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dass, wenn bisweilen, durch eine übelverstandene Obliegenheit, der Messkünstler sich mit solchen analytischen Erklärungen einlässt, doch in der That bei ihm nichts daraus gefolgert wird, oder auch seine nächsten Folgerungen im Grunde die mathematische Definition ausmachen; sonst würde diese Wissenschaft ebendemselben unglücklichen Zwiste ausgesetzt sein, als die Weltweisheit.

Der Mathematiker hat mit Begriffen zu thun, die öfters noch einer philosophischen Erklärung fähig sind; wie z. E. mit dem Begriffe vom Raume überhaupt. Allein er nimmt einen solchen Begriff als gegeben nach seiner klaren und gemeinen Vorstellung an. Bisweilen werden ihm philosophische Erklärungen aus andern Wissenschaften gegeben, vornehmlich in der angewandten Mathematik, z. E. die Erklärung der Flüssigkeit. Allein alsdann entspringt dergleichen Definition nicht in der Mathematik, sondern wird daselbst nur gebraucht. Es ist das Geschäft der Weltweisheit, Begriffe, die als verworren gegeben sind, zu zergliedern, ausführlich und bestimmt zu machen; der Mathematik aber, gegebene Begriffe von Grössen, die klar und sicher sind, zu verknüpfen und zu vergleichen, um zu sehen, was hieraus gefolgert werden könne. 2)

§. 2.

Die Mathematik betrachtet in ihren Auflösungen, Beweisen und Folgerungen das Allgemeine unter den Zeichen in concreto, die Weltweisheit das Allgemeine durch die Zeichen in abstracto.

Da wir hier unsere Sätze nur als unmittelbare Folgerungen aus Erfahrungen abhandeln, so berufe ich mich wegen des gegenwärtigen zuerst auf die Arithmetik, sowohl die allgemeine von den unbestimmten Grössen, als diejenige von den Zahlen, wo das Verhältniss der Grösse zur Einheit bestimmt ist. In beiden werden zuerst, anstatt der Sachen selbst, ihre Zeichen, mit den besonderen Bezeichnungen ihrer Vermehrung oder Verminderung, ihrer Verhältnisse u. s. w. gesetzt, und hernach mit diesen Zeichen nach leichten und sichern Regeln verfahren, durch Versetzung, Verknüpfung oder Abziehen, und mancherlei

Veränderung, so dass die bezeichneten Sachen selbst hiebei gänzlich aus den Gedanken gelassen werden, bis endlich beim Beschlusse die Bedeutung der symbolischen Folgerung entziffert wird. Zweitens, in der Geometrie, um z. E. die Eigenschaften aller Zirkel zu erkennen, zeichnet man einen, in welchem man, statt aller möglichen sich innerhalb demselben schneidenden Linien, zwei zieht. Von diesen beweiset man die Verhältnisse, und betrachtet in denselben die allgemeine Regel der Verhältnisse der sich in allen Zirkeln durchkreuzenden Linien in concreto.

Vergleicht man hiemit das Verfahren der Weltweisheit, so ist es davon gänzlich unterschieden. Die Zeichen der philosophischen Betrachtung sind niemals etwas Anderes, als Worte, die weder in ihrer Zusammensetzung die Theilbegriffe, woraus die ganze Idee, welche das Wort andeutet, besteht, anzeigen, noch in ihren Verknüpfungen die Verhältnisse der philosophischen Gedanken zu bezeichnen vermögen. Daher man bei jedem Nachdenken in dieser Art der Erkenntniss die Sache selbst vor Augen haben muss, und genöthigt ist, sich das Allgemeine in abstracto vorzustellen, ohne dieser wichtigen Erleichterung sich bedienen zu können, dass man einzelne Zeichen statt der allgemeinen Begriffe der Sachen selbst behandle. Wenn z. E. der Messkünstler darthun will, dass der Raum ins Unendliche theilbar sei, so nimmt er etwa eine gerade Linie, die zwischen zwei Parallelen senkrecht steht, und zieht aus einem Punkt einer dieser gleichlaufenden Linien andere, die solche schneiden. Er erkennt an diesem Symbolo mit grössester Gewissheit, dass die Zertheilung ohne Ende fortgehen müsse. Dagegen wenn der Philosoph etwa darthun will, dass ein jeder Körper aus einfachen Substanzen bestehe, so wird er sich erstlich versichern, dass er überhaupt ein Ganzes aus Substanzen sei, dass bei diesen die Zusammensetzung ein zufälliger Zustand sei, ohne den sie gleichwohl existiren können, dass mithin alle Zusammensetzung in einem Körper in Gedanken könne aufgehoben werden, so doch, dass die Substanzen, daraus er besteht, existiren; und da dasjenige, was von einem Zusammengesetzten bleibt, wenn alle Zusammensetzung überhaupt aufgehoben worden, einfach ist, dass der Körper aus einfachen Substanzen bestehen müsse. Hier können weder Figuren, noch sichtbare Zeichen die Gedanken,

noch deren Verhältnisse ausdrücken, auch lässt sich keine Versetzung der Zeichen nach Regeln an die Stelle der abstrakten Betrachtungen setzen, so dass man die Vorstellung der Sachen selbst in diesem Verfahren mit der klareren und leichteren der Zeichen vertauschte, sondern das Allgemeine muss in abstracto erwogen werden. 3)

§. 3.

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In der Mathematik sind nur wenig unauflösliche Begriffe und unerweisliche Sätze, in der Philosophie aber unzählige.

Der Begriff der Grösse überhaupt, der Einheit, der. Menge, des Raumes u. s. w. sind zum mindesten in der Mathematik unauflöslich, nämlich ihre Zergliederung und Erklärung gehört gar nicht für diese Wissenschaft. Ich weiss wohl, dass manche Messkünstler die Grenzen der Wissenschaften vermengen, und in der Grössenlehre bisweilen philosophiren wollen, weswegen sie dergleichen Begriffe noch zu erklären suchen, obgleich die Definition in solchem Falle gar keine mathematische Folge hat. Allein es ist gewiss, dass ein jeder Begriff in Ansehung einer Disciplin unauflöslich ist, der, er mag sonst können erklärt werden oder nicht, es in dieser Wissenschaft wenigstens nicht bedarf. Und ich habe gesagt, dass deren in der Mathematik nur wenige wären. Ich gehe aber noch weiter und behaupte, dass eigentlich gar keine in ihr vorkommen können, nämlich in dem Verstande, dass ihre Erklärung durch Zergliederung der Begriffe zur ma-thematischen Erkenntniss gehörte; gesetzt, dass sie auch sonst möglich wäre. Denn die Mathematik erklärt niemals durch Zergliederung einen gegebenen Begriff, sondern durch willkürliche Verbindung ein Objekt, dessen Gedanke eben dadurch zuerst möglich wird.

Vergleicht man hiemit die Weltweisheit, welcher Unterschied leuchtet da in die Augen? In allen ihren Disciplinen, vornehmlich in der Metaphysik, ist eine jede Zergliederung, die geschehen kann, auch nöthig; denn sowohl die Deutlichkeit der Erkenntniss, als die Möglichkeit sicherer Folgerungen hängt davon ab. Allein man sieht gleich

zum voraus, dass es unvermeidlich sei, in der Zergliederung auf unauflösliche Begriffe zu kommen, die es entweder an und für sich selbst oder für uns sein werden, und dass es deren ungemein viel geben werde, nachdem es unmöglich ist, dass allgemeine Erkenntnisse von so grosser Mannigfaltigkeit nur aus wenigen Grundbegriffen zusammengesetzt sein sollten. Daher viele beinahe gar nicht aufgelöset werden können, z. E. der Begriff einer Vorstellung, das neben einander oder nach einander Sein, andere nur zum Theil, wie der Begriff vom Raume, von der Zeit, von dem mancherlei Gefühle der menschlichen Seele, dem Gefühl des Erhabenen, des Schönen, des Ekelhaften u. s. w., ohne deren genaue Kenntniss und Auflösung die Triebfedern unserer Natur nicht genug bekannt sind, und wo gleichwohl ein sorgfältiger Aufmerker gewahr wird, dass die Zergliederung bei weitem nicht zulänglich sei. Ich gestehe, dass die Erklärungen von der Lust und Unlust, der Begierde und dem Abscheu und dergleichen unzählige niemals durch hinreichende Auflösungen sind geliefert worden, und ich wundere mich über diese Unauflöslichkeit nicht. Denn bei Begriffen von so verschiedener Art müssen wohl unterschiedliche Elementarbegriffe zum Grunde liegen. Der Fehler, den Einige begangen haben, alle dergleichen Erkenntnisse als solche zu behandeln, die in einige wenige einfache Begriffe insgesammt sich zerlegen liessen, ist demjenigen ähnlich, darin die alten Naturlehrer fielen, dass alle Materie der Natur aus den sogenannten vier Elementen bestehe, welcher Gedanke durch bessere Beobachtung ist aufgehoben. worden.

Ferner liegen in der Mathematik nur wenig unerweisliche Sätze zum Grunde, welche, wenn sie gleich anderwärts noch eines Beweises fähig wären, dennoch in dieser Wissenschaft als unmittelbar gewiss angesehen werden. Das Ganze ist allen Theilen zusammengenommen gleich; zwischen zwei Punkten kann nur eine gerade Linie sein u. s. w. Dergleichen Grundsätze sind die Mathematiker gewohnt im Anfange ihrer Disciplinen aufzustellen, damit man gewahr werde, dass keine anderen, als so augenscheinliche Sätze geradezu als wahr vorausgesetzt werden, alles Uebrige aber strenge bewiesen werde.

Vergleicht man hiemit die Weltweisheit und namentlich die Metaphysik, so möchte ich nur gerne eine Tafel von den unerweislichen Sätzen, die in diesen Wissenschaften durch ihre ganze Strecke zum Grunde liegen, aufgezeichnet sehen. Sie würde gewiss einen Plan ausmachen, der unermesslich wäre; allein in der Aufsuchung dieser unerweislichen Grundwahrheiten besteht das wichtigste Geschäft der höhern Philosophie, und diese Entdeckungen werden niemals ein Ende nehmen, so lange sich eine solche Art der Erkenntniss erweitern wird. Denn welches Objekt es auch sei, so sind diejenigen Merkmale, welche der Verstand an ihm zuerst und unmittelbar wahrnimmt, die Data zu ebenso viel unerweislichen Sätzen, welche denn auch die Grundlage ausmachen, woraus die Definitionen können erfunden werden. Ehe ich mich noch anschicke zu erklären, was der Raum sei, so sehe ich deutlich ein, dass, da mir dieser Begriff gegeben ist, ich zuvörderst durch Zergliederung diejenigen Merkmale, welche zuerst und unmittelbar hierin gedacht werden, aufsuchen müsse. Ich bemerke demnach, dass darin Vieles ausserhalb einander sei, dass dieses Viele nicht Substanzen seien, denn ich will nicht die Dinge im Raume, sondern den Raum selber erkennen, der Raum nur drei Abmessungen haben könne u. s. w. Dergleichen Sätze lassen sich wohl erläutern, indem man sie in concreto betrachtet, um sie anschauend zu erkennen; allein sie lassen sich niemals beweisen. Denn woraus sollte dieses auch geschehen können, da sie die ersten und einfachsten Gedanken ausmachen, die ich von meinem Objekte nur haben kann, wenn ich es anfange zu gedenken? In der Mathematik sind die Definitionen der erste Gedanke, den ich von dem erklärten Dinge haben kann, darum, weil mein Begriff des Objekts durch die Erklärung allererst entspringt, und da ist es schlechterdings ungereimt, sie als erweislich anzusehen. In der Weltweisheit, wo mir der Begriff der Sache, die ich erklären soll, gegeben ist, muss dasjenige, was unmittelbar und zuerst in ihm wahrgenommen wird, zu einem unerweislichen Grundurtheile dienen. Denn da ich den ganzen deutlichen Begriff der Sache noch nicht habe, sondern allererst suche, so kann er aus diesem Begriffe so gar nicht bewiesen werden, dass er vielmehr dazu dient, diese deutliche Erkenntniss und Definition

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