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ich überzeugt worden bin, dass die Regel: thue das Vollkommenste, was durch dich möglich ist, der erste formale Grund aller Verbindlichkeit zu handeln sei, so wie der Satz: unterlasse das, wodurch die durch dich grösstmögliche Vollkommenheit verhindert wird, es in Ansehung der Pflicht zu unterlassen ist. Und gleichwie aus den ersten formalen Grundsätzen unserer Urtheile vom Wahren nichts fliesst, wo nicht materiale erste Gründe gegeben sind, so fliesst allein aus diesen zwei Regeln des Guten keine besonders bestimmte Verbindlichkeit, wo nicht unerweisliche materiale Grundsätze der praktischen Erkentniss damit verbunden sind.

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Man hat es nämlich in unseren Tagen allererst einzusehen angefangen, dass das Vermögen, das Wahre vorzustellen, die Erkenntniss, dasjenige aber, das Gute zu empfinden, das Gefühl sei, und dass beide ja nicht mit einander müssen verwechselt werden. Gleichwie es nun unzergliederliche Begriffe des Wahren, d. i. desjenigen, was in den Gegenständen der Erkenntniss für sich betrachtet, angetroffen wird, giebt, also giebt es auch ein unauflösliches Gefühl des Guten (dieses wird niemals in einem Dinge schlechthin, sondern immer beziehungsweise auf ein empfindendes Wesen angetroffen). Es ist ein Geschäft des Verstandes, den zusammengesetzten und verworrenen Begriff des Guten aufzulösen und deutlich zu machen, indem er zeigt, wie er aus einfacheren Empfindungen des Guten entspringe. Allein ist dieses einmal einfach, so ist das Urtheil: dieses ist gut, völlig unerweislich, und eine unmittelbare Wirkung von dem Bewusstsein des Gefühls der Lust mit der Vorstellung des Gegenstandes. Und da in uns ganz sicher viele einfache Empfindungen des Guten anzutreffen sind, so giebt es viele dergleichen unauflösliche Vorstellungen. Demnach, wenn eine Handlung unmittelbar als gut vorgestellt wird, ohne dass sie auf eine versteckte Art ein gewisses andere Gut, welches durch Zergliederung darin kann erkannt werden, und warum sie vollkommen heisst, enthält, so ist die Nothwendigkeit dieser Handlung ein unerweislicher materialer Grundsatz der Verbindlichkeit. Z. E. Liebe den, der dich liebt, ist ein praktischer Satz, der zwar unter der obersten formalen und bejahenden Regel der

Verbindlichkeit steht, aber unmittelbar. Denn da es nicht weiter durch Zergliederung kann gezeigt werden, warum eine besondere Vollkommenheit in der Gegenliebe stecke, so wird diese Regel nicht praktisch, d. i. vermittelst der Zurückführung auf die Nothwendigkeit einer andern vollkommenen Handlung bewiesen, sondern unter die allgemeinen Regeln guter Handlungen unmittelbar subsumirt. Vielleicht, dass mein angezeigtes Beispiel nicht deutlich und überzeugend genug die Sache darthut; allein die Schranken einer Abhandlung, wie die gegenwärtige ist, die ich vielleicht schon überschritten habe, erlauben mir nicht diejenige Vollständigkeit, die ich wohl wünschte. Es ist eine unmittelbare Hässlichkeit in der Handlung, die dem Willen desjenigen, von dem unser Dasein und alles Gute herkommt, widerstreitet. Diese Hässlichkeit ist klar, wenn gleich nicht auf die Nachtheile gesehen wird, die als Folgen ein solches Verfahren begleiten können. Daher der Satz: thue das, was dem Willen Gottes gemäss ist, ein materialer Grundsatz der Moral wird, der gleichwohl formaliter unter der schon erwähnten obersten und allgemeinen Formel, aber unmittelbar steht. Man muss ebensowohl in der praktischen Weltweisheit, wie în der theoretischen nicht so leicht etwas für unerweislich halten, was es nicht ist. Gleichwohl können diese Grundsätze nicht entbehrt werden, welche als Postulata die Grundlagen zu den übrigen praktischen Sätzen enthalten. Hutcheson und Andere haben unter dem Namen des moralischen Gefühls hievon einen Anfang zu schönen Bemerkungen geliefert.

Hieraus ist zu ersehen, dass, ob es zwar möglich sein muss, in den ersten Gründen der Sittlichkeit den grössten Grad philosophischer Evidenz zu erreichen, gleichwohl die obersten Grundbegriffe der Verbindlichkeit allererst sicherer bestimmt werden müssen, in Ansehung dessen der Mangel der praktischen Weltweisheit noch grösser, als der spekulativen ist, indem noch allererst ausgemacht werden muss, ob lediglich das Erkenntnissvermögen oder das Gefühl (der erste innere Grund des Begehrungsvermögens) die ersten Grundsätze dazu entscheide. 11)

Nachschrift.

Dieses sind die Gedanken, die ich dem Urtheile der Königlichen Akademie der Wissenschaften überliefere. Ich getraue mich zu hoffen, dass die Gründe, welche vorgetragen worden, zur verlangten Aufklärung des Objekts von einiger Bedeutung seien. Was die Sorgfalt, Abgemessenheit und Zierlichkeit der Ausführung anlangt, so habe ich lieber etwas in Ansehung derselben verabsäumen wollen, als mich dadurch hindern zu lassen, sie zur gehörigen Zeit der Prüfung zu übergeben, vornehmlich da dieser Mangel, auf den Fall der günstigen Aufnahme, leichtlich kann ergänzt werden.

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