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Dritte Betrachtung.

Von der Natur der metaphysischen Gewissheit.

§. 1.

Die philosophische Gewissheit ist überhaupt von anderer Natur, als die mathematische.

Man ist gewiss, insofern man erkennt, dass es unmöglich sei, dass eine Erkenntniss falsch sei. Der Grad dieser Gewissheit, wenn er objective genommen wird, kommt auf das Zureichende in den Merkmalen von der Nothwendigkeit einer Wahrheit an; insofern er aber subjective betrachtet wird, so ist er insofern grösser, als die Erkenntniss dieser Nothwendigkeit mehr Anschauung hat. In beider Betrachtung ist die mathematische Gewissheit von anderer Art, als die philosophische. Ich werde dieses auf das Augenscheinlichste darthun.

Der menschliche Verstand ist, so wie jede andere Kraft der Natur, an gewisse Regeln gebunden. Man irrt nicht deswegen, weil der Verstand die Begriffe regellos verknüpft, sondern weil man dasjenige Merkmal, was man in einem Dinge nicht wahrnimmt, auch von ihm verneint, und urtheilt, dass dasjenige nicht sei, wessen man sich in einem Dinge nicht bewusst ist. Nun gelangt erstlich die Mathematik zu ihren Begriffen synthetisch und kann sicher sagen: was sie sich in ihrem Objekte durch die Definition nicht hat vorstellen wollen, das ist darin auch nicht enthalten. Denn der Begriff des Erklärten entspringt allererst durch die Erklärung und hat weiter gar keine Bedeutung, als die, so ihm die Definition giebt. Vergleicht man hiemit die Weltweisheit und namentlich die Metaphysik, so ist sie in ihren Erklärungen weit unsicherer, wenn sie welche wagen will. Denn der Begriff des zu Erklärenden ist gegeben. Bemerkt man nun ein oder das andere Merkmal nicht, was gleichwohl zu seiner hinreichenden Unterscheidung gehört, und urtheilt, dass zu dem ausführlichen Begriffe kein solches Merkmal fehle, so wird die Definition falsch und trüglich. Wir könnten

dergleichen Fehler durch unzählige Beispiele vor Augen legen, ich beziehe mich desfalls nur auf das oben angeführte von der Berührung. Zweitens betrachtet die Mathematik in ihren Folgerungen und Beweisen ihre allgemeine Erkenntniss unter den Zeichen in concreto, die Weltweisheit aber neben den Zeichen noch immer in abstracto. Dieses macht einen namhaften Unterschied aus, in der Art beider zur Gewissheit zu gelangen. Denn da die Zeichen der Mathematik sinnliche Erkenntnissmittel sind, so kann man mit derselben Zuversicht, wie man dessen, was man mit Augen sieht, versichert ist, auch wissen, dass man keinen Begriff aus der Acht gelassen, dass eine jede einzelne Vergleichung nach leichten Regeln geschehen sei u. s. w. Wobei die Aufmerksamkeit dadurch sehr erleichtert wird, dass sie nicht die Sachen in ihrer allgemeinen Vorstellung, sondern die Zeichen in ihrer einzelnen Erkenntniss, die da sinnlich ist, zu gedenken hat. Dagegen helfen die Worte, als die Zeichen der philosophischen Erkenntniss, zu nichts, als der Erinnerung der bezeichneten allgemeinen Begriffe. Man muss ihre Bedeutung jederzeit unmittelbar vor Augen haben. Der reine Verstand muss in der Anstrengung erhalten werden, und wie unmerklich entwischt nicht ein Merkmal eines abgesonderten Begriffs, da nichts Sinnliches uns dessen Verabsäumung offenbaren kann; alsdann aber werden verschiedene Dinge für einerlei gehalten, und man gebiert irrige Erkenntnisse.

Hier ist nun dargethan worden, dass die Gründe, daraus man abnehmen kann, dass es unmöglich sei, in einem gewissen philosophischen Erkenntnisse geirrt zu haben, an sich selber niemals denen gleichkommen, die man im mathematischen vor sich hat. Allein ausser diesem ist auch die Anschauung dieser Erkenntniss, soviel die Richtigkeit anlangt, grösser in der Mathematik, als in der Weltweisheit; da in der ersten das Objekt in sinnlichen Zeichen in concreto, in der letzteren aber immer nur in allgemeinen abgezogenen Begriffen betrachtet wird, deren klarer Eindruck bei Weitem nicht so gross sein kann, als der ersteren. In der Geometrie, wo die Zeichen mit den bezeichneten Sachen überdem eine Aehnlichkeit haben, ist daher diese Evidenz noch grösser, obgleich in der Buchstabenrechnung die Gewissheit ebenso zuverlässig ist. 7)

§. 2.

Die Metaphysik ist einer Gewissheit, die zur Ueberzeugung hinreicht, fähig.

Die Gewissheit in der Metaphysik ist von ebenderselben Art, wie in jeder andern philosophischen Erkenntniss, wie diese denn auch nur gewiss sein kann, insofern sie den allgemeinen Gründen, die die erstere liefert, gemäss ist. Es ist aus Erfahrung bekannt, dass wir durch Vernunftgründe, auch ausser der Mathematik, in vielen Fällen bis zur Ueberzeugung völlig gewiss werden können. Die Metaphysik ist nur eine auf allgemeinere Vernunftansichten angewandte Philosophie, und es kann mit ihr unmöglich anders bewandt sein.

Irrthümer entspringen nicht allein daher, weil man gewisse Dinge nicht weiss, sondern weil man sich zu urtheilen unternimmt, ob man gleich noch nicht alles weiss, was dazu erfordert wird. Eine grosse Menge Falschheiten, ja fast alle insgesammt, haben diesem letztern Vorwitz ihren Ursprung zu danken. Ihr wisst einige Prädikate von einem Dinge gewiss. Wohlan, legt diese zum Grunde eurer Schlüsse, und ihr werdet nicht irren. Allein ihr wollt durchaus eine Definition haben; gleichwohl seid ihr nicht sicher, dass ihr alles wisst, was dazu erfordert wird, und da ihr sie dessenungeachtet wagt, so gerathet ihr in Irrthümer. Daher ist es möglich, den Irrthümern zu entgehen, wenn man gewisse und deutliche Erkenntnisse aufsucht, ohne gleichwohl sich der Definition so leicht anzumassen. Ferner, ihr könnt mit Sicherheit auf einen beträchtlichen Theil einer gewissen Folge schliessen. Erlaubt euch ja nicht, den Schluss auf die ganze Folge zu ziehen, so gering als auch der Unterschied zu sein scheint. Ich gebe zu, dass der Beweis gut sei, in dessen Besitz man ist, darzuthun, dass die Seele nicht Materie sei. Hütet euch aber daraus zu schliessen, dass die Seele nicht von materialer Natur sei. Denn hierunter versteht Jedermann nicht allein, dass die Seele keine Materie sei, sondern auch nicht eine solche einfache Substanz, die ein Element der Materie sein könne. Dieses erfordert einen besondern Beweis, nämlich: dass dieses denkende Wesen

nicht so, wie ein körperliches Element im Raume sei, durch Undurchdringlichkeit, noch mit andern zusammen ein Ausgedehntes und einen Klumpen ausmachen könne; wovon wirklich noch kein Beweis gegeben worden, der, wenn man ihn ausfindig machte, die unbegreifliche Art anzeigen würde, wie ein Geist im Raume gegenwärtig sei. 8)

§. 3.

Die Gewissheit der ersten Grundwahrheiten in der Metaphysik ist von keiner andern Art, als in jeder anderen vernünftigen Erkenntniss, ausser der

Mathematik.

In unsern Tagen hat die Philosophie des Herrn Crusius) vermeint, der metaphysischen Erkenntniss eine ganz andre Gestalt zu geben, dadurch, dass er dem Satze des Widerspruchs nicht das Vorrecht einräumte, der allgemeine und oberste Grundsatz alles Erkenntnisses zu sein, dass er viel andre unmittelbar gewisse und unerweisliche Grundsätze einführte und behauptete, es würde ihre Richtigkeit aus der Natur unseres Verstandes begriffen, nach der Regel: was ich nicht anders als wahr denken kann, das ist wahr. Zu solchen Grundsätzen wird unter andern gezählt: was ich nicht existirend denken kann, das ist einmal nicht gewesen; ein jedes Ding muss irgendwo und irgendwenn sein u. dgl. Ich werde in wenigen Worten die wahre Beschaffenheit der ersten Grundwahrheiten der Metaphysik, imgleichen den wahren Gehalt dieser Methode des Herrn Crusius anzeigen, die nicht so weit von der Denkungsart der Philosophie in diesem Stücke abweicht,

*) Ich habe nöthig gefunden, der Methode dieser neuen Weltweisheit hier Erwähnung zu thun. Sie ist in Kurzem so berühmt geworden, sie hat auch in Ansehung der besseren Aufklärung mancher Einsichten ein so zugestandenes Verdienst, dass es ein wesentlicher Mangel sein würde, wo von der Metaphysik überhaupt die Rede ist, sie mit Stillschweigen übergangen zu haben. Was ich hier berühre, ist lediglich die ihr eigene Methode, denn der Unterschied in einzelnen Sätzen ist noch nicht genug, einen wesentlichen Unterschied einer Philosophie von der andern zu bezeichnen.

als man wohl denkt. Man wird auch überhaupt den Grad der möglichen Gewissheit der Metaphysik hieraus abnehmen können.

Alle wahren Urtheile müssen entweder bejahend oder verneinend sein. Weil die Form einer jeden Bejahung darin besteht, dass etwas als ein Merkmal von einem Dinge, d. i. als einerlei mit dem Merkmale eines Dinges vorgestellt werde, so ist ein jedes bejahende Urtheil wahr, wenn das Prädikat mit dem Subjekte identisch ist. Und da die Form einer jeden Verneinung darin besteht, dass etwas einem Dinge als widerstreitend vorgestellt werde, so ist ein verneinendes Urtheil wahr, wenn das Prädikat dem Subjekte widerspricht. Der Satz also, der das Wesen einer jeden Bejahung ausdrückt und mithin die oberste Formel aller bejahenden Urtheile enthält, heisst: einem jeden Subjekte kommt ein Prädikat zu, welches ihm identisch ist. Dieses ist der Satz der Identität. Und da der Satz, welcher das Wesen aller Verneinung ausdrückt: keinem Subjekte kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht, der Satz des Widerspruchs ist, so ist dieser die erste Formel aller verneinenden Urtheile. Beide zusammen machen die obersten und allgemeinen Grundsätze im formalen Verstande von der ganzen menschlichen Vernunft aus. Und hierin haben die Meisten geirrt, dass sie dem Satz des Widerspruchs den Rang in Ansehung aller Wahrheiten eingeräumt haben, den er doch nur in Betracht der verneinenden hat. Es ist aber ein jeder Satz unerweislich, der unmittelbar unter einem dieser obersten Grundsätze gedacht wird, aber nicht anders gedacht werden kann; nämlich, wenn entweder die Identität oder der Widerspruch unmittelbar in den Begriffen liegt, und nicht durch Zergliederung kann oder darf vermittelst eines Zwischenmerkmals eingesehen werden. Alle andere sind erweislich. Ein Körper ist theilbar, ist ein erweislicher Satz; denn man kann durch Zergliederung, und also mittelbar die Identität des Prädikats und Subjekts zeigen: der Körper ist zusammengesetzt, was aber zusammengesetzt ist, ist theilbar, folglich ist ein Körper theilbar. Das vermittelnde Merkmal ist hier: zusammengesetzt sein. Nun giebt es in der Weltweisheit viel unerweisliche Sätze, wie auch oben angeführt worden. Diese stehen zwar alle unter den formalen

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