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Zur Beantwortung der Frage,

welche die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin auf das Jahr 1763 aufgegeben hat.

Verum animo satis haec vestigia parva sagaci
Sunt, per quae possis cognoscere caetera tute.*

1764.

Aber dem spähenden Geiste sind diese Spuren zu schwach, um damit

das Uebrige sicher zu erkennen. A. d. H.

Einleitung.

Die vorgelegte Frage ist von der Art, dass, wenn sie gehörig aufgelöset wird, die höhere Philosophie dadurch eine bestimmte Gestalt bekommen muss. Wenn die Methode fest steht, nach der die höchstmögliche Gewissheit in dieser Art der Erkenntniss kann erlangt werden, und die Natur dieser Ueberzeugung wohl eingesehen wird, so muss, anstatt des ewigen Unbestands der Meinungen und Schulsecten, eine unwandelbare Vorschrift der Lehrart die denkenden Köpfe zu einerlei Bemühungen vereinbaren; so wie Newton's Methode in der Naturwissenschaft die Ungebundenheit der physischen Hypothesen in ein sicheres Verfahren nach Erfahrung und Geometrie veränderte. Welche Lehrart wird aber diese Abhandlung selber haben sollen, in welcher der Metaphysik ihr wahrer Grad der Gewissheit, sammt dem Wege, auf welchem man dazu gelangt, soll gewiesen werden? Ist dieser Vortrag wiederum Metaphysik, so ist das Urtheil desselben eben so unsicher, als die Wissenschaft bis dahin gewesen ist, welche dadurch hofft, einigen Bestand und Festigkeit zu bekommen, und es ist alles verloren. Ich werde daher sichere Erfahrungssätze und daraus gezogene unmittelbare Folgerungen den ganzen Inhalt meiner Abhandlung sein lassen. Ich werde mich weder auf die Lehren der Philosophen, deren Unsicherheit eben die Gelegenheit zu gegenwärtiger Aufgabe ist, noch auf Definitionen, die so oft trügen, verlassen. Die Methode, deren ich mich bediene, wird einfach und behutsam sein. Einiges, welches man noch unsicher finden möchte, wird von der Art sein, dass es nur zur Erläuterung, nicht aber zum Beweise gebraucht wird. 1)

Kant, kl. logische Schriften. I.

5

Erste Betrachtung.

Allgemeine Vergleichung der Art, zur Gewissheit im mathematischen Erkenntnisse zu gelangen, mit der im philosophischen.

§. 1.

Die Mathematik gelangt zu allen ihren Definitionen synthetisch, die Philosophie aber analytisch.

Man kann zu einem jeden allgemeinen Begriffe auf zweierlei Wegen kommen, entweder durch die willkürliche Verbindung der Begriffe, oder durch Absonderung von derjenigen Erkenntniss, welche durch Zergliederung ist deutlich gemacht worden. Die Mathematik fasst niemals anders Definitionen ab, als auf die erstere Art. Man gedenke sich z. E. willkürlich vier gerade Linien, die eine Ebene einschliessen, so dass die entgegenstehenden Seiten nicht parallel seien, und nenne diese Figur ein Trapezium. Der Begriff, den ich erkläre, ist nicht vor der Definition gegeben, sondern er entspringt allererst durch dieselbe. Ein Kegel mag sonst bedeuten, was er wolle; in der Mathematik entsteht er aus der willkürlichen Vorstellung eines rechtwinklichten Triangels, der sich um eine Seite dreht. Die Erklärung entspringt hier und in allen anderen Fällen offenbar durch die Synthesin.

Mit den Definitionen der Weltweisheit ist es ganz anders bewandt. Es ist hier der Begriff von einem Dinge schon gegeben, aber verworren oder nicht genugsam bestimmt. Ich muss ihn zergliedern, die abgesonderten Merkmale zusammen mit dem gegebenen Begriffe in aller

Untersuch. üb. d. Deutlichk. d. Grunds. d. natürl. Theol.ctc. 67

lei Fällen vergleichen, und diesen abstrakten Gedanken ausführlich und bestimmt machen. Jedermann hat z. E. einen Begriff von der Zeit; dieser soll erklärt werden. Ich muss diese Idee in allerlei Beziehungen betrachten, um Merkmale derselben durch Zergliederung zu entdecken, verschiedene abstrahirte Merkmale verknüpfen, ob sie einen zureichenden Begriff geben, und unter einander zusammenhalten, ob nicht zum Theil eins die andern in sich schliesse. Wollte ich hier synthetisch auf eine Definition der Zeit zu kommen suchen, welch ein glücklicher Zufall müsste sich ereignen, wenn dieser Begriff gerade derjenige wäre, der die uns gegebene Idee völlig ausdrückte.

Indessen, wird man sagen, erklären die Philosophen bisweilen auch synthetisch und die Mathematiker analytisch. Z. E. wenn der Philosoph eine Substanz mit dem Vermögen der Vernunft sich willkürlicher Weise gedenkt und sie einen Geist nennt. Ich antworte aber, dergleichen Bestimmungen einer Wortbedeutung sind niemals philosophische Definitionen, sondern wenn sie ja Erklärungen heissen sollen, so sind es nur grammatische. Denn dazu gehört gar nicht Philosophie, um zu sagen, was für einen Namen ich einem willkürlichen Begriffe will beigelegt wissen. Leibnitz dachte sich eine einfache Substanz, die nichts als dunkle Vorstellungen hätte, und nannte sie eine schlummernde Monade. Hier hatte er nicht dieses Monas erklärt, sondern erdacht; denn der Begriff derselben war ihm nicht gegeben, sondern von ihm erschaffen worden. Die Mathematiker haben dagegen bisweilen analytisch erklärt, ich gestehe es, aber es ist auch jederzeit ein Fehler gewesen. So hat Wolf die Aehnlichkeit in der Geometrie mit philosophischem Auge erwogen, um unter dem allgemeinen Begriffe derselben auch die in der Geometrie vorkommende zu fassen. Er hätte es immer können unterwegens lassen; denn wenn ich mir Figuren denke, in welchen die Winkel, die die Linien des Umkreises einschliessen, gegenseitig gleich sind, und die Seiten, die sie einschliessen, einerlei Verhältniss haben, so kann dieses allemal als die Definition der Aehnlichkeit der Figuren angesehen werden, und so mit den übrigen Aehnlichkeiten der Räume. Dem Geometra ist an der allgemeinen Definition der Aehnlichkeit überhaupt gar nichts gelegen. Es ist ein Glück für die Mathematik,

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