idealen und Realen. Die deutliche Erkenntniß und richtige, besonnene Darstellung dieser übrigens schon vor Kant in Plato's Lehre und in der indischen Lehre von der Maja enthaltenen Wahrheit ist die Basis der ganzen kritischen Philosophie und ihre eigentliche Seele. Sie zeigt, daß die Gesetze, welche im Dasein, d. h. in der Erfahrung überhaupt, mit unverbrüchlicher Nothwendigkeit herrschen, nicht anzuwenden sind, um das Dasein selbst abzuleiten und zu erklären, daß also die Gültigkeit derselben doch nur eine relative ist.

Auf diesen Weg wurde Kant durch Locke geführt. Dieser hatte nachgewiesen, daß die fecundären Eigenschaften der Dinge, wie Klang, Geruch, Härte, Farbe u. s. w., als auf Affectionen der Sinne beruhend, dem objectiven Körper, dem Dinge an sich selbst, nicht angehörten, welchem er vielmehr nur die primären Eigenschaften, d. h. solche, welche

blos den Raum und die Undurchdringlichkeit voraussetzen, also Ausdehnung, Gestalt, Solidität, Zahl, Beweglichkeit, beilegt. Kant hingegen erklärte alles das, was Locke als primäre Qualitäten, d. h. Eigenschaften des Dinges an sich selbst gelten gelassen, für ebenfalls nur der Erscheinung desselben in unserm Auffassungsvermögen angehörig, und zwar deshalb, weil die Bedingungen desselben, Raum, Zeit und Causalität, von uns a priori erkannt werden. Während also Locke vom Dinge an sich den Antheil, welchen die Sinnesorgane an der Erscheinung desselben haben, abzog, so zog Kant dazu noch den Antheil des Verstandes ab, wodurch die Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung eine erweiterte und vertiefte wurde. Kant nahm überhaupt die große Sonderung zwischen unserer Erkenntniß a priori und a posteriori vor, und diese Sonderung bildete den Hauptgegenstand seiner,,Kritik der reinen Vernunft", seines epochemachenden Hauptwerks.

Die Kant'sche Philosophie trat zu der ihrer Vorgänger in eine dreifache Beziehung: erstens in eine bestätigende und erweiternde zu der Locke's, zweitens in eine berichtigende und benußende zu der Hume's, drittens in eine polemische und zerstörende zu der Leibniz-Wolf'schen Philosophie.

Das Resultat der theoretischen Philosophie Kant's war dieses, daß die gesammte Erfahrung, nebst der sich in ihr darstellenden Welt, eine bloße Erscheinung, ein zunächst und unmittelbar nur für das erkennende Subject Vorhandenes ist, daß diese Erscheinung jedoch auf ein ihr zu Grunde liegendes Ding an sich hinweist, welches jedoch als solches schlechthin unerkennbar ist. Dieses negative Resultat seiner theoretischen Philosophie ergänzte Kant durch ein positives in der praktischen, in der Moral. Während nämlich die ,,Kritik der reinen Vernunft" das Ding an sich als schlecht-= hin unerkennbar stehen läßt, spricht Kant in seinen ethischen Schriften, namentlich in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und in der Kritik der praktischen Ver

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nunft" von dem freien Willen des Menschen, den anzunehmen das Sittengesetz mit seinem Sollen, seinem kategorischen Imperativ, fordert, als von einem Ding an sich, einem über die Erscheinung und ihren Causalzusammenhang erhabenen, von dem Zwange der Naturnothwendigkeit unabhängigen Vermögen. Schopenhauer, der den Willen für das Ding an sich erklärt, konnte daher sagen, daß die Wurzel seiner Philosophie schon in der Kant'schen liege, da, so oft Kant einmal mit dem Ding an sich selbst etwas näher ans Licht tritt, es allemal als Wille durch seinen Schleier hervorsieht. Kant", sagt Schopenhauer,,, erkannte zwar nicht direct im Willen das Ding an sich; allein er that einen großen bahnbrechenden Schritt zu dieser Erkenntniß, indem er die unleugbare, moralische Bedeutung des menschlichen Handelns als ganz verschieden und nicht abhängig von den Gesezen der Erscheinung, noch diesen gemäß je erklärbar, sondern als etwas, welches das Ding an sich unmittelbar berührt, darstellte: dieses ist der zweite Hauptgesichtspunkt für sein Verdienst."

Kant's Stil trägt das Gepräge eines kräftigen, überlegenen, erhabenen Geistes. Daß er in seinen systematischen Schriften mitunter schwerverständlich ist, kommt theils davon, daß er noch mit den Schwierigkeiten der großen Probleme, deren Lösung er sich vorgesetzt, zu ringen hatte, theils von seiner eigenthümlichen, der alten und der scholastischen Philosophie entlehnten Gelehrtensprache, theils von seiner Liebe zur architektonischen Symmetrie. Doch im Ganzen ist Licht und Helligkeit in seinen Schriften, und die nachfolgenden ,,Lichtstrahlen“ werden zeigen, daß man ihn mit Recht den classischen Schriftstellern der deutschen Nation zuzählt.'

J. Kant.

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