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sonst nie geahnte Stärke recht fühlt, und vielmehr durchs untergeschobene Empirische (welches ebendarum zur allgemeinen Gesetzgebung untauglich ist) entmannet und gelähmt wird. 3)

Endlich setzt die allerneueste deutsche Weisheit ihren Aufruf, durchs Gefühl zu philosophiren, (nicht etwa, wie die um verschiedene Jahre ältere, durch Philosophie das sittliche Gefühl in Bewegung und Kraft zu versetzen) auf eine Probe aus, bei der sie nothwendig verlieren muss. Ihre Ausforderung lautet: ,,das sicherste Kennzeichen der Aechtheit der Menschenphilosophie ist nicht das, dass sie uns gewisser, sondern dass sie uns besser mache." Von dieser Probe kann

keine Mühe macht, weil sie diese Göttin beim Zipfel ihres Gewandes erhascht und sich ihrer bemächtigt zu haben vorgeben, sagt: „er verachte denjenigen, der sich seinen Gott zu machen denkt;" so gehört das zu den Eigenheiten ihrer Kaste, deren Ton (als besonders Begünstigter) vornehm ist. Denn es ist für sich selbst klar, dass ein Begriff, der aus unserer Vernunft hervorgehen muss, von uns selbst gemacht sein müsse. Hätten wir ihn von irgend einer Erscheinung (einem Erfahrungsgegenstande) abnehmen wollen, so wäre unser Erkenntnissgrund empirisch, und zur Gültigkeit für Jedermann, mithin zu der apodiktischen praktischen Gewissheit, die ein allgemein verbindendes Gesetz haben muss, untauglich. Vielmehr müssten wir eine Weisheit, die uns persönlich erschiene, zuerst an jenen von uns selbst gemachten Begriff, als das Urbild, halten, um zu sehen, ob diese Person auch dem Charakter jenes selbstgemachten Urbildes entspreche; und selbst alsdann noch, wenn wir nichts an ihr antreffen, was diesem widerspricht, ist es doch schlechterdings unmöglich, die Angemessenheit mit demselben anders, als durch sinnliche Erfahrung, (weil der Gegenstand übersinnlich ist) zu erkennen; welches sich widerspricht. Die Theophanie macht also aus der Idee des Plato ein Idol, welches nicht anders, als abergläubisch verehrt werden kann; wogegen die Théologie, die von Begriffen unserer eigenen Vernunft ausgeht, ein Ideal aufstellt, welches uns Anbetung abzwingt, da es selbst aus den heiligsten von der Theologie unabhängigen Pflichten entspringt.

nicht verlangt werden, dass das (durchs Geheimnissgefühl bewirkte) Besserwerden des Menschen von einem dessen Moralität auf der Probierkapelle untersuchenden Münzwardein attestirt werde; denn den Schrot guter Handlungen kann zwar Jeder leicht wägen, aber, wie viel auf die Mark Fein sie in der Gesinnung enthalten, wer kann darüber ein öffentlich geltendes Zeugniss ablegen? Und ein solches müsste es doch sein, wenn dadurch bewiesen werden soll, dass jenes Gefühl überhaupt bessere Menschen mache, wogegen die wissenschaftliche Theorie unfruchtbar und thatlos sei. Den Probierstein hiezu kann also keine Erfahrung liefern, sondern er muss allein in der praktischen Vernunft, als a priori gegeben, gesucht werden. Die innere Erfahrung und das Gefühl (welches an sich empirisch und hiemit zufällig ist) wird allein durch die Stimme der Vernunft (dictamen rationis), die zu Jedermann deutlich spricht und einer wissenschaftlichen Erkenntniss fähig ist, aufgeregt, nicht aber etwa durchs Gefühl eine besondere praktische Regel für die Vernunft eingeführt, welches unmöglich ist; weil jene sonst nie allgemeingültig sein könnte. Man muss also a priori einsehen können, welches Prinzip bessere Menschen machen könne und werde, wenn man es nur deutlich und unablässig an ihre Seele bringt und auf den mächtigen Eindruck Acht giebt, den es auf sie macht.

Nun findet jeder Mensch in seiner Vernunft die Idee der Pflicht und zittert beim Anhören ihrer ehernen Stimme, wenn sich in ihm Neigungen regen, die ihn zum Ungehorsam gegen sie versuchen. Er ist überzeugt, dass, wenn auch die letztern insgesammt vereinigt sich gegen jene verschwören, die Majestät des Gesetzes, welches ihm seine eigene Vernunft vorschreibt, sie doch alle unbedenklich überwiegen müsse, und sein Wille also auch dazu vermögend sei. Alles dieses kann und muss dem Menschen, wenngleich nicht wissenschaftlich, doch deutlich vorgestellt werden, damit er sowohl der Auktorität seiner ihm gebietenden Vernunft, als auch ihrer Gebote selbst gewiss sei; und ist sofern Theorie. Nun stelle ich den Menschen auf, wie er sich selbst fragt: was ist das in mir, welches macht, dass ich die innigsten Anlockungen meiner Triebe und alle Wünsche, die aus meiner Natur

hervorgehen, einem Gesetze aufopfern kann, welches mir keinen Vortheil zum Ersatz verspricht, und keinen Verlust bei Uebertretung desselben androht; ja das ich nur um desto inniglicher verehre, je strenger es gebietet und je weniger es dafür anbietet? Diese Frage regt durch das Erstaunen über die Grösse und Erhabenheit der inneren Anlage in der Menschheit, und zugleich die Undurchdringlichkeit des Geheimnisses, welches sie verhüllt, (denn die Antwort: es ist die Freiheit, wäre tautologisch, weil diese eben das Geheimniss selbst ausmacht) die ganze Seele auf. Man kann nicht satt werden, sein Augenmerk darauf zu richten und in sich selbst eine Macht zu bewundern, die keiner Macht der Natur weicht; und diese Bewunderung ist eben das aus Ideen erzeugte Gefühl, welches, wenn, über die Lehren der Moral von Schulen und Kanzeln, noch die Darstellung dieses Geheimnisses eine besondere oft wiederholte Beschäftigung der Lehre ausmachte, tief in die Seele eindringen und nicht ermangeln würde, die Menschen moralisch besser zu machen.

Hier ist nun das, was Archimedes bedurfte, aber nicht fand: ein fester Punkt, woran die Vernunft ihren Hebel ansetzen kann, und zwar, ohne ihn weder an die gegenwärtige, noch eine künftige Welt, sondern bloss an ihre innere Idee der Freiheit, die durch das unerschütterliche moralische Gesetz, als sichere Grundlage daliegt, anzulegen, um den menschlichen Willen, selbst beim Widerstande der ganzen Natur, durch ihre Grundsätze zu bewegen. Das ist nun das Geheimniss, welches nur nach langsamer Entwickelung der Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften Grundsätzen, also nur durch Arbeit fühlbar werden kann. Es ist nicht empirisch (der Vernunft zur Auflösung aufgestellt), sondern a priori (als wirkliche Einsicht innerhalb der Grenze unserer Vernunft) gegeben, und erweitert sogar das Vernunfterkenntniss, aber nur in praktischer Rücksicht, bis zum Uebersinnlichen; nicht etwa durch ein Gefühl, welches Erkenntniss begründete (das mystische), sondern durch ein deutliches Erkenntniss, welches auf Gefühl (das moralische) hinwirkt. Der Ton des sich dünkenden Besitzers dieses wahren Geheimnisses kann nicht vornehm sein; denn nur das dogmatische oder historische

Wissen blähet auf. Das durch Kritik seiner eigenen Vernunft herabgestimmte des ersteren nöthigt unvermeidlich zur Mässigung in Ansprüchen (Bescheidenheit); die Anmassung des letzteren aber, die Belesenheit im Plato und den Klassikern, die nur zur Kultur des Geschmacks gehört, kann nicht berechtigen, mit ihr den Philosophen machen zu wollen.

Die Rüge dieses Anspruchs schien mir jetziger Zeit nicht überflüssig zu sein, wo Ausschmückung mit dem Titel der Philosophie eine Sache der Mode geworden, und der Philosoph der Vision, (wenn man einen solchen einräumt) wegen der Gemächlichkeit, die Spitze der Einsicht durch einen kühnen Schwung ohne Mühe zu erreichen, unbemerkt einen grossen Anhang um sich versammeln könnte, (wie denn Kühnheit ansteckend ist) welches die Polizei im Reiche der Wissenschaften nicht dulden kann.

Die wegwerfende Art, über das Formale in unserer Erkenntniss, (welches doch das hauptsächlichste Geschäft der Philosophie ist) als eine Pedanterei, unter dem Namen „einer Formgebungsmanufactur" abzusprechen, bestätigt diesen Verdacht, nämlich einer geheimen Ábsicht: unter dem Aushängeschilde der Philosophie in der That alle Philosophie zu verbannen und als Sieger über sie vornehm zu thun, (pedibus subjecta vicissim obteritur, nos exaequat victoria coelo Lucret.)*)— Wie wenig aber dieser Versuch unter Beleuchtung einer immer wachsamen Kritik gelingen könne, ist aus folgendem Beispiel zu ersehen.

In der Form besteht das Wesen der Sache (forma dat esse rei, hiess es bei den Scholastikern), sofern dieses durch Vernunft erkannt werden soll. Ist diese Sache ein Gegenstand der Sinne, so ist es die Form der Dinge in der Anschauung (als Erscheinungen), und selbst die reine Mathematik ist nichts Anderes, als eine Formenlehre der reinen Anschauung; sowie die Metaphysik, als reine Philosophie, ihr Erkenntniss zu oberst auf Denkformen gründet, unter welche nachher jedes Objekt (Materie der Erkenntniss) subsumirt werden mag. Auf

*) (Unter die Füsse geworfen, wird sie getreten; uus erhebt der Sieg zum Himmel.)

A. d. H.

diesen Formen beruht die Möglichkeit alles synthetischen Erkenntnisses a priori, welches wir zu haben doch nicht in Abrede ziehen können. Den Uebergang aber zum Uebersinnlichen, wozu uns die Vernunft unwiderstehlich treibt und den sie nur in moralisch-praktischer Rücksicht thun kann, bewirkt sie auch allein durch solche (praktische) Gesetze, welche nicht die Materie der freien Ĥandlungen (ihren Zweck), sondern nur ihre Form, die Tauglichkeit ihrer Maximen zur Allgemeinheit einer Gesetzgebung überhaupt, zum Prinzip machen. In beiden Feldern (des Theoretischen und Praktischen) ist es nicht eine plan- oder gar fabriken mässig (zu Behuf des Staats) eingerichtete willkürliche Formgebung, sondern eine vor aller, das gegebene Objekt handhabenden Manufaktur, ja ohne einen Gedanken daran, vorhergehende fleissige und sorgsame Arbeit des Subjekts, sein eigenes (der Vernunft) Vermögen aufzunehmen und zu würdigen; hingegen wird der Ehrenmann, der für die Vision des Uebersinnlichen ein Orakel eröffnet, nicht von sich ablehnen können, es auf eine mechanische Behandlung der Köpfe angelegt, und ihr den Namen der Philosophie nur Ehren halber beigegeben zu haben. 4)

Aber, wozu nun all dieser Streit zwischen zwei Parteien, die im Grunde ein und dieselbe gute Absicht haben, nämlich die, weise und rechtschaffen zu machen? Es ist ein Lärm um nichts, Veruneinigung aus Missverstande, bei der es keiner Aussöhnung, sondern nur einer wechselseitigen Erklärung bedarf, um einen Vertrag, der die Eintracht fürs Künftige noch inniger macht, zu schliessen.

Die verschleierte Göttin, vor der wir beiderseits unsere Kniee beugen, ist das moralische Gesetz in uns, in seiner unverletzlichen Majestät. Wir vernehmen zwar ihre Stimme und verstehen auch gar wohl ihr Gebot; sind aber beim Anhören in Zweifel, ob sie von dem Menschen, aus der Machtvollkommenheit seiner eigenen Vernunft selbst, oder ob sie von einem Anderen, dessen Wesen ihm unbekannt ist und welches zum Menschen durch seine eigene Vernunft spricht, herkomme. Im Grunde thäten wir vielleicht besser, uns dieser Nachforschung

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