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Feder sein Thun und Lassen selbst verantworten muß, und der Geistliche die Rechenschaft darüber nicht auf seine eigene Gefahr übernehmen wird, oder es auch nur kann.

In diesen Fällen aber sind die Menschen geneigt, mehr Sicherheit für ihre Person darin zu setzen, daß sie sich alles eigenen Vernunftgebrauchs begeben, und sich passiv und gehorsam unter eingeführte Saßungen heiliger Männer fügen. Dies thun sie aber nicht sowohl aus dem Gefühl ihres Unvermögens in Einsichten (denn das Wesentliche der Religion ist doch Moral, die jedem Menschen bald von selbst einleuchtet), sondern aus Arglist, theils um, wenn etwa hierbei gefehlt seyn möchte, die Schuld auf Andere schieben zu können, theils und vornämlich, um jenem Wesentlichen (der Herzensänderung), welches viel schwerer ist als Cultus, mit guter Art auszuweichen. (VII, 2. Abtheil. 105.)

Wenn eine Regierung es nicht für Gewissenszwang ge= halten wissen will, daß sie nur verbietet, öffentlich seine Religionsmeinung zu sagen, indessen sie doch Keinen hinderte, bei sich im Geheim zu denken, was er gut findet, so spaßt man gemeiniglich darüber und sagt: daß dieses gar feine von ihr vergönnte Freiheit sey, weil sie es ohnedies nicht verhindern fann. Allein, was die weltliche oberste Macht nicht kann, das kann doch die geistliche, nämlich selbst das Denken zu verbieten, und wirklich auch zu hindern; sogar daß sie einen solchen Zwang, nämlich das Verbot anders, als was sie vorschreibt, auch nur zu denken, selbst ihren mächtigen Obern aufzuerlegen vermag. Denn wegen des Hanges der Menschen zum gottesdienstlichen Frohnglauben, dem sie nicht allein vor dem moralischen die größte, sondern auch die einzige, allen übrigen Mangel vergütende Wichtigkeit zu geben, von selbst geneigt sind, ist es den Bewahrern der Rechtgläubigkeit als Seelenhirten jederzeit leicht, ihrer Heerde ein frommes Schrecken vor der

J. Kant.

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mindesten Abweichung von gewissen auf Geschichte berühen= den Glaubensfäßen, und selbst vor aller Untersuchung dermaßen einzujagen, daß sie sich nicht getrauen, auch nur in Gedanken einen Zweifel wider die ihnen aufgedrungenen Säße in sich aufsteigen zu lassen, weil dieses so viel sey, als dem bösen Geiste ein Ohr leihen. Es ist wahr, daß, um von diesem Zwange los zu werden, man nur wollen darf (welches bei jenem landesherrlichen, in Ansehung der öffentlichen Bekenntnisse nicht der Fall ist); aber dieses Wollen ist eben dasjenige, dem innerlich ein Riegel vorge= schoben wird. Doch ist dieser eigentliche Gewissenszwang zwar schlimm genug (weil er zur innern Heuchelei verleitet), aber noch nicht so schlimm, als die Hemmung der äußern Glaubensfreiheit, weil jener durch den Fortschritt der moralischen Einsicht und Bewußtseyn seiner Freiheit allmälig von selbst schwinden muß; dieser äußere hingegen alle freiwilligen Fortschritte, in der ethischen Gemeinschaft der Gläu= bigen, die das Wesen der wahren Kirche ausmacht, verhin= dert, und die Form derselben ganz politischen Verordnungen unterwirft. (X, 160 fg.)

Ich gestehe, daß ich mich in den Ausdruck, deffen sich wohl auch kluge Männer bedienen, nicht wohl finden kann: ein gewiffes Volk (das in der Bearbeitung einer gesetzlichen Freiheit begriffen ist) ist zur Freiheit nicht reif, und so auch die Menschen überhaupt sind zur Glaubensfreiheit noch nicht reif. Nach einer solchen Voraussetzung aber wird die Freiheit nie eintreten; denn man kann zu dieser nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gesezt worden ist (man muß frei seyn, um sich seiner Kräfte in der Freiheit zweck= mäßig bedienen zu können). Die ersten Versuche werden freilich roh, gemeiniglich auch mit einem beschwerlicheren und gefährlicheren Zustande verbunden seyn, als da man noch unter den Befehlen, aber auch der Vorsorge Anderer stand;

allein man reift für die Vernunft nie anders, als durch eigene Versuche (welche machen zu dürfen man frei seyn muß). Ich habe nichts dawider, daß die, welche die Gewalt in Händen haben, durch Zeitumstände genöthigt, die Entschlagung von den Fesseln noch weit, sehr weit aufschieben. Aber es zum Grundsage machen, daß denen, die ihnen einmal unterworfen sind, überhaupt die Freiheit nicht tauge, und man berechtigt sey, fie jederzeit davon zu entfernen, ist ein Eingriff in die Regalien der Gottheit selbst, die den Menschen zur Freiheit schuf. Bequemer ist es freilich im Staate, Hause und Kirche zu herrschen, wenn man einen solchen Grundsaß durchzuseßen vermag. Aber auch gerechter? (X, 227.)

Pflicht und Tugend.

Es ist Niemand, selbst der ärgste Bösewicht, wenn er nur sonst Vernunft zu brauchen gewohnt ist, der nicht, wenn man ihm Beispiele der Redlichkeit in Absichten, der Standhaftigkeit in Befolgung guter Marimen, der Theilnehmung und des allgemeinen Wohlwollens (und noch dazu mit großen Aufopferungen von Vortheilen und Gemächlichkeit verbunden) vorlegt, nicht wünschte, daß er auch so gesinnt seyn möchte. Er kann es aber nur wegen seiner Neigungen und Antriebe nicht wohl in sich zu Stande bringen, wobei er dennoch zugleich wünscht, von solchen ihm selbst lästigen Neigungen frei zu seyn. Er beweist hierdurch also, daß er mit einem Willen, der von Antrieben der Sinnlichkeit frei ist, sich in Gedanken in eine ganz andere Ordnung der Dinge versetze, als die seiner Begierden im Felde der Sinnlichkeit, weil er von jenem Wunsche keine Vergnügung der Begierden, mithin keinen für irgend eine seiner wirklichen oder sonst erdenklichen Neigungen befriedigenden Zustand, sondern nur einen größern innern Werth seiner Person erwarten kann. Diese bessere Person glaubt er aber zu seyn, wenn er sich in den Standpunkt eines Gliedes der Verstandeswelt versetzt, dazu die Idee der Freiheit, d. i. Unabhängigkeit von bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt,

ihn unwillkührlich nöthigt, und in welchem er sich eines guten Willens bewußt ist, der für seinen bösen Willen, als Gliedes der Sinnenwelt, nach seinem eigenen Geständnisse das Gesetz ausmacht, dessen Ansehen er kennt, indem er es übertritt. Das moralische Sollen ist also eigenes noth= wendiges Wollen als Gliedes einer intelligibeln Welt, und wird nur sofern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet. (VIII, 88 fg.)

Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz, Urtheilskraft und wie die Talente des Geistes sonst heißen mögen, oder Muth, Entschloffenheit, Beharrlichkeit im Vorsage, als Eigenschaften des Tempe= raments, sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswerth; aber sie können auch äußerst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll, und dessen eigenthümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut ist. Mit den Glücksgaben ist es eben so bewandt. Macht, Reichthum, Ehre, selbst Gesundheit, und das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustande, unter dem Namen der Glückseligkeit, machen Muth und hierdurch öfters auch Uebermuth, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluß derselben aufs Gemüth, und hiermit auch das ganze Princip zu handeln, berichtige und allgemein-zweckmäßig mache; ohne zu erwähnen, daß ein vernünftiger unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines ununterbrochenen Wohl= ergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der gute Wille die unerlaßliche Bedingung selbst der Würdigkeit glücklich zu seyn auszumachen scheint.

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